Bibliomanische FAB  / [M-P]


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O'Brien, Flann: Nicht Gesamtaushaben

  So haben private Bibliotheken, in denen die Gesamtausgaben überwiegen, leicht etwas Banausisches. Das Bedürfnis nach Vollständigkeit, wahrhaft legitim gegenüber jenen Ausgaben, in denen ein Philologe sich anmaßt zu entscheiden, was von einem Autor daure und was nicht, verbindet sich allzu leicht mit dem Besitzinstinkt, dem Drang, Bücher zu horten, der sich der Erfahrung entfremdet, die einzelnen Bänden, und zwar kraft ihrer Zerstörung, sich einprägt. Solche Reihen von Gesamtausgaben protzen nicht nur, sondern ihre glatte Harmonie verleugnet unbillig das Schicksal, welches das lateinische Sprichwort den Büchern zuspricht und das allein von alem Toten sie mit Lebendigem gemein haben. Die einheitlichen und meist allzu geschonten Blöcke wirken, als wären sie alle auf ein Mal, geschichtslos oder, wie das zuständige deutsche Wort lautet, schlagartig erstanden worden, ein wenig schon wie jene Potemkinsche Bibliothek, die ich in der der als Dépendance einem Hotel angegliederten Villa einer alten amerikanischen Familie in Maine fand. Sie kehrt mir alle erdenklichen Titel zu; als ich der Lockung folgte und hineingriff, brach die ganze Pracht leise klatschend zusammen, alles Attrappen. Beschädigte, angestoßene Bücher, die leiden mußten, sind die rechten. Hoffentlich entdecken Vandalen nicht auch das und behandeln ihre nagelneuen Vorräte, wie abgefeimte Restaurateure Flaschen, die algerisch verfälschten Rotwein füllt, mit einer synthetischen Staubschicht überziehen. Bücher, die einem das Leben lang begeleiten, weigern sich überhaupt der Ordnung systematischer Plätze und insistieren auf denen, die sie selber sich suchen; wer ihnen die Unordnung gönnt, muß nicht lieblos zu ihnen sein, sondern nur ihren Launen gehorsam. Dafür wird er dann häufig bestraft, denn diese Bücher sind es, die am liebsten sich davon machen.


O'Brien, Flann: Roman und Drama

  Es wurde festgestellt, daß zwar Roman und Drama einen gleich angenehmen intellektuellen Zeitvertreib darstellten, der Roman dem Drama jedoch insofern unterlegen sei, als es ihm an den äußeren Akzidenzien der Illusion gebreche und der Leser sich häufig auf gemeine Art und Weise überlisten lasse und an den Schicksalen illusorischer Charakter echten Anteil nehme. Das Theaterstück werde in bekömmlicher Form von großen Massen an öffentlichen Versammlungsstätten konsumiert, den Roman führe man sich selber im privaten Bereich zu Gemüte. Der Roman könne in den Händen eines skrupellosen Autors despotisch wirken. Als Antwort auf eine Anfrage wurde erklärt, ein ordentlicher Roman habe ein offenkundiger Schwindel zu sein, dem der Leser den Grad seiner Leichtgläubigkeit nach Belieben anpassen könne. Es sei undemokratisch, Romanfiguren zu zwingen, eindeutig gut und böse, arm oder reich zu sein. Jeder von ihnen sollte ein Privatleben, Selbstbestimmung und ein anständiger Lebensstandard gewährt werden. Dies würde Selbstachtung, Zufriedenheit und bessere Diensterfüllung gewährleisten. Es sei nicht korrekt zu behaupten, hierdurch werde ein Chaos herbeigeführt. Die Figuren der einzelnen Bücher sollten austauschbar sein. Der gesamte Bestand der vorhandenen Literatur sei als Limbus anzusehen, dem scharfsinnige Autoren ihre Figuren je nach Bedarf entnehmen könnten, so daß sie nur dann selber eine zu erfinden brauchten, wenn es ihnen nicht gelinge, unter den verhandenen Marionetten eine geeignete ausfindig zu machen. Der moderne Roman habe weitgehend aus Verweisen zu bestehen. Die meisten Autoren verbrächten ihre Zeit damit, zu sagen, was früher schon gesagt worden sei - und das meist viel besser. Eine Fülle von Verweisen auf bereits vorhandene Werke würde den Leser augenblicklich mit dem Wesen eines jeden Charakters bekannt und ermüdende Erläuterungen hinfällig machen sowie Scharlatane, Parvenus, Taschenspieler und Leute niederen Bildungsstandes von einem Verständnis der Gegenwartsliteratur wirksam ausschließen. (Flann O'Brien: In Schwimmen-zwei- Vögel, S. 32f.)


Oehme, Matthias: Gruppen von Autoren

  Autoren sind naturgemäß die Feinde des Verlegers. Sie gliedern sich in zwei Gruppen. Die eine - und unendlich größere - besteht aus den Autoren, deren Bücher man nicht herausbringt, die andere aus jenen Autoren, deren Bücher zwar erschienen sind, für die der Verlag aber zu wenig tut: die er zu wenig bewirbt, für die er zu selten Veranstaltungen, Lesungen, events organisiert, für die er keine oder zu wenige oder nur schlechte Rezensionen zuwege bringt, für die der Verlag nicht den berechtigten Platz auf einer Bestsellerliste erkämpft. Es gibt einige Autoren, auf die das alles nicht zutrifft, zu wenige, um sie eine Gruppe zu nennen. Von denen lebt ein Verlag. Angesichts dieser Ausgangslage bin ich froh, daß ich unter meinen Autoren auch einige Freunde habe. (Ein paar Gründe, kein Verleger zu werden)


Oe, Kenzaburo: Kampf am Schreibtisch

  Diese Bücher sind die Spuren meines Kampfes. Ich habe in meinem Schreibzimmer die Figuren dieser Bücher erschaffen und dann mit ihnen gekämpft. Manchmal haben mich die Figuren auch besiegt. Schreiben heißt für mich, andere Personen zu erschaffen und mit ihnen zu ringen. Ich glaube, ich habe mich ganz gut geschlagen. Meinen Erfolg möchte ich nicht daran messen, wie viele Leser ich mit meinen Büchern gewinnen konnte, sondern daran, wie gut ich mit den fremden Menschen, den Figuren, gekämpft habe.


