Geschichte & Politik (1) [>>]

Historie, Zeitgeschehen & Gesellschaft [^^] [^]


Bestandsaufnahme
Zu dick, zu bunt, zu laut
Zur Gruppe gehören
30 Jahre nach dem Krieg
Flugmaschinen und Autos
Die wahrhaft großen Vermögen
Wirtschaftskrisen
Kapitalismus
Zahlungsschwierigkeiten
Steuererklärung
Bangladesch
Das Volk
Die Mitte wandert
Nachhinkend
Dieses Afrika
Politik unzeitgemäß
Wien 1954
Krieg und Staatsbürger
Des eigenen Unglücks Schmied
Bevorzugte Nationen
Die Ton angebende Gesellschaft
Zivilisation der Gewißheit
Sozialdemokraten
Furcht
Der Mensch als Phänomen
Statt einer Pflichtengesellschaft
Katalog der Grausamkeiten
Klassen, Rassen, Gemeinschaft
Ineffektive Politik
Geschichtsschreibung
Versprechungen
Kinder damals
Staat & Kunst
Beruf und Lernen
Beruf und Beratung
Generöse Idee
Politik & Sprache
Hermann Hesse: Militärdienstverweigerer
Demokratie & Kunst
Sittlichkeit einer Gesellschaft
Schwache Regierungen
Hydra Staat
Englische Mentalität
Grass über Adenauer
Eine gesunde Skepsis
1914
Weltökonomie
Politikerreden
Bausünden
Beruf und Job in Deutschland
Augenzeugen
Kronprinzen
Telegramme
Die Vermehrung der Helden
Altbacken
Epidemie der Nachkriegsfreude
Meinungen statt Kriterien
Nie dagewesene Zerstörung
Korrupte Schwätzer
Von der Diktatur
Machtentwicklung
Europa?
Das Profil des Politikers
Richard Chamberlain
Überdenken der Programme
Schnitzler: Österreich II
Schnitzler: Österreich I
Politiker
Politische Wahlen
Arbeitenmüssen und Arbeitendürfen
Gut verteilte Mißerfolge
Geld und harte Gesetze
Was sich Frieden nennt
Der Vorteil der Prozente
Dankbarkeit einer Nachgeborenen
Immer mit Feder
Politikaster
Raffgier
Folgen des Überflusses
Politik und Charakter
Zusammenhänge
Eine stärkere Kraft
Geschichtsbilder
Doch nicht so schlimm
In Amerika...
Mit 1979er Blick...
Sozialdemokratie
"Familien"politik
Die, die übrig bleiben
Es lebe die Provinz!
Politikerschelte
Eigennutz
Von der Macht
Zukunft der Politik
Klubzwang
Verlegung der Wahllokale
Wahlen I
Wahlen II
Wahlen III
Nicht dumm, sondern einsichtig


Bestandsaufnahme

Es gab kaum mehr einen Widerstand, die Menschen hatten sich ergeben, wussten nur nicht, wem. Die Generation der erwerbsfähigen Dreißig-, Vierzigjährigen starrte paralysiert auf den Zusammenbruch der angenommenen Sicherheit ihres Lebens. Plötzlich waren sie arbeitslos. Oder sie hatten mehrere Tätigkeiten, und sie mussten sparen. Sie konnten nicht mehr Businessclass fliegen, sie konnten überhaupt nicht mehr fliegen, denn es gebrach ihnen an Zielen. Sparen. Was für ein kleinbürgerliches Wort, ein Elternwort, ein Siedlungshauswort. Das Internet war die Werbebranche der Zeit, großartige Firmen wurden gegründet, Internetportale, Webzeitungen, Singlebörsen, Dreierbörsen, Kinderbörsen, Werbebannerplattformen. Büroräume wurden angemietet, Kredite aufgenommen, mit Skateboards wollte man durch Lagerhallen fahren und die Welt verändern, also in finanzieller Hinsicht, und nun war schon wieder alles vorbei, es war zu früh, der Markt nicht erforscht, die Bedürfnisse nicht vorhanden, die Summen absurd, die Start-up-Unternehmen bankrott, und ihre Gründer waren wieder zu den Eltern gezogen oder fuhren Taxi. Ein kontaktfreudiger Student an der Harvard-Universität entwickelte mit Freunden eine Internetkontaktplattform für seine kontaktsuchenden Mitstudenten, auf der sich schon nach wenigen Monaten Milliarden und Abermilliarden Menschen über ihr Privatleben austauschten, in der rührenden Annahme, dass sie mit ein wenig Jungmenschengequatsche die Welt zu einem moderaten Ort geformt hätten. (Sibylle Berg: Vielen Dank für das Leben) ^


Zu dick, zu bunt, zu laut

Für die Menschen war das Mehr ein wenig viel geworden, ein unbewusster Unmut durch Überforderung ließ sie den Alltag nur mit Medikamenten überleben, heimlich wuchs die Sehnsucht nach der guten alten Zeit, die es nie gegeben hatte, es war alles zu eng, zu schnell, zu groß, zu voll, zu dick, zu bunt, zu laut und zu vernetzt, da wuchs ganz globalisiert so eine richtig, richtig schlechte Laune. (Sibylle Berg: Vielen Dank für das Leben) ^


Zur Gruppe gehören

Demonstrationen reizten Totos soziologisches Interesse. Einen braucht es, der laut Parolen ruft, und mit Glück werden ihm andere folgen. Wenn nicht, dann steht man nicht als Anführer einer Revolution auf der Straße, sondern als Geisteskranker. Es ist immer die Angst, der einzige zu sein und nicht zur Gruppe zu gehören, was den Menschen von bleibenden Taten abhält, und wenn es ihm irgendwann egal wird, was die Gruppe von ihm hält, dann wird er zum Amokläufer. (Sibylle Berg: Vielen Dank für das Leben) ^


30 Jahre nach dem Krieg

Im Kinderzimmer saß Kasimir und starrte aus dem Fenster, dreißig Jahre nach dem Krieg, keiner, den Kasimir kannte, war daran beteiligt gewesen, die Zeit der großen Geständnisse noch weit entfernt, alle waren verhinderte Partisanen und Widerstandskämpfer, gegen Juden hatte niemand etwas. Es gab auch keine mehr. Die Vereinbarung der Kriegsverlierer war, Ruhe bewahren. Alles ordentlich halten, ruhig sein, fleißig sein. Das Land wirkte so unauffällig, seine Bewohner so uniform, als hätten sich alle verabredet, in einer Luftaufnahme einfach wie ein großes Gartenfeld zu wirken. (Sibylle Berg: Vielen Dank für das Leben) ^


Flugmaschinen und Autos

Es war die Zeit, als das Automobil aus seinen ersten schüchternen Gehversuchen heraus war. Aber nur wenige erkannten die große Zukunft, die das Automobil hatte. Der Glaube an die Unüberwindlichkeit der Eisenbahn war noch unerschüttert. Die ersten Versuche mit Flugmaschinen waren vorüber. Sie hatten vielen Männern das Leben gekostet, aber sie waren geglückt. Man konnte bereits einige Kilometer weit fliegen und eine halbe Stunde über dem Erdboden bleiben, bis man abstürzte und sich das Genick brach, wenn man nicht vorher schon verbrannt war. Die Vorarbeiten für den Dieselmotoren waren auch geglückt und zeigten denen, die Intelligenz besaßen und die nicht das Bestehende für die letzte Weisheit menschlicher Fähigkeiten ansahen, bereits den Weg, den die Technik gehen würde. Gehen mußte. (B. Traven: Die weiße Rose) ^


Die wahrhaft großen Vermögen

Wer Kartoffeln fünfkiloweise verkauft und Petersilie für zwei Cent das Sträußchen, der kann zu einem kleinen behäbigen Wohlstand gelangen, aber er wird nie Millionen machen. Genausowenig wie jemals ein Proletarier, der immer in der Fabrik arbeitet und es nie wagt, sich einmal auf die eigenen Füße zu stellen, fünfzigtausend Dollar für sich zusammenbringen wird. Er würde dazu zehn Leben nötig haben, weil er ja stets nur einen kleinen Teil dessen bekommt, was er produziert. Die wahrhaft großen Vermögen werden nur gemacht von denen, die an den Nervensträngen der Nation, an den Lebensnerven der Menschen zupacken. Und skupellos zupacken. (B. Traven: Die weiße Rose) ^


Wirtschaftskrisen

Wirtschaftskrisen haben für neunundneunzig Prozent der Menschen etwas Unheimliches an sich, etwas Mystisches. Denn neunundneunzig Prozent der Menschen, ob religiös oder irreligiös, sehen in einer Wirtschaftskrise die Zuchtrute einer übernatürlichen Gewalt, die mit dem kapitalistischen Systems unlöslich verbunden erscheint und die sich offenbar von Menschen nicht abwenden oder vermeiden läßt. Neunundneunzig Prozent der Menschen leiden unter einer Krise. Die einen mehr, die andern weniger. Darum wird sie angesehen, wie man in vergangenen Jahrhunderten Pestilenzen, Hungersnöte und Mongolenüberfälle betrachtete. (B. Traven: Die weiße Rose) ^


Kapitalismus

Arbeiter streiken vielleicht selten, wenn es dem Kapitalismus günstig ist. Nicht aus Dummheit, sondern ehernen Gesetzen folgend. Was immer auch Arbeiter tun mögen, innerhalb des kapitalistischen Wirtschaftssystems werden sie das tun, was dem Kapitalismus dienlich ist, weil sie ein Teil des Kapitalismus sind, weil sie mit ihm, während der Herrschaft dieses Systems, verbunden sind auf Tod und Verderben, auf Leben und Untergang. Der Aktive leistet, der Inaktive leidet. Innerhalb dieses Systems ist der Kapitalist der Aktive. Er weiß, was er will. Er will Geld verdienen. Der Arbeiter will nur etwas abhaben. Er will es genauso machen wie der Kapitalist, er will mehr haben als sein Mitprolet. Wenn der Bäcker streikt und gewinnt, dann wird für den Schuster das Brot teuer, und dann muß der Bäcker mehr für die Stiefelsohlen bezahlen. Innerhalb dieses Systems dient alles dem Kapitalismus. Nicht weil die einen brutalen Ausbeuter, die andern Hungernde und die übrigen Arbeiterverräter sind, sondern weil sie sich alle in derselben Maschine befinden. (B. Traven: Die weiße Rose) ^


Zahlungsschwierigkeiten

Das inzwischen auch vom Fernsehen wahrgenommene Interesse an Menschen in Zahlungsschwierigkeiten deutet ferner darauf hin, dass es immer mehr Leuten schwer fällt, sich mit und in den Verhältnissen zurechtzufinden. Der Normalfall ist auf dem Rückzug. Peter Zwegats Fallbeispiele mobilisieren nicht nur Abgrenzungsenergien, sondern auch Ängste. Dem Unverständnis darüber, wie jemand sich arglos in eine aussichtslose finanzielle Lage hat bringen können, folgt das bange Gefühl eigener Absturzgefährdungen. (Harry Nutt: Mein schwacher Wille geschehe) ^


Steuererklärung

Die Steuererklärung ist ein aus der Zivilisationsgeschichte erst sehr spät hervorgegangenes Verfahren, das sich inzwischen regelmäßig und unerbittlich wiederholt. Wie Weihnachten und Ostern kehrt der Zeitpunkt der Steuererklärungspflicht wieder, auch wenn er nicht von vornherein rot in jedem Kalender eingetragen ist. Das Amt zeigt sich in seinen zeitlichen Vorgaben sogar recht flexibel, doch die terminliche Unbestimmtheit steigert das Unbehagen nur noch und ruft mitunter unbekannte Neigungen zu Starrsinn wach. Mit den Pflichten wächst das Beharrungsvermögen, und man beginnt, dumme Fragen zu stellen. Warum hat überhaupt der Staat das Recht, Einblicke in die Einkommensverhältnisse seiner Bürger zu verlangen? Beim Ausfüllen der Bögen wird der Steuerbürger gern grundsätzlich und denkt über anthropologische Fragen oder gar den Prozess der Zivilisation nach. Was trägt die Steuererklärung zur Arterhaltung bei? Und dient sie der Nahrungsaufnahme oder ist sie auf andere Weise existenzsichernd? (Harry Nutt: Mein schwacher Wille geschehe) ^


