Bibliomanische FAB  / [D]


A  B  C  D  E  F  G  H  I  J  K  L  M  N  O  P  Q  R  S  T  U  V  W  X  Y  Z   [^] 

Dahl, Roald: Schatz in der Kiste

  Ich langte in den Fond des Wagens, wo ich meine Bücherkiste stehen hatte, und nahm ohne hinzusehen das erste heraus, das mir unter die Finger kam. Die Kiste enthielt dreißig oder vierzig der besten Bücher der Welt, und man konnte jedes davon hundertmal lesen. Sie wurden bei jedem Lesen nur besser. Welches ich ergriff, war Nebensache. (Roald Dahl: Der Besucher)


Dahn, Felix: Bücher schreiben, drucken, lesen

  Bücher zu schreiben ist leicht, es verlangt
nur Feder und Tinte, und das geduld'ge Papier.
Bücher zu drucken ist schon schwerer, weil oft
das Genie erfreut unleslicher Handschrift.
Bücher zu lesen ist noch schwerer von wegen
des Schlafs. Aber das schwierigste Werk,
das ein sterblicher Mann bei den Deutschen
auszuführen mag, ist zu verkaufen ein Buch.


Dante Alighieri: An jenem Tage ...

  Dann hab ich mich an sie gewandt zur Antwort
Und sagte noch: "Francesca, deine Qualen
Erregen mich zum Mitleid und zum Weinen;
Doch sage mir: Zur Zeit der süßen Seufzer,
Womit und wie hat Liebe euch gewähret,
Daß ihr erkannt die zweifelhaften Wünsche?"
Und sie zu mir: "Kein andrer Schmerz ist größer,
Als zu gedenken an des Glückes Zeiten
Im Elend; dies kann auch dein Lehrer sagen.
Doch wenn die erste Wurzel zu erkennen,
Von unsrer Liebe du so sehr begehrest,
Dann will ich tun wie der, der weit und redet.
Wir lasen eines Tages zum Vergnügen
Von Lancelot, wie ihn die Liebe drängte;
Alleine waren wir und unverdächtig.
Mehrmals ließ unsre Augen schon verwirren
Dies Buch und unser Angesicht erblassen,
Doch eine Stelle hat uns überwältigt.
Als wir gelesen, daß in seiner Liebe
Er das ersehnte Antlitzt küssen mußte,
Hat dieser, der mich niemals wird verlassen,
Mich auf den Mund geküßt mit tiefem Beben.
Verführer war das Buch und der's geschrieben.
An jenem Tage lasen wir nicht weiter."


Dekkers, Midas: Bücherwürmer

  Die Larven des Gemeinen Nagekäfers fungieren nicht nur als Holzwürmer, sondern auch als Bücherwürmer. Unter diesem Namen werden allerlei Larven zusammengefasst, die Papier, Pappe, Leim oder Leder mögen. Die erwachsenen Tiere haben ein Larvenleben intensiven Bücherstudiums hinter sich. Fachleute können an den Löchern und am Gangsystem erkennen, welche Art sich jeweils an den Büchern vergriffen hat. Bibliothekare sind nicht gut auf die Tierchen zu sprechen, die ohne einen Leseausweis Bücher verschlingen. Und trotzdem sind diese Bücherfreunde nicht zu tadeln, für das, was sie tun. Sie fressen zwar an unseren Schriften, wir aber waren es, die ihre Nahrung vollgesudelt haben. Sie tun, was Millionen ihrer Kollegen seit Jahrmillionen tun: Abfall wegschaffen. Bücher sind aus toten Pflanzen- und Tierstücken gemacht, und so etwas muss so rasch wie möglich weggeräumt werden, um Platz zu machen für neue Pflanzen und Tiere. Ohne die Hilfe dieser Allesverzehrer wäre die Welt, wie wir wissen, schon längst in ihrem Abfall erstickt. Wir verfluchen das Gefleuch allerdings, weil sie Plastiktüten, die nicht von selbst zerfallen, verschmähen, und dafür Bücher, die zerfallen sollen, schmackhaft finden. (Midas Dekkers: Von Larven und Puppen. S. 53)


DeLillo, Don: Ein seltsames Band

  Romanschreiber und Terroristen verbindet ein seltsames Band. Wir im Westen erstarren zu berühmten Abbildern, während unsere Bücher die Kraft der Gestaltung und beeinflussung einbüßen [...] Vor Jahren habe ich es noch für möglich gehalten, daß ein Schriftsteller das Wesen der Kultur verändern könne. Jetzt haben Bombenbastler und Schießwütige dieses Territorium besetzt. Sie überfallen das menschliche Bewußtsein. Früher, bevor wir alle vereinahmt wurden, haben das die Schriftsteller getan.


Delius, F.C.: Ein Mann von gestern

  Ich war am Tiefpunkt meiner Karriere, fühlte mich geschlagen, am Boden liegen, zerstört von der tückischen Idylle des Buchmarktes und verletzt von den wechselnden Winden der Moden. (...) Junger Autor, das war der Bonus, von dem ich lange gezehrt hatte. Lob, Tätscheln, kleine Preise und mickrige Stipendien, diese Phase war lange vorbei. Nun war ich vierzig geworden, also plötzlich alt, aber nicht respektiert wie die Alten über sechzig, sondern im schlimmsten aller Zwischenzustände: ein alt gewordener Jungautor, ein junger Greis, ein Mann von gestern, ein Versager - auf der Höhe seiner Kräfte. (F.C. Delius: Der Königsmacher, S. 19f.)