Ohnemus, Günter: Nachts im Bett

  Die alte Frau von gegenüber ist natürlich wieder um neun ins Bett gegangen. Sie hat ihr Fenster halb offengelassen. Sie wird um elf, um eins, um drei und vier oder fünf wieder aufwachen und das Licht anmachen. Ich weiß nicht, was sie dann immer macht, aber ich stell mir vor, daß sie dann immer Kriminalromane liest. Oder Liebesromane. Irgendwelche Heftchen. Es gibt eine ganze Menge alte Frauen, die nachts im Bett solche Sachen lesen. Sie sind vielleicht sogar eine Mehrheit. Jerry Cotton ist der Held ihrer Nachttischlampen, aber sie lesen auch Chandler und Dashiell Hammett. Ich weiß auch nicht, woher das kommt, aber vielleicht ist es beruhigend für sie, zu sehen, wie Dutzende von Leuten sterben, die soviel jünger sind als sie selber. Vielleicht gibt ihnen das nachts für ein paar Stunden das Gefühl, sie wären unsterblich. (Günter Ohnemus: Zähneputzen in Helsinki, S. 12)


Opitz, Detlef: Insel-Bücherei

  Hier hatte der Sammler Anton Kippenberg vor längerer Zeit eine geniale Idee: schmächtige, kartonierte und doldentapezierte Bändchen - die Insel-Bücherei. Und es brauchte wiederum nur wenige Jahre, bis sich die Insel- Bücherei ihrerseits zum Tummelplatz einer ganz eignen Spezies von Sammlern gemausert hatte. Allerdings ist es mit dem Sammeln von Inselbändchen eine heikle Sache, will sagen: eine Wissenschaft. Du wirst selten einen treffen, der dir zuverlässig sagen kann, wie viele Titel sich die Bücherei bis heute einverleibte - sie zu zählen, verlangt die ganz hohe Kunst. Es wimmelt nur so an Mehrfachvergaben; zwei, oft genug drei Titel, die sich in eine Nummer teilen. Manchmal vier. Des Durcheinanders nicht genug, gibt es selbstverständlich auch einzelne Titel unter verschiedenen Nummern. Kein Mensch hat je den heillosen Grund dafür erfahren, rsp. das System zu erforschen vermocht, dem du folglich eine gewisse Genialität nicht absprechen magst: was könnte das einfältige Sammlerherz mehr aufhetzen und in Rage versetzen, als solcherart Finesse! (Detlef Opitz: Der Büchermörder, S. 167)


Opitz, Detlef: Ein Muß

  Der Magister schrieb mindestens noch drei weitere Bücher, die allerdings erst viel später erschienen. Das wichtigste davon ist eine 300-seitige Abhandlung zur Offenbarung. Es wurde ja Zeit, könntest du sagen, denn jeder Landpfarrer, der auf sich hielt, hatte schon ein Buch über die Offenbarung geschrieben, da sollte der gelehrte Magister Tinnius nicht fehlen! (Detlef Opitz: Der Büchermörder, S. 339)


Orsenna, Erik: Übersetzer sind Seeräuber

  "Übersetzer sind Seeräuber." (...) "Worin besteht die Arbeit des Seeräubers? Wenn ein fremdes Schiff ihm gefällt, entert er es und durchsucht es. Er wirft die Besatzung ins Meer und ersetzt sie durch Freunde. Dann hißt er auf dem höchsten Mast die Nationalflagge. Der Übersetzer tut das gleiche. Er kapert ein Buch, wechselt die gesamte Sprache aus und tauft es französisch. Haben Sie nie gedacht, daß die Bücher Schiffe sind und die Wörter ihre Besatzung?" (Erik Orsenna: Inselsommer, S. 22)


Orsenna, Erik: Wortchirurgie

  Die ersten Schritte des übersetzenden Korsaren auf der Insel waren ganz weise und vorsichtig: zunächst nahm er sich nur verstorbener Autoren an. Welche viele gute Eigenschaften hatten, vor allem Unerschütterlichkeit und Geduld. Das Übersetzen ist nämlich eine schmerzhafte Operation, die mit der Chirurgie verwandt ist (man amputiert Sätze, man durchtrennt Sinnzusammenhänge, man transplantiert Wortspiele, man zerreibt, man bindet ab; unter dem Vorwand der Treue verrät und quetscht man). Die verstorbenen Autoren protestierten nie. Und mit in der Ewigkeit Weilenden konnte man sich so viel Zeit lassen, wie man wollte. Man riskierte keine Ordnungsrufe, keine nervös auf das Glas der Armbanduhr pochenden Zeigefinger. Im Ungang mit diesem reizenden Volk (Henry James, Charles Dickens, Jane Austen) hatte der Übersetzer schlechte Gewohnheiten angenommen. Er arbeitete, wenn die Lust ihn überkam: selten. (Erik Orsenna: Inselsommer, S. 23)


Orsenna, Erik: Romanbeginn

  Das Werk begann ruhig in einem gut bekannten Ton. Doch zwei Seiten weiter, nach den unvermeidlichen genealogischen Vorstellungen, die Romanen eine Ähnlichkeit mit vom Hals bis zu den Fesseln zugeknöpften Frauen verleihen, so sehr nagt die Ungeduld an einem, zur Sache zu kommen, schwang der Autor sich auf, ließ sich von einem Bild zum nächsten tragen... (Erik Orsenna: Inselsommer, S. 42)


Orsenna, Erik: Gelehrter Wust von Wörtern

  Ein Garten ist auch ein gelehrter Wust von Wörtern. Wer sich darin ergeht, ohne benennen zu können, genießt nur eine etwas verschwommene Oberfläche. Ähnlich wie die Welt vor der Schöpfung (am Anfang war das Wort). Oder wie die eines Kurzsichtigen, dem durch die Ohrfeige einer plötzlich prüden Frau die Brille abhanden gekommen ist. (Erik Orsenna: Inselsommer, S. 55)


Orsenna, Erik: Dissertation

  "Kollege, nicht wahr? Sie sind auch Doktorand?" (...) "Ich arbeite über eine Liebe von Stendhal, eine unbekannte Leidenschaft." "Spannend, wirklich spannend." Der Gelehrte dachte an den Enthusiasmus seiner Jugend zurück, als auch er glaubte, man könnte eine Dissertation beenden. Er sagte sich, daß irgendwann, in zwei oder drei Jahren, die klugen dicken Bücher, die auf dem Kai herumlagen und so manchen Seemann einschüchterten, ihrerseits die Tiefe eines Schranks bereichern würden. Mit allen auf der Insel aufgegeben, unnütz gewordenen Unterlagen, den Überresten der abgebrochenen Projekte, hätte man die allervollständigste Enzyklopädie schreiben können. (Erik Orsenna: Inselsommer, S. 58)


