Bibliomanische FAB  / [S-T]


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Taylor: Ein wundervolles Gefühl

  Einer der köstlichen Aspekte des Älterwerdens ist, daß man seine Ideen kontrollieren kann. Ich litt mein Leben lang unter der Krankheit, Hirn im Kopf zu haben. (...) In der Jugend sprudeln die Ideen nur so, sie sind vielleicht albern, aber man kann sich ihrer nicht erwehren. Nun habe ich gelernt nicht mehr allzusehr unter meinem Gehirn zu leiden... wenn man älter wird, entwickelt sich die Urteilsfähigkeit. Eine meiner Freuden ist es, wenn ein gutes Buch meinen Geist aufrüttelt, ohne daß ich das Gefühl haben muß, anschließend zur Schreibmaschine greifen zu müssen. (...) Es gibt nichts Schöneres als während des Lesens einzunicken, schließlich fest zu schlafen und von dem Knall des auf den Boden fallenden Buches aufgeweckt zu werden und sich sagen zu können: was soll's, das macht gar nicht. Ein wundervolles Gefühl. (A.J.P. Taylor)


Tellkamp, Uwe: Der Verlegerblick

  "Schiffner steht nur auf, strafft sich und fährt sich knapp übers Haar, leimt den irrlichternden Autorenblick mit seinem väterlichen Verlegerblick fest, reicht die Rechte und weist mit unnachahmlich abtropfender Handbewegung stumm auf den Armesünderstuhl am Konferenztisch, seinem imperialen, mit münzgroßen, gelben Polsternägeln beschlagenen Chefsessel gegenüber -, wie also der beherrscht wirkenden Schevola zumute ist, kann ich nachfühlen." (Uwe Tellkamp: Der Turm, S. 307)


Tellkamp, Uwe: Generalissmimus und Gemütsfürst

  Manchmal ging Meno dann bedrückt nach Hause, gekränkt, und beteuerte sich zum x-ten Mal, daß seine Buchgeschenke Niklas im Grunde unwillkommen waren, jedenfalls hatte Meno diesen Eindruck; Niklas schien sie nicht zu lesen, und wenn man sich wiedersah, wurde nicht darüber gesprochen. Er ist kein Buchmensch, dachte Meno auf diesen dunklen Heimwegen, ihn interessieren die Bücher nur als schöne Schauobjekte, Füllsel im Schrank, akkurat aufgereiht und hübsch anzusehen hinter Glas, und wichtig ist, daß sie gut gebunden und auf feinem Papier gedruckt sind, gediegene Umschläge haben - nicht der Inhalt. Goethe ist ihm der wichtigste, aber nur, weil er allen hier oben der wichtigste ist, und er ist ihnen der wichtigste nicht, weil sie sich mit ihm auseinandergesetzt, ihn studiert und geprüft, seine manchmal wohlfeilen Sprüchlein an ihrer Wirklichkeit und Lebenserfahrung gemessen haben, sondern weil er anerkannt ist und sanktioniert, weil er des Bürgers, der sie im Grund ihres Herzens hier oben alle sind, liebster Jasager, oberster Ratsherr, Generalissmimus der Meinungen und Gemütsfürst; weil er der Prägekönig ihrer Zitaten-Münze ist. (Uwe Tellkamp: Der Turm, S. 347)


t' Hart, Marten: Vom Schluß her lesen

  Er sagte: "Ich bin dabei, die Bibel jetzt ganz durchzulesen, denn ich will genau wissen, wofür ich mich entscheide, wenn ich Christ werde. Ich muß dir ehrlich sagen: Ich finde es ein merkwürdiges Buch, aber ich hab es noch nicht durch, solange warte ich noch mit meinem Urteil."
"Wie weit bist du?"
"Oh, bei Maleachi, aber ich habe, ehrlich gesagt, von hinten angefangen, ich lese Bücher immer verkehrt herum. Wenn man weiß, wie ein Buch ausgeht, liest man genauer und geduldiger. Meine Mutter sagt immer, daß ein guter Schriftsteller mit dem Schluß beginnt, warum also soll nicht auch der Leser mit dem Schluß anfangen?"
"Dann hast du das ganze Neue Testament also schon gehabt?"
"Natürlich, und ich muß sagen: Den Schluß kannst du glatt vergessen. Was für ein Unsinn. Visionen, aus denen man überhaupt nicht klug werden kann. Und vorher gibt es auch vieles, was ich nicht verstehe, aber bevor ich mir das erklären lasse, will ich die Bibel erst mal ganz durchlesen. Ich hoffe, daß ich dann alles, was ich nicht verstehe, mit dir besprechen kann. [aus: Maarten t'Hart: Das Wüten der ganzen Welt]


t' Hart, Marten: Sommerzeit, Nichtlesenzeit!

