Allgemeine Fundstücke  / [O-Q]


A  B  C  D  E  F  G  H  I  J  K  L  M  N  O  P  Q  R  S  T  U  V  W  X  Y  Z   [^] 

O'Brien, Flann: Das harte Leben

  "Der Teufel persönlich steckt in den Herzen dieser 'ownshucks' vom Stadtrat." "Sie sind nur gedankenlos und schlecht beraten." "Sie sind ein Haufen dummer, dickbäuchiger, gotteslästerlicher, geldraffender Räuber, wahrscheinlich sind sie aus dem Moor entlaufen, Taugenichtse aus gottverlassenen Orten wie Carlow oder der Grafschaft Leitrim. Die Söhne von Schweinehändlern und Kesselflickern. In Gottes Namen, was sollen auch solche Leute von den Pflichten eines Stadtverordneten wissen? Ich bin sicher, die hatten, bevor sie achtzehn waren, keine Schuhe an den Füßen." "Aber konnten die städtischen Beamten sie nicht beraten? Das sind doch bestimmt Leute aus Dublin." "Das ist doch wohl nicht Ihr Ernst, Pater. Diese Drecksäcke würden nicht mal einem Mann, der in die Badewanne steigt, raten, sich vorher auszuziehen." (Flann O'Brien: Das harte Leben, S. 65)


Ohnemus, Günter: Zähneputzen in Helsinki [1]

  Es war ein Kino für Kinder, die vorher Flaschenpfand kassiert oder Alteisen verkauft hatten. Ich habe oft und immer wieder das Zwei-Kilo-Gewicht unserer Küchenwaage versetzt und mußte es dann wieder auslösen. Ich habe in Oma Graswalds Kino vielleicht drei- oder vierhundert Filme gesehen. Der Druck der Sperrholzsitze unter meinem Hintern war Teil meiner Kindheit. (...) Ich habe wahrscheinlich mehr Filme gesehen als andere Kinder in meinem Alter, die nicht so oft ins Kino gehen konnten, weil sie nicht so viele Flaschen zu Hause hatten oder nicht soviel Alteisen, oder weil ihre Eltern keine Küchenwaage mit einem Zwei-Kilo-Gewicht hatten, oder einfach, weil sie in einer anderen Stadt wohnten. Die meisten Filme, die ich gesehen habe, werden heute nicht mehr gezeigt. Sie sind ein paar Wochen lang gelaufen, und dann sind sie da verschwunden, wo Filme verschwinden, wenn sie niemand mehr sehen mag. Ich weiß nicht, wo das sein kann. (...) Ich ging dreimal in einen Film mit dem Titel "Die blonde Zigeunerin". Ich habe keine Erinnerung mehr daran, außer daß ein mexikanisch aussehender Mann mit Messern warf und daß eine blonde Frau für den Bruchteil einer Sekunde völlig nackt aus dem Meer aufs Ufer zuging. Sie hatte sehr lange Beine, und sie überhaupt sehr groß. Es war einer der Filme, die wahrscheinlich nur wegen einer einzigen Szene gedreht werden, egal wieviel Messer durch die Luft fliegen, und die zehnjährige Jungs dazu bringen, Zwei-Kilo-Gewichte zu verkaufen, nur damit sie diese Szene noch einmal sehen können. (Günter Ohnemus: Zähneputzen in Helsinki, En, S. 46f.)


Ohnemus, Günter: Zähneputzen in Helsinki [2]

  Wir tranken Wein in einem Zimmer, das keine zehn Quadratmeter groß war - ein Bett, ein Schrank, ein Stuhl und ein dreieckiger Tisch - und der Plattenspieler stand mitten auf dem winzigen Schreibtisch. Der Schreibtisch war so winzig, und der Plattenspieler nahm soviel Platz auf ihm ein, daß man nicht einmal ein sehr kurzes japanisches Gedicht darauf hätte schreiben können. Wahrscheinlich hatte das Zimmer nicht einmal neun Quadratmeter, aber wir machten uns nichts daraus. Wir unterhielten uns über Sachen, die nicht in Quadratmetern ausgedrückt werden. (Günter Ohnemus: Zähneputzen in Helsinki, S. 43)


Ohnemus, Günter: Zähneputzen in Helsinki [3]

  Er glaubt, daß alle Leute, wenn sie von jemandem verlassen worden sind, den sie lieben, monatelang in Cafes herumsitzen und plötzlich und immer wieder entdeckten, wieviel Unglück es auf der Welt gibt: alte Leute, die zittrig sind, daß sie sich jedesmal bekleckern, wenn sie versuchen, ihre Kaffeetasse zum Mund zu führen, und Leute, die sich ganze Vormittage lang mit Aschenbechern unterhalten, und Kinder, die nicht wissen, was sie tun sollen, während sich ihre Eltern betrinken. (Günter Ohnemus: Zähneputzen in Helsinki, S. 67)


Ohnemus, Günter: Zähneputzen in Helsinki [4]

  Bikinis werden selten so alt. Sie verschwinden nach Regeln und Gesetzen, die nirgendwo aufgezeichnet sind und um die sich niemand Gedanken macht. Manchmal werden sie einfach weggeworfen, und manchmal werden sie im Sommer wie Hunde oder Katzen an Flüssen oder an abgelegenen Stellen ausgesetzt. Sie liegen dann da wie zusammengeschrumpfte Luftballons, und die Leute, die sie finden, fassen sie mit zwei Fingern an oder heben sie mit einem Stock hoch und werfen sie ins Gebüsch. Niemand will etwas mit Bikinis zu tun haben, die von anderen Leuten ausgesetzt worden sind. (Günter Ohnemus: Zähneputzen in Helsinki, S. 89)


Ohnemus, Günter: Zähneputzen in Helsinki [5]

  Meine Großmutter kam aus einer sehr reichen Familie, die irgendwann Anfang des Jahrhunderts durch wirtschaftlichen Leichtsinn und durch einen betrügerischen Buchhalter in den Ruin getrieben wurde. Sie ist nie darüber hinweggekommen. Sie und ihre älteren Geschwister mußten die Schule verlassen und sich Arbeit suchen, und alles, was ihr vom Glanz und Reichtum ihrer Familie blieb, war der Teil der französischen Grammatik, den man mit siebzehn an einer Klosterschule beherrschen kann, eine Vorliebe für die klassische deutsche Literatur, für Balladen voller Tod, Freundschaft, Treue und Freiheitsbegeisterung, für lateinische Kirchenlieder und für die katholische Version der Bibel. Schillers Räuber war ihr Lieblingsdrama und die Französische Revolution die einzige Revolution, die für sie zählte. Friede den Hütten! Krieg den Palästen! war etwas, woran sie noch mit über achtzig gerne dachte, und sie konnte so viele Gedichte auswendig deklamieren, daß die Lyrik der klassischen deutschen Literatur jetzt für mich so klingt, als seien die Gedichte bloß Librettos für die Stimme meiner Großmutter. (Günter Ohnemus: Zähneputzen in Helsinki, S. 113)


Ohnemus, Günter: Zähneputzen in Helsinki [6]

  Unser Sohn saß auf dem Fußboden und spielte eine Partie Mensch-ärgere-Dich-nicht gegen seinen Teddybären. Er ließ mich nicht mitspielen. Er hatte in letzter Zeit ziemlich oft verloren und brauchte wohl erst ein paar Aufbaukämpfe, bevor er wieder kühl und selbstbewußt den Realitäten ins Auge sehen konnte. Ich legte mich auf die Couch im Wohnzimmer und las die Zeitung vom Samstag. Während ich las, endete die Partie mit dem Teddybären unentschieden 4:4. Ein ziemlich erstaunliches Ergebnis für ein Mensch-ärgere-Dich-nicht. (Günter Ohnemus: Zähneputzen in Helsinki, S. 133)


Ohnemus, Günter: Zähneputzen in Helsinki [7]

  Der Arzt war jung, vollbärtig und aufmerksam. Es ist sehr beruhigend, wenn an einem verregnetem Nachmittag im Oktober in einer Klinik jemand Sonntagsdienst hat, dessen Ausbildung auf dem neuestem Stand ist und der sich sehr auf die Dinge konzentriert, die auf ihn zukommen. Als er hörte, daß es erst der sechste Monat war, sah sein Gesicht noch ein wenig jünger und aufmerksamer aus. Er wirkte plötzlich sehr ärztlich. Wahrscheinlich ging ihm eine Statistik durch den Kopf. Die Statistik mit den Überlebenschancen von Sechsmonatskindern . Er schaute auf den Fußboden. Dann sah er wieder hoch und schenkte unserem Sohn ein resigniertes Lächeln und einen Es-wird-schon-werden-Klaps. "Wann gehts denn endlich los?" fragte unser Sohn. "Ich weiß es nicht", sagte ich. "Es geht gleich los", sagte meine Frau. Ihr Gesicht war immer noch ein wenig rosig und verknautscht. Als der Arzt, der jetzt nicht mehr ganz so jung aussah, die Narkosemaske hervorholte, sagte meine Frau: "Lassen Sie nur. Ich brauch keine Gasmaske. Das hier ist eine ganz normale Geburt und kein Stellungskrieg." Meine Frau hat eine starke Abneigung gegen alles, was in der Medizin nach Chemie riecht. Ihr Großvater mütterlicherweits war Vegetarier, und sie nimmt überhaupt nie Tabeletten, außer gegen Zahnschmerzen. "Ich brauch das wirklich nicht", sagte sie. Der Arzt lächelte verlegenen und solidarisch. Die meisten Ärzte halten seien ja für einen Anarchisten, wenn man bei vollem Bewußtsein Kinder kriegen will, aber der hier lächelte. (Günter Ohnemus: Zähneputzen in Helsinki, S. 134f.)