Delius, F.C.: Schlaraffenland für Schriftsteller

  Schoppe ist Schweizer, und zu seinen liebsten Nebenbeschäftigungen gehört es, deutsche Autoren um die deutsche Geschichte zu beneiden. Die mittelauropäischen Katastrophen und Turbulenzen der letzten zweihundert Jahre hätten den Deutschen die verrücktesten, wildesten und tragischsten Stories beschert, aus denen die Autoren nur zu schöpfen brauchten. "Jeder Weltkrieg eine Fundgrube, der Kalte Krieg eine noch kaum erschlossene Goldmine, jede Familie eine Dramenbühne, jeder deutsche Großvater literaturtauglich." Jeder Deutsche jeder Generation sei auf jeweils andere Weise von der Geschichte geprägt, berührt, durchgeschüttelt, erhoben und geschlagen. "Und auch deine Generation, Albert", sagte Schoppe gerne, "mit euren Nachkriegseltern, euren verspäteten Demonstrationen, euren Dauerskandalen kann ich nur beneiden. Eure Politik regiert in alle eure Biographien hinein. Die siamesische Verbindung zwischen den Menschen und der Geschichte gibt es in der Schweiz nicht, nur ausnahmsweise, das ist ein Glück und ein Pech. Deshalb ist Deutschland, und erst recht nach dem Fall der Mauer, ein Schlaraffenland für Schriftsteller - und das Beste ist, daß die das nicht einmal merken." (Friedrich Christian Delius: Der Königsmacher, S. 34)


Delius, F.C.: Autorenangst

  ... lief ich weiter und hielt bei einem Antiquariat an, vor dem Kisten mit Ramschbüchern aufgebaut waren. An solchen Wühltischen fürchte ich immer, 'Jungfernheide' oder andere Titel mit dem eigenen Namen zu entdecken, auf meine Bedeutungslosigkeit gestoßen zu werden und dann im Kopf den alten Sermon von der Vergänglichkeit zu hören. (Friedrich Christian Delius: Der Königsmacher, S. 186)


Delius, F.C.: Revolutionen

  Ich habe eine längere Liste mit Erfindungen vorzuweisen, und Sie, Sie brauchen ja nur eine Sache neu erfinden, eine neue Sprache für solche Zwecke . Wenigstens das erwarte ich von Ihnen: Wie redet man über Verdienste, wenn es zufällig die eignenen sind? Bescheidenheit wäre falsch, und die Pose, die Denkmalspose doch auch. Ich werd euch nicht den Bismarck spielen, den Computer-Bismarck. Sie sind ein Mann des Worts, da müssen Sie mir doch helfen. Wir Techniker haben in den letzten fünfzig, sechzig Jahren das Denken und das Rechnen revolutioniert, und ihr, ihr von der Abteilung Sprache, was habt ihr getan in der Zeit? (F.C. Delius: Die Frau, für die ich den Computer erfand, S. 140)


Dickens, Charles: Zweifache Mühe

  "Jedenfalls wird der Ritt dir guttun", sagte meine Tante mit einem Blick auf die Papiere auf dem Tisch. "Ach Kind, du bringst viele, viele Stunden hier zu. Ich hätte niemals beim Bücherlesen gedacht, was für eine Mühe es kostet, sie zu schreiben." "Manchmal macht es Arbeit genug, sie zu lesen, Tante, und was das Schreiben anbetrifft, so hat das seine eignen Reize." "Ach, ich verstehe", sagte meine Tante. "Ehrgeiz, Freude an Beifall, Sympathie und dergleichen, wie? Aber jetzt mache, daß du fortkommst." (Charles Dickens: David Copperfield, S. 932)


Dickens, Charles: Totalverriß

  Was das kleine Buch, von dem der Mann auf dem Boden gesprochen hatte, betraf, so bekamen wir es später zu Gesicht, und Mr. Jarnyce sagte, er zweifle, ob Robinson Crusoe es gelesen haben würde, auch wenn er kein andres auf seiner wüsten Insel gehabt hätte. (Charles Dickens: Bleakhaus, S. 135)


Dickens, Charles: Unsinn. Faulenzerei

  "So sitzen Sie wohl den ganzen Tag da?" fragte Mr. George, die Arme auf der Brust verschränkt. "Jawohl, jawohl", nickte der Alte. "Und Sie beschäftigen sich mit gar nichts?" "Ich sehe dem Feuer zu - und dem Kochen und Braten." "Wenn etwas da ist", betont Mr. George mit großem Nachdruck. "Jawohl, wenn etwas da ist." "Lesen Sie nichts oder lassen Sie sich nicht vorlesen?" Der Alte schüttelt triumphierend und schlau den Kopf. "Nein, nein. Unsere Familie hat sich nie ans Lesen gehalten. Es schaut nichts dabei heraus. Unsinn. Faulenzerei. Dummes Zeug. Nein, nein." (Charles Dickens: Bleakhaus, S. 357)


Dinev, Dimitré: Vielfalt der Inspiration

  Ein und derselbe Leser liest mehrere Bücher und jeder findet andere Bücher gut. Ich selbst freue mich über jedes Buch, das mich inspiriert. Und es gibt viele Autoren, die mich inspiriert haben: Tschechow, Dostojewski, Joseph Roth, Horváth, die Griechen natürlich, auch Philosophen wie Husserl oder Emmanuel Levinas. Es wäre verrückt, wenn man sich fürchten würde. Wir arbeiten ja nicht in einer Fabrik, wo es 1000 Arbeitsplätze gibt, und wenn du nicht reinkommst, bist du arbeitslos. Fabrikarbeiter haben es schwerer. Bücher sind wie der Frühling oder wie die Liebe. Die erlebt man auch immer wieder, und trotzdem freut man sich jedes Mal von Neuem daran.“ (Dimitré Dinev)


Dinter, Regina: Zwei Sorten Leser

  In Never Do That to a Book unterscheidet Fadiman zwei Sorten Leser: Den einen ist das Buch heilig, es wird vorsichtig gelesen, nie aufgeschlagen auf den Rücken gedreht oder mit Eselsohren verunziert, ja es wird wie ein Kultgegenstand bewahrt, den anderen ist der Inhalt eines Buches heilig, die fleischliche Hülle behandeln sie, wie es ihnen einkömmt. Da wird reingekritzelt, in der Sauna gelesen, Seiten gelutscht oder rausgerissen oder das Buch muss als Instantplätter exotischer Käfer herhalten. Erzogen wurde ich gewiss zu höfischer Liebe, meine Bücher sind, solange ich sie nicht ausleihe, in einwandfreiem Zustand, aber in mir nagt die fleischliche Lust. Unterstreichungen müssen sein (aber in Bleistift, läßt sich ja entfernen) und wenn keine Lesezeichen zur Hand ist, schrecke ich vor keinem Eselsohr zurück (je nach Papier ist es zurückgebogen nicht mehr zu bemerken). Wahrscheinlich aber werde ich immer ein courtly lover bleiben: was mir schon als Exzess erscheint, wird einem carnal lover nur ein mitleidiges Kopfschütteln abringen. (©  Regina Dinter)