Orsenna, Erik: Befreite Bücher

  Sie hatten vom Schiff zum Kai eine Kette gebildet und reichten den Krempel jedes von Wasser umgebenen häuslichen Lebens von Hand zu Hand weiter: Kartons mit Apfel-Erdbeermarmelade, Babystühle, Spülbecken, Schwimmreifen mit Entenkopf, Monopolyspiele, Regale, Stichsägen... ganz zu schweigen von zusammenlegbaren Bidets, denen manche eine empfängnisverhütenden Wirkung zuschrieben. Etwas abgesondert kämpfte ein blutjunger Mann mit Wörterbüchern. Sie waren aus einem Koffer gequollen und lebten auf dem Kai ihr Eigenleben wie Jungen im Ferienlager, die zu lange eingesperrt waren. Kaum aufgestapelt, fielen sie wieder auseinander. Kaum auf dem Boden, planschten sie in Wasserlachen herum, und die weisen seltenen Bücher schlürften, glücklich, daß ihre Seiten sich warfen, den dicht fallenden Sprühregen. (Erik Orsenna: Inselsommer, S. 57)


Ortheil, Hanns-Josef: Don Juan

  Die letzten Jahre seines Lebens verbringt Giacomo Casanova als Bibliothekar des Grafen Waldstein auf einem Schloß im böhmischen Dux. Er schreibt an seinen vieltausendseitigen Memoiren, nie hat ein Schriftsteller idealere Bedingungen für sein Schreiben gefunden: Ländliche Abgeschiedenheit, eine frugale Mahlzeit pro Tag, keine Zerstreuung, 13 Stunden am Tag allein mit sich selbst und dem Papier. Was vielen wie ein Kerker erscheinen mag, ist nichts anderes als autistisch erlebtes Glück, Leben in der Erinnerung, Dialog mit sich selbst, Murmeln der fernen Stimmen. Casanova lacht viel, während er schreibt, nie hat er sich besser amüsiert, welch ein Vergnügen ist es, notiert er, an einmal erlebtes Vergnügen zu denken! Jung werde er darüber, schülerhaft, ja beinahe närrisch, und dieser Übermut führt zu einer gewissen Ausgelassenheit, einem feinen, sprühenden, übertriebenen Zynismus, der jede Diskretion übersteigt. Nur so kann Casanova schreiben, nicht für Leser seiner Tage, sondern als Stimmendeklamator im Totenreich. (Hanns-Josef Ortheil)


Ortheil, Hanns-Josef: Bibliomanen und Elephanten

  Bibliomane, das sind Leser, die Bibliotheken um ihrer selbst willen lesen, Leser, die nicht aufhören können, aus Büchern ihre eigenen Exzerpte zu schneiden, Leser, die diese Exzerpte in kunstvoll geplanten Systemen ordnen und übersichtlich machen, Lesetiere also, schwer, übersättigt und langsam, tief in das immer gewaltiger werdende Buchstabenfett vergraben. Bibliomanen, das sind die Elephanten des Lesens. (Hanns-Josef Ortheil: Das Element des Elephanten)


Ortheil, Hanns-Josef: Literatur des Unglücks

  Das Schlimme ist nur, daß Elan, Enthusiasmus und das erwünschte Glück nicht für das Literarische taugen. Seit Jahrhunderten haben sich die besten Schriftsteller vielmehr Freude und Glück aus guten Gründen strengstens verboten, jeder Leser weiß schließlich inzwischen, wie unglücklich es in der Literatur zugeht, die beste Literatur ist vor allem aus Unglück gemacht, steht überall, und wenn es das Unglück nicht gäbe, müßte man es erfinden, so langweilig wäre sonst alles, vor allem aber die Literatur. (Hanns-Josef Ortheil: Lo und Lu, S. 228)


Ortheil, Hanns-Josef: Schöpfer einer Welt

  Als Romanautor bin ich der Schöpfer einer universellen Welt, der fähig sein muss, diese Welt aus den verschiedensten Blickwinkeln zu betrachten. Für jede dieser Perspektiven benötige ich aber eine ganz eigene Sensibilität und Erfahrung. Ich muss eine Sensibilität dafür haben, wie Menschen in bestimmten Situationen handeln und reden, ich muss wissen, wie sie sich kleiden und was sie essen, ich muss aber auch eine Art Beichtvater sein, der weiß, was sie verdrängen oder was sie im Innersten bewegt.


Ortheil, Hanns-Josef: Mutter liest

  Mutter hat den schweren Sessel schräg vor das Fenster gerückt und die helle Gardine beiseite geschoben. Neben dem Sessel steht ein rundes, samtbezogenes Tischchen, darauf eine Kanne mit Tee und eine winzige Tasse, Mutter liest. Oft liest sie lange Zeit, ohne sich einmal zu rühren, und oft schleiche ich mich in diesen stillen Leseraum, ohne dass sie mich bemerkt. Ich kauere mich leise irgendwohin, gegen eine Wand oder vor das große Bücherregal, ich warte. Irgendwann wird sie etwas Tee trinken und von ihrer Lektüre aufschauen, das ist der Moment, in dem sie auf mich aufmerksam wird. Sie schaut etwas erstaunt, ich schaue zurück, ich versuche, herauszubekommen, ob ich mich zu ihr ans Fenster setzen darf. (Hanns-Josef Ortheil: Die Erfindung des Lebens)


Ortheil, Hanns-Josef: Begegnung mit einem Schriftsteller

  Ich sagte ihr, dass ich Schriftsteller sei und gerade an einem Roman über meine Biographie arbeite, weswegen ich gerade jetzt nicht gern über mein bisheriges Leben sprechen würde, dieses Sprechen würde mich durcheinanderbringen, und gegenüber einem Schreibstoff gelte sowieso ein absolutes Schweigegebot. Sprechen Sie mit niemandem über ein in Arbeit befindliches Manuskript?, fragte sie neugierig, und ich bedauerte sofort, nicht gelogen und mich als Architekt oder Immobilienhändler ausgegeben zu haben. Die meisten Menschen geraten nämlich, wenn sie einem Schriftsteller begegnen, in eine gewisse Verzückung, als wäre es das Großartigste und Seltenste auf der Welt, einem Menschen zu begegnen, der täglich einige Seiten mit Buchstaben und Worten füllt. Meist beginnt dann ein ewiges Fragen (Schreiben Sie noch mit der Hand? Machen Sie sich vorher Notizen? Wie lange arbeiten Sie an einem Roman?), es handelt sich um eine Fragerei, die niemand einem Architekten oder Immobilienhändler zumuten würde (Besichtigen Sie die Wohnungen, die Sie verkaufen wollen, vor einem Kundengespräch selbst? Machen Sie sich dabei Notizen? Wie lange brauchen Sie für einen Verkauf?), mit der ausgerechnet Schriftsteller aber unaufhörlich genervt werden. (Hanns-Josef Ortheil: Die Erfindung des Lebens)