Bangladesch

Der einzige Reichtum und die einzige Schönheit dieses Landes war seine Bevölkerung, die - viel zu zahlreich - allerdings auch der Hauptgrund seiner entsetzlichen Armut war. Wir bereisten jede Provinz, doch nie gab es etwas anderes zu sehen als diese wunderbaren Menschen; leider war die Hälfte von ihnen ständig am Sterben. Sterben war die Hauptbeschäftigung der Menschen in Bangladesch. (Amelie Nothomb: Biographie des Hungers) ^


Das Volk

Es ist einer der größten Irrtümer der neuen - oder, wie sie sich gerne nennen: modernen - Staatsmänner, daß das Volk (die "Nation") sich ebenso leidenschaftlich für die Weltpolitik interessiert wie sie selber. Das Volk lebt keineswegs von der Weltpolitik - und unterscheidet sich dadurch angenehm von den Politikern. Das Volk lebt von der Erde, die es bebaut, vom Handel, den es treibt, vom Handwerk, das es versteht. (Es wählt trotzdem bei den öffentlichen Wahlen, es stirbt in den Kriegen, es zahlt Steuern den Finanzämtern.) (Joseph Roth: Erzählungen) ^


Die Mitte wandert

Die Mitte ist nämlich so etwas wie eine Wanderdüne, deren Bewegung man auch nur erkennt, wenn irgendwo eine Palme im sanft strömenden Sand steht. So wandert auch die Mitte, seit Jahren, und zwar von links nach rechts. Uns fällt, wie in der Düne dem einzelnen Sandkorn, die Bewegung gar nicht auf. Für uns bleibt sie am Ort. Bleiben wir am Ort. Allenfalls Nachrichten aus anderen Wanderdünengebieten erheitern oder erschrecken uns. Daß in den USA, vor dreißig Jahren ein Land laschester Liberalität, Raucher jetzt auch gesteinigt werden, wenn man sie um Mitternacht in einer menschenleeren Wüste erwischt, mit einer Zigarette im Mund... (Urs Widmer: Das Geld, die Arbeit, die Angst, das Glück, S. 39)


Nachhinkend

Gar nicht so wenige Firmen machen inzwischen Umsätze, die mit den Bruttosozialprodukten ganzer Staaten rivalisieren können. Diese Firmen haben so viele Standbeine in so vielen Rechtssystemen, daß eines immer paßt. Nationale Grenzen greifen nicht mehr. Ist die notwendige Folge aus diesem Dilemma nicht, daß auch die Staaten sich mit einer großflächigen gemeinsamen Gesetzgebung organisieren müssen, um demokratisches Leben zu garantieren? (Urs Widmer: Das Geld, die Arbeit, die Angst, das Glück, S. 25f.)


Dieses Afrika

Afrika zum Beispiel: jener Kontinent, der am vernichtendsten hat erfahren müssen, daß der Kolonialismus die hemmungslose Variante des Kapitalismus ist und daß dieser, wenn man ihn keiner Kontrolle unterwirft, zum Massenmord fähig ist. Ungezählte Tote auch heute noch, wo die Einheimischen das, was ihnen angetan worden ist, inzwischen selber tun. Wir sind entsetzt. Sind wir entsetzt? Vielleicht ist nämlich alles noch viel schlimmer. Wir sind damit einverstanden, daß die Menschen in Afrika sterben; und nicht bei uns. Denn wir wissen, daß die Götter pro Jahr so und so viele Opfer haben wollen, ein paar Millionen per annum, denn die Götter sind gnadenlos und verschlängen auch uns ohne ein Wimpernzucken, kämen wir je in ihr Gesichtsfeld. Also tun wir alles, um sie von uns abzulenken. Damit nicht wir die Opfer werden. Wie gut, daß es die Dritte Welt gibt. Afrika insbesondere. Die Afrikaner mögen magisch denken, wir tun es allemal. Die Opfer von Ruanda oder des Kongo verstören uns nur an unserer politisch korrekten Öberfläche, in unsern paar zivilisierten Hirnzellen. In unsern Tiefen beruhigen uns die Toten anderswo. Die menschenverschlingenden Ungeheuer sind anderswo beschäftigt, nicht bei uns. Man kann sich fragen, wie bewußt Politik und Wirtschaft diesen magischen Vorgang mitbetreiben. Ihn fördern selbst da, wo von Hilfe und Kooperation die Rede ist. Aids, jenes Gegengewicht der uns bedrohenden Bevölkerungsexplosion. Vielleicht sind wir klammheimlich auch mit Aids einverstanden, solange es die Afrikaner wegrafft und nicht uns. Was geschähe, wenn dieses Afrika zu Kräften käme? Was geschähe mit uns? Kämen sie alle, die Schwarzen, und schlügen uns tot? (Urs Widmer: Das Geld, die Arbeit, die Angst, das Glück, S. 21)


Politik unzeitgemäß

Ich denke, daß die Politik, ihre Ziele und Formen, mitsamt den Männern, die sie ausüben, hoffnungslos überholt und unzeitgemäß ist, gar nicht in der Lage, die Probleme der Gegenwart überhaupt zu erfassen, geschweige sie der Lösung näherzubringen. Auf Macht und Einfluß und Unterstützung ökonomischer Ziele orientiert, bringt jeder ihrer "Erfolge" uns in neue Sackgassen, und was die Politiker feiern, müßten die Menschen, würden sie nur ihre Interessen verstehen, unaufhörlich betrauern, ja bekämpfen; aber die Mehrzahl der Menschen versteht ihre Interessen nicht, sie trottet auf dem ausgetretenen, irreführenden Weg mit gesenktem Kopf dahin, und die wenigen, die aus den Institutionen ausbrechen, neue Formen mit neuen Zielen versuchen, sind hoffnungslos allein und im Hintertreffen, nichtsdestoweniger sind sie die einzige Hoffnung. (Christa Wolf: Ein Tag im Jahr. 1960-2000, S. 236)


Wien 1954

Europa im Schwebezustand - Wien zwischen allen Stühlen - kaiserlich, königlich, monströse Architektur im Verfall - Steinhäuser zertrümmert & häufig von Einschußlöchern durchsiebt. Viel Militärpolizei. Ost und West. Die russischen Soldaten sind überall, aber vollkommen unzugänglich & unkommunikativ. Es ist eine Stadt in Gefangenschaft, die Beute von 4 Nationen... Eine Stadt der größten Kontraste: Renaissance, Habsburger, Barock, 19. Jahrhundert-Öde, Genossenschaftshäuser im Karl-Marx-Hof & russische Besatzung, kombiniert mit entzückendem Kaffeehausleben, Bettlern, Tiroler Trachten und köstlicher Sachertorte & Apfelstrudel. (Madeleine B. Stern, Tagebuch 1954)


Krieg und Staatsbürger

Eine Nation kann nicht über Jahrzehnte und Jahrhunderte unverrottbares Geld anhäufen. Das wäre eine Katastrophe, es hätte schließlich keinerlei realen Gegenwert mehr, nicht in dieser Größenordnung, da jeder potenzielle Gegenwert verrottet. Irgendwann wäre die Welt voller Millionäre, die sich mit ihrem Geld nichts kaufen können. Eine neue Bedrohung für den Staat, also mußten Inflation und Krieg her, um zur Sicherung der staatlichen Macht das Geldvermögen zu vernichten. genauer gesagt, Teile des angesammelten Vermögens, nämlich das zirkulierende Geld der Masse. Geld und Vermögen werden vernichtet, um den Wert von Geld und Vermögen zu sichern. Wertschöpfung durch Vernichtung, denn auf diesem Weg werden Ressourcen verknappt, und der Mangel schafft Wert. Krieg ist für jeden Staat zu jeder Zeit das Allheilmittel, er kurbelt die Wirtschaft an, vernichtet die bedrohlichen Überschüsse, das Zuviel an Produkten wie Menschen, und zwingt den Bürger in die Gemeinschaft. Im Frieden und bei einem gesicherten Auskommen ist der Mensch ein privates Wesen. Erst der Krieg macht ihn zum Staatsbürger, der äußere Feind zwingt ihn zum Schulterschluß mit der Gemeinschaft, macht ihn uniform. Und schließlich die Kriegsbegeisterung, der Sieg, die Niederlage, die Not, all das schmiedet Nationen. Erst mit dem Krieg endet der Privatmensch und beginnt, nolens volens, der Staatsbürger." (Christoph Hein: Frau Paula Trousseau, S. 411)


Des eigenen Unglücks Schmied

Da wir in einem Land leben, dessen wichtigste Dokumente die Befreiung des einzelnen von der Obrigkeit zum Thema haben und darauf abzielen, die Freiheit des Individuums zu garantieren, in einem freien politischen System, in dem sich im Grunde niemand darum kümmert, wie du dich verhälst, solange dein Verhalten gegen kein Gesetz verstößt, hast du das Unglück, das dir zustößt, höchstwahrscheinlich selbst herbeigeführt. Es wäre etwas anderes, wenn du in einem von den Nazis besetzten oder von den Kommunisten beherrschten Land Europas oder in Mao Tse-tungs China leben würdest. Dort kümmert sich der Staat darum, daß du unglücklich bist; du brauchst nichts falsch zu machen und kannst trotzdem das Gefühl haben, daß es sich nicht lohnt, morgens überhaupt aus dem Bett zu steigen. (Philip Roth: Das sterbende Tier, S. 90)


Bevorzugte Nationen

Die elitär Kulturgesinnten haben eine Vorliebe für Frankreich. Wie Jünger, Benn und Konsorten. Die Snobisten mit demokraitscher Vorliebe schwärmen für England. Immerhin, das gefällt an den Engländern, der gute Zusammenhalt, zugleich eine harte Front gegen alles Fremde. Right or wrong my country. Jede List, jede Brutalität ist erlaubt. Das ist gutes angelsächsisches Erbe. Waren mir immer lieber die Engländer als die verweichlichten Franzosen. (Uwe Timm: Halbschatten, S. 120)


Die Ton angebende Gesellschaft

Ich schaute den Redner an, ich blickte auf die Studenten und Studentinnen ringsherum. (...) Ich sah noch genauer hin und dachte alsdann über die Laufbahn eines solchen Menschen nach. Also so etwas wird nach einer Reihe von Jahren wieder Professor und steht auch wieder da vorne hinter dem Pult und redet? Und die? Die werden Richter und richten uns. Diese werden Pfarrer, predigen und halten Messe, und die treten später in den Staatsdienst, fangen als niedere Leute an, vermählen sich züchtig, werden befördert, bekommen Titel und Rang und regieren uns schließlich. Die Universität also, das war die Einrichtung, wo man immer und immer, Jahre hindurch, zuhört und dann noch so und so viel Bücher durchliest, und endlich wird man etwas. Das gibt sodann die gebildete, bessere Gesellschaft. Die Arbeiter arbeiten, die Bauern pflügen und ernten - 'diese' Leute aber sagen, was richtig und falsch, was gesetzlich und ungesetzlich, sittlich und unsittlich ist. Mit einem Wort, diese Leute geben den Ton an, sie befehlen. Hier wurde mit 'Geist' hantiert, hier lernte man alle Dinge des gesunden Menschenverstandes so umzumodeln, jedes Wort und jeden Begriff so vieldeutig zu machen, daß der einfache Mensch davon verwirrt wurde und Respekt davor bekam, ja, noch mehr, sogar - eine undefinierbare Furcht. Und das? Das machte ihn dann dieser Gesellschaft gefügig. (Oskar Maria Graf: Wir sind Gefangene)