Ohnemus, Günter: Der Tiger auf deiner Schulter [1]

  Ich glaube, es lag hauptsächlich an Derek, daß Beryl nicht viel zu lachen hatte und nur verdammt selten lächelte. Derek ist einer von den Männern, die Söhne wollen. Sie heiraten irgendwelche schüchternen, netten Mädchen, wirklich nette Mädchen so wie Glenda, und dann erwarten sie, daß diese Mädchen Söhne in die Welt werfen. Wenn Derek mein Vater wäre, dann wäre er erst glücklich, wenn ich fünzigmal hintereinander Wimbledon gewinne, und das wäre noch immer nicht genug, weil Wimbledon ohne die andern drei Grand Slam nichts ist. (Günter Ohnemus: Der Tiger auf deiner Schulter, S. 119)


Ohnemus, Günter: Der Tiger auf deiner Schulter [2]

  In unserer Familie gibt es einen Spruch, den wir meistens sagen, wenn wir jemanden besonders langweilig finden, oder wenn wir jemanden überhaupt nicht langweilig finden: "Mit dem (oder mir der) möchte ich nicht im Zug von München nach Wuppertal fahren." Das waren früher mal siebeneinhalb oder acht Stunden. Oder wir sagen von jemandem, der sehr interessant ist: "Mit dem (oder mit der) würde ich jederzeit in einem Abteil von München nach Wuppertal fahren." Und der Superlativ heißt dann: "Und zurück!" (Günter Ohnemus: Der Tiger auf deiner Schulter, S. 155)


Okuda, Hideo: Die seltsamen Methoden... [1]

  Jeder in der Gruppe wußte eine Anekdote über Irabu. Schon an der Universität sorgte er für Gesprächsstoff, da alles, was er tat, außerhalb jeglicher Normen war. So malte Irabu etwa ein künstliches Gerippe mit fluoreszierender Farbe an, bestellte sich seidene Arztkittel oder fing Katzen, um ihnen Vitaminspritzen zu verabreichen. Es ging sogar das Gerücht um, daß alle Karpfen im Teich des Universitätsparks Irabus Eßlust zum Opfer gefallen waren. (Hideo Okuda: Die seltsamen Methoden des Dr. Irabu, S. 97)


Olmi, Veronique: Die Promenade [1]

  Morgens ist Nizza zu klein für die Sonne. Das Licht breitet sich überall aus, es kommt vom Himmel herunter und legt sich auf die Dächer, die Straßen, das Meer, die Hügel, es streckt seine Tentakeln aus wie eine kochend heiße Krake, und dann zieht es sich zusammen, verdichtet sich, unmöglich, ihm zu entgehen. (...) hatte sie an diesem Brot getoastet, das retete alles, der Duft von getoastetem Brot macht Lust, die Fenster aufzureißen, etwas frische Luft herinzulassen, aber in Nizza darf man weder Fenster noch Fensterläden aufreißen, sonst saugt die Sonne in zwei Sekunden den ganzen Sauerstoff aus der Wohnung, und der Tag ist verdorben. (Veronique Olmi: Die Promenade)


Olmi, Veronique: Die Promenade [2]

  Die Revolution meiner Großmutter ist eine Geschichte der Züge. Rußland ist ein riesiges Land, durch das Züge fahren. Tolstoi reiste dritter Klasse, das verstehe ich. In der dritten Klasse kommt die Fantasie auf ihre Kosten, das sehe ich so wie Tolstoi. Abgesehen vom Geruch nach Erbrochenem und harten Eiern ist die dritte Klasse vollgestopft mit unglaublichen Leuten, denen unglaubliche Sachen passieren, die man so einfach wie möglich erzählen muß, damit sogar diejenigen, denen niemals was passiert, Lust haben, sie zu lesen. Während sie bequem in der ersten Klasse sitzen, die nach Reispuder und französischem Parfum riecht. (Veronique Olmi: Die Promenade, S. 12).


Olmi, Veronique: Die Promenade [3]

  Ich komme im Unterricht nicht mit. Eigentlich bin ich nie irgendwo mitgekommen. Abgesehen von bewegten Leben der Helden von Tolstoi, Puschkin, Pasternak oder Tschechow, die die Lehrer nicht näher zu kennen scheinen, habe ich einen ganz schönen Rückstand. Ich glaube, ich habe nie richtig zugehört; jetzt ist es zu spät, selbst wenn ich jetzt anfangen würde, wäre es zu spät. Ich kann zum Beispiel keine Division mit zweistelligen Zahlen, weil ich meine Multiplikationstafeln nicht auswendig gelernt habe. In Rußland, besser gesagt: in der Sowjetunion, zählen sie mit Rechenbrett, das zeigt doch, daß nur wenige Menschen auf der Welt mit zweistelligen Zahlen dividieren können. Es ist auf jeden Fall nicht menschlich, die Welt so zu verkleinern. Ich brauche einen weiten Horizont, deshalb beruhigt mich das Meer. Es ist unberechenbar. Man muß die Welt nicht mit Divisionen mit zweistelligen Zahlen quälen, man muß sie flach vor das Meer legen und die wahren Schlußfolgerungen daraus ziehen: Das Leben dauert zweieinhalb Sekunden und man hat die Entfernung falsch geschätzt. (Veronique Olmi: Die Promenade, S. 53)


Olmi, Veronique: Die Promenade [4]

  Ich liebe das Mittelmeer. Es ist das stolzeste aller Meere. Es gibt nichts her. Es wirft sich nicht an Ufer, läßt keine Wale stranden und versucht nicht vergeblich, einen Felsen umzureißen. Es liegt in der Stadt, an der Schwelle unserer Häuser, es rührt sich nicht, aber ich glaube, man sollte sich besser vorsehen. In Nizza ist es gar nicht leicht, ins Wasser zu gehen. Die Steine zwingen den Badenden, wie ein Kind zu laufen, das seine ersten Schritte macht, er schwankt, klammert sich mit kleinen Jauchzern an die anderen; es ist schwierig, den Helden zu markieren, wenn man beschließt, in Nizza zu baden, deswegen sonnen sich die Mädchen, die sich aufspielen müssen, lieber abwechselnd auf dem Rücken und auf dem Bauch und hören dabei Radio, als auf Stöckelschuhen ins Wasser zu gehen. (Veronique Olmi: Die Promenade, S. 54)


Olmi, Veronique: Die Promenade [5]

  Einmal hat sie mich nach meinem Geburtsdatum gefragt. Ich habe es ihr gesagt. Sie hat es mich wiederholen lassen, dann hat sie das Gesicht verzogen: "1961! Das ist doch kein Geburtsjahr!" Ich habe gesehen, wie wütend sie auf mich war. Ich bin zu spät geboren, ich habe das Datum überschritten, zu dem man geboren werden kann, ohne daß es verlorene Zeit wäre. Ich weiß, daß ich das Wesentliche verpaßt habe, und sicher langweilt sie sich deshalb mit mir. Manchmal würde ich gern aus dem College oder vom 'Bon Lait' zurückkommen, mich auf einen Stuhl fallen lassen, den Kopf nach hinten werfen, die Augen verdrehen und sagen: "Ich könnte tot sein! Ja, eigentlich müßte ich tot sein!" Und dann, weil sie mich händeringend anfleht, würde ich ihr in Andeutungen erzählen, wie ich die Pläne der Geheimplätze durchkreuzt hatte und wie viele Leichen im Meer schwammen: das ganze Grauen, das ich natürlich niemals verstehen würde, weil ich ihm nie ins Gesicht gesehen habe, "Du hast niemals dem Tod ins Gesicht gesehen, Sonjetschka", wie sie zu sagen pflegt. (Veronique Olmi: Die Promenade, S. 67)


Olmi, Veronique: Die Promenade [6]

  Aber es passiert niemals etwas. Weder mir noch den Menschen um mich herum. Nizza ist eine sehr ruhige Stadt, die Leute hier leben sehr lange, die Lebenserwartung liegt über dem Landesdurchschnitt, und sogar bei Großmutters Freundinnen würde man wirklich nicht vermuten, daß es ihnen während der Revolution an Vitaminen gefehlt hätte. Sie können bei der heiligen Liturgie stundenlang stehen und sich sogar unzählige Male hinknien und wieder aufstehen, ohne daß es ihnen die geringsten Probleme bereitet. Nicht mal bei der großen strahlenden Ostermesse habe ich sie umkippen sehen. Der Mittagsschlaf konserviert sie hervorragend. (Veronique Olmi: Die Promenade, S. 68)


Olmi, Veronique: Die Promenade [7]

  Es war ein richtiger Schock, als ich Mama am Telefon gehört habe. Vor allem, weil es ihr nicht gutging, das habe ich sofort gemerkt, sie hatte ihre atemlose Stimme, obwohl sie nicht gerannt war, das weiß ich. Wenn sie ihre atemlose Stimme hat, dann hat sie von irgendwas die Nase voll, aber sie kann nicht sagen, wovon. Sie wartet, daß ich sie frage: "Was ist los? Bekommst du keine Luft?", aber ich frage es nicht, so eine nette Tochter bin ich nicht. Ich tue so, als würde ich es nicht merken, weil ich weiß, daß die Dinge nur existieren, wenn man sie sagt oder schreibt. Je mehr man im Leben heuchelt, desto leichter wird es. Man geht pfeifend an den größten Katastrophen der 'Geschichte' vorbei, und man merkt sich die Noten, nicht die Märtyrer. (Veronique Olmi: Die Promenade, S. 78)