Oswald, Georg M.: Über die Schulter

  Ich schaue einer kleinen dicken Frau, die nach süßem Parfum stinkt, über die Schulter und lese in ihrer Abendzeitung. Als sie es bemerkt, dreht sie sich ein wenig zur Seite und duckt sich über das Gedruckte, damit ich es ihr nicht weglesen kann. (Georg M. Oswald: Alles was zählt, S.15)


Oswald, Georg M.: Die Knute der Zensur

  Es ist selbstverständlich, dass die Literatur in den Jahrhunderten davor starke Traditionen herausgebildet hat, wie unter der Zensur, mit ihr und gegen sie zu schreiben sei. Sie scheinen plötzlich obsolet, denn wo nichts verboten wird, kann man sich gegen Verbote nicht wehren. Ebenso selbstverständlich ist, dass den Schriftstellern etwas fehlt, wenn ihnen plötzlich der beste Feind abhanden kommt, so dass die neu gewonnene Freiheit durchaus etwas Schales an sich hat. Es gibt deshalb die gelegentlich an literarischen Stammtischen geäußerte Ansicht, nur unter der Knute der Zensur könne große Literatur entstehen. So abstrus diese Auffassung ist, sie ahnt zumindest, dass in unfreien Zeiten von der Literatur mehr erwartet wird als in freien. Wenn ästhetisch wie politisch alles erlaubt ist, ist alles egal, also nicht der Rede wert.


Oswald, Georg M.: Ein besessener Leser

  Er mußte ein besessener Leser sein. Ich empfand eine seltsame Mischung aus Überheblichkeit und Demut, als ich mit dem Zeigefinger über die Rücken einer vielbändigen und offenbar jahrzehntelang gelesenen Goethe-Ausgabe streifte. Das meinte er also, wenn er von Bildung sprach, ganz so, wie es sich einmal gehört hatte. Ich bin der Schriftsteller, dachte ich, aber Schmidt kannte die Literatur. Hier stand der ganze Goethe, da Jean Paul, dort Lessing und hier Shakespeare, und so, wie diese Bände aussahen, zerlesen und abgegriffen, waren sie seit Dekaden in stetigem Gebrauch. Nicht anders als die Taschenbücher, die in langen Reihen darunter standen, Ausgaben aus den fünfziger, sechziger und siebziger Jahren, wenige aus neuerer Zeit. Die Sachen, die Schmidt, als Schüler und Student gelesen hatte, und die, die er sich später gekauft hatte, um "am Ball" zu bleiben. Man hätte Schmidts intellektuelle Biographie anhand dieser Taschenbücher erzählen können, man hätte sehen können, daß er sich ein Leben lang den "brennenden Fragen der Zeit" gestellt hatte, indem er sich mit den einschlägigen Büchern befaßt hatte. Diese unverdrossene lebenslange Aufgeschlossenheit rührte mich, sie wirkte so jungenhaft und in einem höheren, ja schönen Sinn naiv, daß ich sie nicht unbedingt mit dem Anwalt, der gerade da draußen damit beschäftigt war, zu seinem Vorteil seine Tochter unter die Haube zubringen, in Verbindung gebracht hätte. (Georg M. Oswald: Im Himmel, S. 87f.)


Oz, Amos: Die Treue der Bücher

  "Einmal, ich war sieben oder acht Jahre alt, sagte mir Mutter, (...) es stimme zwar, daß Bücher sich im Laufe der Jahre verändern könnten, genauso wie Menschen sich mit der Zeit veränderten, aber der Unterschied liege darin, daß Menschen dich letztlich fast alle im Stich ließen, sobald sie keinen Nutzen oder keine Freude oder kein Interesse oder einfach keinen Gefallen mehr an dir fänden, während Bücher dich niemals im Leben im Stich ließen. Du würdest sie natürlich gelegentlich beiseite legen, manche sogar viele Jahre oder auch für immer. Aber sie, die Bücher, würden dir auch dann, auch wenn du ihnen untreu geworden warst, niemals endgültig den Rücken kehren: Ganz still und bescheiden würden sie auf dem Regal auf dich warten, sogar jahrzehntelang würden sie warten, ohne zu klagen. Bis du eines Nachts plötzlich eines von ihnen brauchtest, und sei es um drei Uhr früh, und sei es auch ein Buch, das du Jahr um Jahr vernachlässigt, ja fast aus dem Gedächtnis gelöscht hattest, es wird dich nicht enttäuschen, sondern vom Regal herunterkommen und in dem Moment bei dir sein, in dem du es brauchst. Es wird nicht mit dir abrechnen, keine Ausflüchte erfinden und sich nicht fragen, ob es sich für es lohnt, ob du es verdienst oder ob du noch zu ihm paßt, sondern wird einfach sofort kommen, wenn du es bittest zu kommen." (Amos Oz: Eine Geschichte von Liebe und Finsternis)