  "Nutze den Sommertag", sagte mein Vater, "geh mal an die frische Luft, hol deinen Flieger raus." "Der Wind ist nicht stark genug." "Dann mach den Schwanz eben kürzer." "Ich bin zu alt, um Drachen steigen zu lassen." "Zu alt? Du bist zu alt, um den ganzen Tag die Nase in Bücher zu stecken. Glaubst du etwa, daß es auch nur einen einzigen deutschen Jungen in deinem Alter gibt, der an einem so wunderschönen Sommertag von morgens früh bis abends spät liest? Was soll bloß aus dir mal werden? Meinst du, du könntest immer so weiterlesen, bis du achtzig bist? Meinst du, du könntest damit später dein Geld verdienen?" Er schüttelte den Kopf und fügte hinzu: "Im Sommer müßten alle Bibliotheken geschlossen sein." (Maarten 'tHart: Der Flieger, S. 192)


Thelen, Albert Vigoleis: Richtiges Licht

  "Vigo, was liest du da? Davon steht in deiner Übersetzung auch nicht eine Zeile. Du bist mit deinen Gedanken wieder nicht am angeführten Orte, wenn ich so sagen darf!" "Entschuldige, Beatrice, ich war abgerutscht, zehn Zeilen zu weit nach unten, das kommt durch die Eintönigkeit meiner eigenen Stimme, und wohl auch durch das Zwielicht. Literatur sollte immer nur bei künstlichem Lichte gelesen werden, demselben, das über ihrer Entstehung leuchtet." (Albert Vigoleis Thelen: Die Insel des zweiten Gesichts, S. 75)


Thelen, Albert Vigoleis: Verzehrende Leidenschaft

  Beatricens Umsatz an Lektüre war so groß, daß auch ein reicher Mann nicht leicht imstande wäre, die Lesekrippe immer nachzufüllen. Sie hat einen literarischen Bandwurm, um den ich sie zuweilen beneide. (Albert Vigoleis Thelen: Die Insel des zweiten Gesichts, S. 374)


Thelen, Albert Vigoleis: Wirkungen

  Will es jemand in der Literatur zu etwas bringen, sagt Don Quijote, so kostet es ihn Zeit, durchwachte Nächte, Hunger und Nacktheit; kostet ihn Schwindel im Kopf und Verrenkungen des Magens und andere Dinge mehr, die mit den genannten Symptomen zusammenhängen. Als Sancho Panza möge es mir erlaubt sein, die Erkenntnis des Ritters dahin zu ergänzen, daß auch das, was auf solche Weise zustande gekommen ist, gleiche Auswirkungen auf den Leser haben kann. (Albert Vigoleis Thelen: Die Insel des zweiten Gesichts, S. 435)


Thelen, Albert Vigoleis: Reifungen

  Eine Seite sagt nichts über ein Buch. Zwölf Seiten sagen wenig über ein Buch (...) Bücher reifen nicht wie Wein oder Frauen. Was in ihren Seiten beschlossen liegt, kann eine Wandlung nur noch in uns erfahren. In sich sind sie tot. Ich hielt eine Leiche im Arm. (Albert Vigoleis Thelen: Die Insel des zweiten Gesichts, S. 435)


Thelen, Albert Vigoleis: Lesefähigkeiten

  Ihre Augen sind nicht allein lesegeübt, sie verfügen auch über die merkwürdige Gabe, eine nicht zu breit gesetzte Zeile mit einem einzigen Blick zu fassen und das graphische Bild in Verstandenes umzuformen. Sie liest die Zeilen so, wie sie aus dem Gießkasten einer Setzmschine herausfallen. Das Diagramm ihrer Pupillenvergenz ist darum keine Zickzacklinie, sondern der gleichmäßig sich absetzende gerade Strich. Ein erstaunliches Lesetempo wird bei einem solchen Zeilengreifen erzielt. Der Verstand hält zudem Schritt mit der optischen Schnellmäherei, Strich um Strich fällt das Geschriebene. Ich lese sehr langsam, Wort für Wort, und nur solche Bücher, wo zwischen den Zeilen noch das Meinige steht, das jeden Satzspiegel sprengt und mich zwingt, in den leeren Raum zu stieren. Da ist es begreiflich, daß wir uns nie die schöne Sitte von literarisch gleichgesinnten Eheleuten haben angewöhnen können, auf der Pilariere liegend aus einem Buche zu lesen. Bei uns hat jeder sein eigene Buch. (Albert Vigoleis Thelen: Die Insel des zweiten Gesichts, S. 565)


Thelen, Albert Vigoleis: 37 Absagen

  Gezählte 37 Verleger lehnten die Herausgabe meines Pascoaes ab, bis Rascher in Zürich sich entschloß, das Abenteuer des Geistes zu wagen. Ich hatte somit den Bumerangrekord der Literatur gebrochen, der bis dahin von Remqarque mit 33 Absagen für sein Buch "Im Westen nichts Neues" gehalten wurde. Ich schrieb es dem Dichter. In einer Epoche, wo auf tausend Menschen, die Bücher schreiben könnten, einer komme, der auch imstande sei, eines zu lesen, sei es gewiß eine Spitzenleistung, daß ich bereits 37 deutschsprachige Leser für sein Buch gefunden hätte: so lautete die Antwort. (Albert Vigoleis Thelen: Die Insel des zweiten Gesichts, S. 726)


Thelen, Albert Vigoleis: Pflichtversessen

  Plötzlich erinnerte sich Beatrice, daß in unserer Wohnung noch zwei Bücher lägen aus der Leihbibliothek. Man könne doch nicht weggehen, ohne sie zurückgebracht zu haben, gerade Bücher! Sie wagte nochmals den Gang in die gefährlichste Gegend der Stadt, holte die Bücher und brachte sie Mulet. Dieser konnte, ihrer ansichtig werdend, zuerst kein Wort hevorbringen. Dann sagte er: "Wollt ihr denn durchaus erschossen werden"" Nein, meinte Beatrice, aber Bücher seien Bücher, die gehörten zurückgegeben, selbst im Kriege. (Albert Vigoleis Thelen: Die Insel des zweiten Gesichts, S. 774)