Zivilisation der Gewißheit

In Damaskus würde nicht einmal ein Verrückter davon träumen, sich die jüdische Position zu eigen zu machen. Der Islam ist keine Zivilisation des Zweifels wie die Zivilisation des hellenisierten Juden. Der Jude gibt sich immer die Schuld für das, was in Kairo passiert. Er gibt sich die Schuld für das, was in Bagdad passiert. Bei denen herrscht keine Zivilisation des Zweifels - dort ist die Zivilisation der Gewißheit. Der Islam wird nicht heimgesucht von den Netten und Braven, die sicher sein wollen, daß sie nicht das Falsche tun. Der Islam will nur ein: siegen, triumphieren, das Krebsgeschwür Israel aus dem Körper der islamischen Welt auszumerzen. (Philip Roth: Gegenleben, S. 153)


Sozialdemokraten

Herr Stich, ein schlichter Mann, war mir sehr sympathisch. Er verkörperte den reinen Typus jener gläubigen Sozialdemokraten, denen seit einigen Jahren die Welt zusammengebrochen war, jene Welt, deren Zukunft sie mittels des kleinen Einmaleins vorausberechnet hatten. In kindlicher Aufregung einer Wissenschaftlichkeit befangen, die aus ermüdeten Illusionen bestand, waren sie glaubens, nichts könne mehr den Aufstieg der werktätigen Menschheit zu einer vernünftigen Ordnung unterbrechen. Sie nannten sich rührenderweise Materialisten, weil sie die tückischen Materie (Strahlen, Ströme, Wellen), aus der dieses Leben gebraut ist, in ihrer ahnungsfernen deutschen Tüchtigkeit für sortierbar und regelbar hielten. (Franz Werfel: Cella oder Die Überwinder, S. 140)


Furcht

"Und du glaubst wirklich, daß man mit Unterschriften Geschichte macht?" "Wenn niemand sich rührt", gab ich zurück, "wenn nichts geschieht, wenn alle alles fressen, was soll man da tun? Weißt du vielleicht etwas Besseres?" "Etwas Besseres weiß ich nicht. Aber ich weiß, daß es nur ein Mittel gibt, Geschichte zu machen: Furcht!" Ich verstand nicht genau. Er half mir: "Die Furcht, mein Lieber, die man erregt. Politik ist heute die Kunst, jeden einzelnen Bürger in eine Zwickmühle zwischen Leben und Tod zu bringen." (Franz Werfel: Cella oder Die Überwinder)


Der Mensch als Phänomen

Ich beende mein Expose mit der Feststellung, daß die Ärzte, die in diesen Konzentrationslagern ihren Dienst versahen, keineswegs aus der Bahn geratene Existenzen oder halb dem Alkohol verfallene Hinterhofpfuscher gewesen seien, weil das gelegentlich behauptet worden wäre, sondern hervorragende Wissenschaftler, Dozenten und Professoren einiger der führenden Institutionen des Landes, was von großer Bedeutung für all diejenigen ist, die unsere Zivilisation und ihre beherrschenden Triebkräfte verstehen wollen. Der Mensch als Phänomen. (Lars Gustafsson: Der eigentliche Bericht über Herrn Arenander, S. 110)


Statt einer Pflichtengesellschaft

Wir haben von Geburt an eine soziale Natur. Je mehr wir diese Natur von den Fesseln der Soll- und Muss- Vorstellungen befreien, desto reicher und schöner wird sie zutage treten. Ich bin davon überzeugt, dass unter der Ägide des Prinzips Selbstverantwortung mehr wohltuende Mitmenschlichkeit und wechselseitige Unterstützung gelebt würde als im Korsett einer Pflichtengesellschaft . Eine Gesellschaft, in der ein Großteil aller Aktivitäten aus Pflichterfüllung erwächst, macht die Menschen krank und führt sie am eigentlichen Sinn ihres Lebens vorbei (dem Selbstgenuss des Bewusstseins). Unter der Ägide größerer innerer und sozialer Freiheit könnte sich die Gesellschaft sowohl auf der Ebene der Beziehungen als auch auf der Ebene der Aufgaben und Berufe passender sortieren und flexibler umsortieren. (Dietmar Hansch: Erfolgreich gegen Depression und Angst)


Katalog der Grausamkeiten

Amnesty International in London hat ein Jahrbuch der Grausamkeiten herausgegeben, auf 380 Seiten wird aufgezählt, wie grausam man in den verschiedenen Ländern der Welt ist. Wie aus einem Warenhauskatalog erfahren wir, daß in allen Ländern aller Kontinente Regierungen, Parteien, Interessenverbände, politische, religiöse und ideologische Organisationen Grausamkeiten begehen. Die Grausamkeit ist die Katalysatorschwelle, wo die Menschheit harmonisch aktiv ist. (Sandor Marai: Tagebücher 1984-1989, S. 48)


Klassen, Rassen, Gemeinschaft

"Wer irgendwo und irgendwie zu schwach ist, um in der Welt, wie sie eben ist, zu leben, der verabsolutiert gern 'idealistisch' einen Zustand, der sein soll, gegenüber dem tatsächlich seienden. In welcher Richtung immer solch ein 'Idealist' sich die Sache nun denkt: jener ersehnte Zustand wird doch stets ein und dasselbe Grundmerkmal haben - daß nämlich die Schwäche, um die es hier jeweils geht, innerhalb seiner als Stärke werde auftreten können. In einer 'rassenreinen' Gesellschaft wird jeder Simpel und Brutalist, der nicht vorwärtsgekommen ist, mindestens einen 'Arier' vorstellen; die gleiche Auszeichnung kann, bei anders gerichtetem 'Idealismus', darin liegen, für einen Prolet-arier zu gelten. Dort eine vermeintliche Gemeinsamkeit der Rasse, hier eine der Klasse, es ist gehupft wie gesprungen. Klassen können ja zu Rassen werden, und umgekehrt. Das war schon da. Hier in Wien ist aus einem reinen Berufsstand sogar eine Art Rasse geworden: die der Hausmeister. Das weiß jeder Wiener. In Paris ist das ähnlich. Genug. Man bezieht also das Selbstgefühl für seine Schwachheit in beiden angeführten Fällen aus einem gemeinsamen Depot, so Rassenbewußtsein wie Klassenbewußtsein. Beide geben auch animalische Wärme ab. Aber Gemeinschaft kann für die Dauer nicht auf einem Fundus gründen, den man gemeinsam hat, sondern sie muß auf dem Ungemeinen gründen, auf dem, was jeder an Einzigartigem, Persönlichem, Nicht-Mitteilbarem besitzt, auf dem, was ihn unersetzlich macht. Anders hat die Gemeinschaft keine Dauer, sondern artet zur Gemeinheit aus. Wir sind auf dem Wege." (Heimito von Doderer: Die Dämonen)


Ineffektive Politik

Ihm sei allmählich klargeworden, daß die Politik, wie sie gegenwärtig betrieben werde, unter den Bedingungen des zwanzigsten Jahrhundert ineffektiv sei und langfristig sogar unermeßlichen Schaden anrichten könne. Um überhaupt unsere Lebensbedingungen und unser Leben abzusichern und auf einem bestimmten Niveau zu halten, müßten wir die meisten unserer Vorstellungen über Bord werfen und die Dinge von Grund auf neu anpacken. "Das Wissen ist da, es muß nur angewandt werden." (Sybille Bedford: Ein trügerischer Sommer)


Geschichtsschreibung

... ist jede echte Geschichtsschreibung, ('wie ein großer Denker gesagt hat') Geschichte der Gegenwart, mag sie auch jeweils mit Römerzeiten oder dem hohen Mittelalter oder irgendeiner anderen Zeitspanne sich befassen. Nein, die Vergangenheit ist nichts Festliegendes, wir gestalten sie immer neu. Die ungeheuren Massen ihrer Tatsachen sind nichts, unsere Auffassung davon aber ist alles. Darum muß jede Zeit von neuem Geschichte schreiben; und dabei wird sie immer die toten Tatsachen gerade jener Perioden wieder erwecken und zum Leben durchglühen, deren wiederkehrende Gebärden ihr das verwandt anklingende Innere bewegen. (Heimito von Doderer: Die Dämonen)


Versprechungen

Bauern gelten für gewöhnlich als schlau und listig; politische Kandidaten dagegen sehr häufig als beschränkt. Über dieses Phänomen hat man Romane, Komödien, soziologische Abhandlungen und Statistiken verfaßt, die allesamt diese zwei Wahrheiten bestätigt haben. Es kommt jedoch vor, daß es gerade die beschränkten Kandidaten sind, welche die schlauen Bauern hereinlegen. Dazu besitzen sie ein nie versagendes Mittel, das keine Intelligenz, kein vorbereitendes Studium, keine persönlichen Qualitäten, nichts von alledem erfordert, was man selbst von dem subalternsten Angestellten, selbst von dem debilsten Staatsdiener verlangt. Dieses Mittel liegt voll und ganz in dem einen Wort: versprechen... Um zu reüssieren, braucht der Kandidat nichts weiter zu tun, als die beständigste, die hartnäckigste, die unausrottbarste Manie der Menschen auszubeuten - und zwar auszubeuten nach allen Regeln der Kunst - nämlich die Hoffnung. (...) Über die Hoffnung spricht er direkt die Quellen des Lebens selbst an; den eigenen Vorteil, die Leidenschaften, die Laster. Das folgende Axiom läßt sich durchaus zum absoluten Prinzip erklären: "Naturgemäß wird derjenige Kandidat gewählt, der während eines Wahlkampfs am meisten und die meisten Dinge versprochen hat, egal welche seine Ansichten sein mögen, egal welcher Partei er angehören mag, und mögen diese Ansichten und diese Partei denen des Wählers auch diametral entgegengesetzt sein." (...) ... der wundervolle Mechanismus der politischen Gesellschaften funktioniert in der Weise, daß schon seit mehreren tausend Jahren die Wünsche immer angehört, aber nie erhört werden und daß sich die Maschine ohne den kleinsten Riß in ihrem Räderwerk, ohne die geringste Unterbrechung in ihrem Lauf dreht und dreht. Alle sind glücklich, und so, wie alles läuft, läuft es sehr gut. Das Bewundernswerte an dem Funktionieren des allgemeinen Wahlrechts ist, daß man dem Volk, da es ja souverän ist und keine Herren über sich hat, Wohltaten versprechen kann, in deren Genuß es niemals kommen wird, und daß man Versprechen, die überdies niemand die Macht hat zu verwirklichen, nie zu halten braucht. Es ist sogar besser, überhaupt nie ein Versprechen zu halten, und zwar aus dem wahlkämpferischen und höchst menschlichen Grunde, daß man auf diese Art die Wähler unwiderruflich an sich bindet, die ihr Leben lang diesen Versprechen hinterherlaufen wie die Spieler ihrem Geld, wie die Verliebten ihrem Leid. Ob Wähler oder nicht, wir sind alle so... Und wir lieben nichts so sehr wie den Traum, denn der ist ewig und ein vergebliches Streben nach einem Gut, von dem wir wissen, daß er unerreichbar ist. (Octave Mirbeau: Nie wieder Höhenluft oder Die 21 Tage eines Neurasthenikers)


Kinder damals

Der Staat - so viel Gerechtigkeit muß man ihm widerfahren lassen - schützt das Geflügel, die Stiere, die Pferde, die Hunde, die Schweine mit bewunderswertem Eifer und höchst gelehrter Kenntnis vom Fortschritt der Wissenschaft. Für all diese verschiedenen und interessanten Tiere hat man entsprechende Aufzuchtmethoden von perfekter Hygiene gefunden. (...) Das ist alles gut und schön... Ich bin nicht neidisch auf die peinliche Sorgfalt, mit der man die Tiere umgibt... (...) Aber ich würde mir wünschen, daß den Kindern - den Menschenkindern - nicht, wie es der Fall ist, all diese... all diese tierfreundlichen... Wohltaten systematisch vorenthalten werden... Aber das scheint unmöglich zu sein. Ein Kind, das zählt rein gar nichts... dieses menschliche Gewürm kann verrecken und verschwinden... Das spielt keine Rolle... (...) Und die führenden Persönlichkeiten (...) beklagen sich bitter über die ständig abnehmende Zahl der Kinder, deren Geborenwerden sie gerade verhindern oder sie, sowie sie geboren sind, mit den sichersten und raschesten Verfahen töten... Denn der wahre Kindermörder ist diese gesellschaft, die so grausam zu den ledigen Müttern ist, die ihre Kinder nicht ernähren können. (Octave Mirbeau: Nie wieder Höhenluft oder Die 21 Tage eines Neurasthenikers)