Papiro, Martina: Das Bücherwürmchen

 Hat jemand von euch ihn jemals gesehen? Ich meine ihn ­ den Bücherwurm, den echten. Wie sieht er aus? Wie geht er vor, frisst er sich wahl- und planlos durch das gesammelte Weltwissen oder verfolgt er eine bestimmte Strategie? Nagt er quer durch die Lagen oder lässt er sich von den Zeilen führen? Verfügt man nicht über eine altehrwürdige Bibliothek, wo man ihm persönlich begegnen könnte, stösst man beim Versuch, diesem Fabelwesen durch den Griff nach dem Wörterbuch näherzukommen, auf gewisse Schwierigkeiten. Denn den Bücherwurm gibt es eigentlich nicht. Man findet (im Brockhaus) den Buchdrucker (ips typographicus), der nur seiner Frassgänge wegen zu diesem Namen gekommen ist, die Bücherlaus, die scharf auf Schimmelpilze ist und nicht auf deren Träger, den Bücherskorpion (!), der "besonders zwischen alten Büchern" auf die obengenannten Bücherläuse lauert (keine Angst, er besitzt keinen Giftstachel und ist nur etwa 3 mm lang). Der den Namen Bücherwurm trägt, ist in Wirklichkeit ein Klopfkäfer (ptilinus pecticornis) im Larvenstadium, schwarz und bis 4 mm lang. Im Prinzip eine ganz unspektakuläre Angelegenheit, die mit dem Bücherwürmchen. Doch denken wir mal kurz über dessen Tätigkeit nach. Währenddem wir ahnungslos unser Dasein fristen, nagt das Bücherwürmchen beständig an der schriftlichen Erinnerung, gnadenlos, Biss um Biss, bis das Buch wie das Gehirn eines von Alzheimer befallenen Menschen zerfressen ist. Da vertrauten die Westeuropäer ihre Gedanken, ihre Kultur der Schrift an, und siehe ­ der "Zahn der Zeit" lässt die Bücher zu einer Scherenschnittsammlung werden (diese kann natürlich einen durchaus ästhetischen Reiz haben). Der Bücherwurm als Symbol der vanitas? Da das menschliche Erinnerungsvermögen ein versagendes ist (weshalb würden wir ansonsten stets die Geschichte wiederholen?), übertrug man die Aufgabe der Erinnerung, des Bewahrens der schriftlichen Tradierung. "Es steht geschrieben" klingt ja so versichernd. Bis heute hat sich wenig an dieser Tatsache geändert. Doch auch die modernen, technologisierten Formen der Tradierung sind vor der damnatio memoriae nicht gefeit: in vergeistigter Form schlemmt sich das Bücherwürmchen als Computervirus durch die Systeme, welche die Tradierung ermöglichen sollen. Wir sind von einem gut organisierten Netzwerk des Vergessens beherrscht, beginnend mit der Schwierigkeit, Wissen, schon nur mündliches, verlässlich zu speichern und zu übermitteln. Für jeden Gedanken gibt es zusammen mit allen anderen Möglichkeiten der Tilgung von Erinnerung einen kleinen Bücherwurm, der zunächst unbeachtet, aber sehr zuverlässig seine Arbeit verrichtet.


Pawel: Kafka und Bücher

  Es wahrte eine innere Distanz zu seinen Mitmenschen, war aber dennoch selten allein: man muß immer wieder die Rolle der Lektüre in Kafkas Leben betonen. Bücher waren seine wahren Lehrer, seine intimsten Freunde, manchmal allerdings auch seine gefährlichsten Feinde. "Manches Buch wirkt wie ein Schlüssel zu fremden Sälen des eigenen Schlosses", schrieb er 1903 an Oskar Pollak. Er liebte Bücher, liebte es, sie anzufassen oder sie einem Schaufenster ausgestellt zu sehen. Brod berichtet, daß Kafka seines Wissens nach niemals Bücher aus der reichhaltigen Bibliothek der "Lesehalle" ausgeliehen habe, aber die alten kleinen staubigen Buchhandlungen der Stadt gehörten zu seinen liebsten Aufenthaltsorten, und sein ganzes Leben lang suchte er in Verlagsprospekten nach Lektüre, die ihn interessieren konnte. In anderer Beziehung sparsam, manchmal sogar ausgesprochen geizig, ließ er sich zu Extravaganzen hinreißen, wenn es um Bücher ging - und er hatte kein schlechtes Gewissen dabei. Seinen Freunden gegenüber war er ausgesprochen großzügig; er überreichte ihnen gerne einen mit Bedacht ausgewählten Roman oder einen Band Gedichte als Geschenk. Aber er war kein Sammler, seine Gier wurde nicht durch antiquarische Raritäten oder schöne Einbände geweckt, sondern durch den Text, der sich zwischen den Buchdeckeln fand. Er kaufte die Bücher nicht nur, er las sie auch. [...] Brod zählt einige von Kafkas frühen Lieblingsautoren auf: Goethe, Thomas Mann, Hesse und Flaubert, dazu eine Reihe von deutschen Klassikern des neunzehnten Jahrhunderts, Hebbel zum Beispiel, Fontane und Stifter [...] Selbstverständlich wandelte sich Kafkas Geschmack im Laufe seines Lebens und seine Leidenschaft für Schriftsteller wie Flaubert, Hofmannsthal, Dickens, Dostojewkski, später Goethe, Kleist und Kierkegaard, bezeugt sein geistiges Wachstum. (Aus: Pawel, Das Leben Franz Kafkas. S. 184f.)


Pearl, Nancy: Futterplätze für Geist und Seele

  Frage: Sie scheinen keine besonders gute Meinung von der Aufmerksamkeitsspanne der Leser zu haben. Warum empfehlen Sie, jedes Buch, das einem nach ein paar Seiten nicht gefällt, auf die Seite zu legen? - Nancy Pearl: Je älter man ist, umso weniger seiner kostbaren Lebenszeit sollte man mit schlechten Büchern verschleudern. Lies nicht mehr als fünfzig Seiten, bevor du dich entscheidest. Und wenn du älter bist, heißt die Formel hundert minus Lebensalter. Frage: Also sollen sich Kinder möglichst lange durchbeißen? - Nancy Pearl: Nein, denen empfehle ich bis zur Entscheidung übers Buch drei Kapitel zu lesen. Der Grund ist doch, dass es keinem etwas bringt, sich durch ein Buch zu quälen. Aber ich lasse mir immer die Option offen, das verschmähte Werk später noch einmal in die Hand zu nehmen und es erneut zu probieren. Frage: Entscheiden Sie ganz aus dem Bauch? - Nancy Pearl: Es kommt alles aus dem Bauch heraus. Für mich ist die Stimmung, in die mich ein Buch versetzt, entscheidend. - Frage: Geben Sie damit nicht jeglichen literarischen Standard auf? - Nancy Pearl: Ich kenne diesen Vorwurf. Aber ich glaube das nicht. Es macht doch keinen zu einem besseren Menschen, wenn er sich durch Proust oder Joyce kämpft - außer es macht ihm Spaß und er genießt es. (Quelle)


Péju, Pierre: In die Wunde

  Vollard hatte die Literatur nie als Entspannung angesehen und die Lektüre nie als Trost. Im Gegenteil. Wenn man wie wahnsinnig las, so wie er immer schon gelesen hatte, bedeutete das eher, daß man die Wunde eines anderen aufdeckte. Die Wunde eines einesamen Mannes, das Unbehagen einer einsamen Frau. Lesen bedeutete, in diese Wunde hinabzusteigen, sie zu durchlaufen. (Pierre Péju: Die kleine Kartäuserin, S. 124)


