Bücherklau II

Bücherdiebe der Geschichte im Visier


Abbé de Malan
Wilhelm Bruno Lindner
Kardinal Giambattista Pamfili
Johann Heinrich Waser
Matthias Flacius
Joseph Joschka Fischer
Conte Libri Carrucci
Demeter Rhodocanakis
Don Vincente
Johann Georg Tinius
Alois Pichler
Kardinal Passionei
Antoine Marie Henri Boulard
=>Bücherklau I

Abbé de Malan

Der hochangesehene Abbé François Emile Chavin de Malan (1814-1856) schröpfte fleissig die Pariser Bibliotheken. Dieser bescheiden auftretende Abbé hatte sogar einen Bibliotheksschlüssel bekommen und war vor allem an Sonn- und Feiertagen daselbst anzutreffen. Kein Wunder, waren die Lücken in den Beständen erheblich. Nach seinem frühen Tod fand man im Nachlass 269 Bände aus Bibliotheksbesitz, viele andere gestohlene Bücher hatte dieser Bibliofilou schon verkauft oder verschenkt.


Wilhelm Bruno Lindner

Diebe und Buchfrevler waren und sind oft Menschen, von denen man es am wenigsten erwartet. Zum Beispiel Wilhelm Bruno Lindner. Der Professor lehrte im 19. Jahrhundert an der Leipziger Universität Moral und Eigentumsrecht. Doch was er seinen Studenten predigte, galt anscheinend nicht für ihn selbst. Der evangelische Gelehrte zerstörte und stahl Bücher. Kistenweise habe die Polizei bei ihm herausgetrennte Pergamentblätter und abgeschnittene Buchdeckel aus dem Besitz der Universitätsbibliothek gefunden. Aus einem der kostbarsten Bücher überhaupt, der 36-zeiligen Gutenberg-Bibel, habe der Professor den ersten Buchstaben des Johannes-Evangeliums herausgeschnitten. Messerchen, Klebstoff und Radiergummi – in der Bibliothek hatte der Theologe immer sein Handwerkszeug dabei. Sein Fall erregte 1860 die Bücherstadt Leipzig. Ihm wurden über 600 Diebstähle und Eingriffe in Bibliotheksbüchern nachgewiesen. Er wurde verurteilt, verlor seine Professur, verbrachte sechs Jahre im Arbeitshaus und musste den angerichteten Schaden mit hohen Geldsummen begleichen.


Kardinal Giambattista Pamfili

Der Fall des italienischen Kardinals Giambattista Pamfili (1574-1655), Nuntius in Frankreich und später Papst Innozenz X., mag Eugen Roth zu seinen Versen angeregt haben:

"Die Bücher waren dazumal
Natürlich ganz gering an Zahl, (...)
Vor fremdem Zugriff sie zu retten:
Die Klöster legten sie an Ketten
Und liessen selbst die höchsten Herrn
mit Codicis allein nicht gern,
Weil oft sogar ein Kardinal
Die schönsten Bücher einfach stahl."

Einmal wurde Pamfili beim Bücherklau beobachtet. Man bat ihn, das Buch zurückzulegen. Indigniert stritt er den Diebstahl so vehement ab, dass ihm das gestohlene Buch aus den weiten Kardinalskleidern fiel. Von 1644-1655 war er Papst, er gehörte allerdings zu denjenigen, die das Ansehen des Apostolischen Stuhles nicht gefördert haben.


Johann Heinrich Waser

"Politische Aktionen und Bücherdiebstähle kosteten den Schweizer Pfarrer, Statistiker und Nationalökonomen Johann Heinrich Waser (geboren 1742) im Jahre 1780 den Kopf" (Georg Ruppelt). Er hatte nicht nur Kritisches über Zürich geschrieben, sondern auch Bücher, Karten und Kupferstiche aus verschiedenen Bibliotheken mitlaufen lassen; aus geklauten Büchern herausgerissene Seiten hingen an den Wänden seiner Wohnung. In der Urteilsbegründung wurde ausdrücklich auch auf diese Diebstähle verwiesen.


Matthias Flacius

Der Luther-Anhänger und Kirchenhistoriker kroatischer Herkunft Matthias Flacius (1520-1575) wurde verdächtigt, aus Klöstern Bücher und Handschriften in den weiten Ärmeln seines Habits herausgeschmuggelt zu haben. Er soll die besten Blätter aus Büchern herausgeschnitten haben, weshalb das Werkzeug der Bücherschänder als "Flacianisches Messer" in die Buchgeschichte einging. Möglicherweise haben wir es bei Flacius auch nur mit einem Gerücht zu tun.