Dittmar, Peter: Luxus lesen

  Was kosten Bücher? Zu viel, meinen die Leser. Nicht genug, meinen die Verleger. Nur die Buchpreisbindung erlaube ihnen, in diesem risikoreichen, internetbedrohten Geschäft mitzuhalten. An Untergangsszenarien, dass die herkömmliche Gutenberg-Galaxis von einem elektronischen Schwarzen Loch geschluckt werde, mangelt es nicht. Eigenartig bei diesen Zukunftsbildern ist allerdings ihr Verhältnis zum Geld. Der gedruckten Informationsware wird vorgerechnet, was sie kostet. Und wer ein wenig in die Jahre gekommen ist, mokiert sich darüber, dass Rowohlt und Fischer jetzt gemeinsam Taschenbücher als besonders günstig anpreisen, weil sie nur fünf Mark kosten. Scheint es doch gar nicht so lange her zu sein, als die Nachfolger von RowohltsRotationsRomanen, die für 50 Pfennige und eine Mark zu haben waren, mit dem Einheitspreis von 1,20 Mark antraten. Doch inzwischen sind zehn Mark, einst die magische Grenze für Paperbacks, längst die Ausnahme für ein Taschenbuch. Gutenberg ist uns eben teuer. Bei der elektronischen Information wird dagegen nicht nach dem Preis gefragt - oder zumindest nicht mit dem Preis argumentiert. Bei ihnen sei nicht nur jegliches Wissen zu haben, es sei dafür eigentlich auch nichts zu zahlen, heißt es. Egal, ob man es sich auf den Bildschirm anschaut oder sich auf ein e-Book herunterlädt. Was die Telefongesellschaft und der Provider kassieren, wird unter "Sonstiges" verbucht - so wie man bei der Stromrechnung auch nicht nachrechnet, was davon auf das Konto von Toaster, Durchlauferhitzer und Stereo-Anlage geht. Dabei kann es schnell teuer -teurer als ein Buch - werden, wenn man auf gebührenpflichtige Artikeldienste oder Archive zurückgreift. Trotzdem träumt die Welt weiter den Traum von billigen Neuen Medien, die die alten günstig überspielen - so wie einst angeblich das Theater starb als das Kino begann, und man das Kino hernach zum Dinosaurier erklärte, nachdem das Fernsehen flimmerte. Jetzt also die e-Information. Übersehen wird: Am Computer zu lesen ist Arbeit. Ein Buch zu lesen Vergnügen, vielleicht auch ein wenig Luxus - und nur der garantiert Unsterblichkeit.


Doderer, Heimito von: Kaffeehauslektüre

  Manche lesen auch, wie gesagt. Alle vorhandenen Zeitungen. Alle vorhandenen Zeitschriften. Türme von Papier, Druckzeilen, Bildern. Eine wurde von mir beobachtet - ein sehr gutes, harmloses Geschöpf, Mittelschwergewicht - die nach etwa vier, fünf Zeilen immer unterbrach, herumschaute, weiterlas, fünf Stunden lang im gleichen Wechsel. Sie erwartete nicht etwa jemanden. Sie tat das so jeden Nachmittag. Denn wenn sie las, wollte sie doch auch wieder wissen, was los sei, ob etwa Frau Thea Rosen schon wieder was Neues trage, oder jener merkwürdige junge Mann heute schon da sei, der immer so zu Frau Rosen hinübersah. Und auch abgesehen von irgend etwas Bestimmten - einfach nur so, überhaupt. Und wenn nichts los war, wollte sie doch wieder lesen. Inzwischen aber konnte doch etwas los sein. Diese Frau hätte man sich als Höllenstrafe für einen verdammten Schriftsteller denken können: der ihr in alle Ewigkeit zusehen muß, wie sie sein schwierigstes und kompliziertestes Buch liest. Ohne sie erschlagen zu dürfen, versteht sich. (Heimito von Doderer: Die Dämonen)


Doderer, Heimito von: Projektile des Lebens

  Er kam also an der offenen Buchhandlung vorbei. (...) Er sah lange hinein. Es gab hier neue sowohl wie antiquarische Bücher. Er las manchen Titel. Wenn auch etwas abwesend. Aber gerade das ist jene Verfassung, in welcher die Projektile des Lebens am besten in uns haften. (Heimito von Doderer: Die Dämonen)


Doderer, Heimito von: Unbeschwert

  ... saß er (...) schon im Handschriften-Lesesaale der Nationalbibliothek und transponierte einen Codex aus dem 15. Jahrhundert, und dabei puffte ihm geradezu die Freiheit aus den Nasenlöchern, wie die Kohlensäure bei jemandem, der im Durst ein Kracherl zu gierig hinuntergetrunken hat. (Heimito von Doderer: Die Dämonen)


Doderer, Heimito von: Die Nationalbibliothek

  Er fühlte die Nationalbibliothek voraus, den reinen strengen Duft der Bücher-Repositorien, dies altgewachsene Haus überhaupt mit den klösterlichen Steinfliesen seiner Gänge; das klare Licht über den Lesetischen; das leise Rascheln bewegter Blätter. Hier reichten die geordneten und vollends ausgekühlten Schichten der Vergangenheit zurück durch Jahrhunderte, wie durch die Zimmerfluchten der Hofburg selbst. Hier war man aus allem anderen entlassen, ja, man mußte es sein, um da überhaupt arbeiten zu können: ein ruhiger Kopf bis zum Kragenknopf und zwei gewaschene Hände, die kostbaren Blätter zu berühren. Sonst nichts. (Heimito von Doderer: Die Dämonen)


Doderer, Heimito von: Ein gefälliges Arrangement

  Rene nahm ungefähr den gleichen Weg, den sie gekommen waren, jetzt von der Ringstraße in die Innere Stadt zurück, ohne Ziel. Vorm noch erleuchteten Fenster einer Buchhandlung blieb er stehen. Sein Blick wanderte durch lange Reihen von Geistesprodukten unserer vorwiegend historisierenden Zeit (und gerade damals war derlei im höchsten Schwange!), die aus den flüchtig durchstöberten Schubfächern einer als Kette von Kostümwechseln revueartig aufgefaßten Weltgeschichte denkjenigen Kram auswählt und in ein gefälliges Arrangement bringt, von dem etwa ein buchhändlerischer Erfolg sich voraussehen läßt, ja mit einiger Sicherheit: seien's nun die Freimaurer, die Jesuiten, die Skandalgeschichten irgendeiner großen Dame oder die Memoiren der schönen Helena (wenn es die doch gäbe!). (Heimito von Doderer: Die Dämonen)