Orsenna, Erik: Inselsommer [1]

  Sie und ihr Mann lebten weit auseinander. Er erforschte die Pole, sie wartete von Mal zu Mal auf seine Rückkehr. Er gehörte zu den Seeleuten, die sich entschieden haben, auf unbewegten Meeren zu fahren und es mit furchtbaren, aber erstarrten Stürmen aufzunehmen. Mit anderen Worten, seine Domäne war das Eis. Er leitete wissenschaftliche Expeditionen am Südpol. Er bohrte mitten im Weiß tiefe Löcher, und von den unbefleckten Karotten, die er herauszog, las er die Geschichte unseres Planeten ab. Währenddessen langweilte sich die Gattin des glaziologischen Kapitänleutnants in Frankreich zu Tode. Aus einer Familie von Fliegern kommend, verstand sie das Abenetuer. Doch gerade deswegen brauchte sie selbst auch ihr Teil Erkundung. Und unter der düsteren Masse von Tagen und Tagen ohne Mann wollte sie wieder Rhythmus, Sinn, Zyklen finden. (Gewiß, sie hatte Kinder. Aber genügen sie einer Frau jemals?) (Erik Orsenna: Inselsommer, S. 52)


Orsenna, Erik: Inselsommer [2]

  An jenem Tag prickelte die Aprilluft wie der Morgen nach einer Liebesnacht. Man hätte meinen können, die Insel würde gleich zu pfeifen beginnen. Vielleicht würde sie sogar einen Tanzschritt andeuten? Im Ort huschte ein blasses Lächeln über das Gesicht auch der rauhste Bretonen. Wer diese anziehende Rasse kennt, weiß, daß sich in diesen Landstrichen so die überschwengliche Fröhlichkeit manifestiert. Die Ginsterbüsche an den Straßenrändern waren gelb gesprenkelt, und der sich aufrichtende Schaft der Agapanthuslilien nahm eine Haltung an, die die Kirche verdammt hätte. (Erik Orsenna: Inselsommer, S. 49)


Orsenna, Erik: Inselsommer [3]

  Als er die Sechzig erreicht hatte, war Senor Jose Maria Fernandez nicht mehr von der gleichen Raserei besessen, die seine Jugend zum Leuchten gebracht hatte. Vierzig Jahre lang war fast keiner seiner Tage zu Ende gegangen, ohne daß ein Abenteuer, wild oder zärtlich, zwielichtig oder gutartig, aber immer unvorhergesehen, ihn erfreut hätte. Allerdings wohnte er in jener glücklichen Zeit in Buenos Aires. Diese Metropole mit zwölf Millionen Einwohnern, Zufluchtsort und Schmelztiegel aller Rassen, Endstationen aller Irrfahrten, bietet unendliche Möglichkeiten für die Kombination der Körper und, zuweilen, der Seelen. (Erik Orsenna: Inselsommer, S. 112)


Orsenna, Erik: Inselsommer [4]

  Seine Ferien verliefen wie vorhergesehen, träge und reich an Jod, mit jenem Gehalt an Langweile in der Atmossphäre, der angeblich ausgezeichnet für die Gesundheit ist. Etwas quälte ihn jedoch. Wenn er nachmittags, hinter dem Busch türkisblauer Hortensien vor dem Westwind geschützt, in seinem Liegestuhl lag, erging er sich in Mutmaßungen über die erotischen Gewohnheiten der Eingeborenen. Er wußte es, er spürte es: Der Sex trieb sich überall auf der Insel herum. Und doch, trotz unentwegter Spaziergänge, hartnäckigem Auf-der-Lauer-Liegen, nächtlichen Stehen mit an die geschlossenen Fensterläden gepreßten Ohr, bekam er nichts mit. Weder ein visuell festgestelltes flagrantes Delikt noch audititv aufgenommene Indizien. Nur gewisse duftende Dunstwolken konnten den Gedanken nähren, daß sich in der Gegend gerade ein Coitus abgespielt hatte. Aber unterscheiden Sie mal, ohne sich zu vertun, zwischen diesen menschlichen Wohlgerüchen und dem Moschus eines modrigen Herbariums im flachsten Meer... Er verbohrte sich nicht in seine Nachforschungen, da er wußte, daß der Sex sich am Ende immer enthüllt. Man brauchte nur zu warten. (Erik Orsenna: Inselsommer, S. 113)


Orsenna, Erik: Inselsommer [5]

  Er hatte eine Karriere als Pianist begonnen. Schumann, Chopin... Sein Anschlag fand Anklang. Wäre er ohne den Unfall vom 18. Juni 1965 zu Ruhm gelangt? An jenem Tag war er über den schlecht befestigten Läufer einer Hoteltreppe gestolpert und gestürzt. Mit nach vorn gestreckten Händen gestürzt, also ohne sich schwer zu verletzen. Das gleiche, genau das gleiche Mißgeschick war im Bahnhof von Brüssel-Mitte seiner Lehrerin zugestoßen, der unbezwingbaren, zarten, mythischen Clara Haskil. Aber sie, die echte Musikerin, hatte, als sie das Unglück kommen sah, ihre Hände nach hinten gestreckt, um sie zu schützen. Daraufhin war ihr Kopf auf eine Stufe aufgeschlagen, und sie war an den Folgen gestorben. Während sich die Pagen in ihren zum Anbeißen hübschen Uniformen - rote Westen mit Goldknöpfen und enge, die Nüsse abzeichnende Hosen - um ihn bemühten -"Ist alles in Ordnung, mein Herr? Sollen wir einen Arzt rufen?" -, sagte er sich wieder und wieder: Alles ist klar, ich bin nicht würdig, ich habe meine Finger nicht geschützt! Sobald er wieder auf den Füßen stand, annulierte er alle seine Engagements, verbrannte sein stummes Klavier und wurde Photograph. (Erik Orsenna: Inselsommer, S. 122)


Orsenna, Erik: Inselsommer [6]

  Die beiden durchnäßten Liebenden unterhalb des Argentiniers hatten sich wieder erhoben, standen sich gegenüber und sahen einander an. Unser Freund schloß die Augen. Er hatte seine Moral: So schamlos man alle Zustände der Körper observieren darf, so ungestört muß man die Seelen miteinander sprechen lassen. Aber sein Entschluß hielt nicht lange vor. Sehr schnell machte er die Augen wieder auf. Die Frau hatte den Kopf des Mannes in die Hände genommen. Ein verzweifelter Ernst war über sie gekommen. "Bis zum nächsten Jahr", sagte die Frau. "Paß auf dich auf", sagte der Mann. Sie rissen sich voneinander los, kehrten sich den Rücken zu und gingen allzu entschlossenen Schritts auf etwas zu, was aller Wahrscheinlichkeit ihre jeweilige Ehe war. (Erik Orsenna: Inselsommer, S. 134)


Ortheil, Hanns-Josef: Die grosse Liebe

  Ganz ähnlich, dachte ich weiter, ist es ja mit dem Sex, wie oft war ich einer Frau einen Abend lang näher gekommen, wie oft hatten wir uns gut verstanden, ein wunderbares Einverständnis, ein Sich-Tragen, hatte gleichsam aus dem Nichts begonnen und endete dann oft ganz unsinnig wieder dort, spätestens nach Mitternacht spukte die Trennung im Kopf, und es ging bergab, ein andermal, vielleicht sieht man sich wieder. Ich war immer der Meinung gewesen, daß ein solcher Abend nach Sex verlangte, die gegenseitige Anziehung lief doch auf natürliche Weise darauf zu, wer würde schon auf den Gedanken kommen, ein köstliches Gericht stundenlang vorzubereiten und zu kochen, um es am Ende dann nicht zu verzehren? Statt aber dem Einfachsten, der natürlichen Anziehung, zu folgen, brach man die Sache meist auf jämmerliche Weise vorzeitig ab, so etwas, fand ich, gehörte in eine frühere Epoche, es war einfach nicht auf der Höhe der Zeit. Mit dem jähen Abbruch des erotischen Austauschs folgte man jahrhundertalten Ritualen, die den Sex und die gemeinsame Nacht mir Bedeutung aufgeladen hatten, jede noch so kleine Geste war früher Teil eines solchen Rituals gewesen, hinter jedem abgeworfenen Kleidungsstück hatte gleichsam schon ein Paragraph eines juristischen Kontrakts gelauert, Ehen, Kinder, Familien waren die Folge gewesen. Längst waren diese Zeiten vorbei, die Rituale aber hatten ihre Kraft nicht verloren. (Hanns-Josef Ortheil: Die grosse Liebe, S. 84)


Ortheil, Hanns-Josef: Die grosse Liebe [2]

  Ich glaubte nichts mehr, statt dessen begann ich, meine Nachhilfestunden zu nehmen, ich traf mich mit Mädchen ausschließlich, um mit ihnen Sex zu haben, ich machte Kurse in sexueller Gewandheit. Ich hatte es bald nicht mehr nur auf die Schöneren, Attraktiveren abgesehen, mir ging es ums Studium, ich studierte die Details der Körper und wie er reagierte, ich wollte ein Profi, wie Rudolf gesagt hätte, werden, mein sexuelles Praktikum zog sich in die Länge und dauerte Jahre, ich konnte nicht aufhören damit. (Hanns-Josef Ortheil: Die grosse Liebe, S. 106f.)