Fischer, Joseph "Joschka"

Joschka Fischer soll Anfang der siebziger Jahre in seiner Buchhandlung in der Schmalen Straße mehrmals größere Mengen wertvoller Bücher gestohlen haben, warf Diese habe Fischer dann vor der Mensa der Frankfurter Johann Wolfgang von Goethe-Universität auf als "Antiquariat" deklarierten Büchertischen angeboten und verkauft. Daß Fischer eine Zeit lang seinen Lebensunterhalt aus dem Verkauf geklauter Bücher bestritten hat, ist für Kenner seiner Biographie nicht neu. Verraten habe dies ein ehemaliger Kampfgenosse und persönlicher Freund Fischers; weiter meinte er: "Der Joschka hat geklaut. Wenn es darum ging, die Bücher selbst zu lesen, haben wir das gutgeheißen. Aber wir haben mehrfach und heftig darüber diskutiert, ob es gerade beim linken Niedlich sein muß. Doch der Joschka sah das ganz locker." Schließlich habe Fischer gemeinsam mit ein paar Kumpanen begonnen, große Mengen wertvoller Bücher "für den Lebensunterhalt" zu klauen. Als diese neuen Diebestouren zur Routine wurden und von Frankfurt aus "ein regelrechter Raubzug durch Süddeutschland" veranstaltet wurde, habe er sich endgültig von Fischer distanziert. Buchhändler Wendelin Niedlich will Fischer nicht verzeihen: "Ich war mit meiner Buchhandlung verheiratet, und dann fällt mir dieser Herr in den Rücken." Seine Buchhandlung hat er inzwischen aus Altersgründen aufgegeben, aber sein Zorn auf Joschka Fischer ist noch längst nicht verraucht: "Dieser Herr war ein ziemlich gemeiner Dieb!" (Quelle: Junge Freiheit, 16.3.2001)


Conte Libri Carrucci

Jedenfalls, er war, soweit die Begeisterung für das Buch, die Geschicklichkeiten und Kenntnisse des Sammlers etwas gelten, ein Büchersammler hohen Ranges und wenn er die Büchersammlung, die er sich schuf, nicht zu Geld gemacht hätte, müßte er als Bücherdieb aus Bücherleidenschaft gelten. Gugliemo Bruto Icilio Timoleone, conte Libri Carrucci della Sommaia, der, einem alten Adelsgeschlecht entstammend, 1803 zu Florenz geboren war, wurde schon mit 17 Jahren Lizentiat der Rechte und Doktor der Naturwissenschaften, mit 20 Jahren Professor der Mathematik in Pisa, nachdem eine Anzahl frühreifer wissenschaftlicher Abhandlungen ihm rasch einen angesehenen Namen unter den Gelehrten seiner Heimat gesichert hatten. Bbinnen Jahresfrist wurde er von Grossherzog Leopold II aus gesundheitlichen Gründen emeritiert und war unter Beibehaltung seiner Bezüge zeitlebens abgesichert. 1924 verließ er seine Heimat, siedelte nach Paris über und war hier seit 1832 Professor der Mathematik am College de France, wurde Mitglied des Instituts, Ritter der Ehrenlegion und Inspektor des öffentlichen Unterrichtswesens. Im Rahmen seiner Tätigkeiten war er Mitarbeiter beim "Journal des Savants", dem "Journal des Débats" und der "Revue de Deux Mondes". Sein Interesse an Handschriften brach in dieser Zeit durch, so bemühte er sich um eine Stellung als Bibliothekar in der Handschriftenabteilung der Bibliothèque Royale, die ihm zunächst verwehrt blieb und erst 1841 gewährt wurde. Immerhin wurde er in die Arbeit am "Catalogue géneral des manuscits des bibliothèques publiques des départements" eingebunden - der erste Schritt der Wandlung vom Mathematiker hin zum Handschriftenforscher. Zunehmend ging er auf Auktionen und in Antiquariaten auf "Bücherjagd" und galt dort als einer der angesehensten, bestzahlenden Käufer.