Thelen, Albert Vigoleis: Zähler namenloser Nenner

  Wir wollen unsere Bücher lesen, uns am Gedicht erbauen, es soll uns schütteln und rütteln um und um; es soll uns die Seele umfloren, wir wollen das Gruseln lernen, den Himmel sehen; den Liebestod wollen wir sterben in einer unsterblichen Strophe oder angerührt werden vom Heiligen, das womöglich aus der Feder eines Verbrechers geflossen ist; am Kitsch gesunden, wenn das Ästhetische uns krank gemacht – kurz, wir wollen die Zähler namenloser Nenner sein, und mögen die Schöpfer dabei zugrunde gehen. (Albert Vigoleis Thelen: Der schwarze Herr Bahßetup)


Tendrjakow, Wladimir: Ehrliche Nennung

  Wenn man Fjodor fragte: "Was liest du am liebsten?", antwortete er gewöhnlich: "Lew Tolstoj, Tschechow..." Oder protzte: "Gustave Flaubert" - seht ihr wohl, wen wir alles kennen; uns kann keiner! Aber das war geheuchelt: Jules Verne oder Dumas hatte er lieber. (Wladimir Tendrjakow: Der Fremde, S. 27)


Tibbon, Judah Jbn: Bücher ausleihen

  Weigere dich nicht, jemandem deine Bücher zu leihen, der nicht die Mittel hat, sich selbst ein Buch zu kaufen. Leihe, aber nur wenn du sicher bist, dass er dir das Buch zurückgibt (. . .) Wenn du ein Buch verleihst, mach dir eine Notiz darüber, bevor das Buch das Haus verlässt. Wenn man dir das Buch zurückbringt, streich die Notiz mit der Feder aus. Zum Passah- und zum Laubhüttenfest lass dir alle ausgeliehenen Bücher wieder ins Haus kommen. (jüdischer Gelehrter des 12. Jhd.)


Tibbon, Judah Jbn: Deine Vergnügungsplätze

  Mein Sohn, laß deine Bücher deine Gefährten sein und deine Bücherschränke und Regale deine Vergnügungsplätze und Obstgärten! Sonne dich in ihrem Paradies, ernte ihre Frucht, pfäücke die Rosen, und nimm ihre Gewürze! Wenn dann deine Seele befriedigt und ermüdet ist, geh von einem Garten in den anderen, von einer Furche zur anderen, und von einer Ausssicht zur anderen. Dann wird dein Appetit wiedererweckt, und deine Seele wird voller Vergnügen sein.


Timm, Uwe: Bücher sind Vampire

  Man muß die Luken dicht halten! Bücher sind Vampire, sie brauchen das Leben, nicht nur jener, das in ihnen steckt, sondern sie erwachen erst zum Leben, wenn sie gelesen werden, darauf lauern sie, wenn sie herumstehen, manchmal noch ganz frisch und munter, manchmal verstaubt und vergilbt, doch haben sie ein Opfer gefunden, schön röten sie sich, leuchten, wenn sie das Leben ihrer Leser trinken, denn es vergeht ja, auch jetzt, jetzt, in diesem Scheinleben. Und auch diejenigen, die Bücher schreiben, sind Vampire, saugen allen und jedem das Leben aus, sitzen in ihren Gruften, schreibend, in einem Halbleben. Hin und wieder fliegen sie aus, auf der Suche nach Opfern, nach Nahrung. Wie der Onkel: immer auf Jagd, aber auch immer ein Gejagter. (Uwe Timm: Kopfjäger, S. 292)


Timm, Uwe: Genauso, genau

  Susann konnte aus Büchern, die sie las, auffahren und sagen, genauso, genau. Fragte er sie, was das sei, was sie meine, sagte sie jedesmal, sie könne es so nicht erklären, er müsse das Buch lesen. Früher hatte er viele dieser Bücher gelesen, Romane, deutsche, amerikanische, Faulkner, Steinbeck, Thoreau, und englische, Lawrence und Doris Lessing. Er las die Bücher und suchte die Stellen, die sie zu solchen plötzlichen Ausbrüchen brachten. So war er ihr lesend auf der Spur. Er konnte so oder so nicht mithalten. Und spätestens nachdem er die Leitung seiner ersten Großbaustelle übernommen hatte, bliebe auch keine Zeit mehr. Nur im Urlaub kam er noch dazu, das eine oder andere Buch zu lesen. Wenn er dann aber mit Susann darüber sprechen wollte, war es nur noch eine ferne Erinnerung für sie. Sie war, wenn sie las, unerreichbar. Rauchte sie beim Lesen, hatte er immer den Eindruck, sie müsse sich jeden Moment die Finger verbrennen. (Uwe Timm: Der Schlangenbaum, S. 106)


Timm, Uwe: Begnadigt

  Der Heizer war Soldat im deutschen Expeditionscorps gewesen, das 1900 an der Niederschlagung des Boxeraufstandes beteiligt war. In Shanghai wurden von den chinesischen Behörden die gefangengenommenen Aufständischen hingerichtet. Sie standen in einer langen Reihe und warteten, daß sie dran waren, das heißt, der Delinquent mußte sich hinknien, den Kopf vorstrecken, dann schlug der Henker ihm den Kopf mit einem Richtschwert ab. Die anderen rückten zwei Schritte auf. In der Reihe stand ein junger Chinese und las. Er las ein Buch, rückte ohne hochzublicken langsam vor. Ein deutscher Marineoffizier, der die Hinrichtung beobachtete, bat darum, den Lesenden zu begnadigen. Die Chinesen willigten ein. Jemand ging hin, sagte dem jungen Mann, er sein begnadigt. Der Mann klappte sein Buch zu und ging ruhig davon. (Uwe Timm: Johannisnacht, S. 79)


