Anwerbung fürs Geschäft


von Steffen Mensching

Neben Telefon und Faxgerät türmen sich halbmeterhohe Stapel Briefe, Bestellungen, Quittungen. Schönen Beruf haben Sie, sage ich, um etwas zu sagen. Mein Freund, es ist wie mit einer Frau, die neben einem alt wird, am Ende ist es nur noch Qual. Man bleibt aus Gewohnheit zusammen. Ich habe ein paar Millionen Bücher in den Händen gehabt, ein paar Tausend zuviel. Ich will aussteigen aus dem Geschäft, bin müde. Waffenhändler? Ja. Weinhändler? Großartig. Da kann man Geld machen. Aber Bücher? Wer kauft heutzutage noch Bücher? Ich, sage ich grinsend. Jack lacht. Kauf sie alle, 4000 Stück, mach mich glücklich, wenn du mich auch nicht reich machen wirst. Zwanzigtausend Dollar. Ich lache zurück. Wenn ich Millionär wär, sofort würde ich - mein Kopf rechnet, 20.000 durch 4.000, also pro Buch 5 Dollar, acht Mark beim jetzigen Kurs - soll meine Familie verhungern? Klage nie über Geld, nuschelt Jack, gibs dus weg, kommt es wieder. Wie ein Hund. Angsthasen werden gebissen. Eben, sag ich, hab ich. Was? Angst vor Hunden.

Ich dachte, ihr Deutsche kennt so was nicht. Was machst du beruflich? Buchhändler? Ich schreibe. Das hatte ich befürchtet, sagt Jack. Bestseller? Später mal, wenn ich groß bin, genug habe von der echten Kunst, will ich damit anfangen. Falsch. Jetzt mußt du anfangen, sofort, heute noch. Schreibe einen schrecklichen, schrecklich erfolgreichen Roman, kauf dir von den Tantiemen diese herrlichen Bücher. Nein, besser noch, kaufe erst meinen ganzen Laden, dann schreibe den schrecklichen, schrecklich erfolgreichen Roman. Wer weiß, wann du damit fertig bist. Kann sein - Gott bewahre - ich sterbe, werde ermordet - du weißt, wir haben einen neuen Bürgermeister, ein harter Mann, aber New York ist New York-, oder andere Touristen kaufen die Bücher weg. Early birds finden die besten Körner. Eine echte Chance, diese Kollektion, einen besseren Grundstock für einen Versandbuchhandel kannst du dir nicht wünschen. Ich will kein Antiquar werden, sage ich und denke, jetzt will er dich in ein Geschäft ziehen, das angeblich am Boden liegt. In Deutschland wirst du sie reißend los. Alles Raritäten. Stefan George, Bondi Berlin, 1928, Goldprägung. Magst du George? Überhaupt nicht. Bestens, verkaufe ich. Für das Geschäft bin ich nicht der richtige Mann. Schade.

Zurück in die Kammer. Ich müßte ja verrückt sein, meschugge, 4.000 Bücher. Andererseits. Unsinn. 35.000 Mark. Lottospielen? Turnübungen auf der Leiter. Ich setze den rechten Fuß auf einen Kartonstapel, der sich leicht neigt, ziehe, im Spagat stehend, vom obersten Regalbrett einen schmalen Gedichtband, in der Größe eines Reisepasses. Hilde Marx: Bericht, in New York gedruckt 1951. Ein Buch, das ich gern haben würde, aber nicht haben kann. Mein Budget ist erschöpft. 200 Dollar, keinen Quarter, keinen Dime mehr. Jack telefoniert. Günstige Gelegenheit, die bekanntlich Diebe macht. T-Shirt aus der Hose, Bauch einziehen, der Band gleitet in den Schritt, kühl klebt das Papier an der Haut. Kontrollblick Richtung Füße. Nichts zu sehen. Aber wird der fadengeheftete Pappband die Entführung überstehen, die Hosen sind so naß, als sei ich gerade aus dem Hudson aufgetaucht. Hände vors Geschlecht, saublöde Geste, die an Hitlers Veitstänze erinnert. Ziemlich geschmacklose Nummer, sich mit einem Gedichtbändchen im Genitalbereich davonzuschleichen. Den Rücken zur Tür drehen, in den Bund greifen.

Was gefunden? Ich zucke zusammen, ertappt. Sorry, sagt Jack, wollte dich nicht erschrecken. Angeboren, sagte ich, der Schreck hat seine Bedeutung im Fehlen der Angstbereitschaft, ein Satz von Freud, den ich stets mit Freude zitiere. Wieder ein Witz? Die Wahrheit, nichts als die Wahrheit. Möchtest du das? Er nimmt mir das Objekt der Begierde aus der Hand. Kostet wieviel? Dreißig. Exilpresse, kleine Auflage, mit Widmung der Autorin. Hab ich gar nicht gesehn. Mit guten Wünschen, Hilde Marx. In grüner Tinte, leicht verwischt. Zu teuer, sage ich. Für mich. Interessante Frau, irgendwo habe ich einen Brief von Hans Habe an sie. Da beschwert er sich, er sei nie Kommunist gewesen, was sie wohl behauptet hatte. Jack beginnt in einem Glasschrank einen Stapel Briefe durchzusehen. Naja, es gab nach dem Krieg in Amerika bessere Reklame als ein rotes Parteibuch. Bist du Kommunist? Du kommst doch aus dem Osten? War doch nicht ganz unüblich bei euch. Ich bin Marxist, glaube ich. Glaubst du? Jack grinst. Läßt dir noch eine Hintertür offen? Ein Fehler, mein Freund, eine schöne Idee, trotzdem ein Fehler.


Mensching, Steffen: Jacobs Leiter, Berlin: Aufbau-Taschenbuch-Verlag, 2004. 425 S. ISBN: 3-7466-2073-2


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