Diese amtliche Stellung machte es nun Libri möglich, alle von ihm gewünschten Handschriften und Druckwerke in seinen Besitz zu bringen, ohne daß hinsichtlich der Rückgabe eine besondere Kontrolle ausgeübt werden konnte. Dazu kamen die damaligen verwirrten politischen Verhältnisse, denen es Libri verdankte, daß die sich mehr und mehr gegen ihn anhäufenden Anschuldigungen der Bibliotheksbeamten und anderer keinen Erfolg hatten. So läßt sich heute schwer feststellen, wann Libri seine systematischen Bücherdiebstähle in den Pariser und vor allem in den französischen Provinzbibliotheken anfing und wieviel kostbare Handschriften und Druckwerke er einzeln oder in kleinen Sammlungen unter der Hand erkauft hat. „Wie genau Libri bei seinem Vorgehen die jeweiligen örtlichen Verhältnisse berücksichtigte, erhellt am besten die Tatsache, daß über vierzig Jahre vergingen, bis in den von ihm geplünderten Bibliotheken der Verlust überhaupt bemerkt wurde." Seine Handschriftensammlung fasste er 1845 zu einem zum Verkauf stehenden Konvolut zusammen. Verkaufsverhandlungen miz dem British Museum in London scheiterten im Frühjahr 1846, ebenso die mit der Universität in Turin. Schließlich wurde die Sammlung 1847 an den britischen Büchersammler Lord Ashburnham für 8000 Pfund veräußert und in 16 Kisten verpackt verschickt. Den Rest seiner Büchersammlung verkaufte Libri im Sommer 1847 für 100.000 Francs.

Weil in vielen der verkauften Bände noch die Bibliotheksstempel zu sehen waren und er seine Verkäufe nicht sorgfältig genug tätigte, geriet er bald ins Blickfeld der französischen Justiz. Da es keinen Haftbefehl gab, konnte er am 28. Februar 1848 mit 18 Bücherkisten nach London flüchten. 80.000 Bücher mußter er in Paris zurücklassen; sie wurden beschlagnahmt. Noch 1848 wurde gegen den Geflüchteten Anklage erhoben. Von London aus begann er jene Polemik, die die Affäre Libri verwirrte und viele seiner alten Freunde weiter an ihn glauben ließ. Er konnte ja beweisen, daß er viele Bücher gekauft habe und unter diesen auch solche, die aus öffentlichen Bibliotheken während der Revolutionsjahre in den Handel gekommen waren. Das in seiner Abwesenheit geführte Verfahren endete am 22. Juni 1850 mit einer Verurteilung in Abwesenheit zu 10 Jahren Gefängnis. Selbstverständlich verlor er alle seine amtlichen Stellungen und Würden. Indessen nahm der inzwischen in England naturalisierte Libri das Urteil nicht ruhig hin; erst 1861 lehnte das Gericht das von Libri beantragte Wiederaufnahmeverfahren endgültig ab und erledigte damit einen Fall, der über ein Jahrzehnt heiß umstritten gewesen war. Libri ging in seine Heimat zurück, er starb 1869 in Fiesole. Während seines Aufenthaltes in London (1850-68) ließ er noch 16 oder 17 anonyme Auktionen (durch Puttick Simpson) und einige größere benannte (durch Sothebsy) veranstalten; Wagenladungen von Büchern "Libri Carrucci", auf den Markt bringend, deren Provinienz ein geheimnisvolles Dunkel umgab. Libri Carrucci gilt als ein Mann, „welcher durch seine verbrecherische Bibliomanie eine der letzten großen Handschriftenwanderungen in der Geschichte des Abendlandes verursacht hatte.“ Überliefert sind zahlreiche Briefe und Aufzeichnungen, die immerhin 31 Bände ergeben haben und in den Bestand der Bibliothéque Nationale aufgenommen wurden. Diese 1848 beschlagnahmten Dokumente galten im Indizienverfahren gegen Libri als Hauptbeweismittel. Die Meinungen der Experten über Libri reichen dabei von "vulgaire brocanteur" bis zu "grand chevalier d’aventures de la Bibliophilie".