Staat & Kunst

... daß der Staat, sofern er noch weiterhin der Staat bleiben will, nur einen bestimmten Grad von Kunst erlauben darf, daß er weder der Kunst erlauben darf, total zu sein, noch dem Genie erlauben darf, zeitgenössisch zu sein. Für den Staat ist das Genie erst dann offiziell Genie, wenn es durch mehrere Jahrhunderte beglaubigt wurde. Solange das Genie nicht durch mehrere Jahrhunderte beglaubigt wurde, behandelt der Staat es als einen Feind. (Octave Mirbeau: Nie wieder Höhenluft oder Die 21 Tage eines Neurasthenikers, S. 18)


Beruf und Lernen

Es sieht so aus, als löse das Lernen die Arbeit ab. Arbeit ist in der Postmoderne nicht mehr der einzige und in der Zukunft wohl auch nicht mehr der maßgebliche Ordnungsfaktor unserer Gesellschaft. Das Ansehen eines Bürgers als "ordentlicher Bürger" ist nicht mehr länger alleine an den Sachverhalt geknüpft, daß dieser auch ordentlich arbeitet. Heute muß er, wenn er schon keine ordentliche Arbeit bekommt, wenigstens ordentlich nach einer ordentlichen Arbeit suchen. Dies zeigt er am besten, indem er fleißig lernt. Dem Lernen fällt damit immer mehr die gesellschaftliche Ordnungsfunktion zu. Nur wer ordentlich lernt, also häufig Weiterbildungsveranstaltungen besicht, sich selbst etwas beibringt oder sich beraten läßt, kann damit rechnen, als "guter und ordentlicher Bürger" anerkannt zu werden. (Karlheinz A. Geißler: Vom Tempo der Welt. Am Ende der Uhrzeit, S. 182)


Beruf und Beratung

Insbesondere das Lernmodell "Beratung" gewinnt seine Attraktivität durch das Versprechen, endlich den sehnlichst erhofften Sinn für das, was man tut und was man besser läßt, zu liefern. Beratung ist nämlich immer dann eine gesuchte Leistung, wenn sich Sinnstrukturen - wie heute der Fall - verflüchtigen. Einige offensichtliche Beispiele: Es verfällt die große Sinnstruktur "Beruf". Der Berufswechsel , nicht mehr der Lebensberuf, ist heute die Normalität. Zwar kann man ohne Berufsabschluß nichts mehr werden, aber mir Berufsabschluß ist man auch kaum mehr etwas. (Karlheinz A. Geißler: Vom Tempo der Welt. Am Ende der Uhrzeit, S. 177)


Generöse Idee

Ich leugne die Schrecken des Gulag nicht und mich ekelt vor allen, die ihre stalinistische Vergangenheit leugnen, aber der Kommunismus war eine ungeheure Hoffnung. Es gibt im Marxismus - das ist sehr jüdisch - eine verrückte Überschätzung des Menschen. Er bringt uns dazu zu glauben, wir seien Wesen, die zur sozialen Gerechtigkeit fähig wären. Ein schrecklicher Irrtum, den zig Millionen Menschen mit ihrem Tod bezahlt haben, aber eine generöse Idee und ein großes Kompliment an die Menschheit. (George Steiner)


Politik & Sprache

Bei bestimmten Vorkommnissen stellen sich beim Politiker, der ja ständig sprachlich reagieren muß, bestimmte Wörter wie von selbst ein und sammeln sich dann auch immer und quasi automatisch in derselben Reihe "wie die Kavalleriepferde beim Hornsignale". Freilich ist dies auch bei solchen zu beobachten, die keine Politiker sind. Überhaupt ist bei Politikern vieles nur noch ausgeprägter als bei anderen Menschen. (Hans-Martin Gauger: Was wir sagen, wenn wir reden. Glossen zur Sprache, S. 29)


Hermann Hesse: Militärdienstverweigerer

Man lacht über die Militärdienst-Verweigerer! Nach meiner Meinung sind sie das allerwertvollste Symptom der Zeit, auch wenn der einzelne sonderbare Gründe angibt für sein Tun. Jetzt aber ist man schon so weit, daß eine ernsthafte Motion im Gange ist, man solle denen, die aus sittlichen Gründen den Dienst verweigern, Gelegenheit schaffen, ihren Dienst in ziviler Arbeit abzuleisten. Vielleicht wird das nicht durchgehen, heut noch nicht, aber kommen wird es absolut sicher, und vielleicht kommt dann auch eine Zeit, wo auf drei Soldaten zehn Zivildiensttuende kommen werden, wo man ganz natürlich das Kriegshandwerk, soweit es noch existiert, den geborenen Raufbolden und Sauhunden überläßt. (Hermann Hesse - Hans Sturzenegger: Briefwechsel 1905-1943, S. 42)


Demokratie & Kunst

Heißt: "Sir, geben Sie Gedankenfreiheit!" nicht auch: "Sir, geben Sie Kunstfreiheit!"? Besteht möglicherweise die Aufgabe einer wirklichen Demokratie darin, eine Gesellschaftsordnung zu entwickeln, die menschlich ist, ohne ins Allzumenschliche zu korrumpieren, und sittlich bleibt, ohne unmenschlich zu werden; und stehen nicht sogar die marxistischen Staaten im Grunde vor demselben Problem? Ist eine Demokratie vielleicht nur möglich, wenn sie durchführbar und damit nachweisbar ist? Braucht deshalb die Demokratie die Kunst als Korrektiv, als hartnäckigen Darsteller der guten und schlimmen Möglichkeiten des Menschen? (Friedrich Dürrenmatt: Literatur und Kunst, Essay und Reden, S. 170)


Sittlichkeit einer Gesellschaft

Ist nicht die sittliche Gesinnung einer Gesellschaft davon abhängig, inwieweit die Organisation dieser Gesellschaft sittlich zu nennen ist? Bewegt diese Frage die heutige Welt und damit die Kunst, und hat deshalb die Frage nach der sittlichen Gesinnung der Künstler, so ernst sie auch gemeint war, etwas Komisches? Müssen wir nicht besonders den Gesinnungen gegenüber mißtrauisch sein, denn welche Gesinnungen wurden schon für sittlich erklärt und für sittlich gehalten? Hat vielleicht Schiller die sittlichen Energien nicht vermehrt, sondern gemindert? Hat er die Sittlichkeit zu allgemein und zu erhaben gesehen? Hat er ihr vielleicht damit einen Reklamewert für jede Möglichkeit gegeben, angeblich in ihrem Namen und im Namen der Freiheit alles mögliche zu treiben, selbst Scheußlichkeiten großen Stils? (Friedrich Dürrenmatt: Literatur und Kunst, Essay und Reden, S. 169)


Schwache Regierungen

Schwach muß jetzt eine politische Regierung sein, so schwach wie nötig. Deren Repräsen-Tanten sind nur selten Zyniker, vielmehr erscheinen sie wahrhaft durchdrungen von ihren 3, 4 gemein-Plätzen&frasen die sie sich andressiert haben im jahre=langen Kriechgang durch die demonokratischen Parteiapparate & die sie nun absondern bei jeder sich bietenden Gelegenheit, so dasses letzt=endlich Wurscht ist welche Betrieb's Nudel von welcher Partei ans Telefon geht, sobald aus Washington Die-Weltbank anruft & sagt !Was gemacht wird. (Reinhard Jirgl: Die Stille)


Hydra Staat

Gesundheit dahin, den Leib zerschlagen - für nen Bank- Rottenstaat..... Dafür als Entlohnung 1 Anzug (ohne Mantel, denn wir wolln ja nich übertreim, Keinbaum wäxt hier inn Himmel nich) doch soll keener lehm wien Hund (nicht mal !das) ohm druff wien Trinkgeld fürn Kellner paar Kröten Rente : Ewiger Soldaten Lohn.... Und ich bedauerte schon Damals sehr, daß sämtliche Staat's Ober-Häupter niemals aus 1 1zigen Haupt bestehn, damit Manns 1=für=Allemal abschlagen könnte - :jugendliche Wut machte mich zu nem Kaligula-von-Unten; aber ich weiß inzwischen auch, daß jeder-Staat eine Hydra ist im Kreislauf der-Ewigen-Geschichte... (Reinhard Jirgl: Die Stille, S. 91)


Englische Mentalität

Und nichts unterscheidet die englische Mentalität deutlicher von der italienischen, dachte ich wenige Minuten bevor ich - aber wie hätte ich das ahnen sollen - vom Selbstmord meines Sohnes erfuhr, als diese außerordentliche Begeisterung, ja Euphorie über einen neuen Premierminister. (...) Nichts zeigte den gesunden, naiven und in gewissem Sinne auch derben Zug in der angelsächsischen Mentalität deutlicher (...) als diese unbändige Freude über die Ablösung einer Regierung, welche die Menschen immerhin dreimal hintereinander selbst gewählt hatten, durch eine neue Regierung, welche dieselben Menschen ohne zu zögern wiederum durch eine neue ersetzen würden, sobald sie genug von ihr hatten. (Tim Parks: Schicksal, S. 9)


Grass über Adenauer

Angestoßen, politisch zu werden, hat mich nicht Willy Brandt, sondern der allerchristlichste Kanzler. Er, der sich aus Nächstenliebe den Kommentator der Rassengesetze, Hans Globke, als Staatssekretär hielt, er, dem das christliche Abendland nur bis zur Elbe reichte, er verdächtigte den Emigranten Brandt "alias Frahm" unterschwellig des Landesverrats. Sein Christentum katholischer Machart gab ihm ein, uneheliche Herkunft als Makel anzuprangern. Konrad Adenauer war jedes Mittel recht, weshalb der noch immer als Staatsmann gilt. (Günter Grass: Grimms Wörter, S. 83)


Eine gesunde Skepsis

Viele Male habe ich zugesehen, wie ein Saal voll Menschen, eine Stadt voll Menschen, ein Land voll Menschen von jenem Rausch und Taumel ergriffen wurde, bei dem aus den vielen Einzelnen eine Einheit, eine homogene Masse wird, wie alles Individuelle erlischt und die Begeisterung der Einmütigkeit, des Einströmens aller Triebe in einem Massentrieb Hunderte, Tausende oder Millionen mit einem Hochgefühl erfüllt, einer Hingabelust, einer Entselbstung und einem Heroismus, der sich anfänglich in Rufen, Schreien, Verbrüderungsszenen mit Rührung und Tränen äußert, schließlich aber in Krieg, Wahnsinn und Blutströmen endet. Vor dieser Fähigkeit des Menschen, sich an gemeinsamem Leid, gemeinsamem Stolz, gemeinsamem Haß, gemeinsamer Ehre zu berauschen, hat mein Individualisten- und Künstlerinstinkt mich stets aufs heftigste gewarnt. Wenn in einer Stube, einem Saal, einem Dorf, einer Stadt, einem Lande dies schwüle Hochgefühl spürbar wird, dann werde ich kalt und mißtrauisch, dann schaudere ich und sehe schon das Blut fließen und die Städte in Flammen stehen, während die Mehrzahl der Mitmenschen, Tränen der Begeisterung und Ergriffenheit in den Augen, noch mit dem Hochrufen und der Verbrüderung beschäftigt ist. (Hermann Hesse: Sämtliche Werke, Bd. 14: Betrachtungen und Berichte. 1927-1961, S. 242)