Timm, Uwe: Der Überallleser

  Fred hatte Mathematik und Germanistik studiert, er war, wie Eschenbach, ein inbrünstiger Leser. Jemand, der, wenn er in der Mensa anstehen musste, stets ein Buch las, der, hatten sie sich verabredet, ein Bild das Eschenbach vor Augen hatte, auf den Steintreppen vor der Universität saß, eine Zigarette in den Fingern, versunken in der Lektüre eines Taschenbuchs. Bücher, die er in der ausgebeulten Jackentasche trug. Ein, wie viele Mathematiker, Arno-Schmidt-Enthusiast, der, einer der wenigen, den Meister einmal in Bargfeld besucht und auch zu Gesicht bekommen hatte. (Uwe Timm: Vogelweide)


Timm, Uwe: Stubenhocker und Langweiler

  Kann man sich das heute noch vorstellen, daß man die Dichter verfolgte, daß deren Stimme noch Strahlkraft hatte, daß man glaubte, sogar aus alles kleinschreibenden Experimentalpoeten spräche ein Höheres? Damals hingen doch die Mädchen an Poeten wie heute die Girlies an den Rockstars. Habe neulich in 'ner Jugendzeitschrift eine Umfrage unter Mädchen gelesen, wie sie sich einen Dichter vorstellen, und das kam raus: Stubenhocker, Langweiler, schüchtern, verklemmt, Pickel. (Uwe Timm: Freitisch)


Tolstoi, Alexej: Barbaren ohne Bücher

  "Ich wollte Sie aus dem Grunde danach fragen, weil ich ja in meiner Person den wirklichen Leser repräsentiere, von dem man schreibt und für den man schreibt; denn Sie verfassen doch nicht für sich selber die Romane, sondern für uns; schlimmstenfalls für unseren seelischen Komfort, stimmt das? Also, da schreibt einer hier: du selber bist ein Tier, deine Frau ist das Weibchen, die Liebe ist ein Instinkt. Nehmen wir einmal an, ich wäre mit einer solchen Auslegung einverstanden. Doch nun kommt ein anderer, der schmettert ohne Umstände: alles sei egal, nichts Gutes käme je dabei heraus und man könne sich ruhig totschießen. Doch dann kommt ein Artikel über Kooperation. Natürlich werde ich den überhaupt nicht erst lesen. Ein dritter aber bringt, völlig unverständlich warum, Melancholie und Langeweile über mich, so daß einem die Luft wegbleibt. Ich bitte Sie, ich meine, mir fällt es ohnehin nicht leicht zu leben, warum muß ich erst noch abgequält werden? Oder sollten wir Leser tatsächlich sowas wie Wilde sein, oder wurde es Ihnen in der Hauptstadt zu eng?" Plötzlich blickte er mich lustig an. "Sie beschäftigen sich mit den alten Zeiten, Ihre Zeitschrift ist gut, das Altertum ist eine wunderbare und nützliche Angelegenheit, und dennoch wirkt es manchmal schon recht kränkend; bin ich denn wirklich nicht mehr als nur eine Zufallserscheinung, so was wie eine Fliege, und nicht mehr als das wert? Wenn man das überlegt und dann auf den Roggen schaut, da wirft man leicht das Büchlein über den Zaun. Ja, als derartige Barbaren leben wir hier." (Alexej Tolstoi: Lindere meinen Kummer)


Tolstoi, Lew: Anna und die Bücher

  Anna beschäftigte sich, wenn kein Besuch da war, mit sich selbst und sehr viel mit Lektüre von Romanen und ernsten Büchern, welche in der Mode waren. Sie verschrieb alle Bücher, von denen sie sich entsann, Günstiges in den ausländischen Zeitungen und Journalen die sie erhielt, gelesen zu haben, und las dieselben mit jener Aufmerksamkeit für das Gelesene, welche nur in der Einsamkeit vorhanden zu sein pflegt. Außerdem aber studierte sie alles, womit sich Wronskiy befaßte, nach Büchern oder Fachjournalen, sodaß er sich oft mit landwirtschaftlichen, architektonischen, ja selbst bisweilen mit sportsmännischen und Pferdezucht betreffenden Fragen an sie wandte. Er erstaunte über ihr Wissen, ihr Gedächtnis, und wünschte anfänglich, noch zweifelnd, Bestätigungen; sie fand dann auch in den Büchern das, wonach er gefragt und zeigte es ihm.


Townsend, Sue: Fremdverwendung

  Jack wappnete sich und ließ den Premierminister in die schmale Diele treten, bevor er ihm folgte und die Eingangstür hinter sich schloß. "Du meine Güte, so viele Bücher!", stieß der Premierminister aus. "Haben Sie die alle gelesen?" "Nein, Sir, ich benutze sie zur Wärme- und Geräuschisolierung", erwiderte Jack sarkastisch. (Sue Townsend: Downing Street No. 10, S. 88)


Treichel, Hans-Ulrich: Nicht selbstverständlich

  Ich träumte davon, ein Buch zu schreiben, und ich schämte mich für diesen Traum. Und lange Zeit schien es ganz so, als sollte die Scham mich und meinen Traum überleben. Die Scham focht gewissermaßen einen Zweikampf aus gegen den Schreibdrang, und auch wenn ich inzwischen auf einige Bücher zurückblicken kann, so bin ich nicht sicher, wer diesen Zweikampf gewonnen hat. Wohl habe ich meine eigenen Bücher ordentlich im heimischen Bücherregal aufgereiht, doch gehöre ich noch immer nicht zu den beneidenswerten Autoren, die abends am Kamin sitzen und bei einem Glas Wein in den eigenen Werken blättern. Und dies nicht allein deshalb, weil es mir an einem Kamin mangelt. Ich neige nicht zur wohligen Selbstbetrachtung, schaue auch nicht länger als nötig in den Spiegel. Ich will von mir nicht allzuviel wissen und sehen. (Hans-Ulrich Treichel: Anatolin)