Demeter Rhodocanakis

"... Deshalb war denn doch ein griechischer Schwindler, Herr Demeter Rhodocanakis (1840-1902) in der Benutzung der Bibliophilen-Maske sehr viel geschickter. Sie deckte seinen Fürstentitel. In dem Viertelhundert seiner Pracht- und Privatdrucke, die er zur Grundlegung seiner Familiengeschichte herausgab und in denen er nirgends vorhandene Werke zitierte, gab er sich das Ansehen eines emsigen Bücherforschers, der in alten Drucken und Handschriften seiner historischen Studien wegen herumstöberte. Auf den Prachteinbänden seiner Bibliothek, über die er zu verbreiten verstand, daß sie Zehntausende Bücher berge, obschon ihre Londoner Versteigerung nur 1877 Lose aufzählte, erglänzte das kaiserliche Wappen. Und er wußte die Bücher, die er sich zusammenholte, klug auszuwählen; nach dem geschichtlichen Wert den sie für ihn hatten, alte echte Provenienzexemplare an eine solche Stelle zu rücken, an der sie seines Namens Ruhm zu preisen schienen.


Don Vincente

"Der Bibliomane, der der Bücher wegen mordete, war ein Wahnsinniger, ihn mag man als das Schreckbild der Bücherwut zeichnen: Don Vincente, Padre im Kloster Poblet bei Tarragona. Als die reiche Klosterbücherei, das Geschenk eines der letzten Könige von Aragonien, während der Regentschaft der Königin Christine von Bourbon geplündert wurde, hatte Don Vincente die Gelegenheit benutzt, für sich zahlreiche Bücher zu gewinnen, indem er den Plündernden andere Schätze verriet, die mehr nach ihrem Sinne waren. Mit seinem Raube wurde er Buchhändler in Barcelona, freilich ein Antiquar eigener Art. Niemals Bücher lesend, fand sein bibliomanischer Geist den Inhalt seines Lebens darin, auf der Außenseite der Bände umherzuirren. Während er geringe Ausgaben verkaufte, um kümmerlich sein Leben zu fristen, trennte er sich niemals von seinen Bücherkostbarkeiten. Ein paarmal zwang ihn die Not dazu. Um wieder in den Besitz des notgedrungen verkauften Exemplares zu gelangen, schreckte er vor keinem Gewaltmittel zurück; auch einige Morde aus diesem Motive gestand er in der Gerichtsverhandlung ein, die ihn wegen seiner letzten Schreckenstat unschädlich machte.

Man hatte um die Mitte des Jahres 1836 die hinterlassene Büchersammlung eines Advokaten versteigert, die auch den als Unikum angesehenen Druck des Lamberto Palmart: Furs e ordinacions fetes par los gloriosos reys de Aragon als regnicols del regne de Valencia. Valencia: 1482, enthielt. Und dieses Buch hatte, Don Vincente, dessen Mittel nicht ausreichten, überbietend, ein alter Buchhändler und Straßengenosse des Bibliomanen, Augustino Patxot, ersteigert. Nach dem für ihn katastrophalen Ereignisse zeigte Don Vincente bereits im Auktionslokale Symptome des Wahnsinns, die aber damals wohl kaum beachtet wurden. Erst nach einer Woche, in der neun angesehen Männer ermordet, aber nicht beraubt worden waren, die, wie man später feststellte, in dieser Woche den Laden Patxots aufgesucht hatten, und nachdem Patxots selbst schon vorher bei einem nächtlichen Brande seines Hauses umgekommen war, erinnerte man sich wieder an Don Vincente.

Eine Haussuchung bei ihm, in der er mit großem Stolz dem Corregidor die Ordnung seiner Bibliothek erläuterte, ließ den Untersuchungsrichter durch einen Zufall das listig versteckte Buch entdecken, das die Ursache des Todes von zehn Menschen geworden war. Don Vincente wurde verhaftet und gestand, nachdem eine genauere Untersuchung seiner Bibliothek Beweise für seine früheren Mordtaten gebracht hatte; aber erst, nachdem er die formelle Versicherung erhalten hatte, daß seine Bibliothek nicht zerstreut werden würde. Er erklärte, daß er in der guten Absicht gehandelt habe, unersetzliche Schätze der Wissenschaft zu erhalten und wiederholte mehrmals, daß man mit ihm machen möge, was man wolle; nur dürfe man nicht die Wut über seine Missetaten an den unschuldigen Büchern auslassen. Auch hob er hervor, daß er seinen Opfern, soweit es noch möglich war, die Absolution erteilt hätte, bevor er ihnen die Beute, das von ihm verkaufte wertvolle Buch, entriß.