1914

Natürlich haben beide recht, Magnolie und Zwergenbaum, Optimisten und Pessimisten. Nur halte ich erstere für gefährlicher, denn ich kann ihr heftiges Zufriedensein und sattes Lachen nicht sehen ohne mich an jenes Jahr 1914 zu erinnern und an jenen angeblich so gesunden Optimismus, mit welchem damals ganze Völker alles herrlich und entzückend fanden, und jeden Pessimisten an die Wand zu stellen drohten, der daran erinnerte, daß Kriege eigentlich ziemlich gefährliche und gewaltsame Unternehmungen seien, und daß es vielleichten auch betrüblich enden könnte. Nun, die Pessimisten wurden teil ausgelacht, teils an die Wand gestellt, und die Optimisten feierten die große Zeit, jubelten und siegten jahrelang, bis sie sich und ihr ganzes Volk gründlich müde gejubelt und müde gesiegt hatten und plötzlich zusammenbrachen, und nun von den einstigen Pessimisten getröstet und zum Weiterleben ermuntert mußten. Ich kann jene Erfahrung nie ganz vergessen. (Hermann Hesse: Sämtliche Werke, Bd. 14: Betrachtungen und Berichte. 1927-1961, S. 104)


Weltökonomie

Von der Weltökonomie verstehe ich so wenig, daß ich schon wieder über sie zu schreiben wage. Tatsächlich denke ich zuweilen, 'niemand' habe auch nur die leiseste Ahnung, sondern ganz viele Irre, zu denen wir auch gehören, hätten es sich in einem Wahnsystem eingerichtet, das nur zusammenhält, weil noch keiner jenes einfache Wort ausgesprochen hat, das alles zum Einsturz bringt. (Urs Widmer: Auf, auf, ihr Hirten. Die Kuh haut ab, S. 258)


Politikerreden

Bundesräte lassen in der Regel das, was sie öffentlich sagen, von einem bewährten Beamten aufschreiben, der sich in der Formulierung des größten erträglichen Kompromisses auskennt und den wir Ghostwriter nennen, weil er auch die klügsten Magistraten in Gespenster verwandelt, die Gedanken von sich geben, die sie weder denken noch billigen noch, auch das kommt vor, verstehen. Und weil das so ist, versucht tatsächlich immer wieder einmal einer, etwas Eigenes zu sagen. Obwohl sich die sofort alle Sicherheitsbeamten über ihn werfen und jedes Mikrofon auf der Stelle abgeschaltet wird, hören wir dann doch zuweilen ein Fitzelchen von dem, was jenseits des Konsenses der Kollegialregierung in seinem Hirn vorgeht. (Urs Widmer: Auf, auf, ihr Hirten. Die Kuh haut ab, S. 254)


Bausünden

In Zürich etwa soll der Kreuzplatz neu überbaut werden. Dessen Schönheit besteht darin, daß rings um ihn ganz gewöhnliche Häuser ganz gewöhnlich alt geworden sind. Ihre Winkel und Ecken erzählen nicht von Rendite, auch nicht unbedingt von Schönheit, dafür von der Geschichte ihrer Bewohner. (...) Nicht daß ich meine, es solle nie mehr irgendwo irgendwas gebaut werden. Solange allerdings ganze Wohnviertel wie durch Flächenbombardemente weggefegt werden können, müssen wir uns über die Gedanken machen, die diese Verwüstungen anrichten wollen und dürfen. Sie tun es seit dem Bau des Turms zu Babel: und irgendwer wird sich hinter dem Rücken Gottes schon damals gesundgestoßen haben. Ich jedenfalls weiß nicht, was bedrohlicher und widerwärtiger ist, der alltägliche Städtebau, der Haus sagt und Geld meint, oder das jähe Stellmesser eines Kneipengasts. Natürlich hülfe es, wenn alle Investoren in den von ihnen verschuldeten Häusern wohnen müßten, und deren Architekten auch. Wenn die Politiker alle Suppen, die sie uns einbrocken, mitessen müßten. Jedoch, das Leben ist nicht so. Die charmanten Gewalttäter aus der Steuerklasse I denken denn auch gelassen, daß Gott am jüngsten Tag gewiß so blind sein werde wie die meisten seiner Ebenbilder auf Erden und ihnen ganz selbstverständlich eine Trompete in die Hand drücke, aus reinem Gold. (Urs Widmer: Auf, auf, ihr Hirten. Die Kuh haut ab, S. 207)


Beruf und Job in Deutschland

Dazu kommt, daß einem in Deutschland der Beruf und nicht ein Job Ansehen verleiht. Mit dieser kulturell tief sitzenden Form des Sozialprestiges, in der sich das ständige Zunftwesen mit der protestantischen Berufsethik amalgamiert, hängt bei uns die allgemein akzeptierte Signalfunktion von Bildungszertifikaten zusammen. Sie gelten Arbeitgebern als Ausweis nicht nur für bestimmte fachliche Qualifikationen, sondern als institutioneller Stempel für Leistungsmotivation und die Fähigkeit zum Belohnungsaufschub. Ein fehlendes Ausbildungszertifikat wird im Umkehrschluß als Beleg dafür genommen, daß es der Person insgesamt an Disziplin, Antrieb und Sorgfalt für eine beruflich Tätigkeit mangelt. In Deutschland ist mehr als anderswo der Schein mit Brief und Siegel die Vorausetzung für den beruflichen Einstieg und die betriebliche Laufbahn. (Heinz Bude: Die Ausgeschlossenen. Das Ende vom Traum einer gerechten Gesellschaft, S. 98)


Augenzeugen

Natürlich kommen die Augenzeugen auch heute noch um, in Beirut und Sri Lanka, und sie kriegen ihren Tod auch immer noch mit wie alle vor ihnen: aber wir tun es nicht mehr, und zwar just weil wir inzwischen live dabei sind. Weil wir ihren Tod überleben. Eine Katastrophe, die ich mit der Fernbedienung abzuschalten vermag, kann nicht so schlimm sein. So daß wir im Gegenteil versucht sind, das Prinzip der Fernbedienung aufs wirkliche Leben zu übertragen. Klick, ist die ekle Welt weg! - Noch immer sind wir nie Augenzeugen, meinen aber mehr und mehr, wir seien es immer. (Urs Widmer: Auf, auf, ihr Hirten. Die Kuh haut ab, S. 130)


Kronprinzen

Es kommen eben immer Tage, wo die Leute nach irgendeinem 'Kronprinzen' aussehn. Aber so gewiß das richtig ist, noch richtiger ist das andre: der Kronprinz, nach dem ausgeschaut wurde, hält nie das, was man von ihm erwartete. Manchmal kippt er gleich um und erklärt in plötzlich erwachter Pietät, im Sinne des Hochseligen weiterregieren zu wollen; in der Regel aber macht er einen leidlich ehrlichen Versuch, als Neugestalter aufzutreten, und holt ein Volksbeglückungsprogramm auch wirklich aus der Tasche. Nur nicht auf lange. "Leicht beieinander wohnen die Gedanken, doch eng im Raume stoßen sich die Sachen." Und nach einem halben Jahre lenkt der Neuerer wieder in alte Bahnen und Geleise ein." (Theodor Fontane: Der Stechlin, S. 349)


Telegramme

"Es ist das mit dem Telegraphieren solche Sache, manches wird besser, aber manches wird auch schlechter, und die feinere Sitte leidet nun schon ganz gewiß. Schon die Form, die Abfassung. Kürze soll eine Tugend sein, aber sich kurz fassen heißt meistens auch, sich grob fassen. Jede Spur von Verbindlichkeit fällt fort, und das Wort "Herr" ist beispielsweise gar nicht mehr anzutreffen. Ich hatte mal einen Freund, der ganz ernsthaft versicherte: 'Der häßlichste Mops sei der schönste'; so läßt sich jetzt beinahe sagen, 'das gröbste Telegramm ist das feinste'. Wenigstens das in seiner Art vollendeste. Jeder, der wieder eine neue Fünfpfennigersparnis herausdoktert, ist ein Genie." (Theodor Fontane: Der Stechlin, S. 23)


Die Vermehrung der Helden

Studenten (...) waren (...) schon dabei, aus ihrer eigenen, nur wenige Jahre zurückliegende Revolution eine nostalgische Jugenderinnerung zu machen. In dem Maße, in dem der "Mai '68" (Albert konnte diesen Begriff schon nicht mehr hören) weiter in die Vergangenheit rückte, waren immer mehr Nimwegener Studenten seinerseits in Paris gewesen. Es war bereits genauso wie beim Widerstand während des Krieges: Je länger dieser zurücklag, desto mehr Leute aus dem Widerstand trauten sich, sich zu ihren Heldentaten zu bekennen. Glaubte man den Nimwegener Studenten, so hatte im Mai 1968 die Katholische Universität gleich neben der Sorbonne gelegen. Geschichte, das war in erster Linie die Vermehrung von Helden. (A.F.Th. van der Heijden: Das Gefahrendreieck, S. 351)


Altbacken

Wann immer ich vom Leben den Status quo erwarte, taucht etwas ganz Unerwartetes auf. Die Weltgeschichte ist aus dem gleichen Teig gemacht wie Semmeln. Hauptsache, sie sind frisch. Darum werden Demokratie und Kapitalismus untergehen. Sie sind altbacken geworden. Deshalb war ja die Götzenanbetung so aufregend. Man konnte jedes Jahr einen neuen Götzen kaufen. Wir Juden haben die Völker mit einem ewigen Gott belastet, und darum hassen sie uns. Gibbon hat sich große Mühe gegeben, die Gründe für den Untergang des Römischen Reiches zu finden. Es ging nur deshalb unter, weil es alt geworden war. (Isaac Bashevis Singer: Schoscha, S. 161)


Epidemie der Nachkriegsfreude

Und man mußte die beiden auch verstehen! Nachdem sie auf eine behagliche Jugend hin die Dosis erotischer Frustration geschluckt hatten, die alles in allem die antijüdischen Gesetze von 1938 waren, hatten diese Juden der "feinen" römischen Gesellschaft, buchstäblich angesteckt von der Epidemie der Nachkriegsfreude, den Schrecken über Benito Mussolini und Adolf Hitler - und mit welch unglaublicher Improvisation! - durch eine nachahmende Verehrung für Clark Gable und Liz Taylor ersetzt. Als hätte das schreckliche Paar faschistischer Diktatoren nie existiert, als wäre es - in den Herzen aller italienischen Bepys - zusammen mit den undeutlichen Gerippen Hunderter von deportierten Verwandten begraben worden: verschwunden mit der Schwar von Vettern, Cousinen, Schwagern, Schwägerinnen, Schwestern, Schwiegereltern, deren Überreste jetzt in ein paar Müllsäcken Platz gehabt hätten, von denen zu sprechen strengstens verboten war und über deren Ende man sich insgeheim schämte. (Alessandro Piperno: Mit bösen Absichten, S. 17)


Meinungen statt Kriterien

Zu der Zeit, als meine Eltern zur Schule gingen, und auch noch zu der Zeit, als als Sie und ich zur Schule gingen, wurde mangelnde Leistung dem Schüler angelastet. Heute gibt man dem Stoff die Schuld. Es ist zu schwer, die Klassiker zu lesen, also sind die Klassiker schuld. Die heutigen Schüler betrachten ihr Unvermögen als ein Vorrecht. Ich kann das nicht lernen, also ist es schlecht. Und die böse Lehrerin, die dieses Zeug unterrichten will, ist ganz besonders schlecht. Es gibt keine Kriterien mehr, Mr. Zuckerman, nur noch Meinungen. (Philip Roth: Der menschliche Makel, S. 367)


