Einen Roman schreiben


von Nagib Machfus

"Aber Sie werden erst Schriftsteller sein, wenn Sie französisch beherrschen", ereiferte sie sich. "Sie müssen Balzac lesen und George Sand, Madame de Stael und Loti, und danach schreiben Sie dann einen Roman." "Einen Roman?" fragte Kamal verächtlich. "Das ist doch keine bedeutende Kunst, nein - ich will etwas Ernsthaftes leisten." "In Europa erachtet man den Roman als Kunst", erwiderte Hussain. "Es gibt Autoren, die nichts anderes schreiben und dennoch zu den Unsterblichen gezählt werden. Ich rede keinesfalls nur so dahin, sondern ich weiß es. Auch mein Französischlehrer hat mir das bestätigt." Da Kamal nur zweifelnd den großen Kopf wiegte, fuhr Hussain fort. "Paß auf, daß du nicht Aida verärgerst. Sie ist eine große Bewunderin von französischen Romanen, kommt sich geradezu wie eine der vielen Heldinnen vor." Kamal beugte sich ein wenig vor, nicht nur, um ihre Reaktion auf Hussains Behauptung zu sehen, sondern weil er die günstige Gelegenheit nutzen wollte, ihre Schönheit mit ganzem Auge aufzunehmen.

"Wie das?" fragte er. "Romane ziehen sie auf eigenartige Weise in Bann. Ihr Kopf ist voll von imaginärem Leben. Einmal, als ich sie vor dem Spiegel herumstolzieren sah und sie fragte, was das zu bedeuten hätte, gabe sie mir zur Antwort: 'So ist Aphrodite an Alexandrias Küste geschritten'" Aida setzte spaßend eine finstere Miene auf und protestierte: "Glauben Sie ihm ja nicht. Er lebt noch viel mehr in der Welt der Bücher als ich. Nur fühlt er sich erst wohl, wenn mir etwas anhängen kann, selbst wenn es nicht stimmt." Aphrodite? Wer ist Aphrodite, du meine Angebetete? Bei deiner Vollkommenheit macht es mich traurig, daß du dich als ein anderes Wesen sehen willst. "Kümmern Sie sich nicht darum. Meine Phantasie ist ganz von den Helden al-Manfalutis und Rider Haggards eingenommen", erklärte er offenherzig. Hussain ließ sein wundervolles Lachen hören, bevor er rief: "Was könnte besser sein, als uns in einem Buch gemeinsam wiederzufinden? Warum bleiben wir auf der Erde kleben, wenn uns die Phantasie dermaßen anzieht? Kamal, du hast diesen Traum zu verwirklichen, denn ich bin kein Schriftsteller, will auch keiner werden. Aber du, du könntest uns, wenn du willst, in einem Buch vereinen." Aida in einem Buch, das du schreibst. ist das Gebet? Mystik? Wahnsinn?

"Und ich?" fragte Budur plötzlich, und das klang so empört, daß alle drei in lautes Gelächter ausbrachen. "Vergiß nicht, Budur einen Platz freizuhalten", mahnte Hussain, worauf Kamal die Kleine zärtlich an sich drückte und erklärte: "Du wirst gleich auf der ersten Seite stehen." Aida richtete den Blick in die Ferne. "Was werden Sie über uns schreiben?" Da er nicht wußte, was er sagen sollte, versuchte er, seine Verlegenheit mit einem matten Lächeln zu überspielen. Aber da antwortete Hussain schon statt seiner: "Na, was so Schriftsteller schreiben. Eine stürmische Liebesgeschichte, die mit Tod oder Selbstmord endet. Sie spielen mit dem Herzen, als wäre es ein Fußball." "Dann hoffe ich nur, daß dieses Ende einzig dem Haupthelden widerfährt", sagte Aida lachend. Wie auch nicht; sich die Angebetete als dahinsiechendes Wesen vorzustellen war völlig unmöglich. "Ist es denn Vorschrift, daß ein Roman mit Tod oder Selbstmord endet?" Nun lachte Hussain. "Das ist der natürliche Schluß einer leidenschaftlichen Liebesgeschichte." Auf der Flucht vor dem Schmerz, beim Festklammern ans Glück - da kann der Tod sogar wünschenswert sein.


© Nagib Machfus: Palast der Sehnsucht. Zürich: Unionsverlag, 1993.


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