Doderer, Heimito von: Zeitschriftenleser

  Frau Kapsreiter las auch keine Bücher. So kam nie zum Vorschein, welche sie gewählt, welche sie vermieden hätte. Ihre Lektüre bestand nur in jenen Wochenblättern oder Wochenausgaben, welche ganz besonders für die Leser ihrer Schicht hergestellt werden, und zwar mit großem Geschick, so daß jedermann in jeder Nummer mindestens zwei kräftige Ansauger seines Interesses findet. Man holt das Blatt allwöchentlich in der Tabak- Trafik, wo es auflag. Am Tage des Erscheinens wurde der Laden, den ja sonst vorwiegend Mannsbilder frequentierten, von auffallend viel älteren Frauen aus den ungebenden Gassen betreten. (Heimito von Doderer: Die Dämonen)


Doderer, Heimito von: Lesen im Bett

  Als Frau Mayrinker endlich schlafen ging, war die Mitternacht längst vorbei. (...) Sie lag am Rücken, öffnete plötzlich ein kleines Kindermäulchen, so weit es eben ging, und gähnte tief. Der Roman lag wohl am Nachttisch bereit (sie wählte jedes Jahr mit unfehlbarem Instinkt das jeweils dümmste aller neuen Bücher und wußte allem anderen aus dem Wege zu gehen, mit der Sicherheit einer Fledermaus, die den gespannten Draht vermeidet - und ihr Mann las ja nur Schriften, die sich auf seine Drachen-Puzzis bezogen). Heute ging es nicht mehr mit dem Lesen. Sie schaltete das Licht aus und rollte sich zu einem glatten weißen runden Ei unter dem Nachthemd zusammen. (Heimito von Doderer: Die Dämonen)


Döblin, Alfred: Eine sonderbare Sache

  "Eine sonderbare Sache, das Schreiben. Ich begann es nie eher, bis die Einfälle einen bestimmten Reifegrad erreicht hatten, und das war dann der Fall, wenn sie im Gewande der Sprache erschienen. Hatte ich dieses Bild, so wagte ich mich mit ihm, mit meinem Pilotenboot, aus dem Hafen heraus, und da bemerkte ich draußen bald ein Schiff, einen großen Ozeandampfer, und ihn betrat ich und fuhr aus und war in meinem Element, reiste und machte Entdeckungen, und erst nach Monaten kehrte ich von solcher großen Fahrt heim, gesättigt, und konnte wieder das Land betreten. Meine Fahrten bei geschlossener Tür fühlten mich nach China, Indien, Grönland, in andere Epochen, auch aus der Zeit heraus. Was für ein Leben." (Alfred Döblin)


Döring, Karl August: Wider die Lesesucht

 Du, viellesender Freund, wann kommst du vom Lesen zum Lehren,
Und vom Lehren zum Leben, vom Wissen zum Wesen? den Freund auch
Nicht zu vergessen, die Bücher bei Seite gelegt, ihm ein Brieflein
Doch zu vergönnen, die Lebenden mehr als die Toten zu lieben! -
Woll’st mir den Vorwurf gütig verzeihn, nicht verargend den Argwohn!
Sah’ ich doch aufgespeichert bei dir die Haufen der Bücher,
Litteraturzeitung, Journal und allerlei Blätter,
Folianten zugleich, und Taschenbücher, Sedez gar,
Daß dir Hören und Sehen verging, wie des Freundes Erinn’rung.

 Leseseliger Freund, mühseliger nenn ich dich besser,
Blaß dich lesend und krank, mit Wust das Haupt dir belastend!
Bist auf die Bücher versessen auch du, der reich an Erkenntniß,
Reich an eigenen Schätzen, mit fremden Gedanken sich anfüllt?
Bettle von andern doch nie, weil dir auch füllte die Hand Der,
Welcher dir Geist verlieh’n, und Sinn und Gemüth und Erfindung!
Willst du lesen ja noch; so lies die Alten, die Alten,
Hör’ es, die Alten! Sie selbst weissagten sich ewige Dauer;
Sie erhob das Gefühl der Vollendung! "Ewig gefeiert
"Wird mein Gedächtniß! Mein Ruhm wird zu den Gestirnen getragen!
Dauernder hab’ ich, als Erz, mir aufgerichtet ein Denkmahl!" -

 Wir? - Wehnütig die aufgeschwollenen Ströme gewahrend
Von zahllosem Geschreibsel, verlieren den Muth und die Hoffnung!
Wer doch taucht aus den Strudeln empor? Wir Dichter, wir Schreiber
Allzumahl, wir schwimmen daher, unaufhaltsam entführt, schnell,
Weiter und weiter, ins Meer der Vergessenheit! Wer doch verbürgt dir,
Daß du zurück nicht sinkst, kaum aufgetaucht, in den Lethe! -
Uns erfreut jetzt Luther; wir lesen ihn wieder und wieder;
Immer erfrischt uns der Mann, und kräftiger immer entzückt er.
Wahrlich ein Heros ist er, der mächtige Schlachten des Worts schlug,
Völlig lebendig, ein Leib mit Adern und Nerv und Gelenken,
Sprühend von Kraft und Gesundheitsfüll’, und von Geist und von Feuer,
Seinem Innern entströmt, dem lebendigen! Luthers Gedanken
Gleichen der Pallas Athene, die (sagt der Mythos) gepanzert
aus dem Haupte des Zeus, des olympischen Gottes hervorsprang,
Mächtig gerüstet, und kriegerisch-kühn! Lies Diesen, ja, Diesen,
Und laß fahren den Schwall lauwarmer, seichter Gewässer,
Die jetzt überschwemmen die Bücherverschlingende Menge,
Sündfluth für die lesende Welt, sie wieder verschlingend,
Daß sie, verschlingend, verschlungen, in Wechselverein sich verderben.-

