Billige Bücher


von Hermann Hesse

Billig Bücher gibt es allmählich recht viele, und von denen, die selber Bedarf nach wohlfeiler Lektüre haben, werden sie meistens auch gefunden und benutzt. Etwas anderes ist es mit dem Schenken. Wohlhabende Leute schenken wohl hie und da Bücher an Kindern, Verwandte und Freunde, oft teure Sachen, wie die Jungmädchenliteratur zur Konfirmation und so weiter. Das Büchergeben an Ärmere, namentlich an Angestellte und Dienstboten, ist aber noch wenig Sitte. Denn das Verteilen religiöser und politischer Werbeschriften, frommer erzieherlicher Belletristik und dergleichen ist zwar beliebt und gewiß sehr gut gemeint, verfehlt aber fast überall seinen Zweck, wenn es nicht gar Hohn weckt und böses Blut macht. Man verfolgt neuerdings die Schund- und Hintertreppenliteratur mit Eifer und vielleicht nicht ganz ohne Erfolg.

Die "fromme"Traktätchenliteratur ist aber häufig wenig besser, vom ästhetischen Standpunkt aus sogar mindestens ebenso übel wie jene mit Recht verrufenen Schauer- und Detektivdichtungen der Kolporteure. Jedenfalls ist sie für Vorurteilslose langweilig, reizlos und widerwärtig, wirkt durch die allzu deutlich unterstrichene Absicht verstimmend und schadte dadurch wohl mehr, als sie nützt. Wenn ich meinem Dienstmädchen ein erbauliches Heftchen "Die fromme Ida oder Gottes Segen in einem Dienstbotenleben" gebe, so wird sie erstens denken, ich wolle sie schulmädchenhaft in Erziehung nehmen, und das Ding nie oder widerwillig lesen. Zweitens wird sie mit Recht sagen: Er selber liest sowas sicher nicht. Gebe ich ihr aber ein Buch von Gotthelf, von Keller, von Raabe, so wird sie zumindest keine dringliche Absicht dabei spüren, es wahrscheinlich lesen und sich dann nicht erzogen und bevormundet, sondern unter die Mündigen gerechnet fühlen.

Gerade an Weihnachten liegt es nahe, den Dienstboten so etwas zu schenken. Man gibt ihnen Kleider, Wäsche, Zigarren und spart vielleicht nicht daran; und für ein paar Pfennige könnte man ihnen irgendein Büchlein dazulegen, das schlimmstenfalls unbeachtet bleiben, gutenfalls aber viel Freuden machen und Früchte tragen kann. Das Leihen von Büchern tut nicht denselben Dienst. Einmal fühlt der Entleiher die Verpflichtung, die Sachen in einer nicht allzu langen Frist zu lesen oder doch zurückzugeben, und dann hat man doch an den Dingen, die einem gehören, stets mehr Freude als an entliehenen. Wem ich ein Buch schenke, der liest es weit eher, als wem ich es leihweise aufnötige.

Und das Bücherschenken ist uns heute wirklich leicht gemacht. Man kann gute Sachen für Pfennige haben. Freunde von mir haben die hübsche Gewohnheit (die ich auch manchmal übe), auf Reisen und an Orten, wo sie zu Gast weilen, ihre Reiselektüre, soweit sie aus wohlfeilen Bändchen besteht, einfach liegen zu lassen. Die Dienstboten, die dann so ein Reclambändchen in die Hände bekommen, sehen es nicht bloß mit Finderneugier an, sondern haben auch die Gewißheit, daß das Ding nicht minderwertig und eigens auf sie gemünzt, sondern die Lektüre der Herrschaft ist...

Man stößt immer wieder auf den Einwand, Sachen von großen Dichtern gehören nicht vor die "Vielzuvielen", wie Perlen nicht vor die Säue. Aber das ist Geschwätz. Die etwaige Gefahr der Wirkung einer guten Dichtung auf Naive ist zumindest nicht halbsogroß als die der Zeitung, die jeder in die Hand bekommt, ja als die der Bibel.Und wenn ein wenig gebildeter Leser etwas im "Fähnlein der sieben Aufrechten" nicht alle Schönheiten erfühlt und alle Reize kapiert, so genießt er desto unbefangener und interessierter das Gegenständliche, freut sich und lernt, und am Ende bleibt auch von der unmeßbar feinen Wirkung des eigentlich Dichterischen etwas übrig. Der Robinson oder gar der Gulliver, den unsere Kinder lieben und lesen, ist seinerzeit ein rein literarisches Buch für literarisch gebildete Leser gewesen! Auch täuscht man sich leicht über das Verständnis einfacher Menschen für das Schöne. Im Hausbau und der Gartenanlage sind wir nach allen Raffinements schließlich dankbar in hundert Fällen zu bäuerlichen Vorlagen zurückgekehrt und räumen damit ein, daß das Gefühl fürs Schöne anderswo sitzt als in dem, was man "Bildung" heißt. So können wir auch einen Dichter ruhig einfachen Leuten überlassen. Mancher Besitzer einer großen Bibliophilenbibliothek genietß seine Dichter mit weniger Wonne und Herzlichkeit als irgendein einfacher Mann, dem der Faust und der Don Quixote in die Hände gerät. Die Hebelschen Kalendergeschichten im "Hausfreund" haben sich im Volk, wenigstens in des Dichters Heimat, zäh am Leben erhalten, während mancher sehr Gebildete nicht weiß, daß diese Geschichten vielleicht das Beste sind, was je ein deutscher Erzähler gemacht hat.

Auch Kindern soll man mehr Bücher schenken. Hier ist die Gefahr, sie möchten nur gezwungen lesen, noch geringer, denn ein halbwegs gesundes Kind halbwegs vernünftiger Eltern legt alles, was ihm fremd bleibt und nicht zu ihm paßt, sehr schnell und entschieden wieder weg. Ich meine nicht, daß man Kinder mit Lesestoff überfüttern soll. Man soll ihnen nur geben, wenn das Bedürfnis und Verlangen sich regt. Da gibt man einem Knaben oft an Weihnachten oder am Geburtstag eon oder zwei Bücher, teure illustrierte Sachen, die nun für Monate oder gar für ein Jahr ausreichen sollen. Statt dessen kann man mit Hilfe wohlfeiler Volksausgaben dem Bedürfnis jeweils gerecht werden. Freilich muß bei Kindern doppelt vorsichtig darauf gesehen werden, daß die von ihnen gelesenen Drucke kein Augenverderb sind. (1908)


Hermann Hesse: Schriften zur Literatur. Bd.1. Frankfurt/M.: Suhrkamp, 1970


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