Nie dagewesene Zerstörung

Ein Jahrhundert einer in diesem Umfang nie dagewesenen Zerstörung ist über die menschliche Rasse gekommen - viele Millionen ganz normaler Menschen sind verdammt, Entbehrungen über Entbehrungen, Grausamkeiten über Grausamkeiten, Unheil über Unheil zu erdulden, die halbe Menschheit oder mehr ist einem als Gesellschaftspolitik getarnten pathologischen Sadismus ausgeliefert, ganze Gemeinwesen sind durch die Angst vor gewaltsamer Verfolgung organisiert und eingeengt, die Entwürdigung des einzelnen wird in einem nie gekannten Maße ins Werk gesetzt, Nationen werden von ideologischen Kriminellen, die ihnen alles rauben, zertrümmert und versklavt, ganze Bevölkerungen sind so demoralisiert, daß sie nicht imstande sind, sich morgens zu erheben, weil sie nicht den leisesten Wunsch haben, sich diesem Tag zu stellen... (Philip Roth: Der menschliche Makel, S. 176)


Korrupte Schwätzer

... er, der der Bildung diffuses Mißtrauen und im Grunde wenig Achtung entgegenbrachte, denn nur allzugern rückte er sie in die Nähe des Snobismus. Schließlich werden die armen Leute mit gebildeten Worten eingelullt, und genau auf diese Weise betrügen uns die "Bonzen", so seine Ansicht, "hinten und vorne und allesamt", wie er ebenfalls sagte. Den Gedanken, daß die Politiker alle korrupte Schwätzer seien, würde man ihm nicht austreiben können, alles bis auf die Kommunisten vielleicht, die er systematisch wählte, nicht so sehr aus Überzeugung als aus Berufstradition. An Bord leben die Hochseefischer in einem Gemeinschaftssystem und werden anteilig bezahlt, je nach Fangergebnis. (Benoite Groult: Salz auf unserer Haut, S. 70)


Von der Diktatur

Das Zweitdemokratischste ist, nach einer echten Republik, eine erbliche Diktatur. Ich meine eine Diktatur, in der nicht das geringste Brimborium um Verstand und besondere Eignung eines Amtsinhabers gemacht wird. Rationale - das heißt auf Auslese gegründete - Diktatur ist immer ein Fluch für die Menschheit, weil dort der gewöhnliche Mensch von irgendeinem eingebildeten Besserwisser, der keinerlei brüderliche Achtung vor ihm hat, falsch verstanden und falsch regiert wird. Die irrationale Diktatur hingegen ist immer demokratisch, weil sie den gewöhnlichen Menschen auf den Thron hebt. Die schlimmste Form der Sklaverei ist der sogenannte Cäsarismus oder die Wahl eines kühnen und hervorragenden Mannes, der als besonders geeignet gilt, zum Despoten. Das heißt nämlich, daß die Menschen einen Vertreter wählen, nicht weil er sie vertritt, sondern weil er es nicht tut. Einem gewöhnlichen Menschen wie Georg III. oder Wilhelm IV. vertrauen die Menschen, weil sie selber gewöhnliche Menschen sind und ihn verstehen. Einem gewöhnlichen Menschen vertrauen die Menschen, weil sie sich selbst vertrauen. Einem großen Menschen aber vertrauen die Menschen, weil sie sich selbst nicht vertrauen. Zum Kult der großen Männer kommt es deshalb immer in Zeiten der Schwäche und Feigheit; von großen Menschen hören wir immer erst dann, wenn alle übrigen Menschen klein sind. (Gilbert Keith Chesterton: Ketzer. Ein Plädoyer gegen die Gleichgültigkeit, S. 229)


Machtentwicklung

Grob gesagt gibt es drei Stadien im Leben eines starken Volkes. Es beginnt als kleinere Macht und kämpft gegen Großmächte. Schließlich ist es eine Großmacht und kämpft gegen kleinere Mächte. Dann wird es zur Großmacht und kämpft gegen Großmächte. Schließlich ist es eine Großmacht und kämpft gegen kleinere Mächte, wobei es behauptet, sie seien Großmächte, um die alten Emotionen und Eitelkeiten zu neuem Leben zu erwecken. Als nächstes wird es dann selber zur kleineren Macht. (Gilbert Keith Chesterton: Ketzer. Ein Plädoyer gegen die Gleichgültigkeit, S. 226)


Europa?

Zusammenschließen macht stark, aber auch schwach. Es bringt etwas, wenn man zwei Pferde vor einen Karren spannt; aber es bringt nichts, wenn man aus zwei zweirädrigen Hansoms eine vierrädrige Kutsche zu machen sucht. Aus zehn Nationen ein Reich zu machen, kann sich als ebenso leicht erweisen, wie wenn man aus zehn Shilling einen halben Sovereign macht; aber auch als so widersinnig, wie wenn man aus zehn Terriern eine Bulldogge machen wollte. (Gilbert Keith Chesterton: Ketzer. Ein Plädoyer gegen die Gleichgültigkeit, S. 218)


Das Profil des Politikers

Nun muß man gerechterweise sagen, daß sich jeder Kommunalpolitiker und überhaupt jeder Politiker profilieren muß, damit das träge und denkfaule Wählervolk ihn von anderen unterscheiden kann. Glückspilze unter den Politikern haben von vornherein irgend etwas an sich, was sie profiliert: haben einen extrem schiefen Mund, spielen Orgel, tragen eine komische Mütze, führen ständig eine Pfeife oder einen bestimmten dummen Spruch im Mund. Solche Glückspilze brauchen gar nichts weiter zu tun, sie haben ihr Profil, werden von den Wählern wiedererkannt und gewählt. Die anderen müssen eben schauen, wie sie zu einem Profil kommen, und da bietet es sich an, 'etwas zu fordern': ein Hallenbad, zum Beispiel. (Herbert Rosendorfer: Die Erfindung des SommerWinters, S. 225)


Richard Chamberlain

Wer mißverstanden wird, genießt gegenüber seinen Feinden stets den Vorteil, daß sie seinen Schwachpunkt oder seine Strategie nicht kennen. Mr. Chamberlain etwa illustriert sie hervorragend. Er schlägt seinen Gegnern ständig ein Schnippchen oder trägt über sie den Sieg davon, weil seine tatsächlichen Stärken und Schwächen ganz andere sind als die ihm von Freund und Feind zugesprochenen. Seine Freunde schildern ihn als kruden Geschäftemacher; tatsächlich aber ist er weder das eine noch das andere, sondern ein bewunderungswürdiger romantischer Redner und romantischer Schauspieler. Eine Stärke hat er, die das Geheimnis aller Melodramatik ist - die Fähigkeit, selbst wenn man eine Riesenmajorität hinter sich hat, so zu tun, als stünde man mit dem Rücken zur Wand. (Gilbert Keith Chesterton: Ketzer. Ein Plädoyer gegen die Gleichgültigkeit, S. 49)


Überdenken der Programme

Ich würde alle etablierten Parteien auffordern, ihre ursprünglichen Programme durchzulesen und sich zu fragen, was davon sie konkret ausgeführt haben und warum sie es nicht ausgeführt, sondern bewußt vergessen und ins nackte Gegenteil verkehrt haben und ob sie nicht zu ihren ursprünglich so guten Ideen zurückkehren wollen - Ideen, die auf inter- und überparteilicher Ebene durchaus gemeinsam friedlich zu verwirklichen wären. (Luise Rinser: Im Dunkeln singen. Tagebuch 1982-1985)


Schnitzler: Österreich II

Ob er zu weit gehe, wenn er sich gestatte, Österreich, in dem er sich übrigens seit Jahrzehnten zu Hause fühle, als das Land der sozialen Unaufrichtigkeiten zu bezeichnen. Hier wie nirgend anderswo gebe es wüsten Streit ohne Spur von Haß und eine Art von zärtlicher Liebe, ohne das Bedürfnis der Treue. Zwischen politischen Sympathien existieren oder entwickelten sich lächerliche persönliche Sympathien; Parteifreunde hingegen beschimpften, verleumdeten, verrieten einander. Nur bei wenigen fände man ausgesprochene Ansichten über Dinge oder Menschen, jedenfalls seien auch diese wenigen allzuschnell bereit, Einschränkungen zu machen, Ausnahmen gelten zu lassen. Man habe hier beim politischen Kampf geradezu den Eindruck, wie wenn die scheinbar erbittertsten Gegner, während die bösesten Worte hinüber und herüberflögen, einander mit den Augen zuzwinkerten: "Es ist nicht so schlimm gemeint." (Arthur Schnitzler: Der Weg ins Freie)


Österreich

"... dabei hat man doch überdies zuweilen eine dunkle Ahnung, daß in Österreich nicht das geringste sich ändern würde, selbst wenn man ein Jahr lang sein Bureau nicht beträte." Wie immer redete er von seinem Beruf und seinem Vaterland mit Ironie. Frau Ehrenberg entgegnete ihm, es gäbe ja doch keinen, der sein Vaterland mehr liebte und seinen Beruf ernster nähme, als gerade er. Er gab es zu. Für ihn aber ist Österreich ein unendlich kompliziertes Instrument, das nur ein Meister richtig behandeln könnte und das nur deshalb so oft übel klänge, weil jeder Stümper seine Kunst daran versuche. "Sie werden solange darauf herumschlagen", sagte er traurig, "bis alle Saiten zerpringen und der Kasten dazu." (Arthur Schnitzler: Der Weg ins Freie)


Politiker

Mit Bedauern stellte ich fest, daß man innerhalb von 24 Stunden bestenfalls zehn Minuten lang authentische sehens- und hörenswerte Nachrichten bringen kann, und das meiste handelt von Großbränden, Kälterekorden, Schneeverwehungen, blutrünstigen Mordtaten und Flugzeugabstürzen, was alles auch die aufgewärmten Nachrichten der Vorwoche hätten sein hätten sein können. Abgesehen von Skandalen in Regierungskreisen oder nationalen Katastrophen (nationale Tragödien reichen nicht mehr aus), geht in der Politik nichts Sehenswertes vor sich, und ich kann mir keine langweiligere Gestalten vorstellen als prominente Politiker, die ihren Geschäften nachgehen. Interessant werden sie erst, wenn man sie in einen Skandal oder eine Kastastrophe verwickelt sieht. Selbst den Zeitungen fällt es schwer, diese bürokratischen Automaten lebendig erscheinen zu lassen, die sich nicht voneinander unterscheiden, einerlei, welche gerade an der Regierung sind. Mag sein, diese Personen, die sich zum sogenannten Dienst an der Allgemeinheit entschließen, sind nicht langweiliger als wie anderen Zeitgenossen. (Joseph Heller: Überhaupt nicht komisch, S. 164)


Politische Wahlen

In mancher Hinsicht werden politische Wahlen unter noch ungünstigeren Umständen durchgeführt als Meinungsumfragen, da die semihypnotischen Wahlkampftechniken das Denkvermögen beeinträchtigen. Die Wahlen werden zu einem spannungsträchtigen Melodrama, bei dem es um die Hoffnungen und Ambitionen der Kandidaten, nicht um Sachfragen geht. Die Wähler können an dem Drama mitwirken, indem sie dem von ihnen favorisierten Bewerber ihre Stimme geben. Wenn auch ein großer Teil der Bevölkerung auf diese Geste verzichtet, ist doch die Mehrheit von diesem römischen Spektakel fasziniert, bei dem Politiker statt Gladiatoren in der Arena kämpfen. (Erich Fromm: Haben oder Sein, S. 175)


Arbeitenmüssen und Arbeitendürfen

So stehen wir vor der paradoxen Situation, daß in jenem historischen Moment, an dem der Ausgang aus dem Reich der Notwendigkeit ins Reich der Freiheit greifbar nahe scheint, nichts sehnsüchtiger erhofft wird als die Rückkehr ins Reich der Notwendigkeit. Es scheint beinahe so, schrieb Wolf Lepenies, als würde "das Arbeitenmüssen, einst das Schreckensbild der Mascheinenzivilisation, als Arbeitendürfen zur Sehnsucht der postindustriellen Gesellschaft." (Michael Baeriswyl: Chillout. Wege in eine neue Zeitkultur, S. 82)