Péju, Pierre: Souveräne Anarchie

  Das 'Wort und Sein' war eine alte Buchhandlung. Ein dämmmeriger Laden, nicht weil es zu wenig Licht gäbe, sondern wegen der vielen Nischen und Ecken. Ein tiefer Laden, dunkles, abgenutztes Parkett und ein paar verstecktere Höhlungen. Überall Bücher auf den Tischen liegend oder stehend. Tausende schweigender Beobachter auf den Holzregalen. Täglicher Kampf zwischen Schrift und Staub. Im 'Wort und Sein' standen überbordende Kartons, Bücherstapel, die einzustürzen drohten. Souveräne Anarchie. Grandiose Anarchie. Durcheinander von Genres und Titeln. Fröhliche Alchimie. Und in diese Höhle konnte man jeden Tag kommen und sich Literatur verschaffen, große oder populäre, Geheimtips oder Klassiker. Ein Ort, wie ihn manche junge Leute der Zukunft sich nicht einmal mehr werden vorstellen können, weil es so etwas nicht mehr geben wird, weil diese Mischung aus pedantischster Ordnung und absolutem Chaos verlorengegangen ist, diese Mischung aus Zuneigung zu Büchern und wilder Aufhäufung. Handel in kleinem Maßstab. Diskretes, aber unabdingbares Tauschgeschäft.(Pierre Péju: Die kleine Kartäuserin, S. 58)


Pepys, Samuel: Verheimlichte Lektüre

  Stöberte eine Stunde bei meinem Buchhändler am Strand und kaufte das nichtsnutzige Skandalwerk "L'escolle des filles". Ich nahm nur die broschierte Ausgabe, weil ich es verbrennen will, sobald ich es gelesen habe, damit es nicht in meinem Bibliotheksverzeichnis auftaucht und mir keine Schande macht, wenn es unter meinen Büchern gefunden wird. Nach Hause und bis spät gearbeitet. (Samuel Pepys: Die geheimen Tagebücher, S. 320)


Pesch, Rudolf: Naherwartung contra Schriftlichkeit

  Widerlegt ist mit der Entdeckung der Qumran-Schriften ein altes, häufig wiederholtes Argument, die brennende Naherwartung und die Abfassung schriftlicher Dokumente schlössen sich aus, die Christen könnten also, weil sie in so lebhafter Naherwartung der Wiederkunft Jesu gelebt hätten, gar nicht von Anfang an auch auf schriftliche Überlieferung Wert gelegt haben. Die Qumran-Gemeinde hat in beständiger akuter Naherwartung gelebt und sich doch ein großes Skriptorium gebaut, Schriften abgeschrieben und neue Schriften produziert. (Rudolf Pesch: Die Buchwerdung der neutestamentlichen Offenbarung)


Pesch, Rudolf: Antike Zeilensicherung

  Antike Autoren haben immer wieder versucht, ihre Bücher gegen Verfälschungen zu sichern; das war bei einer Kultur, die auf Abschreiben angewiesen war, ein größeres Problem. Um sich gegen Verfälschungen zu schützen, haben antike Autoren die Zeilen ihres Buches gezählt und genau angeben. (Rudolf Pesch: Die Buchwerdung der neutestamentlichen Offenbarung)


Pessoa, Fernando: Was überdauert

  Die Füße Christi berührt zu haben ist keine Entschuldigung für eine fehlerhafte Interpunktion. Kann jemand nur in betrunkenem Zustand gut schreiben, sage ich zu ihm: Betrinken Sie sich. Und entgegnet er mir dann, das sei schlecht für seine Leber, frage ich ihn: Was ist Ihre Leber? Sie ist etwas Totes, das lebt, solange Sie leben, und die Gedichte, die Sie schreiben, leben ohne dieses Solange. (Fernando Pessoa, Das Buch der Unruhe)


Pestalozzi: Was hälst du vom Lesen?

  Leser: Achtest du das Lesen für gar nichts?
Autor: Wohl freilich.
Leser: Wofür denn?
Autor: Für einen Wagen, den Kinder zum Spaß und Narren zur Pracht umherfahren, auf dem aber gescheite Leute das Nötige aufladen und heimführen. ((Johann Heinrich Pestalozzi)


Petrarca, Francesco: Bücher erfreuen

  Ich kann mich an Büchern nie übersättigen, obwohl ich mehr als genug besitze. Aber dabei ergeht es einem wie mit anderen Dingen: die erfolgreiche Suche spornt erneut zu Habsucht an. Bücher habe etwas Einzigartiges. Gold, Silber, Edelsteine, Purpurgewänder, Marmorpaläste, Gemälde, fruchtbare Felder, prächtig aufgezäumte Pferde und alle diese Sachen bieten nur oberflächliche Genüsse. Bücher hingegen erfreuen im innersten Herzen, sie sprechen mit uns, sie beraten uns, sie sind uns in lebendiger, inniger Gemeinschaft verbunden. Auch schenkt sich ein jedes nicht nur selbst dem Leser, sondern vermittelt ihm auch neue Namen; eins weckt die Sehnsucht nach dem anderen. (Francesco Petrarca)


Petrarca, Francesco: Treue Begleiter

  Bücher sind dankbare und treue Begleiter, immer bereit, wenn man es befiehlt, sich der Welt zu zeigen oder auch an ihren Platz zurückzukehren, stets willig, zu schweigen oder zu sprechen, daheim zu bleiben oder hinauszugehen, zu reisen oder auf dem Lande zu leben. Sie erzählen, scherzen, ermuntern, trösten, ermahnen und tadeln. Sie beraten dich, sie lehren dich die Naturgeheimnisse, das Andenken an große Taten, richtige Lebensführung, Todesverachtung, Maßhalten im Glück, Stärke im Unglück, Gelassenheit und Beständigkeit in allem Tun. Sie sind heitere Gefährten, klug, beredt und bescheiden, neidlos und ohne Arglist; sie bereiten keinen Verdruß und keine Ausgaben; sie klagen und murren nicht. Zu vielen Vorteilen kommt noch, daß sie weder Speise noch Trank brauchen, sich mit einfacher Kleidung und einem Winkelchen im Hause zufrieden geben und doch dem Gastgeber unermeßliche Geistesschätze, geräumige Wohungen, liebenswürdige Gesellschaft und köstliche Speisen schenken. (Francesco Petrarca)


Petrarca, Francesco: Eine unersättliche Begierde

  Du darfst nicht glauben, daß ich alle menschlichen Schwächen überwunden habe, sondern mußt wissen, daß mich eine unersättliche Begierde gefangen hält, die ich bisher weder habe zügeln können noch wollen. Zu meiner Entschuldigung muß ich jedoch sagen, daß ich es nicht für verwerflich finde, etwas von hohem Wert zu erstreben. Willst du nun hören, um was für eine krankhafte Begierde es sich handelt? Um Bücher handelt es sich, von denen ich einfach nicht genug haben kann. Dabei besitze ich wahrscheinlich schon mehr, als ich je benötige. Doch geben Bücher eine tiefe innerliche Befriedigung. Sie sprechen zu uns, sie trösten uns, sie fesseln uns durch die Bande bedeutungsvoller und natürlicher Vertrautheit, und jedes Buch weckt den Wunsch, weitere kennen zu lernen.