Oswald, Georg M.: Im Himmel

  Ich suchte die Taschenbücher nach mir bekannten Titeln ab, und ich kann mich wirklich keines bestimmten Grundes entsinnen, warum ich nach "Brief an den Vater" von Franz Kafka griff. Ein vergilbtes Fischer-Taschenbuch aus dem Jahr 1975. Auch in fremden Bücherregalen suche ich peinlicherweise immer nur nach dem, was ich schon kenne. "Brief an den Vater" hatten wir in der Schule gelesen, und als ich Paps fragte, ob er es kenne, hielt er mir einen kleinen Vortrag darüber, daß es sich dabei "um ein glänzendes Stück Literatur" handle. Er sagte wörtlich, der "Brief" beschreibe seine Beziehung zu seinem Vater, wie er selbst sie nicht besser hätte beschreiben können. Die mehrfach unfreiwillige Komik dessen, was er da sagte, entging ihm wieder mal völlig. Als ob irgendjemand angenommen hätte, Markus König könne auch nur im Entferntesten mit Kafka konkurrieren. So ist er eben. Man kann vieles über meinen Vater behaupten, aber nicht, daß er von Selbstzweifeln zerfressen wäre. (Georg M. Oswald: Im Himmel, S. 89)


Oswald, Georg M.: Im Himmel [2]

  Er behauptete, Hochzeiten träten epidemisch auf, so wie zu anderen Zeiten Todesfälle. Jahrelang geschehe nichts, und dann treffe es alle möglichen Leute, die man kennt, binnen weniger Monate. Die Zusammenhänge seien nicht zu durchschauen. Gerade habe man, während einer Todesfallphase, nach der Beisetzung einer weiteren Großtante den schwarzen Schlips gelöst, schon erfahre man, der Nachbar, ein emeritierter Professor, dessen robuste Natur man stets bestaunt habe, liege auf der Intensivstation. Zwei Wochen später, der Emeritus sei inzwischen unter der Erde, treffe den frisch pensionierten Arbeitskollegen des Vaters, bei dem man als Kind auf den Knien gesessen habe, beim Segeln der Schlag. Frei Tage später rase ein ehemaliger Schulfreund nach einem Streit mit seiner Ehefrau besoffen gegen einen Baum und sei sofort tot. Und so weiter und so weiter. Und dann herrsche wieder ein paar Jahre lang Ruhe. Kein Mensch begreife, warum. (Georg M. Oswald: Im Himmel, S. 150)


Oswald, Georg M.: Vom Geist der Gesetze

  Philomena Heckler war die einzige Tochter eines Philosophieprofessors und einer Musikerin. Aufgewachsen in schöngeistigen, beinahe großbürgerlichen Verhältnissen, war sie von Haus aus mit den Gaben des Reichtums und des Verstandes bedacht und, als wäre das nicht schon genug gewesen, auch mit jener der Schönheit. Eine andere hätte, so ausgestattet, vielleicht einen weisen und sanften Charakter entwickelt, doch Philomenas Wesen strebte nicht nach Ausgleich, ihr Reichtum machte sie arrogant, ihre Intelligenz aufsässig, ihre Schönheit hochmütig. Sie glich ein wenig den bösen Prinzessinen im Märchen, und weil ihr das nicht entging, trug sie Haar und Kleidung gerne schwarz. (Georg M. Oswald: Vom Geist der Gesetze, S. 81)


Oswald, Georg M.: Vom Geist der Gesetze [2]

  Schellenbaum und seine Frau Lea saßen auf der Rückbank seines Wagens, Raab, wie immer in seinen dunkelgrauen, billigen Fahreranzug gekleidet, am Steuer. Mit laufendem Motor warteten sie vor einem zwei Meter hohen, weißlackierten, kugelsicheren Stahltor, das sich langsam zur Seite schob, wobei ein elektrisches Summen ertönte, in dem er die Kälte und Verachtung seines Schwiegervaters zu hören fürchtete - eine absurde Empfindung, und doch war sie da, ergriff Besitz von ihm und manifestierte sich im Anblick des schwiegerelterlichen Anwesens, diesem "Traum in Gelb und Weiß", wie es Leas Mutter Irma einmal begeistert genannt hatte, protzig und von einer unbekümmerten Stillosigkeit, die jeden, der sich zum krittelnden Ästheten aufschwingen wollte, entmutigen mußte. (Georg M. Oswald: Vom Geist der Gesetze, S. 135)


Oswald, Georg M.: Vom Geist der Gesetze [3]

  Schellenbaum informierte Heckler, und Heckler reagierte professionell. Er legte Einspruch gegen den Strafbefehl ein und arbeitete mit Spring eine Strategie aus, durch die Schellenbaum wie eine Festung in verschiedenen Ringen verteidigt werden sollte: ein System aus Verfahrens- und Beweisanträgen, das es dem Gericht so schwer wie möglich machen würde, zur Sache zu kommen - und was diese selbst betreffe, versicherte Heckler seinem Mandanten, hätten sie ein paar besondere Spezialitäten in petto. Doch auch das Gericht zeigte Kampflust, indem es schon sehr bald den Termin zur Hauptverhandlung bestimmte. (Georg M. Oswald: Vom Geist der Gesetze, S. 257)


Ott, Karl-Heinz: Endlich Stille [1]

  Mit dem Betreten des Appartements hatte sie alles Impulsive gegen eine artifizielle Behrrschtheit eingetauscht, als müßten sich innerhalb dieser Wände ihre Gefühlstemperaturen dem kühlen Design anpassen. Das nackte Interieur mit seinem abgedimmten blauen Licht hätte als Kulisse für einen Longdrinkspot dienen können, in dem Marie als unnerreichbare Diva eine unentschiedene Mischung aus Erotik und Kälte ausstrahlt. (Karl-Heinz Ott: Endlich Stille, S. 171)


Ott, Karl-Heinz: Ins Offene [1]

  Zwischen Streit und Schweigen können unsere miteinander verklebten Seelen kein Maß, keine Ruhe, keinen Ausgleich finden. Wenn sie behauptet, keine einzige Minute geschlafen zu haben, lügt sie nicht wirklich. Sie wähnt sich schlaflos, und das genügt. Dösend, grübelnd, träumend liegt sie halbwach und schrickt immer wieder auf und spinnt wirre Gedanken und fühlt sich beim ersten Morgenlicht an Leib und Seele erschlagen. Im Dunkeln kommt sie nie auf den Gedanken, das Fenster zu öffnen und so lange in den Nachthimmel zu schauen, bis ihre epileptische Seele sich beruhigen und ihr tobender Geist sich ernüchtern würde. Tief in ihrem Inneren sucht eine dunkle Gier die gehetzten Gefühle und erregt die fiebernde Sinne. Immerhin übertönen die von allen Seiten einstürzenden Durcheinandergedanken eine unerträgliche Stille und Leere: Keiner atmtet neben ihr, keiner fragt etwas, und keiner legt ihr im Bett einen Arm um die Brust. (Karl- Heinz Ott: Ins Offene, S. 36)


Ott, Karl-Heinz: Ins Offene [2]

  Dagegen wirkt jene lichtdurchflutete, von keinem gottesgerichtlichen Wahngebilde befleckte Kirche in unserer Gegend wie das Dokument einer fremden Kultur. Ihre Fresken, die das irdische Dasein preisen, passen nicht zu einem Landstrich, der von einem düsteren Gott überwacht wird. Den Hiesigen, die sich nach den Schaudern von Golgotha sehnten, war das Rühmen der diesseitigen Welt fremd. Am sterbensschweren Karfreitag und novemberdunklen Allerseelen fühlten sie sich zutiefst bei sich. Erhöhung erlebten sie in der Erniedrigung und Rechtfertigung im Leiden. Herr, ich bin nicht würdig, riefen sie inbrünstig und schlugen sich dabei dreimal an die Brust und stöhnten in jubelnder Selbstanklage: Herr, ich habe gesündigt. Als Bedürftige wollten sie vor ihrem Richter erscheinen, um einst im Jenseits wollüstig mit ihrem Gott zu verschmelzen. Die irdischen Freuden verboten sie sich aus Kalkül. (Karl-Heinz Ott: Ins Offene, S. 74)


Oz, Amos: Black Box [1]

  Warte. Wir sind noch nicht fertig. Du hast und wirst nämlich Michel niemals das Wasser reichen können. Die stille Hochachtung, Alek, die verschämte, glühende Dankbarkeit, die sein Geist meinem Körper vor und nach der Liebe zollt, der verträumte Glanz, der sich nachts über sein Gesicht legt: wie ein bescheidener Stehgeiger, dem man erlaubt hat, eine Stradivari zu berühren. Jeden Abend, als sei es das erste Mal in seinem Leben, tasten seine Finger über meinen Körper, gleichsam überrascht über den ausbleibenden Peitschenhieb. Und beim Licht der Nachttischlampe, wenn er aufsteht, um mir das Nachthemd zu holen, sagen seine kurzsichtigen Augen mir in stummem Glühen, daß die königlichen Gnaden, mit denen ich ihn unverdient überschüttet habe, größer und erhabener als er selber seien. Ein verhaltener, geistiger Schimmer, wie ein Gebet, erleuchtet von innen her seine Stirn. (Amos Oz: Black Box, S. 114f.)


Oz, Amos: Black Box [2]

  Überhaupt, Boas, kannst Du von mir aus tun, was Du willst, meinetwegen verwandel Dich in einen Araber, wenn Du auf ihrer Seite bist. Nur tu mir den Gefallen und fang nicht an mir zu erklären, was ein Araber ist. Ich bin unter ihnen aufgewachsen und kenne sie sehr gut: Du wirst Dich vielleicht wundern, von mir zu hören, daß der Araber im Grunde sehr positiv ist, sich durch viele edle Merkmale auszeichnet, und in seiner Religion gibt es einige schöne Dinge, die unmittelbar aus dem Judentum übernommen sind. Aber das Blutvergießen ist bei ihnen tief in ihrer Tradition verwurzelt. Was kann man machen, Boas, das ist eben, wie es Tora es uns von Ismael sagt: "Es wird ein wilder Mensch sein. Seine Hand gegen alle, die Hände aller gegen ihn." Bei ihnen steht im Koran: "Der Glaube Mohammads durch das Schwert." Demgegenüber heißt es bei uns in der Tora: "Zion wird durch das Recht gerettet." Das ist der Unterschied. Jetzt kannst Du allein entscheiden, was besser für Dich paßt. (Amos Oz: Black Box, S. 148f.)