 Leben, nicht Lesen sey, und Handeln die Losung, nicht Schreiben!
Wissen nur schafft, nicht Wesen, die traurig einsame Arbeit!
Ein gar müßig Geschäft, geschäftiger Müßiggang ist’s nur!
Mancher ja liest um Sinn und Gemüth, um Verstand und um Kraft sich,
Wird schwarzgallicht wol gar, so Herz als Leben vergiftend.
Mehr, Viellesender, noch ermahn’ ich dich: lies ja die Bibel!
Schöpfe du hier die Wahrheit aus frisch herströmendem Urborn!
Wahrlich ein Meer, unerschöpflich an Licht, an Leben, an Thatkraft!
Lies, o lies, du Geliebter, das Buch der Bücher, so ruf’ ich
Unaufhörlich dir zu, wie mir selbst! Du, bewahr’ es im Herzen,
Daß nicht der Bücherschwall dir wegraube dein beßtes Besitzthum!
Gottes lebendiges Wort, dem ewigen Geiste gegeben
Für sein ewiges Heil! Erforsch’ es, lern’ es und üb’ es!


Don Dahlmann: Versäumte Frist

  Auf jeden Fall ist Weihnachten, und da ich nichts geschenkt bekommen habe, also nicht wie alle anderen knietief in aufgerissenem Geschenkpapier waten durfte, dachte ich mir heute: "Mensch Don, mach doch mal einen Karton auf". Also packte ich blind einen Karton aus meinem blinden Fleck und öffnete ihn. Es war ein Karton Bücher. Ich freute mich unter anderem sehr über die Walter Serner Komplettausgabe, einen vergriffenen Bildband über Dadaismus, ungefähr 30 Mister Dynamit Agententhriller, die 60. Auflage (265. bis 269. Tausend) des 1926 erschienen Buches "Die vollkommene Ehe - eine Studie über ihre Physiologie und Technik" von Dr. Th. H. van der Velde, und einen Roman namens "Abschied auf Englisch - Eine Kriminalkomödie", welche in abwaschbaren, durchsichtigem Plastik eingepackt ist. Da ich meine Bücher nicht in Kondome einschweiße, war mir sofort klar, dass dies nicht mein Buch sein kann. Also blätterte ich ein wenig vorne rum, um evtl. den original Besitzer ausfindig machen zu können, wobei ich schon dachte, dass es ein hoffnungsloses Unterfangen sei, weil ich hoffentlich niemanden kenne, oder gekannt habe, der seine Bücher in Plastikfolie einschweißt. Hinten wurde ich dann fündig, denn da steht fett eingestempelt "Eigentum der Bezirksbücherei Bonn-Bad Godesberg". Und gleich daneben der Laufzettel mit dem allerspätesten Abgabedatum: "11.04.1988". Wie konnte mir das entgehen? Wie konnte ich fast 15 Jahre lang vergessen, dieses teure Paperback zurück zu geben? Und warum habe ich mir mit 20 so einen Scheiß-Roman ausgeliehen? Und was soll ich jetzt machen? Anonym zurückschicken? Behalten und auf Partys damit angeben? Was passiert, wenn mal eine heiratswillige Frau meine Gemächer betritt, die Kartons verschwunden, die Gläser fein poliert sind, sie aber dieses Buch findet? Die denkt doch sofort "Oh, wenn der sowas schon vergisst, dann vergisst er sicher auch irgendwann mal nach Hause zu kommen. Ne, so einen will ich nicht." Herrje - mein ganzes charakterliches Elend, in einem billigen Roman manifestiert. (© Don Dahlmann)


Dostoevskij: Zu spät für Bücher

  "Aber es ist doch zu spät, jetzt ist es doch viel zu spät, noch nach der Stadt zu schicken, um den Puschkin zu kaufen!" bemühte sich Kolja, die Generalin, mit der er sich wieder stritt, von ihrem Vorhaben abzubringen. "Zum dreitausendstenmal sage ich Ihnen: es ist heute viel zu spät dazu!" "Ja, heute ist es allerdings zu spät, noch nach der Stadt zu schicken", pflichtete ihm Jewgenij Pawlowitsch, der sich von Aglaja möglichst schnell abwandte, bei. "Auch dürften die Läden in Petersburg schon geschlossen sein, die Uhr geht ja bereits auf neun", sagte er, seine Uhr hervorziehend. "Wenn wir so lange nicht darauf verfallen sind, die Bücher zu kaufen, dann werden wir wohl bis morgen noch warten können", meinte Adelaida. "Und in der vornehmen Welt ist es doch auch gar nicht Mode, sich allzu lebhaft für Literatur zu interessieren! Fragen Sie mal Jewgenij Pawlowitsch. Das Fashionabelste ist heutzutage, in einem gelben Char-à-bancs mit roten Rädern spazieren zu fahren. (Fedor M. Dostoevskij: Der Idiot, S. 393)


Dostoevskij: Das Recht der Gewöhnlichen

  Es gibt Menschen, von denen sich nur schwer etwas sagen läßt, was sie einem in ihrer typischen, charakteristischen Art sogleich handgreiflich-deutlich vor Augen stellen könnte. Es sind das jene Leute, die man gewöhnlich "Dutzendmenschen" oder kurzweg "die Mehrzahl" nennt, und die auch tatsächlich die ungeheure Mehrzahl in jeder Gesellschaft ausmachen. In der Regel schildern die Schriftsteller in ihren Romanen und Novellen nur solche Typen der Gesellschaft, die es in Wirklichkeit nur äußerst selten in so vollkommenen Exemplaren gibt, wie die Künstler sie darstellen, die aber als Typen nichtsdestoweniger fast noch wirklicher als die Wirklichkeit selbst sind. (...) Jedenfalls bleibt eine recht schwierige Frage bestehen, und die lautet: was soll ein Romanschriftsteller mit den Durchschnittserscheinungen, mit den absolut "gewöhnlichen Menschen" beginnen, wie soll er sie darstellen, um sie seinem Leser wenigstens einigermaßen interessant erscheinen zu lassen? Ganz übergehen kann man sie in keinem Roman, denn gerade die gewöhnlichen Menschen sind die unentbehrlichsten Bindeglieder in der Kette der Ereignisse des Lebens; wollte man sie dennoch umgehen, so würde man nicht wirklichkeitsgetreu schreiben. Ein Roman, der nur "Typen" enthält, nur Sonderlinge und Ausnahmemenschen, würde nicht Wiedergabe der Wirklichkeit und vielleicht sogar nicht einmal interessant sein. Unserer Ansicht nach muß der Schriftsteller sich bemühen, selbst in den gewöhnlichen Menschen interessante Züge zu entdecken und lehrreich hervorzuheben. (Der Idiot, S. 706)