Die Menschen müssen alle früher oder später sterben, meinte er, das sei gleich, aber die guten Bücher müsse man erhalten, denn sie seien der Rum Gottes. Der Verteidiger Don Vincentes suchte ihn mit dem Einwande zu retten, daß man einen augenscheinlich Wahnsinnigen nicht zum Tode verurteilen dürfe, da die Indizien nicht ausreichend seien; es gebe von allen vorgefundenen Büchern mehrere Exemplare, auch von dem angeblichen Unicum befände sich ein zweites Exemplar in einer großen Pariser Bibliothek, wie einer der Zeugen nachweisen könnte. Als diese bibliographische Feststellung unzweifelhaft geworden war, packte Don Vincente die Verzweiflung, der bis dahin Ruhige beklagte bis zu seiner Hinrichtung, er wurde noch 1836 garottiert, laut sein Unglück, indem er wieder und wieder die Worte wiederholte: Mein Exemplar ist kein Unicum, mein Exemplar ist kein Unicum. ..."


Tinius, Johann Georg

Johann Georg Tinius, 1764 im Flecken Stanko in der Niederlausitz auf einer preußischen Domäne als der Sohn eines armen Schäfers geboren, aber dank seiner ungewöhnlichen Begabung von vielen gefördert, besuchte, wie es seine Autobiographie schildert, die Universität Wittenberg und wurde 1798 Pfarrer zu Heinrichs in Thüringen, 1809 in Poserna bei Weißenfels. Über den menschenscheuen Mann, der zweimal verheiratet war, vier Kinder hatte und ein musterhaftes Familienleben führte, waren bis zum 14. März 1813 nur günstige Urteile zu hören gewesen: als er an diesem Tage mit Genehmigung des Konsistoriums verhaftet wurde, war er durch einen Magister St. In B. schon am 17. Februar 1813 von den gegen ihn erhobenen Anschuldigungen und den Maßnahmen der Gerichtsbehörden in Kenntnis gesetzt worden, ohne daß er die Beweisstücke, die ihn später eines Raubmordes überführten, beseitigt hätte. Am 28. Januar 1812 um 10 Uhr vormittags war ein wohlhabender Leipziger Kaufmann Schmidt, der in der Grimmaischen Gasse wohnte, von einem Fremden, der den alten Herrn zu einer geschäftlichen Unterredung aufgesucht hatte, durch eine ihm angebotene Prise betäubt und dann so schwer am Kopfe verletzt worden, das er am 6. April starb. Der Mörder hatte 3000 Taler in Obligationen erbeutet, die er noch am selben Vormittage in einem Bankgeschäfte umwechselte, wobei er ruhig über eine halbe Stunde im Kontor blieb; ja noch einmal zurückkehrte, um sich über den Verkauf eine Quittung ausstellen zu lassen.

Die Nachforschungen nach dem Verbrecher blieben damals vergeblich. Am 8. Februar 1813 wurde Leipzig wieder durch die Kunde eines gleichen Verbrechens erschreckt: die Witwe Kunhardt war bei Überreichung eines Bittbriefes überfallen worden, sie erlag schon am 10. Februar ihren schweren Verletzungen, die denen Schmidts glichen. Die Absicht des Raubes hatte Tinius diesmal nicht verwirklichen können: er war während der Tat gestört worden und hatte flüchtend auf der Treppe die Magd seines Opfers, die er von früher kannte, angesprochen. Die Untersuchung führte im März 1814 zur Eröffnung des Kriminalprozesses, aber erst 1823 Kam es zur entscheidenden Verurteilung, da viele formale Schwierigkeiten - Poserna war damals gerade preußisch geworden, und Verdunklungsversuche durch Tinius, der Zeugen brieflich zum Meineide verleiten wollte, und immer neue gegen ihn erhobene Beschuldigungen - wie diese, daß er verschiedene Male in Postkutschen ähnliche Überfälle durch Anbieten seines betäubenden Schnupftabaks eingeleitet habe - die Untersuchung erschwerten. Auf die Beziehung des Pfarrers von Poserna zum Morde des Kaufmanns Schmidt war das Gericht erst durch Briefe des Mörders aufmerksam geworden; daneben hatte sich ergeben, daß er auch Kirchengelder unterschlagen hatte. Das endgültige Urteil lautete auf zwölf Jahre Zuchthaus, eine milde Erkenntnis, die wohl lediglich durch das stete Leugnen des Tinius und manche Lücken im Indizienbeweis veranlaßt war.