Treichel, Hans-Ulrich: Lieblingsschriftsteller

  Die Frage nach meinem Lieblingsschriftsteller habe ich niemals beantworten können. Und auch nicht beantworten wollen. Warum sich auf einen Autor festlegen? Lehrmeister des Schriftstellers ist schließlich die Literatur in ihrer Gesamtheit, obwohl man diese Gesamtheit nur in Bruchstücken kennt. Solch eine Antwort hat allerdings noch keinen Fragesteller befriedrigt. Das Publikum möchte Namen hören, nicht mit Sachverhalten gelangweilt werden. Einen Namen kann man bei der Frage nach dem literarischen Vorbild immer nennen: Goethe. Wer Goethe sagt, liegt immer richtig. Er liegt so richtig, daß solch eine Antwort die pure Ironie ist. Die auch dann nicht verschwindet, wenn man einen zweiten Namen hinzufügt: Schiller. Wer Goethe und Schiller sagt, der zeigt unmißverständlich, daß er die Frage nach seinen Vorbildern nicht beantworten möchte, was allerdings sehr unhöflich ist. Man kann also mit Goethe und Schiller durchaus unhöflich sein. (Hans- Ulrich Treichel: Anatolin, S. 68)


Treichel, Hans-Ulrich: Briefe an den Autor

  Ich hatte ein wenig gereizt auf diesen Brief reagiert. Und zwar deshalb, weil ein Gutteil der Briefe, die ein Autor bekommt, nicht etwa Briefe von Lesern sind, die dem Autor für die tiefen Wirkungen danken, die sein Buch bei ihnen ausgelöst hat. Die meisten Briefe sind mehr oder weniger gut getarnte Bescheid- oder gar Besserwisserbriefe. (Hans-Ulrich Treichel: Anatolin, S. 80)


Treichel, Hans-Ulrich: Vollgestopft mit Büchern

  Die steinschweren Wörterbücher gehörten zu den Büchern aus seiner Studienzeit, von denen er sich wohl niemals trennen würde. Vieles andere war nicht nur dem Zeitgeist oder den verschiedenen Umzügen zum Opfer gefallen, sondern auch seiner Aufräum- und Wegwerfwut, die ihn des öfteren überkam. Er ertrug es nicht, wenn die Wohnung sich mit Dingen füllte. Wozu auch Bücher, Zeitschriften, Broschüren und Zeitungen gehörten, die für einen Studenten der Geschichte unerläßlich waren. Er hatte Kommilitonen, die lebten in ihren Wohnungen oder Wohngemeinschaftszimmern auf eine Weise, wie man sich das bei alten Gelehrten vorstellte. Die waren im vierten Semester und hatten Zimmer, die mit Büchern, Broschüren und Papieren vollgestopft waren. Paul hatte das eine Zeitlang enorm beeindruckt, diese bis unter die Decke reichenden Bücheregale und die Bücher- und Zeitschriftenstapel neben Schreibtisch und Bett. Hier waren geistige Existenzen zu Hause, hatte er immer gedacht, bis er irgendwann feststellen mußte, daß es sich dabei oft genug nur um Menschen handelte, die ihren Sammeltrieb nicht bändigen und keine Ordnung halten konnten und beileibe nicht alles, was sie um sich herum an geistigen Schätzen anhäuften, gelesen oder gar durchdacht hatten. Ein mit Büchern vollgestopftes Haus garantierte noch längst keine geistige Existenz. (Hans Ulrich Treichel: Grunewaldsee, S. 12)


Treichel, Hans-Ulrich: Zeitungelektüre im Kaffeehaus

  Natürlich las er auch die taz. Beinahe täglich, und dies vom Tag ihrer Gründung an. Obwohl er sie nur selten kaufte, sondern lieber ein paar Häuser weiter in die sogenannte Regenbogenfabrik ging, wo es ein Hausbesetzercafe gab und das Frühstück nicht viel mehr kostete als die taz, von der dort täglich ein Exemplar auslag, so daß er, wenn er die Frühstückskosten gegen die taz-Kosten aufrechnete, besser dabei weg kam, als wenn er die taz kaufte und zu Hause frühstückte. Die taz-Lektüre im Besetzercafe funktionierte allerdings nicht immer. Entweder war die zeitung bereits geklaut, oder ein alternativer Dauerleser mit Wollkäppi auf dem Kopf hatte sich daran festgebissen und ließ sie nicht mehr los, ganz egal, wie viele andere Cafebesucher mit erst ungeduldiger und dann wütender und schließlich mordlustiger Miene ihn anstarrten und darauf warteten, daß er die Lektüre endlich beendete. So dick war die taz ja auch wieder nicht, daß man stundenlang darin lesen konnte, und das meiste, was drin stand, konnte solche Leser wie den Typ mit dem Wollkäppi ohnehin nicht überraschen. Da hätte er schon die "Alge" lesen müssen, um überrascht zu werden. Aber das ganze Anstarren nützte nichts, vielleicht hätte eine Diskussion oder eine Vollversammlung mit anschließender Abstimmung etwas genützt - oder wenn man dem Typ eins auf seine Wollkappe gegeben hätte. Aber die Regenbogenfabrik war nicht der Ort, wo man einfach jemandem auf die Wollkappe haute, weil er zu lange in der taz las. (Hans Ulrich Treichel: Grunewaldsee, S. 126f.)