Dostoevskij: Bücher binden lassen

  Schatow biß sich auf die Lippe. "Hören Sie, ich habe die Absicht, hier in der Stadt eine Buchbinderei aufzumachen, natürlich auf den vernünftigen Grundlagen der Teilhaberschaft. Da Sie hier wohnen: Was halten Sie davon? Wird es sich rentieren oder nicht?" "Ach Marie, bei uns werden keine Bücher gelesen, ja, es gibt gar keine. Wie soll er sich da Bücher binden lasssen?" "Wer denn: 'er'?" "Der hiesige Leser, der hiesige Einwohner im allgemeinen, Marie." "So sagen Sie das doch klarer! Da sagen Sie nun 'er', wer er aber ist, ist unbekannt. Von Grammatik haben Sie keine Ahnung." "Das liegt doch im Geist der Sprache, Marie", murmelte Schatow. "Ach hören Sie auf mit Ihrem Geist, das hängt mir zum Hals heraus! Warum soll denn der hiesige Leser und Einwohner seine Bücher nicht einbinden lassen?" "Weil ein Buch zu lesen und ein Buch einbinden zu lassen zwei verschiedene Stufen in der Entwicklung bedeuten, und zwar zwei gewaltige. Zuerst hat der Mensch nach und nach lesen gelernt, durch Jahrhunderte natürlich, aber er hat die Bücher zerrissen und herumgeworfen, da er sie eben noch nicht ernst genommen hat. Das Einbinden aber bekundet schon eine Achtung vor dem Buch, es zeigt, daß man nicht nur gern liest, sondern das Buch als einen Besitzgegenstand anerkennt. Bis zu dieser Stufe ist aber ganz Rußland noch nicht gelangt. In Europa läßt man schon lange binden." "Das ist zwar etwas pedantisch, aber durchaus nicht dumm gesagt und erinnert mich an die Zeit vor drei Jahren. Sie waren mitunter ziemlich witzig vor drei Jahren." (Fedor M. Dostoevskij: Die Dämonen, S. 849f.)


Dostoevskij: Für gewöhnlich...

  Zu Hause las ich gewöhnlich. Wollte ich doch durch äußere Eindrücke unterdrücken, was unaufhörlich in mir aufwallte. Von äußeren Eindrücken konnte ich mir nur Lektüre leisten. Das Lesen half natürlich viel, - es regte auf, berauschte und quälte. Mitunter aber wurde es doch entsetzlich langweilig. Man wollte sich auch einmal bewegen! (Fedor M. Dostoevskij: Aufzeichnungen aus dem Untergrund)


Doyle, Roddy: Aus dem Papierkorb

  Wenn in einem Papierkorb eine Zeitung gelegen hat, lese ich die. Von den Schreibtischen nehme ich nie etwas weg. Manchmal finde ich auch Bücher im Papierkorb. Beim erstenmal wollte ich es nicht glauben. Ein Buch! Einfach weggeworfen. Ein Wälzer mit fünfhundert Seiten. Danielle Steel. Großer Mist, aber ich hab's verschlungen. Inzwischen habe ich sieben solcher Bücher in meinem Schlafzimmer stehen, alphabetisch geordnet. Alle aus dem Papierkorb. Catherine Cookson ist mir die liebste, von der habe ich zwei. Sie ist sehr gut. Beide aus demselben Papierkorb. (Roddy Doyle: Die Frau, die gegen Türen rannte, S. 108)


Draeger: Tagebuch führen

  Leute, die Tagebuch führen, behandele ich grundsätzlich mit gebührendem Respekt. Irgendwie umgibt sie eine Aura des Geheimnisvollen. Was können diese Leute nicht alles ihrem intimen Büchlein anvertrauen: Lust und Leid, Bosheit und Prüderie, Sehnsüchte und Seichtes! Außerdem ist man nie sicher, ob man nicht auch - und sei es nur mit einer Zeile - verewigt worden ist. Unter der Rubrik "Bosheit" vielleicht. (Marianne und Otto Draeger: Mensch, was soll ich eigentlich lesen. 41 Geschichten um 41 Bücher, S. 146)


Draeger: Verschlungene Wege

  In der Geometrie ist die Gerade der kürzeste und schnellste Weg zwischen zwei Punkten. In der Literatur geht es nicht immer so einfach und logisch zu. Oft sind es verschlungene Wege, die Autor und Leser einander näherbringen. Geschriebene Seelenqualen, zum Beispiel, versteht man wohl schneller, wenn man sie selber verspürt hat. So betrachtet, sagt einem in der Jugend Karl May mehr als Dostoevekij. Oder umgekehrt: Lernt man als Angegrauter unseren Goethe mehr schätzen als Mickymaus-Hefte. (Marianne und Otto Draeger: Mensch, was soll ich eigentlich lesen. 41 Geschichten um 41 Bücher, S. 66)


Draeger: Lektürebedenken

  Der Mensch, mit dem ich Tisch, Bett und die Morgenzeitung teile, klang besorgt. "Willst du", fragte er, "dich wirklich an so was Hochkarätiges wagen? Da könntest du dich ja gleich an Faust, Shakespeare oder die Bibel..." Er verstummte unter meinem gekränktem Blick und ließ mich allein - mit einem kleinen Buch. 64 Seiten schmal, einschließlich Nachwort: "Gilgamesch". Sollte ich mich wirklich an "Gilgamensch" wagen? An - wie es im Lexikon heißt - "die gewaltigste Dichtung im alten Orient?" Grinsten da nicht schon mehr als tausend Literaturwissenschaftler freudig-dreckig über meinen Übermut? (Marianne und Otto Draeger: Mensch, was soll ich eigentlich lesen. 41 Geschichten um 41 Bücher, S. 126)