Schon am 31. März 1814 war Tinius öffentlich in der Nikolaikirche zu Leipzig durch den Superintendenten Rosenmüller feierlich seines Amtes entkleidet worden. Die Rede bei der Amtsentsetzung erwähnte ausdrücklich, daß Tinius durch seine Büchersucht zu Ausgaben veranlaßt worden wäre, die seine Einnahmen bei weitem überstiegen hätten. (Die Bücherei des Verbrechers, rund 17 000 Bände, kam am 5. November 1821 in Leipzig zur gerichtlichen Versteigerung.) Tinius selbst hat seine Verbrechen niemals eingestanden, ruhig und ohne Reue hat er seine Strafe verbüßt, in seinen Mußestunden eine Untersuchung über die Offenbarung Johannis schreibend. (Seine stupende Gelehrsamkeit, die vielfach bezeugt wird, gab Anlaß zu der Legende, daß er im Gefängnis aus dem Gedächtnis ein hebräisches Lexikon verfaßt hätte.)

Als er 1835, als angehender Siebziger, die Freiheit wieder erlangte, sah er sich von allen gemieden. Seine Familie hatte sich von ihm losgesagt, seien frühere Gemeinde setzte zu seinem Lebensunterhalt nur 25 Taler jährlich aus. So fristete er bis zu seinem Tode ein ruheloses Wanderleben. 1846 starb er in dem Kirchdorfe Graebensdorf bei Königswusterhausen, wo er seit 1840 lebte. Oft und viel bedauerte er den Verluste seiner Bücherei, wie er auch unbefangen von seinem Prozesse redete. Jedenfalls sind manche Widersprüche dieses Prozesses noch nicht gelöst, die vielleicht mehr Klarheit über den Charakter des Mannes geben könnte, der nicht als Bibliophile sondern als Märtyrer sich verteidigte; wie er denn in einem Briefe aus Zeitz vom 2. Januar 1841 schrieb: "Welche Wege der Prüfung ich gemacht habe, wird die in diesem Jahre noch erscheinende Geschichte meines Kriminalprozesses offenbaren. Seit sechs Jahren lebe ich hier in Zeitz kümmerlich von der Schriftstellerei, wobei die Buchhändler die Körner und ich die Spreu bekomme; denn die mir im hiesigen Landarmenhause angewiesene Versorgung kann ich, ohne bald jenseits versorgt zu werden, nicht annehmen." Eine Briefstelle, die insofern interessiert, als sie auch auf die noch nicht hinreichend bekannte spätere schriftstellerische Tätigkeit des Tinius verweist, den einen Bibliomanen zu nennen in jedem Falle seiner Schuld oder Unschuld kein Anlaß vorliegt. Denn er beging seine Verbrechen nicht der Bücher, sondern des Geldes wegen, um sich aus seinen Zahlungsschwierigkeiten zu befreien.


Alois Pichler (Theologe)

Ein berühmter deutscher katholischer Bücherdieb des 19. Jahrhunderts ist der Theologie Alois Pichler. Er wurde 1870 als junger Gelehrter in St. Petersburg angeklagt, rund 4000 Bände aus der Kaiserlichen Öffentlichen Bibliothek entwendet zu haben. Pichler beschäftigte sich vornehmlich mit der christlichen Ostkirche und genoß in der Petersburger Bibliothek große Freiheiten, hatte weitgehende Magazinerlaubnis und nutzte diese in wissenschaftlicher wie in anderer Hinsicht mit großem Gewinn. Bald nach seiner Ankunft wurden Unregelmäßigkeiten von den Bibliotheksangestellten bemerkt; allerdings waren die Nachforschungen für sie schwierig, da außer den vermißten deutschsprachigen Büchern auch die entsprechenden Katalogeinträge fehlten. Man versuchte, dem nunmehr doch in Verdacht geratenen deutschen Gelehrten durch allerlei Auflagen die Diebereien, deren er verdächtigt wurde, zu erschweren. Endlich wurde er auf frischer Tat ertappt, als er ein unter seiner Kleidung verborgenes Buch aus der Bibliothek schmuggeln wollte, nämlich eine Textausgabe des heiligen Augustinus. Bei einer spontanen Hausdurchsuchung fanden die russischen Beamten kistenweise Bücher, in denen zwar die Bibliothekszeichen und Signaturen der Kaiserlichen Bibliothek fehlten, die die Bibliothekare jedoch leicht als Bibliothekseigentum erkennen konnten. Pichler und eine Cousine hatten die Besitzvermerke entfernt und eigene angebracht. Der Theologe wurde zu lebenslänglicher Verbannung nach Sibirien verurteilt, jedoch durch Vermittlung des Prinzen Leopold von Bayern nach einigen Jahren begnadigt. Seine Cousine, die für die Ausmerzung der Bibliotheksbesitzvermerke und Anbringung der pichlerischen verantwortlich war, mußte einige Monate in ein Arbeitshaus und wurde anschließend des Landes verwiesen.