Treichel, Hans-Ulrich: Marktsättigung

  Sie hatte sich mit sicherem Instinkt zu ihm geflüchtet, weil sie ebenfalls beruflich in einer Sackgasse gelandet war. Mit anderen Worten: Sie war Privatdozentin. Habilitiert, aber ohne Professur. Als Paul erfuhr, daß sie Privatdozentin war, hatte er sie nicht weiter mit Statusfragen gequält, zumal sie sich für Schinkel interessiert und sogar einmal ein Buch über Schinkels Berliner Vorstadtkirchen geplant, das Buch aber zugunsten einer Arbeit über die Befreiungskriege aufgegeben hatte, mit der sie sich auch habilitierte. "Zum Glück", meinte sie, denn kurz nachdem sie das Schinkelprojekt aufgegeben hatte, war von einer ihr bis dahin unbekannten Autorin ausgerechnet ein Buch über Schinkels Vorstadtkirchen erschienen. Und zwei Bücher über Schinkels Vorstadtkirchen vertrug der akademische Markt nicht. Vom Buchmarkt ganz zu schweigen. (Hans Ulrich Treichel: Grunewaldsee, S. 150)


Trine: Bist du ein Schriftsteller?

  Wenn wir uns für die höchsten Inspirationen öffnen, so bleiben sie niemals aus; wenn wir es aber unterlassen, dann werden wir niemals das Höchste leisten, was wir auch unternehmen. Bist du ein Schriftsteller? Dann bedenke, dass es nur eine große Regel für alles erfolgreiche literarische Schaffen gibt: Schaue in dein eigen Herz und dann schreibe; sei wahrhaftig, sei furchtlos und sei dem treu, was dein Inneres gebietet. Bedenke, dass kein Autor etwas schreiben kann, das mehr wert ist, als er selbst. Will er etwas Wertvolleres schreiben, so muss er erst selbst wertvoller werden. Er ist nur der Sekretär und schreibt sein eigenes Selbst in das Buch: er kann also nicht mehr hineinlegen, als in ihm selbst enthalten ist. Wenn er eine große Persönlichkeit ist, von entschlossenen Vorsätzen und tiefem Gefühl, immer offen für die höchsten Eingebungen, dann wird etwas, das man nicht näher beschreiben kann, in sein Buch übergehen und ihm eine so lebendige Kraft mitteilen, dass jeder Leser dieselben Inspirationen erhält, die der Autor empfangen und weitergegeben hat. Was zwischen den Zeilen steht, ist oft viel mehr, als was in den Zeilen steht. Es ist der Geist des Autors, von dem diese Kraft ausgeht, er gibt die fünfundzwanzig oder dreißig Prozent Mehrwert, die ein Buch aus der Mittelsorte herausheben und ihm prima Qualität verleihen, das eine Prozent, durch das es zu dem einzigen unter hundert wird, das Erfolg hat, während die neunundneunzig andern nie eine zweite Auflage erleben. Dieselbe geistige Kraft, die eine große Persönlichkeit in ihr Buch hineinarbeitet, bewirkt auch, dass es so rasch immer neue Leser findet; denn der einzige Weg, auf dem ein Buch zirkuliert, ist schließlich doch der von Mund zu Mund, und nur auf diesem Weg findet es einen weiten Kreis. Nur aus diesem Grund, weil es ihm selbst wertvoll geworden ist, kauft so mancher ein Buch in vielen Exemplaren, um sie an andre zu verschenken. (Ralph Waldo Trine: In Harmonie mit dem Unendlichen)


Trollope, Anthony: Epische Eindämmung

  Was sich zwischen Eleanor Harding und Mary Bold zugetragen hatte, braucht nicht erzählt zu werden. Ja man sollte wirklich dankbar sein, daß weder der Historiker noch der Romancier alles hören kann, was von ihren Helden oder Heldinnen gesagt wird - wie würden sie sonst mit drei Bänden beziehungsweise mit zwanzig auskommen? (Anthony Trollope: Septimus Harding, Vorsteher des Spitals zu Barchester)


Tschudi: Ballade vom ausgeliehenen Buch

  Du hast es mir noch nicht verziehn,
daß ich dich damals ausgeliehn,
und drum bliebst du verschwunden.
Du warst kein bibliophiles Stück,
doch mein Besitzesstolz und -glück,
solid und schön gebunden.

  Sie, die begeistert von dir war
(auch sie ein hübsches Exemplar,
gewandt in vielen Dingen
und augestattet mit Verstand),
versprach mir, ehe sie verschwand,
dich bald zurückzubringen.

  Gut zwanzig Jahre sind das her.
Ich sah euch beide nimmermehr,
sosehr ich nach euch suchte.
Dann aber kam es doch so weit,
daß ich nach langer Wartezeit
euch als Verluste verbuchte.

  Per Zufall habe ich, und zwar
bei einem Bücherantiquar,
dich gestern früh gefunden.
Ich fiel vor Freude jedenfalls
dem Freund und Händler um den Hals.
Sie aber blieb verschwunden...


Tschudi: Vom genüsslichen Lesen

  Ich will selten mich diagonal beeilen,
sondern jeden Satz wie eine Auster schlürfen
und bei einem gut gezielten Wort verweilen -
respektive die mir vorgelegten Zeilen
mit Behagen und Verstand genießen dürfen.