Oz, Amos: Black Box [3]

  Ich glühe vor Begierde, ein für allemal zu beweisen, daß weder die Eigensucht noch die Niedertracht oder die Grausamkeit in unserem Wesen uns zu einer selbstzerstörerischen Spezies macht. Daß wir uns selber vernichten (ja demnächst endlich unsere sämtlichen Artgenossen auslöschen werden), liegt gerade an den "edlen Sehnsüchten", die uns innewohnen: an der religiösen Krankheit. An dem brennenden Verlangen, "errettet zu werden". Am Erlösungswahn. Und was ist dieser Erlösungswahn? Doch nur eine Tarnung für den allgemeinen Mangel an elementarer Lebensbegabung. Einer Gabe, mit der jede Katze begnadet ist. Während wir - ähnlich den Walen, die sich im Drang zum Massenselbstmord auf den Strand werfen - an fortgeschrittenem Lebensbegabungsschwund leiden. (Amos Oz: Black Box, S. 305)


Paasilinna, Arto: Der wunderbare Massenselbstmord

  Die Reisenden waren sich einig, daß die finnische Gesellschaft knallhart war. Es herrschten raue Sitten. Die Finnen waren grausam zueinander und von gegenseitigem Neid verzehrt. Habgier war allgemein verbreitet, verbissen wurde Geld gerafft. Die Finnen waren mißgünstig und finster. Wenn sie lachten, dann weniger aus Freude als vielmehr aus Schadenfreude. Groß war die Anzahl der Betrüger, Falschspieler, Lügner. Die Reichen beuteten die Armen aus, ließen sie schwindelerregende Mieten zahlen und preßten ihnen horrende Zinsen ab. Die Armen randalierten und schlugen alles kaputt, und sie erzogen auch ihre Kinder nicht zu besseren Menschen, denn diese waren eine regelrechte Landplage, sie beschmierten Häuser und Gegenstände, Züge und Autos, zerschmissene Fenster, kotzten die Fahrstühle voll und verrichteten ihre Notdurft darin. Finnlands beamtete Herren erdachten um die Wette neue Antragsformulare, um das Volk zu demütigen und es zu zwingen, von Schalter zu Schalter zu rennen. Die Einzel- und Großhändler zogen den armen Leuten auch noch die letzten Groschen aus der Tasche. Die Spekulanten bauten die teuersten Wohnungen der Welt. Wurde man krank, behandelten einen hochmütige Ärzte wie einen alten Gaul, der geschlachtet werden sollte. Ertrug man all das nicht und bekam einen Nervenzusammenbruch, steckten einen rüde Pfleger in der Nervenklinik in die Zwangsjacke und jagten einem eine Spritze in die Adern, die einem auch noch die letzten klaren Gedanken trübte. Im lieben Heimatland beuteten Industriekonzerne und Waldbesitzer unbekümmert das Nationaleigentum aus, und was übrig blieb, fraßen die Borkenkäfer kahl. Vom Himmel regnete es bittere Säure, die den Boden vergiftete und unfruchtbar machte. Die Landwirte bestreuten ihre Felder so dick mit Dünger, daß in den Flüssen, Seen und Meeresbuchten giftige Algen wucherten. Aus den Schornsteinen und Abflußrohren der Fabriken rieselte Schmutz in die Augen der Menschen und in die öffentlichen Gewässer. Die Fische starben, und aus den Eiern der Vögel schälten sich klägliche Frühgeburten. Auf den Landstraßen tobten sich dummdreiste Tempoidioten aus, mit deren unglücklichen Opfern sich die Friedhöfe und Intensivstationen der Krankenhäuser füllten. In den Fabriken und Büros wurden die Beschäftigten gezwungen, mit den Maschinen um die Wette zu arbeiten, und wenn der Mensch ermüdete, wurde er aussortiert. Die Vorgesetzten verlangten ununterbrochene Leistungsfähigkeit, demütigten und erniedrigten ihre Untergebenen. Die Frauen wurden bedrängt, immer fand sich ein selbstgefälliger Kerl, der es für sein Recht hielt, ihnen an den Hintern zu grabschen, der ohnehin schon von Cellulite geplagt war. Die Männer standen unter dem Zwang, permanent Kompetenz zeigen zu müssen, wovon sie sich nicht einmal während ihres kurzen Urlaubs befreien konnten. Fiese Arbeitskollegen belauerten einer den anderen und mobbten die Schwächeren an den Rand des Nervenzusammebruchs und noch weiter. Wenn man trank, ruinierte man sich die Leber und die Bauchspeicheldrüse. Wenn man anständig aß, stiegen die Cholesterinwerte des Blutes. Wenn man rauchte, nistete sich in der Lunge der tödliche Krebs ein. Was man auch tat, immer war es verkehrt. Manch einer joggte, was das Zeug hielt, und brach vor Überanstrengung auf dem Pfad zusammen. Wer nicht lief, nahm von den Fetten in der Nahrung zu und bekam Gelenkschäden und Rückenprobleme und starb schließlich an Herzschlag. (Arto Paasilinna: Der wunderbare Massenselbstmord, S. 165f.)


Pasztor, Susann: Ein fabelhafter Lügner

  Natürlich kenne ich die Bilder von Vera und Tamas. Es sind Aufnahmen, die Anfang der Vierzigerjahre in einem Budapester Fotoatelier gemacht wurden; handkoloriert, sagt meine Mutter. In Hannahs Wohnung hängen zwei Abzüge zusammen mit dem berühmten Joschi-wirft-einen-Schatten-Foto und zahlreichen anderen Familienbildern neben dem Eßtisch. Bei uns zuhause findet man sie erst nach längerem Suchen und auch nur dann, wenn man das komplizierte Ablagssystem meiner Mutter versteht. Bilder müssen reisen, sagt sie. Also sind die Bilder in unserer Wohnung ständig unterwegs, sie wandern von Wänden in Schubladen hinein und auf Regale und von dort aus wieder zurück an eine andere Wand. Meine Mutter illustriert Bücher, und auch ihre Zeichnungen müssen erst mal einen langen Weg zurücklegen, bevor sie in einem Buch erscheinen dürfen. Sie sagt, sie habe in ihrem ganzen Leben noch nie ein Bild verloren. Es gibt auch eine große Kiste für müde Bilder, die schon viel herumgekommen sind. Dort habe ich Vera und Tamas das letzte Mal gesehen. (Susann Pasztor: Ein fabelhafter Lügner)


Peltzer, Ulrich: Teil der Lösung

  Wahrscheinlich sind die Geschmacksverirrungen der achtziger Jahre eines der düstersten Kapitel der Menschheitsgeschichte. Jede Wiederholung von Formel eins in irgendeinem Nachtprogramm deprimiert mich über die Maßen, und vielleicht sollte mabn in therapeutischen Sitzungen Bänder von solchen Sendungen abspielen, anstatt nach Vati und Mutti zu fragen, vielleicht hätte das kathartische Effekte. (Ulrich Peltzer: Teil der Lösung, S. 162)


Percy, Walker: Liebe in Ruinen [1]

  Hier bin ich in alten Zeiten immer mit meiner Tochter Samantha zur Messe gegangen. Meine Frau, ein ehemals episkopälisches Mädchen aus Virginia, hat unsere Tochter Samantha genannt in der Hoffnung, daß dieser dunkle grazile heidnische Name irgendwie die Gestalt des Kindes bilden würde, aber oh Jammer für Doris, Samantha entpuppte sich als mollig, blond, picklig und fromm, eine von denen, die nach den Stunden noch gern in der Schule herumlungern und den Schwestern helfen, die trockenen Schwämme auszuklopfen. (Walker Percy: Liebe in Ruinen)


Percy, Walker: Liebe in Ruinen [2]

  Was nun mich betrifft, so war ich ein gescheiter Junge, und im Alter von sechsundzwanzig habe ich zu der Hoffnung Anlaß gegeben, der Familie wieder Glanz zu verleihen, zum erstenmal seit Sir Thomas More, dieser großen Seele, dem liebsten besten edelsten fröhlichsten unter den Engländern. Mein Beitrag, beeile ich mich hinzuzufügen, war auf dem Gebiet der Wissenschaft, nicht der Heiligkeit. Warum kann ich nicht Mores Beispiel folgen, mich selbst weniger lieben, Gott und meinen Nächsten mehr und die Finger vom Whisky und den Frauen lassen? Sir Thomas More war fröhlich im Leben und im Tode, und er hat alle geliebt und wurde von allen geliebt, selbst von seinem Henker, mit dem er Witze riß. Im Gegensatz dazu bin ich in den Fängen von Grauen und Begierde und lebe ein einsames Leben. Mein Leben ist eine Sehnsucht, Sehnsucht nach Frauen, nach dem Nobelkreis, nach dem scharfen waldigen Beißen von Bourbon Whisky und andere große herzzerreißende Sehnsüchte, die keinen Namen haben. Sir Thomas hatte natürlich recht, und ich habe unrecht. Aber auf der andern Seite haben wir seltsame Zeiten... (Walker Percy: Liebe in Ruinen)


