Absoluter Vorrang


von Mario Vargas Llosa

Unser Mißverständnis betrifft die Konzeption. Sie sind bei Ihrem hübschen Entwurf meines Hauses und meiner Bibliothek von der - leider sehr verbreiteten - Voraussetzung ausgegangen, daß bei einem Heim das Wichtigste die Personen und nicht die Gegenstände sind. Ich kritisiere Sie nicht, weil Sie sich dieses Kriterium zu eigen gemacht haben, das unerläßlich ist für einen Mann Ihres Berufs, dem nicht daran liegen kann, von seinen Kunden abzusehen. Aber die Vorstellung, die ich von meinem künftigen Heim habe, ist entgegengesetzt. Das heißt: in diesem kleinen erbauten Raum, den ich meine Welt nenne und in dem meine Launen das Regiment führen werden, sollen meine Bücher, Bilder und Abbildungen absoluten Vorrang besitzen; wir Personen werden Bürger zweiter Klasse sein. Es sind diese viertausend Bände und die etwa hundert Gemälde und Reproduktionen, die bei dem Entwurf, mit dem ich Sie beauftragt habe, im Vordergrund zu stehen haben. Ihre Aufgabe ist es, die Bequemlichkeit, die Sicherheit und den Spielraum der Menschen denen dieser Gegenstände unterzuordnen. Unerläßlich ist die besondere Gestaltung des Kamins, der sich, so es mir beliebt, in ein Krematorium für überzählige Bücher und Bilder verwandeln können muß.

Aus diesm Grund muß er sich nahe bei den Regalen befinden und in Reichweite meines Sitzplatzes, denn ich spiele den Inquisitor literarischer und künstlerischer Katastrophen gerne im Sitzen und nicht im Stehen. Zur Erklärung: Die viertausend Bände und hundert Bilder, die ich besitze, stellen unabänderliche Größen dar. Ich werde nie mehr besitzen, um Überfüllung und Unordnung zu vermeiden, aber es werden nie diesselben sein, denn sie werden sich ständig erneuern, bis zu meinem Tod. Was bedeuete, daß ich für jedes Buch, das ich meiner Bibliothek hinzufüge, ein anderes aussondere und daß jedes Bild - Lithografie, Holzschnitt, Zeichnung, Kaltnadelradierung, Mischtechnik, Ölgemälde, Aquarell usw. -, das Aufnahme in meine Sammlung findet, das am wenigsten beliebte unter den übrigen verdrängt. Ich verhehle Ihnen nicht, daß die Auswahl des Opfers mühselig ist und bisweilen herzzerreißend, ein hamletsches Dilemma, das mich Tage und Wochen quält und später dann in meinen Alpträumen wiederkehrt. Am Anfang verschenkte ich die geopferten Bücher und Kunstwerke an öffentliche Bibliotheken und Museen. Jetzt verbrenne ich sie; daher die Wichtigkeit des Kamins. (...) Ich vertraue darauf, daß Sie das, was Sie gelesen haben - den Vorrang, den ich Bildern und Büchern vor Zweifüßlern aus Fleisch und Blut einräume -, nicht als launische Anwandlung oder als Pose eines Zynikers betrachten werden.

Nicht darum geht es, sondern um eine tiefverwurzelte Überzeugung, die Folge schwieriger, aber auch lustvoller Erfahrungen ist. Es war nicht leicht für mich, zu einer Position zu gelangen, die im Widerspruch steht zu den alten Traditionen - nennen wie sie humanistisch, mit einem Lächeln auf den Lippen - anthropozentrischer Philosophien und Religionen, für die es unvorstellbar ist, daß das reale menschliche Wesen, ein Gebilde aus vergänglichem Fleisch und vergänglichen Knochen, für weniger interessant und achtenswert gelten könnte als das erfundene, dasjenige, das in Bildern der Kunst und der Literatur erscheint (oder, wenn Ihnen das mehr behagt, reflektiert wird). Ich erspare Ihnen die Einzelheit dieser Geschichte und führe Sie zu der Schlußfolgerung, zu der ich gelangt bin und die ich ohne Scham verkünde. Nicht die Welt gemeiner, sich selbst fortbewegender Wesen, zu der Sie und ich gehlren, interessiert mich, verschafft mir Lust und Leid, sondern kene Myriade von Wesen, die ihr Leben der Phantasie, den Wünschen und dem künstlerischen Talent verdanken und in diese Bildern, Büchern und Reproduktionen gegenwärtig sind, die ich mit Geduld und Liebe in vielen Jahren zusammengetragen konnte.


© Mario Vargas Llosa: Die geheimen Aufzeichnungen des Don Rigoberto, Frankfurt/M.: Suhrkamp, 1999, S. 16-21


[Fundstücke]  [LB-Startseite]  [E-Mail]