  Um die Schönheit einer Wendung zu entdecken,
still und völlig fasziniert ihr hingegeben,
muß ich eine Sprache riechen und sie schmecken
und aus ihrem Schlaf und Dämmerzustand wecken:
erst durch die Lektüre fängt sie an zu leben.

  Wort für Wort laß auf der Zunge ich zerfließen
und auf keinen Fall mich aus der Ruhe bringen;
denn ich bin entschlossen, stets mich fürs Genießen,
auch im Hinblick auf das Lesen, zu entschließen
und ein Loblied der Beschaulichkeiten singen.


Tschudi: Winterlich Nachtlektüre

  Von hinten links, das Buch beleuchtend,
gemütlich warmer Lampenschein...
Du drehst, die Finger sacht befeuchtend,
die Seiten um und hüllst dich ein -

  ja, mummst dich ein in weiche Decken,
die Schlummerrolle im Genick,
um wohlig dich im Bett zu strecken,
gelöst, doch mit gebanntem Blick.

  Ringsum schier klösterlicher Frieden
und draußen Schnee, der fällt und fällt...
So liegst du, still und abgeschieden,
und liest, was dich in Spannung hält.

  Behext, gefesselt und gefangen
vom heißen Kriminalroman,
drängt dich ein brennendes Verlangen
nach dem Bescheid: Wer hat's getan? -

  Noch eh du zwar den mysteriösen
und heiklen Fall bewältigt hast,
fängst du schon an zu dösen
und gähnst -u-aaah!- und schläfst schon fast.

  Auf Seite hundert-sechs-und-dreißig
(das Opfer stöhnt: "Bald ruhst auch du!"
machst du - es schneit noch immer fleißig -
das Buch und dann die Augen zu...


Tschudi: Herbstbeginn

  Jetzt geht man von den Detektivromanen
zu R.M. Rilke über oder Claudius
und zwingt den Geist in sittlich strenge Bahnen,
weil wir es herbstlich-metaphysisch ahnen,
daß eine andere Lektüre kommen muß.

  Das angelsächsisch und französisch Helle
wird gleichfalls aus dem Bücherparadies verbannt.
Nur die erotisch recht gewagte Stelle
und sommerlich versteckte Freudenquelle
ist wirklich lesenswert und immer noch pikant.

  Jedoch uns dürstet nicht mehr nach dem "Thriller";
selbst Colette ist vielleicht uns hie und da zu kühn,
geschweige der verbotene Henry Miller! -
Wir werden alemannisch ernst und stiller
und lesen Hebel, Hesse oder Bergengruen...


Tucholsky, Kurt: Dicke Bücher

  Ich liebe dicke Bücher; man kann sie als Briefbeschwerer benutzen, damit einem im Zugwind nicht die Bogen wegfliegen; man kann andere, kleinere Bücher gegen sie stellen, sie behüten wie Grossväter die jungen Kinder ... dicke Bücher sind schön. Manchmal kann man auch in ihnen blättern. (Kurt Tucholsky: Mauserzeit in geflügelten Worten. 1929)


Tucholsky, Kurt: Wenn Frauen übersetzen...

  In einer Besprechung des Buches "Das Leben der Termiten" von Maurice Maeterlinck, den ich über eine Kritik Hesses kennenlernte, schreibt Kurt Tucholsky: "Das kleine Werk, in falscher Ausstattung dick aufgepustet, mit außergewöhnlich schlechten Bildern, ist leider nicht gut übersetzt. Es ist nicht möglich, dass ein Sprachkünstler wie Maeterlinck so trocken, so langweilig, so stumpf und so unlockend geschrieben haben soll. Das Deutsch ist das eines in vierzig Dienstjahren gefestigten Beamten. Die Übersetzung stammt von Käthe Illch. (Beiseite: was sich da neuerdings in der Übersetzerei, wie überhaupt in der Literatur, an Frauen breitmacht, das ist wenig heiter. Diese fatalen Dilettantinnen, mit ihrem 'Das kann ich auch!' und: 'Sie verdient sich auf die Weise noch ein paar Groschen dazu"...)


Tucholsky, Kurt: Frau Steiner

  Frau Steiner war aus Frankfurt am Main, nicht mehr so furchtbar jung, ganz allein und schwarzhaarig; sie trug Abend für Abend ein andres Kleid und saß still an ihrem Tisch und las feingebildete Bücher. Ich will sie ganz kurz beschreiben: sie gehörte zum Publikum Stefan Zweigs. Alles gesagt? Alles gesagt. (Kurt Tucholsky: Der schiefe Hut)


Tucholsky, Kurt: Glückliche Augenblicke

  Manchmal, o glücklicher Augenblick, bist du in ein Buch so vertieft, dass du in ihm versinkst – du bist gar nicht mehr da. Herz und Lunge arbeiten, dein Körper verrichtet gleichmäßig seine innere Fabrikarbeit, – du fühlst ihn nicht. Du fühlst dich nicht. Nichts weißt du von der Welt um dich herum, du hörst nichts, du siehst nichts, du liest. Du bist im Banne eines Buches.