Perez Galdos, Benito: Dona Perfecta

  Rosario war ein zartes, zierliches Mädchen mit einer leichten Neigung zu dem, was die Portugiesen Saudade, Schwermut, nennen. Ihr feingeschnittenes, reines Gesicht hatte den sanften Glanz, den die meisten Dichter ihren Heldinnen zuschreiben und ohne den offenbar keine Enriqueta und keine Julia interessant sein kann. Rosaios Züge verrieten eine derartige Sanftmut und Bescheidenheit, daß man die Vorzüge, die ihr abgingen, gar nicht vermißte, wenn man sie ansah. Damit soll nicht gesagt sein, daß sie häßlich war, aber ebenso sicher wäre es eine Übertreibung, wollte sie jemand schön im strengen Sinn des Wortes nennen. (Benito Perez Galdos: Dona Perfecta, S. 35)


Pierre, DBC: Jesus von Texas [1]

  Leute wie meine alte Dame, die immer mit einem Auge darauf achten, daß deine Wunde nicht zuheilt, verbringen ihre Tage tatsächlich damit, Scheiße zu einem gigantischen Netz zu knüpfen. Wirklich wahr. Sie nehmen sich jedes beschissene Wort im Universum und verwenden es dazu, in deiner Wunde zu wühlen. Völlig egal, was du sagst, du kriegst es mit der Klinge zu spüren. Nur mal als Beispiel: "Wow, guck mal, das Auto dort!" "Ja, genau, das ist dasselbe Blau wie von der Hose, auf die du dich bei der Weihnachtsaufführung übergeben hast, weißt du noch?" Mir ist klargeworden, wie Eltern das hinkriegen, daß sie immer gewinnen: Sie verwalten die Datenbank deiner Blödheiten, inklusive des ganzen Schleims, den du angesammelt hast. Immer kampfbereit. Im Bruchteil einer Sekunde bist du erledigt, ganz im Ernst - das geht schneller, als du die Artillerie benutzen könntest, von der du die ganze Zeit träumst. Und wenn ihr mich fragt: In langweiligen Momenten, wenn beim Nachwuchs so langsam der erste Lack abblättert, machen sie es aus reinem Spaß an der Sache. (DBC Pierre: Jesus, von Texas, S. 59)


Pierre, DBC: Jesus von Texas [2]

  Wir reden hier über eine Gegend, in der die Unterwäsche ziemlich ausgebeult an den Beinen baumelt. Ol'Mr. Deutschman zum Beispiel wohnt hier draußen, der früher mal ehrbar und anständig war. Wenn man früher mal weniger schlimm war, dann landet man in Crockett's. Hier leben Typen, die sich gegenseitig die Fresse polieren und ihre Vergaser eigenhändig reinigen. Es ist anders als da, wo ich wohne, näher an der Stadt, wo die Leute alles totschweigen und in sich reinfressen. Das machen sie so lange, bis mal jemand explodiert, weshalb man die ganze Zeit gespannt darauf wartet, bei wem's als nächstes knallt. Wahrscheinlich ist es so ne' Art streng riechende Ehrlichkeit, die man hier in Crockett's findet. Streng riechende Ehrlichkeit und saubere Vergaser. (DBC Pierre: Jesus, von Texas, S. 132f.)


Pierre, DBC: Jesus von Texas [3]

  Das ist die Situation, in der mich der entscheidende Schlag des Tages trifft, der, den ich nicht erwartet hab: Das Schicksal teilt Taylor ein Lied zu. Es gibt diesen Punkt, wo man denkt, jetzt ist man schon so übel zugerichtet worden, mehr geht nicht, mehr erlauben die Naturgesetze nicht. Und genau an diesem Punkt passiert dann immer noch was, womit man nicht gerechnet hat. Ich weiß schon, wie's jetzt weitergeht. Wenn sich ein Schicksalslied erst mal eingenistet hat, auch wenn's nicht jeder zugeben würde. Schicksalslieder sind wie Herpes, verdammt - einfach nicht totzukriegen. Man hat nur eine einzige Chance: Man kauft das verdammte Lied und hört es sich Tag und Nacht an, bis es jede Bedeutung verloren hat. Das kann höchstens vierzig Gazillionen Jahre dauern. Jeder weiß das, aber trotzdem kann ich mich nicht erinnern, in der Schule jemals was über die zerstörerische Kraft von Schicksalsliedern gehört zu haben. Diese kleine Perle der Weisheit haben sie uns verheimlicht. Ich meine, ich laß mich da gerne berichtigen, vielleicht war ich ja nicht da an diesem Tag, oder es war der Tag, an dem ich den Schulfhof fegen mußte, weil ich die Frösche aus dem Biologieraum befreit hab. Aber so, wie ich mich an die Sache erinnere, waren wir viel zu beschäftigt damit, Surinam zu assimilieren, um irgendwas von bleibendem Wert zu lernen. Schicksalslieder zum Beispiel. (DBC Pierre: Jesus, von Texas, S. 226)


Piperno, Alessandro: Mit bösen Absichten

  Bepy und Ada hatten das Gefühl, die Welt sei ihnen etwas schuldig. Das ist alles. Gewöhnlich entwickeln die Leute, die knapp am Tod vorbeigekommen sind, in der Folge des Traumas eine Umsicht, die sich als Albtraum bei Nacht oder Vorahnung am Tag verbrämt. Die Sonninos dagegen erteilten sich eine besondere vollkommene Immunität, die einerseits von der Überzeugung getragen wurde, daß, wer den Mut gehabt hatte, ein so riesiges Unglück durchzustehen, auch dazu ausgerüstet sei, darauf folgende Schläge von gewiß geringerem Ausmaß zu verschmerzen, und die andererseits vom Bewußtsein des Rechts auf Wiedergutmachung getragen wurde, das jegliche monotheistische Religion und jegliche liberale Gesetzgebung (so offensichtlich im Widerspruch zu den Gesetzen des menschlichen Schicksals) garantiert. Die Geschichte sollte ihnen zeigen, daß es besser ist, mit fünfundzwanzig Jahren von den Nazis verfolgt zu werden, in der Hoffnung davonzukommen, als mit sechzig plötzlich ohne Geld in der Tasche dazustehen und im Herzen einer grausam gleichgültigen westlichen Demokratie der öffentlichen Mißbilligung ausgesetzt zu sein. (Alessandro Piperno: Mit bösen Absichten, S. 18)


Piperno, Alessandro: Mit bösen Absichten [2]

  Die Homosexualität ist nämlich kein Scherz. Oder zumindest ist sie keiner in der äußerst laizistischen, äußerst offenen, äußerst freizügigen Familie. Wenn mein Vater berufshalber mit einem jener delikaten angelsächsischen Schwulen - fruchtiger Wein und Kunst der Renaissance - zu tun bekommt, ergeht er sich in ekstatischem Gejubel: "Ich habe einen faszinierenden australischen Designer kennen kennen gelernt, einen Schwulen comme il faut..." Ja, kurz, die Homosexualität ist ein großes Ding, wenn sie die Söhne der anderen trifft. Aber unsere eigenen? Na, sagen wir, daß man hierzulande die Schwulheit eher ästhetisierend betrachtet: Sie kann schön sein wie ein Kleid von Valentino, nur darf es keiner von uns tragen. Nehmen wir den Tag, an dem ich knapp zwölfjährig an das Bett des sterbenden Bepy trete und ihn, beinahe ohne zu überlegen, frage: "Opa, und wenn ich ein Gay wäre?...", um zu sehen, wie sein Gesicht vorübergehend die rote Farbe der Wut und des Lebens wiedergewinnt.: "Um Gottes willen, Daniel, unser Herrgott hat dir einen ordentlichen Schwanz zum Ficken gegeben, und nicht, um dich verarschen zu lassen." Wortwörtlich. (Alessandro Piperno: Mit bösen Absichten, S. 65)


Piperno, Alessandro: Mit bösen Absichten [3]

  Nehmen wir den Tag, an dem Großvater bei einem Aufenthalt im Hotel Cristall in Cortina d'Ampezzo nach einem prächtigen Frühstück im Zimmer - mit all dem glitzernden Hotelkleinkram, auf den er nicht verzichten kann - meinen Bruder Lorenzo und mich, noch Kinder, zur Darmentleerung ins Bad einschließt und uns, gereizt durch unsere Proteste: "Wir müssen jetzt nicht!" zurechtweist: "Das ist mir scheißegal!" "Opa, ich flehe dich an, mach die Tür auf!" "Ich verbiete euch, die Strippe zu ziehen, ich möchte etwas sehen! Das ist eine Frage der geistigen Ordnung!" Nun gut, er tut nichts anderes als uns zu zeigen, daß eine gewisse, martialische Strenge die richtige Medizin ist gegen das kindliche Getue unserer Generation und unserer Zeit. (Alessandro Piperno: Mit bösen Absichten, S. 20)


Piperno, Alessandro: Mit bösen Absichten [4]

  Denn heutzutage ist es ein Vergnügen, Jude zu sein. Bemitleidet, versorgt, hoch gepriesen: Mit diesen drei Wörtern ist die Lebensbedingung des zeitgenössischen Juden definiert. Es gibt Leute, die entgegen jeder Logik Nachforschungen anstellen, um sich ihre Abstammung nicht etwa von einem Perücken tragenden Grafen oder Marquis, sondern von einem frommen Israeliten aus dem sechszehnten Jahrhundert beglaubigen zu lassen. Von einem Männchen à la Montaigne, Hauswesen und Familie zugetan. Unglaublich. Ein Jude im Stammbaum: der große Traum, der das einundzwanzigste Jahrhundert kennzeichnet. Die Heraldik des neuen Jahrtausends. Das Markenzeichen, das dich zu einem schmerzlichen Salonlöwen und einem zivilen Provokateur macht. Es kann dir nicht entgehen, daß die Zeichen des Penisneids verdrängt wurden von der Epoche, die dem Neid um die Beschnittene Vorhaut gewidmet ist. (Alessandro Piperno: Mit bösen Absichten, S. 56)