Pingeot, Mazarine: Die ideale Bibliothek

  Es würde dort alles geben, aber ich wüsste, wo die Bücher zu finden wären. Gleichzeitig dürfte es auch nicht alles geben, da ich es liebe, in Buchhandlungen zu gehen. Dann müsste es Bücher von Schriftstellern geben, die man nicht kennt. Es ist schwierig, eine ideale Bibliothek zu beschreiben. Es müsste dort von allem etwas geben, aber eben nicht die gesamte Literatur.


Pingeot, Mazarine: Wahrhaftiger Spiegel

  Die Bücher verraten viel über das, was man ist. Sie stehen für eine Chronologie, eine Entwicklung. Duras oder Dostojewski liest man mit 15 Jahren anders als mit 28. Das sagt viel über eine Person und auch ihren Literaturgeschmack. Und auch wenn ich einen sehr breit gefächerten Geschmack habe, bin ich keine Literaturexpertin. Bücher verraten mehr als ein starres Foto. Sie sind lebendig, und man projiziert derart viel von sich in ein Buch hinein, dass Spuren davon zurückbleiben. Wenn man ein Buch nach zehn Jahren noch mal liest, wird man sich an die Zeit, in der man es gelesen hat, zurückerinnern. Man wird sehen, was aus einem geworden ist, ob man sich weiterentwickelt hat. Es ist ein wahrhaftiger Spiegel: Das, was man einst war, bleibt gewissermaßen in dem Buch zurück, wohingegen das heutige Ich nicht mehr dort ist. Es ist ein schönes Spiegelbild von dem, was man ist, und manchmal amüsiert es mich, jemanden, dem ich begegne, zu fragen, was er gerne mag; man bekommt sofort einen Eindruck von dem, welche Art Literatur derjenige gerne mag. Wenn man sich als Anhänger von Flaubert oder Stendal bezeichnet, sagt es sofort etwas über die eigene Person aus, auch wenn das allein nicht ausreicht. Bücher spiegeln die Person sehr intensiv und naturgetreu wider.


Piper, Ernst: Ein Familienbetrieb

  Eigentlich bin ich nicht zum Verlegen gekommen, sondern das Verlegen zu mir. "Es freut mich, so früh den Verleger der dritten Generation kennenzulernen", schrieb Paul Eipper meinen Eltern als Antwort auf die Anzeige von meiner Geburt. Kaum geboren war ich schon eingeplant. Zwar hatte ich drei ältere Geschwister, doch die stammten aus einer früheren Ehe meines Vaters und kamen deshalb, dynastischen Gepflogenheiten entsprechend, für die Erbfolge nicht in Frage. Ich wiederum war mir der hohen Verpflichtung stets bewußt. Schon mit fünf Monaten war ich eifrig bemüht, das Wort "Buch" richtig auszusprechen. Und bald wußte ich auch, was ein Verlag ist. Dabei konnte es sich nur um die Aktentasche meines Vaters handeln, denn die war immer dabeo, wenn es wichtig wurde. Einmal, der Fülle der Manuskripte kaum Herr werdend, verließ mein Vater morgens die Wohnung mit zwei Aktentaschen, und ich sagte zu meiner Mutter: "Schau mal, heute hat Papi zwei Verlag!" (Ernst Piper: Von Familien- und anderen Betrieben)


Platon: Gedächtnis versus Schriftlichkeit

  Als er aber zur Schrift kam, habe Theuth gesagt: "Diese Kunst, o König, wird die Ägypter weiser und gedächtnisreicher machen, denn als Mittel zur Stärkung der Weisheit und des Gedächtnisses ist sie erfunden." Jener aber habe erwidert: "O kunstreicher Theuth, einer weiß die Künste zu mehren, ein anderer zu beurteilen, wieviel Schaden und Vorteil sie denen bringen, die sie gebrauchen. Als Vater der Buchstaben hast du jetzt aus Liebe zu ihnen das Gegenteil dessen gesagt, was sie bewirken. Denn diese Erfindung wird eher Vergeßlichkeit in den Seelen derer bewirken, die sie erlernen, weil sie dann ihr Gedächtnis nicht mehr üben werden; im Vertrauen auf die Schrift werden sie sich nur noch durch diese äußeren Zeichen erinnern, nicht mehr von sich aus, durch inneres Bemühen." (Platon: Phaidros)


Platzgumer, Hans: Literarischer Mißerfolg

  Von einem deutschen Schriftsteller habe ich einmal gelesen, dass er sich aus Enttäuschung über seinen literarischen Misserfolg das Leben nahm. Er stieg auf einen Stapel, den er aus seinen erfolglosen Büchern und Manuskripten errichtet hatte, und sprang von seinem Qeuvre aus in den Strick. Würde ich all meine Tagebücher und die zwei ausgeuferten Romanmanuskripte übereinanderstapeln, die ich verfasst und nie vollendet habe, der Absprung von meinem Werk könnte mich kaum töten. (Hans Platzgumer: Am Rand)


Pleschinski, Hans: Nicht verlöschende Lektüre

  Um mich tiefer in den energetischen Entladungen des 18. Jahrhunderts verlieren zu können, gaben meine Verwandten mir die Romane der Sachsen-Trilogie des Polen Josep Krazewski in die Hand: 'Gräfin Cosel, Der Siebenjährige Krieg und Brühl'. Die Trilogie wurde meine erste gierig verschlungene und also nicht so rasch wieder verlöschende Lektüre. (Hans Pleschinski: Ostsucht. Eine Jugend im deutsch- deutschen Grenzland, S. 81)


