Wozu Bücher gut sein können


von Javier Marias

Wenn Sie das hier lesen, sind es nur noch drei Tage, bis mein Verein zum siebten Mal den Europapokal gewinnt (und das sechste Mal ist zweiunddreißig Jahre her). Glauben Sie nicht, ich hätte bei dieser Behauptung kein Herzklopfen. Schlimmer noch, die Schreibmaschine ist mir vom Tisch gefallen, ich habe siebenmal auf Holz geklopft, siebenmal die Daumen gedrückt und sieben Stoßgebete an den Heiligen Di Stéfano gesandt. Aber schließlich habe ich hierüber schon seit einem Jahr meine Prognosen abgegeben und bisher noch nicht danebengelegen.

Ein guter Freund und noch besserer Buchhändler, Antonio Méndez, ist ein fast ebenso großer Madrid-Fan wie ich, und wenn ich fast sage, dann nur, weil ich einige Jahre älter bin als er, und Sie wissen ja, wie das bei Veteranen ist. Er steht politisch links, begreift die Seele Madrids jenseits der provinziellen Verleumdungen und schämt sich daher wegen des wenig ritterlichen Verhaltens mancher Vorstandsmitglieder und wegen der brutalsten Hooligans. An dem Tag, als die Mannschaft zuhause im Viertelfinale gegen Bayer Leverkusen spielte, ging ich in seine Buchhandlung, und der Mann war so nervös, dass er jedes Mal, wenn eine Gruppe gegnerischer Fans an seinem Laden in der Calle Mayor vorüberging, unruhig wurde und mit zusammengebissenen Zähnen fluchte, ängstlich und unzufrieden mit Real Madrids spielerischer Qualität, wie wir es alle in dieser Saison sind. Und dann sagte ich zu ihm, mehr einem Wunsch Ausdruck verleihend als wirklich überzeugt: «Mach dir keine Sorgen, heute gewinnen wir. Du siehst doch, dass es Deutsche sind, und in Deutschland werde ich viel gelesen und ausgesprochen freundlich behandelt. Jeder, den du hier siehst und den du im Stadion mit Mütze, Schal, Pfeife, Trompete und Schnarre sehen wirst, hat bestimmt meine Bücher gelesen. Also, keine Angst, das sind zivilisierte Menschen, die uns nicht übel mitspielen werden.»

Sie können sich vorstellen, dass Méndez und sein Mitinhaber Alberto schallend lachten, wodurch sie, ohne es zu wollen, ein paar Kunden verscheuchten. Aber sie beklagten sich nicht, denn an jenem Abend hieß es 3 : 0. Im Halbfinale trafen wir auf einen anderen deutschen Verein, den Vorjahressieger Borussia Dortmund. Und obwohl Madrid beim Hinspiel, noch dazu nach der Schande mit dem verschwundenen Tor, 2 : 0 gewonnen hatte, hatten die merengues große Angst, da der Verein sich durch die Meisterschaftsspiele quälte und aus dem spanischen Vereinspokal gegen einen Zweitligisten ausgeschieden war.

Also wollte ich Méndez wieder beruhigen: «Kein Grund zur Sorge», sagte ich zu ihm. «Das wird noch leichter als gegen Leverkusen, denn jetzt sind die Fans nicht nur Deutsche und schon deshalb geschmackvolle und sanftmütige Menschen - sie lesen meine Bücher - , sondern sie kommen auch noch aus Dortmund.» - «Na und? Ich weiß nur, dass es dort gutes Bier gibt.» Wie hätte er sich auch erinnern sollen. «Im letzten Jahr im Dezember», entgegnete ich, «bekam ich in Deutschland einen Preis überreicht, den Nelly-Sachs-Preis, erinnerst du dich?» Er nickte. «Es war ein Preis der Stadt Dortmund, so ein Zufall. Zur Preisverleihung musste ich hinfahren und der Bürgermeister hielt eine wunderbare lange Rede. Lass dich also nicht verwirren vom Äußeren der Fans, die du im Fernsehen sehen wirst, mit ihren schwarz-gelb-karierten Trikots, ihren Pappnasen und ihren Bierkrügen. Sie sind höchst gebildet und lesen nicht nur meine Bücher, sie haben mir sogar ihren Preis verliehen.»

Antonio und Alberto versuchten sich das Lachen diesmal zu verkneifen, wären aber fast daran erstickt, so dass wir beinahe zwei der besten Buchhändler in ganz Madrid verloren hätten. Was nächsten Mittwoch geschehen wird, hat damit zu tun, dass wir die so kultivierten Dortmunder besiegt haben und ins Endspiel gekommen sind. Dort erwartet uns der schreckliche Juventus Turin, der Jahr für Jahr den Scudetto seines Landes gewinnt und in den letzten drei Spielzeiten jedes Mal in die Endrunde des Europapokals gekommen ist. «Und was jetzt?» fragten sie mich in Méndez' Buchhandlung. «Das sind keine Deutschen, und soweit wir wissen, haben sie dir auch keine Preise überreicht.» Jeder gute Pokerspieler weiß, dass man einen Bluff bis zum Ende durchhalten muss. «Nur die Ruhe», entgegnete ich ihnen gestern. «Es wird nicht leicht. Es kann in die Verlängerung gehen oder sogar zum Elfmeterschießen kommen, weil in Italien noch nicht viel von mir erschienen ist. Aber wir werden gewinnen, denn mein Verlag, Einaudi, sitzt nicht wie die meisten italienischen Verlage in Rom oder Mailand, sondern in . . .»

Und sie beendeten erleichtert und diesmal ohne Gelächter den Satz: «Turin!» - «Also sind auch die Tifosi meine Leser. Es wird zwar hart werden, aber stellt den Champagner trotzdem schon mal kalt.» Und was, wenn Madrid jetzt nicht gewinnt . . .? Einmal abgesehen davon, dass ich in Depressionen verfallen würde, müsste ich mir auch noch einen neuen Buchhändler suchen. Oh, Heiliger Di Stéfano, steh mir bei.


© Javier Marias: Alle unsere früheren Schlachten. Stuttgart: Klett-Cotta, 2000. ISBN 3-608-93554-1


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