Der iberische Paulus

von Albert Vigoleis Thelen


Von einem Buch über San Pablo, und noch von einem Portugiesen geschrieben, sagte die Frau im Laden, wisse sie nichts. (...) Ich ließ mich nicht abweisen. Ob ich auf eigenen Faust in den Regalen stöbern dürfe? Ja, das dürfe ich, das müsse ich sogar, denn sie wolle nicht belästigt werden, und erst nicht mit Büchern! (...) Drei Exemplare standen noch auf der Planke. Ich klemmte eines unter den Arm und fragte nach dem Preis. Die Frau rührte sich nicht, sie begnügte sich damit, feindselig auf mein Buch zu blicken. Ich wurde sehr verlegen, wie immer, wenn ich einem Analphabeten gegenüberstand. Dann schämte ich mich des Alphabetes, das ich auswendig kann. (...) Mit der Frau kam ich nicht weiter, aber zum Glück trat ein Mann aus einer Hintertür in den Laden, an den ich mich, ih ihm den Buchhändler vermutend, der er auch war, aufatmend wandte - Preis? Ich hielt ihm das Buch hin, was genügte, in dem Mann einen kleinen Koller auszulösen.

Auf Mallorquinisch, wovon ich sozusagen nichts verstand, fauchte er seine Frau an; dann, höflich ins Kastilische übergehend, erläuterte er mir, daß seine Frau eine Eselei nach der anderen begehe - zum Beispiel glaube, eine Buchhandlung sei ein Bäckerladen, wo man nur immer weggibt, bis nichts auf den Börtern läge; doch was verstünde die Ärmste schon von Literatur! Den "San Pablo" also wolle ich ihm entführen? Zum Glück sei er noch rechtzeitig dazugekomnmen, sonst sei auch dieses Exemplar zur Tür hinaus, auf Nimmerwiedersehen! Nein, das gäbe's bei ihm nicht, und bitte, ich möge mich selbst überzeugen, nur noch drei Exemplare, drei! Vor einer Woche habe er noch zwei Dutzend gehabt, und davor an die fünfzig, das Buch ginge wie geschmiert, da stecke Don Miguel dahinter, und ob ich auch Ausländer zu sein scheine, so wüßte ich ja schon, daß damit Unamuno gemeint sei - "aber nein, Senor, geben Sie das Buch wieder her, es gehört da auf den Schapp. Wir haben hier nämlich eine Buchhandlung, mein Herr, und keinen Brotkram." Der Buchhändler stellte meine Exemplar wieder zu seinen Ladenhütern. Ich schwieg betroffen. Don Joaquin Verdaguer hatte mir eine ähnliche Geschichte erzählt, und ich hatte es für seine feine "broma", seinen lichternbergischen Spaß gehalten.

"Und was kostet so ein Buch?" wagte ich doch noch zu fragen, "vielleicht übersteigt es sogar meine Verhältnisse." "Vielleicht, Bücherkäufer lassen sich schwer auf Kaufkraft abschätzen; eine Ausgabe von Apolo, 8 Peseten." "Das beruhigt mich, ich habe nämlich nur einen Duro." "Wunderbar, ein Kunde nach meinem Herzen. Sie behalten Ihren Duro und ich behalte mein Buch." "Und dürfte ich mir noch eben den Verfasser notieren?" "Nicht nötig, ich gebe Ihnen ein Prospekt, versuchen Sie's mal auf der San Miguel, da hat man jetzt eine neue Buchandlung aufgemacht, moderne Ambitionen, die verkaufen alles, alles, sage ich Ihnen." Daran ginge die Literatur zugrunde: am totalen Ausverkauf durch Analphabeten, rief er mir noch unter der Tür drohend nach. Meinte er mich oder meine Frau? Vermutlich uns beide. Mulet hatte das Buch nicht, er kannte aber den Portugiesen, und er wollte mir gerne den Paulus aus Barcelona kommen lassen, in ein paar Tagen, sagen wir übermorgen, könnte er da sein, nein, sei er bestimmt schon da. (...) Der "Sao Paulo" von Teixeira de Pascoaes wurde das große Abenteuer meines Lebens. Don Juan Sureda Bimet: dein katholischer Deutscher dankt dir und deinen goldenen Adern dafür, daß du ihn mit Pascoaes und seinem iberischen Paulus in den Himmel des Gottlosen entrückt hast. Ich hatte ein religiöses Genie entdeckt.


Aus: Thelen, Albert Vigoleis: Die Insel des zweiten Gesichts. Aus den angewandten Erinnerungen des Vigoleis. München: dtv, 1999. 915 S. ISBN: 3-423-12649-3. S. 723-724


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