Dürrenmatt, Friedrich: Das Komödiantische

  Es gibt Witze, die mit Blitzesschnelle ankommen müssen, wollen sie wirken. Werden sie nicht auf der Stelle begriffen, bleiben sie wirkungslos. Ich bin nun einmal in der Welt der literarischen Erscheinung so ein Witz, und ich weiß, für viele ein schlechter und für manche ein bedenklicher. Auch neigt ja unsere Zeit vielleicht etwas dazu, die Komödie und das Komödiantische als zweitrangig zu betrachten. Logischerweise, verwandelt doch der Komödienschreiber eine Welt, in der einem das Lachen vergeht, in eine Bühnenwelt, über die er lacht - oft allein. So mag denn das Komödiantische notgedrungen als suspekt erscheinen, der Situation nicht gewachsen. Doch ist dies vielleicht eine Täuschung. Nur das Komödiantische ist möglicherweise heute noch der Situation gewachsen. Wer verzweifelt, verliert den Kopf; wer Komödien schreibt, braucht ihn. (Friedrich Dürrenmatt: Der Rest ist Dank)


Dürrenmatt, Friedrich: Außerhalb der Mode

  Wenn es auf den ersten Blick merkwürdig berührt, daß der öffentliche Literaturbetrieb bis jetzt von Else Lasker-Schüler so wenig Notiz nahm (verglichen etwa mit der Papierflut, die Rilke hervorruft, um einen anderen bedeutenden Dichter zu nennen), so ist zu bemerken, daß eine Zeit in der Hauptsache nach jenen Dichtern greift, die sie nötig zu haben glaubt, und darum gerade die liegen läßt, die sie nötig hat. (...) Ebensowenig konnte die Epoche etwas mit Karl Kraus anfangen, der alles mit ihr anfing, der, ein ungeheuerliches Kraftfeld an Sprache, gerade das und ausschließlich das tat, was die Zeit nicht wollte, das Absolute. Daher gehört Else Lasker-Schüler zu Karl Kraus, dem sie ihre schönsten Gedichte, die hebräischen Balladen, widmete, den sie den Kardinal nannte und dessen Schicksal, nicht populär, weiten Kreisen unbekannt zu sein, sie teilt - es gibt kein schöneres. Immer wieder aufs neue entdecken läßt sich nur, was nicht Mode werden kann. (Friedrich Dürrenmatt: Randnotizen zu Else Lasker- Schülers 'Dichtungen und Dokument')


Dürrenmatt, Friedrich: Momentaner Größenwahn

  Für den tätigen Schriftsteller jedoch kann nur ein menschliches Verhältnis zu den Klassikern von Nutzen sein. Er will keine Götzen in ihnen sehen, keine unerreichbaren Vorbilder, sondern Freunde, Anreger, Gesprächspartner; oder auch, mit der gleichen Legitimität, Feinde, Schöpfer von oft langweiligen Romanen und pathetischen Theaterstücken. Er will sich ihnen nähern und sich wieder von ihnen entfernen, ja, schreibt er, sie vergessen dürfen, weil, und auch dies ist legitim, ihn im Zustande des Schreibens, des Planens und Ausführends eigentlich haben, denn jedes Produzieren ist an einen gewissen momentanen Größenwahn gebunden. (Friedrich Dürrenmatt: Literatur und Kunst, Essay und Reden, S. 83)


Dürrenmatt, Friedrich: Schreiben ist ein Entdecken

  Schreiben ist ein Entdecken des Menschlichen in jeder Gestalt. Wie Sokrates in einem Verbrecher sich selber in seiner Möglichkeit sah, so spürt der Schriftsteller in jedem Menschen den Menschen auf, das Besondere, das Einmalige, er liebt, indem er schreibt, seine Gestalten gleichsam kreatürlich, seien sie nun gut oder böse, er liebt sie als seine Geschöpfe, nicht als ein Allgemeines, das den Menschen nicht zum Menschen macht, sondern zu einem zoologischen Begriff, zu einem Primaten. (Friedrich Dürrenmatt: Literatur und Kunst, Essay und Reden, S. 168)


Durrell, Lawrence: Akt des Ringens

  Die Wahrheit ist zweischneidig, wissen Sie. Es gibt keinen Weg, sie im Medium der Sprache auszudrücken, diesem seltsam gespaltenen Medium mit dem ihm zugrunde liegenden Dualismus! Sprache! Was ist der Kampf des Schriftstellers anderes als ein Kampf, sich eines Mediums so genau wie möglich zu bedienen, aber in voller Kenntnis der ihm zugrunde liegenden Ungenauigkeit? Eine hoffnungslose Aufgabe, aber nicht weniger lohnend, weil sie hoffnungslos ist. Denn die Aufgabe als solche, der Akt des Ringens mit einem unlösbaren Problem, läßt den Schriftsteller reifen. (Lawrence Durrell: Clea, S. 197)


Durrell, Lawrence: Zu grobe Sprache

  Ich jage nach Metaphern, die jene durchdringende Glückseligkeit andeuten könnten, die Liebenden allzu selten gewährt wird; aber Wörter, die gegen die Verzweiflung erfunden wurden, sind zu grob, um das Eigentümliche dessen widerzuspiegeln, das so tief in Frieden mit sich, eins mit sich ist. Wörter sind nur Spiegel unseres Mißbehagens; sie enthalten all die großen unausgebrüteten Probleme von den Leiden der Welt. (Lawrence Durrell: Clea, S. 237)