Piperno, Alessandro: Mit bösen Absichten [5]

  Er brachte es so weit, daß er an das Kompliment glaubte, das er machen wollte. Wie oft überschlug sich Opa bei Frauen von stadtbekannter Häßlichkeit in waghalsigen Lobsprüchen: "So hinreißend wie heute habe ich dich selten gesehen, meine Liebe." Es reichte diese schamlose, liebkosende Bestätigung, mit solcher Überzeugung vom Fürsten der Beweihräucherung ausgeteilt, um die Unglückselige - wenigstens einmal in ihrer faden Existenz dritten Ranges - in eine verehrte Greta Garbo umzuwandeln. In seinem Lob war keine Spötterei versteckt; und niemand hat je entdeckt, ob diese Lobeshymne denen mehr nützten, die sie bekamen, oder eher dem, der sie austeilte. (Alessandro Piperno: Mit bösen Absichten, S. 47)


Piperno, Alessandro: Mit bösen Absichten [6]

  Für meinen Vater war die Zukunft die Wohnstätte der Intelligenten. Er haßte die Apokalyptiker und die Vergangenheitsschwärmer. Es war unerläßlich, sich hartnäckig für die Gegenwart zu interessieren. Das war das richtige Rezept. Nicht wie die Väter meiner Schulkameraden, nicht vom Typ ein Schlager aus meiner Zeit. Sein musikalischer Ansatz war unausweichliches Ausströmen und strahlender Zusammenklang seines feelings mit dem Universum: neugierig, manchmal sogar mutig, sogar experimentell, sicherlich vom Typ Allesfresser, und somit vollkommen immun gegen jeglichen Sobismus. Ungeniert mischte er Neuheiten und Evergreens: von Thelonius Monk bis zu den Supertramp in einer ästhetischen Akrobatik, die ein Teil seiner unersättlichen Liebe zur Welt war. Einer raubgierigen Liebe zu seiner Zeit. Einer fresssüchtigen Liebe zum Abendland und zum zwanzigsten Jahrhundert, gesäubert von allem schrecklichen Schmutz und von dem herrlichen Traum des Fortschritts verklärt, der ausgerechnet in jenen Jahren - den Jahren seiner Reife - wieder Wind in den Segeln hatte. (Alessandro Piperno: Mit bösen Absichten, S. 98)


Piperno, Alessandro: Mit bösen Absichten [7]

  Damals wurde Giorgio geradezu geplagt von seiner langweiligen Schönheit, die er durch die seinem Körper zugemuteten, übertriebenen Sorgfalt ins Überdimensionale steigerte. Der chirurgische Eingriff, dem er sich (heimlich) unterzogen hatte, um seine von ihm selbst als zu abstehend beurteilten Ohren zu korrigieren, hatte die Wirkung gezeitigt, daß seine Hübschheit nun noch banaler war. Diese physiognomische Gefälligkeit schien dazu angetan, einen bei der ersten Begegnung zu beeindrucken, wenn das Hirn beinahe zertreut Giorgio in die Kategorie der "hübschen Jungen" einreihte. Aber bedauerlicherweise war dieses Urteil nicht in der Lage, den häufigen Zusammenkünften einer Freundschaft, aber auch nicht einmal gelegentlichen Zusammenkünften standzuhalten. Schon wenn man ihn zum zweiten oder dritten Mal sah, störten einen das fein geschnittene Näschen, die künstlichen Ohren und die in ihrer eigenen Starrheit ertrinkenden Augen. Unser armer Junge schien das unschuldige Opfer der Verwünschung einer höhnischen Hexe zu sein, die sich einen Spaß daraus gemacht hatte, seine Schönheit auf mysteriöse Weise in etwas Lästiges zu verwandeln. Giorgios Gesicht erinnerte an jene Geräuschkulisse, deren Lärmen einem erst bewußt wird, wenn sie plötzlich aufhören, einen zu belästigen. (Alessandro Piperno: Mit bösen Absichten, S. 217)


Piperno, Alessandro: Mit bösen Absichten [8]

  Das wirklich Typische an seiner Person war, wie er sprach: Herr Sevi bemühte sich ungeheuer, den Tonfall, der seine niedrige Herkunft anzeigte, in die Tiefe des Zwerchfells hinunterzudrängen. Er gehörte zu den Individuen, die vor dem Italienischen einen Dialekt gelernt haben und deshalb schreckliche, selbstbestrafende Anstrengungen auf sich nehmen, um sich von dessen übermächtigen Einfluß zu befreien und sich kopfüber in die Arme der Hochsprache zu werfen. Es war, als ob dieser Herr, wenn er sprach - insbesondere mit den Freunden seines Sohnes, oder mit seinen generösen Kunden - sich unentwegt am Rand eines Abgrunds fühlte. Ein Schritt über die Sprache hinaus, ein vergessener oder unerwartet verdoppelter Konsonant hätten gereicht, um ihn in die Tiefe seiner gesellschaftlichen Abstammung hinunter zu schleudern. (Alessandro Piperno: Mit bösen Absichten, S. 219)


Piperno, Alessandro: Mit bösen Absichten [9]

  Wie lange werde ich meinen verderblichen Hang zum Mißgeschick, die unbezähmbare, mir im Blut liegende Kraft in Schach halten, die mich seit meinen ersten Lebensjahren immer wieder so weit bringt, mindestens zweimal pro Mahlzeit dem Herrn des Hauses die Wasserflasche über die Hose zu schütten oder einen wertvollen Gegenstand umzustoßen und in Staub aufzulösen? Wie viele Tage werde ich, ein Fauxpas- Spezialist, meine Natur bremsen können, wo alles in diesem Haus auf eine metaphysische Zerbrechlichkeit anzuspielen scheint und wo die übertriebene Aufmerksamkeit meine Bewegungen in die kurzen synkopierten Zuckungen eines pathetischen Pinnicchio verwandelt hat? (Alessandro Piperno: Mit bösen Absichten, S. 242)


Piperno, Alessandro: Mit bösen Absichten [10]

  Als ich deshalb auf verstellt scherzhafte Weise meinem Vater vorwarf, mich nicht so schön gemacht zu haben wie einen Schauspieler, und er ungeduldig wurde: "Ach Gott, Daniel, was soll denn das? Du bist schöner als Sartre, Simenon und Kissinger, und diese Satyre haben fast ihr ganzes Leben mit Ficken verbracht", hätte ich ihm gern erklärt, die Freude, schöner zu sein als Sartre, Simenon und Kissinger, entschädige nicht im Geringsten meine Traurigkeit darüber, viel häßlicher zu sein als Marlon Brando. (Alessandro Piperno: Mit bösen Absichten, S. 278)


Powers, Richard: Der Klang der Zeit [1]

  Kimberly Monera blickte uns mit zusammengekniffenen Augen an, ein wenig berauscht von ihrem neuen Titel. "Ihr zwei, seid ihr Mohren?" Sprach ein mythisches Geschöpf zum anderen. Jonah sah mich fragend an, doch ich hob wehrlos die Hände. "Das kommt", antwortete er, "drauf an, was das ist." "So richtig weiß ich das auch nicht. Früher gab es sie in Spanien, und dann sind sie, glaube ich, nach Venedig gegangen." Jonah sah mich an und schnitt eine Grimasse. Mit dem Zeigefinger machte er kleine kreisende Bewegungen an seinem Ohr, damals das Zeichen für jene abenteuerlichen Windungen des Geistes, die unsere Schulkameraden "bescheuert" nannten. (Richard Powers: Der Klang der Zeit, S. 73)


Powers, Richard: Der Klang der Zeit [2]

  Er wußte besser als jeder andere, daß sein Stimmbruch bevorstand. Die ersten Guerillaangriffe der Pubertät hatte er klar und ungebrochen überstanden, und nichts deutete auf die kommende Katastrophe hin. Aber unablässig dachte er an den Tag, an dem er mit seiner Stimme zu Ende sein würde. Er ging nicht mehr in die Sonne, trieb keinen Sport, aß nur noch Birnen und Haferflocken und auch davon nur wenig, ließ sich jeden Tag neue Gegenmittel einfallen in dem verzweifelten Versuch, das Unaufhaltsame aufzuhalten. Einmal riß er mich mitten in der Nacht aus tiefem Schlaf. In meiner Verwirrung dachte ich, es sei jemand gestorben. "Joey, wach auf", flüsterte er leise, damit Earl und Thad nicht erwachten. Er schüttelte mich an der Schulter, bis ich die Augen aufschlug. Etwas Entsetzliches mußt geschehen sein. "Joey, kannst du dir das vorstellen? Aus meinen Eiern wachsen Härchen. Ich kann sie fühlen, zwei Stück!" Er führte mich ins Bad und zeigte mir die Entwicklung. Eher als an die Haare erinnere ich mich an sein Entsetzen. "Es ist soweit, Joey." Seine Stimme war heiser, belegt. Nur diese paar Augenblicke blieben ihm noch, seine letzten klaren Worte, bevor er sich zum Werwolf wandelte. (Richard Powers: Der Klang der Zeit, S. 85)


Powers, Richard: Der Klang der Zeit [3]