Poe, Edgar Allan: Ein Buch zu schreiben

  Sollte irgend einem Mann von Ambitionen der Sinn danach stehen, mit einem einzigen Gewalt- Streich die gesammte Welt menschlichen Denkens, menschlichen Meinens und menschlichen Empfindens zu revolutionieren, so steht ihm solche Gelegenheit jederzeit zu Gebote - so liegt die Straße zum unsterblichen Ruhm schnurgerade, offen und ohne jegliches Hinderniß vor ihm. Was er zu tun hat, ist lediglich, ein ganz kleines Buch zu schreiben und zu publicieren. Der Titel sollte recht einfach sein - dürfte blos wenige, schlichte Worte umfassen: "Mein bloßgelegtes Herz". Allein, dies kleine Buch müßte halten, was sein Titel versprach. Ist's nun aber nicht höchst sonderbar, daß bei all der rabiaten Gier nach Notorietät, welche so vielen Exemplaren der Species Mensch anhaftet - so vielen auch, die sich keinen Deut drum scheren, was man nach ihrem Tode von ihnen denken mag: ist's da nicht höchst sonderbar, daß kein Einziger unter jenen sich findet, der da genug Kühnheit aufbrächte, dies Büchlein zu schreiben? Zu schreiben, sag' ich! Denn es giebt freilich zehntausend Männer, die, wär' solches Buch erst geschrieben, blos lachen würden ob der Vorstellung, sie könnten sich zu Lebzeiten durch dessen Publication irritiert fühlen, und die erst recht nicht verstünden, wasdenn gegen eine Veröffentlichung nach ihrem Tode einzuwenden wäre. Aber dieses Buch zu schreiben - das liegt der Hase im Pfeffer! Darüber wagt sich Keiner und wird sich in aller Zukunft Keiner wagen. Und wagte es gleich Einer, so könnt' er's gar nicht schreiben! Glosend verschrumpfen würde das Papier unter den Zügen so brennender Feder!


Pontiggia: Zu einem Quint-Buchholz-Bild

 Es war einmal ein unentschlossener Schriftsteller: Wenn er schrieb, bedauerte er, daß er nicht lesen konnte, und wenn er las, bedauerte er, daß er nicht schreiben konnte.
Eines Tages bekam er einen Breif, in dem stand: "Ich habe aus einem Interview von Ihrem Problem erfahren. Folgen Sie dem auf diesem Blatt beschriebenen Weg, und Sie werden es lösen." Unterschrieben: Ein Freund.
Der Schriftsteller folgte der Beschreibung und gelangte zu einer Ebene, wo viele Blätter in geometrischer Anordnung verstreut lagen, bis hin zu einer verschlossenen Tür in einer Wand aus Holz. Im Gras sah er eine angezündete Kerze, den Schuh einer Frau und eine Sanduhr.
Der Schriftsteller dachte: In dem Leben, das mir noch bleibt, wird mir die Liebe helfen, das Wesen der Zeit zu begreifen.
Er hob das erste Blatt auf: es war weiß. Auch das zweite war weiß. Alle Blätter waren weiß. Er ging zu der Tür und öffnete sie, aber auf der anderen Seite war nichts, nur die endlose Ebene. Da begriff er, daß die weißen Blätter das Buch waren, daß er schreiben und daß er lesen wollte, denn Schreiben und Lesen waren endlich eins geworden. [Giuseppe Pontiggia: Zu einem Bild von Quint Buchholz]


Postman: Neil: Orwell & Huxley

  Orwell fürchtete jene, die Bücher verbieten würden. Huxley hatte die Befürchtung, daß es gar keinen Grunde mehr geben werde, Bücher zu verbieten, weil kein Mensch überhaupt noch eines lesen wollte. Orwell hatte Angst, man würde uns die Wahrheit vorenthalten. Huxley fürchtete, daß die Wahrheit in einem Meer von Belanglosigkeiten untergehen werde. Orwell fürchete, wir würden alle in permanenter Gefangenschaft enden. Huxley sah uns dagegen zu völlig oberflächlichen Menschen verkommen... In Orwells Buch, meint Huxley, werden die Menschen durch zugefügten Schmerz in Schach gehalten. In der "Brave New World" erfülle das schiere Vergnügen denselben Zweck. (Neil Postman)


Powys, John Cowper: Lieblingsautoren

  Wie das Himmelreich und alle anderen hohen und heiligen Dinge offenbaren die ausgesuchtesten Arten von Büchern den Duft ihrer seltenen Essenz nur jenen, die sich aus reinem Wohlgefallen um ihrer selbst willen lieben. Natürlich 'vermengen' sie sich, diese Lieblingsautoren, mit jeder Begebenheit, die uns zustößt. Sie verleihen Orten, Stunden, Situationen, Anlässen einen ganz besonderen, einzigartigen Zauber, wie dies auch von unseren menschlicheren Zuneigungen gilt. Aber wenn sie auch wie ein sich ausbreitender Wohlgeruch um jeden Umstand unseres Lebens schweben und vielleicht sogar die sonst unerträglichen Stunden unserer dreisten 'Lebensarbeit' erträglich machen, lieben wir sie nicht deswegen, weil sie uns hie und da beistehen. Wir lieben sie deshalb, weil sie sind, was sie sind, und wir sind, was wir sind. (John Cowper Powys)


Proust, Marcel: Lesen in der Kindheit

  Wohl von Kind auf ist es das Lesen bereits ein köstliches und ergiebigeres Vergnügen als später, wenn einem im Alter selbstgefälliger Tatenlosigkeit das Leben fern ist, wenn wir es uns in dem alten Bücherzimmer mit seinen Regalreihen voll Honig ersparen, selbst zu denken, und unsere geistige Nahrung fertig zubereitet zu uns nehmen und wir uns darüber freuen, dass unsere Gedanken, die es müde sind, der unfasslichen Wirklichkeit nachzulaufen, auf jenen kleinen Bänden zur Ruhe kommen, die die buchstäbliche Wahrheit innehaben und die man liest, nachdem der Geist ebenso angenehm eine Stütze gefunden, wie der Kopf in den Sessel gedrückt wurde. Nein, so lesen wir nicht in der Kindheit, da lesen wir ganz aus eigenem Antrieb, das Buch ist für uns nichts als das offene Tor zu allen Wegen, die bis an das Ende der Welt reichen.


Puzo, Mario: Mißfallen

  Ihr gefiel nicht, daß ich die ganze Zeit las. Sie sagte immer: "Das Lesen wird dich nirgendwo hinbringen." Ich glaube, ich habe einmal geschrieben, daß für diese italienischen Bauern ein Bibliotheksausweis damals ungefähr dasselbe war wie eine Heroinnadel für Mütter heutzutage.


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