Durrer, Hans: Über Bücherleser

  Bücherleser (...) meint nicht den Leser, der alles, was auf Papier gedruckt sich zwischen zwei Buchdeckeln findet, für ein Buch hält (obwohl es das streng genommen natürlich ist), Bücherleser meint den Leser von Texten, die als einigermaßen anspruchsvoll gelten und von denen angenommen wird, sie könnten uns bilden (was auch immer das sein mag). (...) Um ein gutes Buch auch als solches schätzen zu können, empfiehlt es sich, gelegentlich auch Schrott zu lesen - und sei es auch nur um des Vergleichs willen. (...) Wenn ich mir manchmal Büchersendungen im Fernseher angucke, wo Leute, die offenbar viel lesen, den Zuschauern bekannt geben, welche Bücher sie warum gut finden, oder mich an die paar Germanistik-Vorlesungen, die ich mir vor vielen Jahren angetan habe, erinnere, da habe ich so recht eigentlich eher den Eindruck, Bücherleser seien in erster Linie ... na ja, Strebertypen eben, schöngeistig, rechthaberisch, und gefallsüchtig obendrein. Aber bessere Menschen? Und einfach, weil sie Bücher lesen? Wer verlangt, dass man lesen, lesen, und nochmals lesen soll, ist meist im Bildungssektor tätig (hat also Leser nötig) und meint es womöglich gut (und wenn er Verleger ist, vor allem mit sich selber), doch die Vorstellung, dass einen die Lektüre der Werke Shakespeares zu einem besseren Menschen machen könnte, entbehrt nicht einer gewissen Lächerlichkeit und gehört wohl in die Kategorie "Massenmörder, aber gläubig".


durs-wacker: Reisen mit Büchern

  Das Schlimmste am Lesen ist das Reisen. Eigentlich mag ich es, wegzufahren, weil schon der Weg allein, im Zug oder im Flugzeug, eine wunderbare Zwischenzeit ist, in der man eigentlich nichts Sinnvolles tun kann außer Lesen. Am Ziel der Reise dann ist auch mehr Zeit als daheim, um nichts anderes zu machen als zu lesen – eigentlich müsste es für mich also nichts Schöneres geben, als auf Reisen zu lesen. Ich nehme gerne viele Bücher mit, weil auf Reisen so schön lesen ist –, auch wieder zurückbringen muss. Das ist die Hölle. Es ist schon schwierig genug, bei einer Reise von drei Wochen alle Kleidungsstücke soweit zu reduzieren, dass eine gute Auswahl Bücher mit kann, ohne dass die Gewichtsgrenze bei Flugreisen überschritten wird. Aber wenn ich dann heim kehre, mit neuen Dingen und auch neuen Büchern, die ganzen alten, ausgelesenen aber auch mitnehmen muss, dann wird das Gepäck sehr, sehr schwer. Wer sich jemals gefragt hat, woher diese kleinen verhutzelten alten Menschen kommen, die ab und an gebeugt wie ein Fragezeichen durch die Fußgängerzone gehen – das waren mal Leser wie ich, das Gewicht ihrer Bücher hat sie von Reise zu Reise, von Umzug zu Umzug mehr in die Knie gezwungen. durs-wacker


durs-wacker: Bucharbeiter

  Ich bin nämlich weniger ein Leser als ein Bucharbeiter mit einem in Paranoia abgleitendem Besitzerinstinkt. Ich lese nicht – ich arbeite Bücher durch, zwar lesend, aber gleichzeitig auch Eindrücke, Gedankenblitze und Anmerkungen notierend, und zwar in das Buch hinein, über, unter und zwischen den Zeilen oder, bei längeren Passagen, am Rand. Ein Buch, das ich gelesen habe, sieht aus, als wäre es im Schuljahr 1977/78 in den Oberstufen-Handapparat eines Gymnasiums gestellt worden und seitdem von jedem einzelnen Jahrgang so ausdauernd wie liebevoll bearbeitet worden. Meine Bücher sind alle Notizbücher. (...) In den schwachen Momenten, da ich ein wenig größenwahnsinnig werde und davon träume, einst einmal ein berühmter Zeitgenosse zu werden, vielleicht gar ein Schriftsteller, da gefällt mir die Vorstellung, dass nach meinem Tod ein schlecht bezahlter Germanistik- Doktorand auf einer Drittmittel-Stelle alle von mir gelesenen Bücher nachlesen muss, um aus krakeligen Anmerkungen die schwerwiegenden Einflüsse auf mein schriftstellerisches Schaffen zu destillieren. Sonst leide ich. Und lese, notiere, sammle, schleppe. durs-wacker


Duve, Karen: Mittel zum Zweck

  "Das, was sie dir im Deutschunterricht gegeben haben, kannst du vergessen. Das ist alles Mist", erklärte Dietrich. "Schnurre und Böll und solche Sachen, nicht wahr? Gut gemeint, auch nützlich, um die schlichteren Gemüter zu entnazifizieren, aber mit Literatur hat das natürlich wenig zu tun." (Karen Duve: Taxi, S. 54)


Duve, Karen: Peter Altenberg lesen

  Weininger zu lesen war, als würde einem die ganze Zeit mit einem schweren Gegenstand auf den Kopf geschlagen. Schlimmer setzte mir nur noch Peter Altenberg zu, der in jeder zweiten Geschichte damit prahlte, daß er der einzige wäre, der die Seele der Frau ganz verstünde. Aber das, was die Frauen in seinem Buch sagten und taten, ähnelten so sehr dem, was Peter Altenberg dachte und wünschte, daß es an Gewalttätigkeit grenzte. Peter Altenberg zu lesen war, wie vor dem Abflußrohr der hoteleigenen Kläranlage zu schwimmen. (Karen Duve: Taxi, S. 56)


Duve, Karen: Büchergespräch

  "Ich würde nicht mal ein Buch lesen, auf das v-vorne ein Bild gedruckt ist", sagte Udo-Zwonullfünf. In letzter Zeit hatte er das leichte Stottern von Rüdiger übernommen. "Das ist doch Unfug, das ist doch kein Kriterium", sagte ich. "Sogar deine Suhrkamp-Bücher haben manchmal ein Bild." "Nein, haben sie nicht", erwiederte Udo-Zwonullfünf gereizt, "das ist eine völlig andere Suhrkamp-Reihe, die du meinst. Und diese Sorte von Büchern lese ich eben nicht. Ich lese keine Romane. Du wirst mich nie mit einem Buch antreffen, das auf dem Umschlag ein Bild hat." "Die Unterhaltungsfunktion von Büchern ist ja auch längst überholt", sagte Rüdiger. "Wer sich unterhalten lassen will, k-kann das viel besser tun, indem er den Fernseher anstellt. Die Funktion von Büchern kann heute nur noch in der geistigen Erfrischung bestehen. Übrigens hat mich Dietrich damit überrascht, daß du selber an einem Buch schreibst. (Karen Duve: Taxi, S. 135)


[Nach oben]