Sprache (1)

Verbale & Nonverbale Kommunikation [^^] [^]


Themenstreusel: Sprache
Geriatrie
Karl Jaspers Sprachmächtigkeit
Ein Buch aus vielen Sprachen
Verbotene Ausdrücke
Computerenglisch
Schlecht
Grundrost von Tatsächlichkeiten
Epigrammatisch knapp
Die Muttersprache bereichern
Das innige Element
Lingua franca?


Geriatrie

Am frühen Nachmittag des nächsten Tages fuhren Anna und Carl hinüber nach Liesing und betraten die weitläufige Parkanlage des Geriatrischen Zentrums. Früher hatte es Pflegeheim geheißen. Aber offensichtlich störte man sich neuerdings an einem solchen Begriff, wie man sich ja an einer Menge dieser alten und unmißverständlichen Wörter störte und begonnen hatte, Schwammigkeit mit Würde zu verwechseln. Es war jedoch kaum würdevoll zu nennen, Begriffe durchzusetzen, die richtig auszusprechen, Mühe bereitete. Geriatrie war ein dämlicher Zungenbrecher, ein Wort, das sich einem solange im Mund verdrehte, bis man dann eben doch wieder von Altenpflege redete. (Heinrich Steinfest: Ein dickes Fell) ^


Karl Jaspers Sprachmächtigkeit

Karl Jaspers bewunderte ich für seine Fähigkeit, frei sprechend einen Satz zu beginnen, ihn mit einem Nebensatz zu unterbrechen, in diesen einen Einschub einzufügen, in den Einschub eine Parenthese und in diese eine weitere Klammer, dann die drei Klammern eine nach der andern zu schließen und mit einem Obwohl den ersten Nebensatz ein weiteres Mal auf seine Auflösung warten zu lassen und, in diesem Nebensatz im Nebensatz, einige Gegenargumente zu versammeln; endlich mit vollendeter Sicherheit alle frei herumbaumelnden Satzfäden aufzugreifen, zusammenzuknoten und seine Gedanken ohne die geringste Mühe zu einem guten Ende zu führen. Zu jenem finalen nicht, das mich zwang, das Gehörte und halbwegs Verstandene nochmals neu zu bedenken, im Licht der Verneinung diesmal. (Urs Widmer: Reise an den Rand des Universums. Autobiographie) ^


Ein Buch aus vielen Sprachen

Jetzt haben wir die Theorie aufgestellt, daß man nicht in allen Sprachen alles gleich gut ausdrücken kann. Daß man viele Sprachen können müßte, um alles so auszudrücken, daß es nicht wie eine Lüge aussieht. Daß man, wenn man viele Sprachen kann, vielleicht einmal ein Buch schreibt, in dem alles in der Sprache ausgedrückt ist, in der man es am besten ausdrücken kann. Ein Buch, das aus ganz vielen Sprachen besteht. (Günter Ohnemus: Alles was du versäumt hast)  ^


Verbotene Ausdrücke

Im Abschnitt über die Erbkrankheiten gab es nur ein einziges Foto. Es zeigte ein grinsendes mongoloides Kind mit einem Schmetterling auf der Hand. Sah aus wie ein Kohlweißling. Ausgerechnet. Was sollte das denn? Der Schädling und die Mißgeburt. Früher hieß das noch Trisomaler Schwachsinn. Aber das durfte man heute nicht mehr sagen. Was man alles nicht mehr sagen durfte: Neger, Fidschis, Zigeuner, Zwerge, Krüppel, Sonderschüler. Als ob damit irgendwem geholfen wäre. Sprache war doch dazu da, klarzumachen, was gemeint war. (Judith Schalansky: Der Hals der Giraffe) ^


Computerenglisch

Natürliche Sprachen haben eine zeitliche Resonanz und sind deshalb voller Leben. Computerenglisch ist hypertot, weil es nie gelebt hat, ein künstlicher Verkehr. Die behrrschende Sprache der Moderne ist eine tote Sprache, und das beeinflußt die tiefsten Gedankensysteme der Gesellschaft. Sie sind dadurch weniger mit der Natur kompatibel als mit der Künstlichkeit. Weniger am Leben interessiert als am Tod. Lebende Sprachen pflanzen sich von selbst fort, setzen Silben in die Welt, strecken den Satzbau, sind vieldeutig, diffus und suggestiv wie Sex; reich, vieltönend, verschwenderisch, vokativ, evokativ und provokativ. Mal schlüpfrig vor fiktiver Faszination, mal steif vor strenger Wahrheit, mal von beißender Absurdität gekitzelt - die Sprache schwelgt und gedeiht in einem sorglosen, glänzenden, ineffizienten Aufschrei: ich lebe! Computerenglisch ist eine Sprache, so steril und bedürfnislos wie ein Tod in einem Krankenhaus. (Jay Griffiths: Slow Motion. Lob der Langsamkeit) ^