  William, der Urenkel, setzte zu einem Höhenflug an, der selbst Nathaniels kühnste Hoffnungen übertraf. Er wagte sich vor nach Washington, in die Bastion an der Grenze zum alten Süden, und begann ein Studium an der Howard-Universität. Als er knapp ein Jahrzehnt später zurückkehrte, war er Doktor der Medizin und ein verbrieftes Mitglied der geistigen Elite des Landes. Er sprach nie von den Jahren dazwischen, die ihn zweimal an den Rand des psychischen Zusammenbruchs geführt hatten. Am Medizinstudium scheiterten selbst Leute, die nicht auf Schritt und Tritt mit Rassenschranken zu kämpfen hatten. Aber William bewältigte den Stoff, kannte schließlich jeden Muskel, jede Ader und jeden einzelnen Nerv, aus dem sich der gottgleiche Körper eines jeden Menschen zusammensetzt. Dr. William Daley beendete seine praktische Ausbildung an just dem Negerkrankenhaus, in dem die Mitglieder seiner Familie seit Generationen als Musterpatienten gelitten hatten. (Richard Powers: Der Klang der Zeit, S. 92)


Powers, Richard: Der Klang der Zeit [4]

  In der harten Arbeit des täglichen Lebens hält er sich tapfer. Er ist nicht gerade häuslich, und seine Körperpflege ist noch unberechenbarer als seine unregelmäßigen Verben. Seine Art treibt sie zur Verzweiflung. Er bringt es fertig und läßt eine Schachtel Eiscreme auf der Anrichte stehen, und zwei Stunden später wundert er sich, daß sie ihm an den Schuhsohlen klebt. Aber er kann auch über sich selbst lachen. Und für einen Mann der Theorie ist er bemerkenswert geduldig. Ein Mann so gutmütig wie die Zeit lang ist. Zum Glück ist er älter als sie und kann echte Sorgen leichter von den vielen Kleinigkeiten des Tages unterscheiden. Es ist ihre Rettung, hundertmal im Monat, daß er nur selten Vorstellung davon hat, wie etwas getan werden sollte. Daß sie beide so unterschiedlich sind, macht ihm immer wieder Freude. Er übernimmt eine Redensart von ihr, den Satz, den sie ausrief, als sie ihn zum ersten Mal eine Sieben schreiben sah. Kaum eine Woche vergeht - ob sie nun Eintopf kocht, eine Rechnung bezahlt oder ein Bild aufhängt-, in der er nicht irgendwann sagen muß: "Jetzt schau sich das einer an!" (Richard Powers: Der Klang der Zeit, S. 396)


Powers, Richard: Der Klang der Zeit [5]

  Terrie konnte keine Noten lesen. Aber trotzdem ist mir kaum je ein musikalischerer Mensch begegnet. Sie verfolgte das Auf und Ab der Hitparaden mit einem Ernst, den die meisten Menschen den Gedanken an ihren eigenen Tod vorbehalten. Ein einziger verminderter Akkord an der richtigen Stelle öffnete ihr das Herz, und die Seele kam zum Vorschein. Musik stieg aus dem Erdboden auf und bemächtigte sich ihrer Füße. Wenn sie für längere Zeit von Musik abgeschnitten war, verlor sie alle Energie. Aber schon der einfältigste Trip von Tonika zu Dominante und zurück ließ ihre Lebensgeister neu erwachen. (Richard Powers: Der Klang der Zeit, S. 524)


Presber, Rudolf: Mein Patient

  Aber daß Wilhelm Möpsel, der ewige Kandidat, das Examen ohne fremde und geheimnisvoll wirkende Zauberkräfte bestanden haben sollte, das mußte eben allen, die seine heftige Neigung zum interessanten Skatspiel und seine Vorliebe für kraftvoll gemischte Knickebeine kannten, ein noch viel größeres Wunder erscheinen. Gleichviel. Wunder oder nicht – Wilhelm Möpsel war praktischer Arzt, und auch seine staatlich geprüfte Kunst als Geburtshelfer drohte den noch ungeborenen Generationen. (Rudolf Presber: Mein Patient)


Proulx, Annie: Das grüne Akkordeon [1]

  "Diese dreckigen Katholiken!" sagte Beutle. "Das sind alles Verbrecher, die begehen jedes Verbrechen, weil sie nachher ja zur Beichte gehn können. Ein paar Gebete, und hui, alles ist wieder rein! Da war mal ein Ire, der klaut seinem Nachbarn fünf Hennen, und dann geht er beichten und sagt: 'Vater, ich hab' ein paar Hühner geklaut.' - 'Na, wie viele denn?' sagt der Pfarrer. 'Fünf, Vater, aber sagen wir lieber zehn, und ich hol' mir den Rest auf dem Heimweg'" (Annie Proulx: Das grüne Akkordeon, S. 95)


Proulx, Annie: Das grüne Akkordeon [2]

  Ein Mann mit säbelbeinigem Gang blickte sie wütend an, tat so, als würde er mit etwas werfen, und als wäre diese Geste ein Befehl, bückte sich ein Junge nach einer Schnapsflasche, die an einer graffitibemalten Mauer lehnte, und schleuderte sie lässig in ihre Richtung. Sie zerplatzte dicht vor dem Wagen, Splitter prasselten auf die Haube. "Mamafickerarschloch!" sagte Vergil. "Gott sei Dank hat er nicht getroffen", sagte Josephine, klammerte sich an den Rand ihres Sitzes und wünschte sich, der Wagen hätte getönte Fenster. "Der Wichser hat mit Absicht danebengeworfen. War nur symbolisch - diese Wichsnasen spielen sechszehn Stunden am Tag nur Basketball, und der könnte wahrscheinlich auf fünfzig Meter eine Fliege mit einem Reiskorn treffen." (Annie Proulx: Das grüne Akkordeon, S. 529)


Proulx, Annie: Das grüne Akkordeon [3]

  Es fiel ihr allmählich schwer, Entscheidungen zu treffen. Es gab zu viele Sorten Katzenfutter, zu viele Formen, Größen und Marken von Kugelschreibern; Arten und Verpackungen von Shampoo; Tomatenbüchseninhalte - ganz, gestückelt, Soße oder Mark, Strumpfhosen und Strümpfe in zahllosen Farbtönen, mit eingearbeitetem Miederhöschen oder Glitzereffekt, durchsichtig oder blickdicht in Dutzenden von Geweben, der Zwickel oder die Zehen verstärkt oder nicht, klein, mittel, normal oder Sondergröße, Zahnpastamarken, Formen und Härtegrade von Zahnbürsten; Bettwäsche mit Fadendichte 180 bis 320, hundert Farben, geblümt, gestreift, getupft, mit Comic-Figuren, in Leinen, Damast, ägyptischer Baumwolle, Satin, kariert, mit Stickumrandung oder Monogramm, Flanell; zu viele Zuchtapfelsorten; alkoholfreie Getränke in fingerhut- bis kanistergroßen Behältern und Säfte und Wasser aus unzähligen naturreinen Quellen, und die Läden selbst, surreal, hell erleuchtet, wie geklont in schicken Einkaufszentren, Ursache langwierigen Auswählens, bei dem man letztlich doch keine Wahl hatte. (Annie Proulx: Das grüne Akkordeon, S. 626)


Queneau, Raymond: Zazie in der Metro [1]

  Schließlich muß man ja leben, nicht wahr? Und wovon lebt man, frag ich euch? Von der Luft des Wetters, selbstverständlich - wenigstens zum Teil, möcht ich sagen, und daran stirbt man auch -, aber viel mehr noch von jenem gehaltvollen Mark, das der Zaster ist. Dieses zuckersüße, geschmackvolle und polygene Produkt, das sich allzu leicht verflüchtigt, dieweil es sich nur im Schweiße des Angesichts erwerben läßt, zumindest gilt das für die Ausgebeuteten dieser Erde, zu denen auch ich gehöre und deren erster sich Adam mit Vornamen nannte, der von den Elohim tyrannisiert wurde, wie jeder weiß. Obgleich seine Hütte in Eden ihnen nicht lästig zu sein scheint in den Augen und nach dem Urteil der heutigen Menschen, verbannten sie ihn in die Kolonien, um dort den Boden harken und Pampelmus wachsen zu lassen, während sie den Hypnotiseuren verboten, seinem Ehegespons beim Gebären zu helfen, und sie die Schlangen zwangen, ihnen die Beine um den Hals zu legen. (Raymond Queneau: Zazie in der Metro)


Queneau, Raymond: Zazie in der Metro [2]

  "Sie sind doch ein großes Arschloch." "Es gibt tatsächlich Bullen, die nicht sehr aufgeweckt sind." "Aber Sie haben was aufm Kasten." "Ja, wie, ist das die ganze Wirkung, die meine Erklärung auf Sie gemacht hat? Meine Liebeserklärung?" "Sie werden sich doch nicht im Ernst einbilden, daß ich mich so einfach hinlege: auf Wunsch." "Ich glaube, daß mein persönlicher Charme Sie letztlich nicht gleichgültig lassen wird." "Was man doch nicht alles hören muß!" "Sie werden schon sehen. Ein kleines Gespräch, und meine Verführungskünste beginnen zu wirken." "Und wenn sie nicht wirken?" "Dann spring ich Sie einfach an. Ganz glatt." "Na los, versuchen Sie's doch. "Oh, ich habe Zeit. Es ist nur im äußersten Notfall, daß ich zu diesem Mittel greife, das, wie ich gestehen muß, mein Gewissen nicht vollständig gutheißt." (Raymond Queneau: Zazie in der Metro)


[Nach oben]  [Allgemeine Fundstücke]