Markierungen


von Anne Fadiman

... mein Mann, ein unverbesserlicher Bücherauseinanderklapper, dessen Zimmergenosse ihm einmal mitteilte: "George, falls du jemals den Rücken eines meiner Bücher brichst, möchte ich dir gleich sagen, daß du genausogut 'mir' das Rückgrat brechen kannst." Ebenso Kim, dessen Nachttisch trotz des Erlebnisses in Kopenhagen gegenwärtig drei aufgeschlagene Bände beherbergt. "So kann ich sie jederzeit benutzen", erklärt er. "Um eine Analogie aus dem Bereich der Elektronik zu verwenden: Wenn man ein Lesezeichen in ein Buch einlegt, ist das, als würde man auf 'Stop' drücken, während das mit dem Rücken nach oben aufgeschlagen hingelegte Buch dem Zeichen für 'Pause' entspricht." Ich gestehe, daß ich vor gar nichts zurückschrecke; manchnmal lasse ich meine Bücher aufgeschlagen liegen, andere Male begehe ich die noch abscheulichere Schändlichkeit, Seiten mit Eselsohren zu markieren. (Dabei gelingt es mir, das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden, denn oben eingeknickte Ecken markieren die Stelle, an der ich angelangt bin, während unten eingeknickte Ecken Seiten bezeichnen, die ich für mein Notizbuch photokopieren will.)

Alle ritterlichen Liebenden drücken die Stoptaste. Meine Tante Carol - die wahrscheinlich jede verwandtschaftliche Beziehung abstreiten wird, wenn sie erfährt, wie ich mit meinen Büchern umgehe - legt horizontal Reproduktionen von Audubon-Bildern ein, um genau den Absatz zu markieren, an dem sie die Lektüre unterbrochen hat. Liegt das Bild richtig herum, hatte sie die linke Seite gelesen, steht die Abbildung auf dem Kopf, war es die rechte Seite. Ein ehemaliger Klassenkamerad von mir, heute Anwalt, benutzt seine Visitenkarten und verschmäht die silbernen Tiffany- Lesezeichen seiner Frau, weil sie ihm ein paar Mikrometer zu dick sind und rudimentäre Stigmata hinterlassen könnten. Ein anderer Klassenkamerad, ein Kunstgeschichtler, bevorzugt Pariser Metrobillets und "Zahlungsbelege für Kreditkartenzahlungen - aber nur in kunsttheoretischen Publikationen, deren Angeberei ich durch etwas richtiggehend Vulgäres und Geldbezogenes entweihen will.

In literarischen oder poetischen Büchern, die mir wirklich heilig sind, würde ich so etwas nie verwenden." Ritterliche Liebende entfernen ihre Lesezeichen, sobald sie nicht mehr gebraucht werden; irdischere Liebende hinterlassen häufig romantische Erinnerungen, die nicht selten dreidimensional und unappetitlich sein können. 'Die Vögel des Yosemite- Parks und des Ostabfalls der Sierra Nevada', ein Buch im Besitz einer befreundeten Wissenschaftsjournalistin, birgt eine Eulenfeder und die Spitze eines Eichhörnchenschwanzes, Indizien eines Verbrechens, das sich am Tiogapaß zugetragen hat. Eine Literaturkritikerin aus meiner Bekanntschaft nahm Edgar Allan Poes 'Gesammelten Erzählungen und Gedichte' in einem Band auf eine Rucksackwanderung über die Halbinsel Yukatan mit, und jedesmal wenn ein interessanter Käfer sich auf den geöffneten Seiten niederließ, klappte sie das Buch zu. Am Ende hatte sie ein so umfangreiches Insektarium darin versammelt, daß sie befürchtete, Poe würde vom Zoll beschlagnahmt werden (er wurde es nicht).


© Anne Fadiman: Ex libris. Bekenntnisse einer Bibliomanin. Zürich: Diogenes, 2007. ISBN 978-3-257-23646-0, S. 53f.


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