Schlecht

Das Wort "schlecht" hat bekanntlich seine Bedeutung radikal verschlechtert. In "recht und schlecht", was keinen Gegensatz anzeigt, sondern zweimal ungefähr das gleiche, nämlich etwas Positives meint, haben wir noch eine Erinnerung an die alte Bedeutung, auch im wurzelverwandten, ja mehr als verwandten, verschwisterten, zwillingsverschwisterten Wort "schlicht" klingt die alte gute Notierung noch an. Auch in "schlechtweg". (Alois Brandstetter: Die Burg)  ^


Grundrost von Tatsächlichkeiten

Wohl befand er sich seit elf Jahren eingefügt in den Grundrost von Tatsächlichkeiten, der uns beruht, in unser Bewußtsein herauf jedoch eine bloß verzeichnende Kenntnis sendet. Nur wenn man lügt und Sachen ganz anders erzählt, als sie wirklich gewesen sind, oder solche, die überhaupt nie waren, dann spannt und staucht sich dieser Rost ein wenig, und es entsteht eine Art Schwellung, ein Tumor der Lüge, welcher den redenden Mund als solchen isoliert und ihn von seinen Quellen und einer eigentlichen Sprache trennt. Viele Menschen neigen in solchen Fällen auch zu einer wirklich geschwollenen Redeweise, hinter der natürlich die Wahrheit ganz verschwindet. Niemandem ist recht wohl dabei. (Heimito von Doderer: Die Dämonen)  ^


Epigrammatisch knapp

"Feierlich wird, bei wem's zur Genauigkeit nicht langt; und wer sich in seinem Gebrauche der Sprache vom Konventionellen nicht zu entfernen vermag, braucht fünfmal so viel Wörter als einer, der's epigrammatisch knapp abmacht. Zwei ordentliche Schrauben halten ein Wandbrett besser als fünfzehn kleine Nägel. Ich sprach rein formulativ." "Formulativ ist gut", sagte ich, "meinetwegen auch epigrammatisch! Sie scheinen in irgendeinem Depot sich wieder ausreichend mit Fremdwörtern eingedeckt zu haben." (Heimito von Doderer: Die Dämonen) ^


Die Muttersprache bereichern

Die Muttersprache zugleich reinigen und bereichern ist das Geschäft der besten Köpfe. Reinigung ohne Bereicherung erweist sich öfters als geistlos... der geistreiche Mensch knetet seinen Wortstoff, ohne sich zu bekümmern, aus was für Elementen er bestehe, der geistlose hat gut reinsprechen, da er nichts zu sagen hat. Wie sollte er fühlen, welches künstliche Surrogat er an der Stelle eines bedeutenden Wortes gelten läßt, da ihm jenes Wort nie lebendig war, weil er nichts dabei dachte? Es gibt gar viele Arten von Reinigung und Bereicherung, die eigentlich alle zusammengreifen müssen, wenn die Sprache lebendig wachsen soll. Poesie und leidenschaftliche Rede sind die einzigen Quellen, aus denen dieses Leben hervordringt, und sollten sie in ihrer Heftigkeit auch etwas Bergschutt mitführen, er setzt sich zu Boden und die reine Welle fließt darüber hin. ^


Das innige Element

Was die Sprache verwirrt und verrückt und auf irgendeine Weise den klaren und lauteren Fluß trübt, das hat auch den Einfluß der Verwirrung, Verrückung und Trübung des ganzen Volkes. Denn ein geistigeres und innigeres Element als die Sprache hat ein Volk nicht. Will also ein Volk nicht verlieren, wodurch es Volk ist, will es seine Art mit allen Eigentümlichkeiten bewahren, so hat es auf nichts so sehr zu wachen, als daß ihm seine Sprache nicht verdorben und zerstört werde. (Ernst Moritz Arndt) ^


Lingua franca?

Als sie zum Lager zurückwanderten, hörten sie eine Sprache, die nicht die ihre, aber auch keine fremde Zunge war. Zwei Männer setzten eine Schaufel instand, deren Stiel sich vom Blatt gelöst hatte. Der größere der beiden, der die Anweisungen gab, war ein englischer Vormann, und der kleinere, der Besitzer der Schaufel, ein französischer Bauer. Als lingua franca benutzen sie ein Patois, das teils Englisch, teils Französisch war und im übrigen eine olla podrida aus anderen Sprachen. Doch selbst die den Lauschern vertrauten Wörter waren in eine verzerrte Fasson gepreßt; und jede Grammatik war gewaltsam verrenkt. Aber die Schaufelflicker, die dieses Makkaroni fließend beherrschten, verstanden einander tadellos. "So werden wir in Zukunft alle reden", behauptete der Student mit jäher Zuversicht. "Keine Mißverständnisse mehr. Die Völker bringen ihre Differenzen in Ordnung, wie diese beiden Burschen ihre Schaufel in Ordnung bringen." "Das Ende aller Poesie", sagte Madame Julie mit einem Seufzer. "Das Ende aller Krieg", konterte Charles-Andre. "Unsinn", gab Dr. Achille zurück. "Lediglich andere Poesie, andere Kriege." (Julian Barnes: Dover - Calais. Erzählungen)  ^


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