Tunström, Göran: Bücher ordnen

  "Die Bücher ordnen" war sein Ausdruck für das Zur- Ruhe-Kommen nach der Segelfahrt seines Lebens. Dabei ging es so zu, dass er eine halbe Stunde vor seinen Regalen stand, den Blick fest auf den fernen Snæfellsjökull geheftet. Langsam tasteten sich seine Hände zu einem Schriftsteller vor, dessen Name mit A begann und den er unter die Bücher anderer Schriftsteller mit dem Anfangsbuchstaben A zu stellen gedachte. Doch meist schlug er das Buch auf, las hier eine Zeile, dort eine, nahm das Buch dann geistesabwesend mit zum Sessel, legte es sich auf den Schoß und schloss die Augen. Ich hob es irgendwann auf und brachte es dann dem System zufolge unter, in dem er mich früher unterrichtet hatte: Im ersten Regal sollten die Bücher stehen, in denen zu lesen war, wie die Welt aussieht (Geographie), im zweiten Bücher darüber, wie es in der Welt gewesen ist (Geschichte), im dritten Werke darüber, was die Menschen über das alles denken (Philosophie und Religion), im vierten Werke darüber, was sie aus all diesem Wissen gemacht haben (Literatur, Kunst, Musik), sowie in den letzten drei Regalen Bücher darüber, was der Mensch tun kann, um sein Elend zu lindern (Psychologie, Gartenbaukunst, Hundedressur, Zusammenleben sowie Origami). Dann wenn all diese geordnet war, pflegte er zu sagen: "Jetzt ist alles in Ordnung. Jetzt werde ich das eigentliche Leben in Angriff nehmen; denn wenn ich nun gelesen und alles richtig verstanden habe und mich außerdem erinnern kann, müsste ich jetzt ein weiser Mann sein. Ich müsste so gut wie alles wissen…" (Göran Tunström: Der Mondtrinker, S. 86)


Turgenew, Iwan: Motivation zu lesen

  Natalja Petrowna: Warum haben Sie denn aufgehört? Lesen Sie weiter! Rakitin (hebt langsam das Buch): "Monte-Cristo se redressa haletant..." Natalja Petrowna, interessiert Sie das? Natalja Petrowna: Nicht im geringsten. Rakitin: Und wozu lesen wir es dann? Natalja Petrowna: Aus folgendem Grund. Dieser Tage sagte eine Dame zu mir: 'Sie haben Monte-Cristo nicht gelesen? Ach, lesen Sie ihn - einfach wunderbar!" Ich habe damals nichts erwidert, jetzt aber kann ich ihr sagen, ich habe ihn gelesen und nichts Wunderbares daran gefunden. (Iwan Turgenjew: Ein Monat auf dem Lande)


Turgenew, Iwan: Ein himmlischer Traum

  Ich nahm den Lermontowband, blätterte rasch in ihm; aber wie zum Trotz stieß ich einzig auf Gedichte, die Passynkow von neuem hätten aufregen können. Endlich las ich ihm die "Gaben des Tereks" vor. "Rhetorisches Gehabe"! bemerkte mein armer Freund schulmeisterlich. "Aber es sind gute Stellen drin. Weißt du, Bruder, ich habe mich, als wir voneinander getrennt waren, auch in der Poesie versucht und ein Gedicht angefangen: 'Der Kelch des Lebens' - es wurde nichts daraus! Unsere Sache, Bruder, ist das Mitfühlen, nicht das Schaffen. Jetzt bin ich aber müde, werd wohl ein bißchen schlummern - was meinst du? Wenn man's bedenkt, es ist doch etwas Herrliches: schlafen, träumen! Unser ganzes Leben ist ein Traum, und das Beste an ihm ist wiederum das Träumen." "Und die Dichtung?" fragte ich. "Auch die Dichtung ist ein Traum, nur ein himmlischer." (Iwan Turgenjew: Drei Begegnungen, Erzählungen, S. 385)


Turgenew, Iwan: Komische Ermunterung

  "Es klingt sehr traurig. Hoffentlich hast du es geschrieben, ehe du mich kennenlerntest. Aber die Verse sind gut, soweit ich das beurteilen kann. Mir scheint, du hast das Zeug zu einem Schriftsteller, nur weiß ich genau, daß du zu Besserem und Höherem als der Literatur berufen bist. Damit hättest du dich früher befassen sollen, als das andere nicht möglich war." (Iwan Turgenjew: Neuland)


Twain, Mark: Happen für Happen

  Wenn ich dem Leser ein Faß Sirup verkaufte und er, statt sein gehaltvolles Mittagessen in vernünftigen Abständen damit zu versüßen, das ganze Faß in einem Zuge äße und mich dann beschimpfte, daß ich ihm Übelkeit bereitet hätte, dann würde ich sagen, er verdiente es wohl, daß ihm Übelkeit bereitet wird, wenn er die Segnungen dieser Welt nicht besser zu gebrauchen weiß. Und wenn ich dem Leser diesen Band Unsinn verkaufe und er - statt seine ernstere Lektüre ab und zu mit einem Kapitel davon zu würzen, wenn sein Geist nach solcher Entspannung verlangt - sich unverständig mit mehreren Kapiteln auf einmal überfüttert, dann verdient er es wohl, mit Ekel erfüllt zu werden und er soll niemandem die Schuld daran geben als sich selbst, *wenn* ihm übel wird. Einen ganzen Band Unsinn zu veröffentlichen, ist ebensowenig eine Sünde, wie einen Süßigkeitsladen zu unterhalten, in dem es keine Eisenwaren gibt. Es liegt doch allein am Kunden, ob er sich Schaden zufügen oder die Wohltat genießen will, die ihm beide Fälle bieten, wenn er sich ihrer mit Verstand bedient." (Mark Twains "Vorbemerkung" zu seinen Erzählungen)


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