Gut verteilte Mißerfolge

Ebenso wenig war es eines feinen Spieles würdig, immer zu siegen. Gewiß, an dem ultramontanen Katholizismus und an der unbeugsamen Privilegienstarrheit des Generals sollte kein Mensch zweifeln. Doch war es von Zeit zu Zeit gut, die Liberalen und roten Demokraten regieren zu lassen. Denn erstens darf man keiner politischen und gar einer feindlichen Partei die Gelegenheit zur Blamage nehmen und sie allzu lange in der vorteilhaften Stellung der Opposition dulden. Und ferner gibt es keine bessere Gewähr für Sympathie und Popularität als einige gutverteilte Mißerfolge. Die Menschen nämlich lieben die nicht, denen alles gelingt. (Franz Werfel: Die tanzenden Derwische. Erzählungen, S. 34)


Geld und harte Gesetze

Mag man es Resignation nennen, Abstumpfung oder die Weisheit, nicht mehr gegen Unabänderliches zu kämpfen, doch schien mir das Einzige, was helfen konnte, vielen ein angenehmeres Leben zu schaffen, eine gute Ausbildung zu sein, Geld und harte Gesetze. Menschen werden ohne empfindliche Geldstrafen ihr Verhalten nie ändern. Der Rest bliebe immer der Bosheit, der Dummheit und der Gier überlassen. Ich versuchte ein Leben zu führen, bei dem niemand zu Schaden kam. Mehr stand nicht in meiner Macht. (Sibylle Berg: Der Mann schläft, S. 72)


Was sich Frieden nennt

"Solche Friedenszeiten", ereiferte er sich gegen den Makler, der sich jedoch gar nicht mehr um ihn kümmerte, "hat es schon Hunderttausende davon geben, denn der Krieg ist nie zu Ende! Für gewisse Machenschaften das Wort FRIEDE anzuwenden, das ist... Pornographie! Und heißt: auf die Toten spucken! Jawohl, die Toten! Man berechnet ihre Zahl, und dann schickt man sie ins Archiv: abgeschlossener Vorgang! An den Gedenkttagen legen die Herren 'in tight' einen Kranz für den unbekannten Soldaten nieder..." (Elsa Morante: La Storia, S. 541)


Der Vorteil der Prozente

Wenn die Sache liegt, wie Sie sagen: Warum verschwendet dann der Staat Millionen an alle diese Anstalten zur Ausbreitung der Gelehrsamkeit? Ist es ihm um die Wahrheit zu tun? Dem Staat? Ein Staat kennt keinen anderen Vorteil, als den er nach Prozenten berechnen kann. Die Wahrheit will er nur so weit kennen, als er sie gebrauchen kann. (Christa Wolf: Kein Ort. Nirgends, S. 87)


Dankbarkeit einer Nachgeborenen

... daß ich für die große Verschonung, die Windstille eines langen Friedens, wahrhaftig so etwas wie Dankbarkeit entwickelt habe. (Gibt es eine Dankbarkeit ohne Adressaten?) (Silvia Bovenschen: Älter werden, S. 30)


Politikaster

"Diese Politikaster, fuhr der Wirt fort, sind sich nie einig, aber sie sagten alle das gleiche. Wollen Sie meine Meinung hören? Sie kratzen sich die Augen aus, aber gehen doch Hand in Hand. Sie palavern endlos über das armselige Essen der anderen, aber schlagen sich am selben Tisch den Bauch voll." (Henri-Frederic Blanc: Im Reich des Schlafes)


Raffgier

Die Raffgier ist etabliert als oberstes Gebot, und wer sich nicht daran hält, ist verloren und soll verloren sein. Und den Schock darüber siehst du überall, haben Matilda und Andreas und alle erzählt. Das ist ihre Absicht, auch die letzten sozialen Bedingungen und Sicherungen dem Markt zu unterwerfen. Die Schulen verkauften sie an die Bankiers, die staatlichen Altersversicherung an die Versicherungshaie, die Gesundheit machten sie wieder vom Bankkonto abhängig. Sie führen die freie Marktwirtschaft konsequent zu Ende als Mittel zur Spaltung, zur Zerschlagung aller gemeinsamen Anstrengungen, sie wollen das Volk zerstören und abschaffen und zu einer unpolitischen, müden Masse von Verbrauchern machen. (Friedrich Christian Delius: Adenauerplatz, S. 230)


Folgen des Überflusses

"Wehe der Nation, deren Masse in der Lage ist, ihren Neigungen zu folgen! Handel und Wandel sind zweifellos ein Segen, wenn sie innerhalb ihrer Grenzen bleiben, aber ein Überfluß an Wohlstand bringt einen Überfluß an Übeln mit sich. Er bringt falschen Geschmack, falschen Appetit, falsche Bedürfnisse, Verschwendung, Bestechlichkeit und Mißachtung der allgemeinen Ordnung. (Tobias G. Smollet: Humphry Clinkers denkwürdige Reise


Politik und Charakter

"Dort ist das andere große Phänomen, der Großpensionär von Holland, der Wetterhahn des Patriotismus, der sich in jede Richtung des politischen Kompasses einspielt und jetzt noch den Wind der Popularität in seinem Schwanz verspürt. Auch er ist ein gewaltiger Komet, der über dem Horizont des Hofes wieder aufgestiegen ist! Wie lange er aber zu sehen sein wird, läßt sich schwer voraussagen, da er zu exzentrisch ist. Wer sind die beiden Satelliten, die seinen Bewegungen folgen?" Als Barton ihm die Namen nannte, bemerkte Mr. Bramble: "Über deren Charakter kann ich Auskunft geben. Einer von ihnen hat zwar keinen Tropfen roten Blutes in seinen Adern, dafür aber einen kalten, berauschenden Dunst im Kopf und genug Haß im Herzen, um ihn der ganzen Nation einzuimpfen. Der andere soll, wie ich höre, in die Regierung berufen werden, und der Pensionär bürgt für die entsprechenden Fähigkeiten. Den einzigen Beweis seines Scharfsinns, den er erbrachte, war das Imstichlassen seines früheren Wohltäters, als er merkte, daß es mit dessen Macht abwärtsging und er beim Volk in Ungnade fiel. (Tobias G. Smollet: Humphry Clinkers denkwürdige Reise, S. 146)


Zusammenhänge

Vor Jahren habe ich meine Bekannten mit Engels' Artikel über die Urschweizer traktiert. Wie groß war mein Vergnügen, wenn Engels den Sieg der Schweizer bei Sempach und Morgarten als Sündenfall darstellte, der die Schweizer für immer von der europäischen Zivilisation ausschloß, und wie begeisterte mich seine Bemerkung, daß es nötig wäre, einige tausend Schweizer an die Wand zu stellen, um sie in den Kreislauf der Weltgeschichte zu zwingen. Überhaupt charakterisiert der großzügige Umgang mit Leichenbergen, den Engels als Indiz gesellschaftlichen Fortschritts für unumgänglich hielt, die Verrohung, die im revolutionären Ideal des Marxismus steckt. Es ist die hochmütige Freude, Sachverhalte ausschließlich durch die Brille der erkennenden Vernunft zu ordnen. Man schwelgt in dem Vergnügen, alles begriffen zu haben, und auch die tragischsten Verwicklungen werden so scheinbar aufgelöst, oder doch wenigstens gebessert. Es ist dies eine Position der ewigen Überlegenheit, der etwas Herzloses, Zynisches anhaftet. Man erfährt nie das Gefühl der Betroffenheit oder eine Ahnung davon, daß sich die meisten Dinge dieser Welt durch den Verstand allein nicht bessern lassen. (Hartmut Lange: Tagebuch eines Melancholikers, S. 24)


Eine stärkere Kraft

Es gibt also eine Kraft, die stärker ist als alle unsere Überlegungen. Wir schreien, ein Krieg sei Raub, Barbarei, Grauen und Brudermord, wir können kein Blut sehen, ohne ohnmächtig zu werden, aber die Franzosen oder die Deutschen brauchen uns nur kränken, da bemächtigt sich unser sofort Enthusiasmus, wir schreien ganz aufrichtig Hurra und stürzen uns auf den Feind, Sie werden für unsere Waffen Gottes Segen erflehen, und unser Heldenmut wird allgemeine und dabei aufrichtige Begeisterung hervorrufen. Abermals gibt es also eine Kraft, die, wenn nicht höher, so doch stärker ist als wir und unsere Philosophie. Wir können sie ebensowenig aufhalten wie diese Wolke da, die vom Meer heraufzieht. (Anton Cechov: Das Duell)


Geschichtsbilder

Die Geschichtsbücher sind voll von Jahreszahlen über Kriege und Friedensschlüsse, über Kongresse und andere Großtaten, von den einfachen Leuten wissen sie nicht viel zu berichten. Da schweigen sie, davon wissen sie nichts, weil es keiner der Mühe wert gefunden hat, darüber etwas aufzuschreiben. Jetzt soll es ja angeblich besser werden. Wahrscheinlich sind die Könige, Kaiser und Päpste nun wirklich endgültig ausgeforscht, so daß sich die arbeitslosen Geschichtswissenschaftler nun etwas weiter unten umschauen. Bis zu den bedauernswerten Arbeitern, die am Freitagabend den Lohn vertrinken oder vertrunken haben und ihre Familien ins Elend und Unglück gestürzt haben, sind sie aber noch nicht vorgedrungen, die Landgasthäuser haben sie noch nicht erreicht, sie sind halt immer noch außerhalb der Bannmeile. Das Weichbild unserer Dörfer, oder soll ich sagen den harten Kern, haben sie noch nicht im Blick. Viele Historiker wissen nicht, wie es wirklich zugeht auf dieser Welt. Mich hat noch nie einer gefragt, wie es wirklich gewesen ist. (Alois Brandstetter: Hier kocht der Wirt)


Doch nicht so schlimm

Ich habe den Eindruck, daß die Leute im allgemeinen ganz zufrieden sind. Diese unzufriedenen Massen existieren nur im Feuilleton des 'Aftonbladet' und bei einigen jüngeren konservativen Wirtschaftswissenschaftlern. Es gibt eine ganze Menge Unzufriedenheit und verdammt viele Leute, die herummeckern, aber geh nur mal in die Stadt und schau dich um. Sieht so denn wirklich eine Gesellschaft aus, die am Rande der Katastrophe steht? (Lars Gustafsson: Das Familientreffen)


In Amerika...

"Der Gedanke, daß die Intellektuellen eine Art Volksgruppe darstellen, ist natürlich nicht neu. Amerika ist sowieso kein gutes Pflaster für Intellektuelle. Nehmen Sie nur das Fernsehen. Da sind Professoren automatisch kauzige Exzentriker mit dem Temperament einer Großmutter; alle Idealisten sind immer entweder Fanatiker oder heilige, kleine Hitler oder Jesusse. Kinder, die lesen, tragen eine Brille und wünschen sich insgeheim, sie können so gut Baseball spielen wie die anderen. Wir beurteilen einen Mann lieber nach dem Geruch seiner Achselhöhlen. Und wir mögen es, wenn sein Geist von jener sturen Loyalität beherrscht wird, die wir an Hunden so bewundern. (John Irving: Rettungsversuch für Piggy Sneed. Sechs Erzählungen und ein Essay)


Mit 1979er Blick...