Kardinal Passionei

Der spätere Kardinal Passionei, ein Mann von hoher Gelehrsamkeit und ein leidenschaftlicher Bibliphile, erleichterte im 18. Jahrhundert Klosterbibliothken um die Verantwortung für ihre Bücherschätze. Als er noch päpstlicher Nuntius in Luzern war, kam er seiner Inspektionsaufgabe gegenüber den schweizerischen Abteien und vor allem gegenüber deren Bibliotheken gern und ausgiebig nach. Passionei soll mit Hilfe seiner Soutane und auch mit Hilfe eines geschickten Fängers, der unter einem Fenster vor der jeweiligen Bibliothek mit einem Korb bereitstand, um die vom Nuntius durch das Fenster geworfenen Bücher aufzufangen, eheblich zum Bestandsabbau der schweizerischen Klosterbibliotheken beigetragen haben. "Die Methoden, deren er sich bei der Vermehrung seiner Schätze bediente, waren keineswegs immer einwandfrei. Er kaufte wohl, aber in nicht wenigen Fällen legte er den Äbten dringend nahe, ihm besonders willkommene Werke aus den Klosterbibliotheken zu überlassen, "da sie für die Mönche doch keinen Nutzen stiften könnten". Dem päpstlichen Vertreter gegenüber war eine Ablehnung schwer möglich". 1755 wurde Passionei Direktor der Vatikanischen Bibliothek und damit Chef des auf anderem Gebiet berühmt gewordenen Johann Joachim Winckelmann, den er - wenig schmeichelhaft für den bibliothekarischen Berufsstand - als seinen Eunuchen bezeichnete. Bis ins 19. Jahrhundert hielten sich im übrigen Gerüchte, denen zufolge Passionei "seine eigene Bibliothek auf Kosten der Vatikanischen bereichert" habe. Nach seinem Tod 1761 wurde Passioneis 40.000 Bände umfassende kostbare Privatbibliothek vom Papst gekauft und dem Augustinerorden für die Bibliotheca Angelica überantwortet.


Marie Henri Boulard

Boulard wurde 1754 geboren. Er folgte 1782 seinem Vater im Notariatsamte, wurde später Maire und 1803 in den Corps legislatif berufen. Bogeng charakterisiert ihn als einen geschätzten Mann, ausgezeichneten Gelehrtern und Sprachkenner. 1808 überließ Boulard sein Amt seinem Sohn und verwandelte sich in einen Bibliomanen, dessen ausschließliche Beschäftigung das Bücherkaufen wurde. Der Einfachheit wegen kaufte der Pere Boulard - so nannten ihn die dankbaren Büchertrödler an den Seinequais, wo er täglich vorbeischaute - die Bändereihen nach dem Maßstabe, mehrere Meter Bücher, die er in großen Taschen nach hause schleppte. Bald war seine Wohnung voll, bald mußte er den Mietern seines Hauses kündigen, weil er ihre Räume für seine Bücher brauchte. Schließlich besaß er sechs Häuser, die alle vom Keller bis zum Dach mit Büchern gefüllt waren. Auf dem Totenbett bewunderte er die Bücher seiner Bibliothek, bei denen er sich nicht erinnern konnte, daß sie alle aus einem Besitz stammten. Er starb unter Büchern. Die Todesszene ist am Schluß der Erzählung "Der Büchernarr" von Charles Nodier festgehalten worden. Die 600.000 bis 800.000 Bände, die er hinterließ, sind teilweise als altes Papier, teilweise durch die Boulardauktionen der Jahre 1828 bis 1833 wieder zerstreut worden, die eine empfindliche Störung des Pariser Altbüchermarktes hervorriefen und deshalb in der Geschichte der Bücherliebhaberei unvergessen blieben. Aber Boulard war harmlos, ehrlich erwarb er seine Bücher.


[Nach oben]  [Bibliomanie]  [LB-Startseite]