"Vielleicht kann man nur noch kalte Kriege gewinnen. Der Ostblock hätte doch keine Chance gehabt. Bei allem Schauder vor der brutalen Mafia der Banken und Konzerne: der schlechteste Kapitalismus scheint immer noch besser zu sein als der beste Sozialismus. Im Kapitalismus können Sie alles mit Geld bezahlen, wenn Sie es haben, natürlich. Aber im Sozialismus ist Gesinnung die Münze, mit der die Leute dort bezahlen müssen. Was geben Sie lieber her? Ihr Geld oder Ihre Gesinnung? Eben. Der Sozialismus, der alle Hände voll zu tun hat, mit Hilfe einer aufgeblähten Bürokratie die Gesinnung seiner Untertanen einzukassieren, hätte, wirtschaftlich gesehen, keine Chance gegen den Kapitalismus gehabt. Ich glaube, das könnte man ausrechnen. Wenn die ernsthafte Rohstoffkrise kommt, hätten sie klein beigeben müssen. (Herbert Rosendorfer: Das Messingherz)


Sozialdemokratie

Die Roten sind dumm und ehrlich, und die Schwarzen sind dumm und korrupt. Und die Roten sind außerdem überflüssig. Sehen Sie doch: vor hundert Jahren, oder sogar noch vor achtzig Jahren, wären doch Sie und ich glühende Sozialdemokraten gewesen, oder? Lesen Sie nach, wie schlecht es den kleinen Leuten damals gegangen ist. Die Sozialdemokratie und ihr alter ego, die Gewerkschaften, waren eine Notwendigkeit, waren eine Erlösungsbewegung, waren der Silberstreif am Horizont für die ganz armen Teufel, die einzige Hoffnung. Aber: inzwischen sind die armen Teufel erlöst. Was will denn die Sozialdemokratie heute? Wen will sie denn noch erlösen? Wessen Lage will sie denn verbessern? Sie hat ihre Aufgabe gelöst, sie hat sie sogar gut gelöst. Die Sozialdemokratie war ein notwendiges Werkzeug der Geschichte, aber jetzt wird es nicht mehr gebraucht. Lichtputzschere - wer braucht heute noch eine Lichtputzschere? Nostalgiker. Oder Schuhknöpfler. Wissen Sie, was ein Schuhknöpfler ist? Eine Art Drahtlöffelchen, mit dem wir als Kinder die Knöpfelstiefeletten zumachen konnten. Lichtputzschere und Schuhknöpfler... das ist heute die Sozialdemokratie. Und, glauben Sie mir: sie weiß es. Die Klügeren dort wissen es. Deswegen sind sie so hilflos, in sich zerrissen. Keine vaterlandslosen Gesellen, nein, ziellose Gesellen." (Herbert Rosendorfer: Das Messingherz)


"Familien"politik

Über Politik gab es bei uns zu Hause heftigste Diskussionen, die mit Zornausbrüchen, weggeworfenen Servietten und zugeschlagenen Türen endeten. Das war in den ersten Jahren des Faschismus. Ich kann mir nicht mehr erklären, wieso mein Vater und meine Brüder so heftig diskutieren, da sie doch alle, glaube ich, gegen den Faschismus waren. In letzter Zeit erkundigte ich mich bei meinen Brüdern danach; aber keiner konnte mir Auskunft geben, obwohl sie sich an diese heftigte Streite erinnerten. Ich vermute, daß mein Bruder Mario aus Widerspruchsgeist Mussolini gegenüber meinen Eltern irgendwie verteidigte, was meinen Vater natürlich rasend machte, der mit meinem Bruder Mario über alles stritt, weil Mario immer gegenteiliger Meinung war. (Natalia Ginzburg: Familienlexikon)


Die, die übrig bleiben

"Politik", sagte er mißbilligend, "ist die Metaphysik der Ungläubigen; ich halte mich von aller Metaphysik fern. Mit uns Ärzten kommt Ordnung in die Welt." Er teilt die Welt in kleine, viereckige Abteilungen ein, betrachtet sie kritisch und fegt dann irritiert alle Unruhemomente vom Tisch. "Bald", sagte er, " wird es uns glücken, den endgültigen Religionskrieg anzuzetteln: Er wird ein Feuer sein, das alle vernichtet, außer denen, die klar und ruhig denken, mißtrauisch und abseits geblieben sind. Dann werden wir von unseren Höhlen in die Berge zurückkehren" (sagt er triumphierend und hämmert mit seinen Keulen von Fäusten auf den Tisch), "und nur noch die Mißtrauischen werden übriggeblieben sein, wir werden die Welt vernünftig ordnen, da wir die Vernunft mit in die Berge genommen haben und sie gemeinsam mit uns selbst überleben ließen." (Zsuzsa Bank: Der Schwimmer, S. 66)


Es lebe die Provinz!

"Ich schäme mich heute noch, daß wir ihm beim Vorschlag der Gouvernements so zugesetzt haben, und dabei hat er so recht gehabt, so recht... Erinnern Sie sich noch, John, wie richtig er argumentiert hat? ... Gerade dezentralisierte Ordnung ist richtig, hat er gesagt... Je kleiner die Gebiete, um so besser. Sie blasen dem Nationalismus das Lebenslicht aus, vor allem aber vermindern sie Unrecht und Unmenschlichkeit... So was sieht man in so einer kleinen Provinz zu schnell und wehrt sich dagegen. In großen Räumen bleibt der Mensch viel gleichgültiger gegen all das, er nimmt jede Schweinerei zu leicht hin! ... Wie gescheit, wie großartig war das, als er immer wieder sagte: 'Provinziell muß die Welt werden, dann wird sie menschlich!'" (Oskar Maria Graf: Erben des Untergangs)


Politikerschelte

"Der Mensch, sagt Hädecke, ist außerstande, sich eine echte Katastrophe vorzustellen. Deshalb blendet er ab. Mag sein... der eine oder andere Politiker, glauben Sie: ich ärgere mich oft grün und blau, wenn ich daran denke, daß eine so edle Staatsform wie die Demokratie es zuwege gebracht hat, daß die Begriffe Politiker und Schwachkopf identisch geworden sind. Wenn man sie schon reden hört, denen die sozusagen himmelblaue Inkompetenz bei jedem Wort aus dem Munde leuchtet... und das sind dann eher noch die Besseren. Von den andern, denen die mattweiße Dummheit von der Halbglatze schimmert, von denen rede ich gar nicht-" (Herbert Rosendorfer: Das Messingherz)


Eigennutz

Eine gewissen Sentimentalität ist ja das Öl jeder politischen Debatte. Man regiert die Nationen entsprechend ihrem eigenen Vorteil, aber sie glauben lieber an uneigennützigere Ziele, und ein Politiker tut gut daran, seine Wählerschaft mit schönen Worten und klingenden Phrasen davon zu überzeugen, daß sein harter Kampf um jeden Gewinn für sein Land eigentlich dem Wohl der Menschheit dient. (William S. Maugham: Lord Mountdrago)


Von der Macht

Jeder Mächtige verliert irgendwann den Kontakt zur Realität. Die Realität setzt sich aus persönlichen Referenten und Abteilungsleitern zusammen und aus gelegentlichen Auftritten, wo einem alle zujubeln. Deswegen wäre es klug, Spitzenämter auch in Deutschland auf zwei Legislaturperioden zu beschränken. Dann hätten wir mehr gesunde Politiker. Ob jemand einen Machtkoller hat oder nicht, kann man übrigens sehen, indem man sich seine Mitarbeiter anguckt. Die Mitarbeiter, die jemand sich auswählt, entstellen ihn zur Kenntlichkeit. Schwache Chefs multiplizieren sich selbst, sie fördern das Unwesen von schwachen, intriganten Subchefs, die umso erfolgreicher sind, je besser sie die Neurosen ihrer Chefs widerspiegeln, buckelnde Zwerge, deren Ziel es ist, alles vom Chef zu wissen. Teilweise ist das verständlich: Wenn man Chef ist, kommen ständig Leute, die über Probleme berichten. Da wird man süchtig nach einem guten Wort. (Wolfgang Nowak)


Zukunft der Politik

Es ist nicht unvorstellbar, daß in einer nicht allzu fernen Zukunft der Beruf des Politikers wegen der dauernden Schmähungen derart unattraktiv geworden ist, daß die notwendigen Staatsgeschäfte nur noch von uneitlen und unscheinbaren Verwaltungsfachleuten abgewickelt werden, denen jegliches Bedürfnis nach Image und Charisma, jegliches Gelüst nach Macht und öffentlichen Tönen restlos abhanden gekommen ist. Auf daß wir Literaten uns endlich dem einzig würdigen Thema zuwenden können: der Beschreibung der Liebe und ihrer Verwicklungen; in einem Leben mit geringen politischen Problemen nämlich werden die Probleme der Liebe ein bisher ungeahntes Ausmaß annehmen. (Joseph von Westphalen: 33 weiße Baumwollunterhosen, S. 156)


Klubzwang

Besonders zuwider war mir bei den Überlegungen der Gedanke gewesen, daß alle Politiker Parteipolitiker sind, daß sie also immer und überall weniger sich selbst als die Partei repräsentieren und nicht eine eigene Meinung, sondern die Meinung und Gesinnung ihrer "Gesinnungsgemeinschaft" einehmen und vertreten. Die Parteilinie ist den Parteipolitikern wie eine Gewissen einprogrammiert, sie stehen ständig unter Klubzwang. (Alois Brandstetter: So wahr ich Feuerbach heiße)


Verlegung der Wahllokale

Die meisten Wähler verdrücken sich gehemmt in die Kabinen und zupfen verlegen am Vorhang. Man sieht Füße. Manchmal fällt ein Wahlzettel zu Boden und wird hastig aufgehoben. Bei manchen geht es schnell, bei manchen dauert es länger. Es wird genestelt, geatmet, geschwitzt. Der ganze Vorgang hat deutlich etwas Obzönes. Kaum einer kommt befreit aus der Kabine. Keine Erlösung. Eine mißlungene Onanie. Die Mischung aus geheim und öffentlich ist nicht befriedigend. Man sollte die Wahllokale in abschließbare öffentliche Toiletten verlegen. Nach den Scheißhausparolen der Wahlschlacht wären sie dort besser aufgehoben. (Joseph von Westphalen: 33 weiße Baumwollunterhosen) ^


Wahlen I

Nie fühlt man stärker als bei der Wahl die Macht der Dummheit und die Schwäche der Vernunft. Der große Tag der Demokratie ist ein Tag der Niederlage und der Schmach. Egal, welche Partei siegt oder Verluste einsteckt) oder, was neuerdings auch möglich ist, welche als Verlierer dennoch der eigentliche Gewinner der Wahl zu sein vorgibt): Tatsächliche Gewinner sind die Werbeagenturen und ein undurchschaubares Gebilde namens Mehrheit. (Joseph von Westphalen: 33 weiße Baumwollunterhosen) ^


Wahlen II

Die Wahl ist längst zu einem Sportereignis verkommen. Wie dort um Punkte und Sekundenbruchteile, geht es bei der Wahl um Bruchteile von Prozenten; und diese völlig bedeutungslosen Zahlenvorsprünge, die im Sport willkürlich den Weltmeister machen, bescheren uns Politiker, denen wir vier Jahre ausgeliefert sind, wenn nicht ein gütiges Schicksal die Gestalt vorzeitig hinwegrafft. (Joseph von Westphalen: 33 weiße Baumwollunterhosen) ^


Wahlen III

Ernsthaft zur Wahl stehen seit Jahrzehnten Parteien, die man nicht ernsthaft wählen kann. Wir haben die Wahl zwischen verschiedenen Brechmitteln, die sich als Heilmittel ausgeben. Markig und infam verkünden austauschbare Sprüche von den Plakatwänden diversen Unsinn über Freiheit und Zukunft. Dazu feixen ebenso austauschbar die aufgepumpten Gesichter von Gestalten, die kaum einer von uns in seiner Wohnung dulden würde. (Joseph von Westphalen: 33 weiße Baumwollunterhosen) ^


Nicht dumm, sondern einsichtig

Wenn die Politiker nicht die Nerven verlieren und sich nach einem Skandal selbst entleiben, bleibt nach einer Weile nichts von den noch so bewiesenen Vorwürfen zurück. Sie werden wiedergewählt. Daß das Volk strohdumm ist, darf man ja in einer Demokratie nie sagen. Also ist das Volk nicht dumm, sondern einsichtig. Es empfindet Dreck als menschlich und wählt die besudelten Politiker wieder, sobald der Schlamm trocken und ausgebürstet ist. (Joseph von Westphalen: 33 weiße Baumwollunterhosen) ^


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