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Fundstücke aus Henry Fieldings Roman


Motiv des Lesens


Motiv des Lesens

... so gewährt ihnen der Prolog eine weitere Viertelstunde, um beim Diner zu sitzen, und das Einleitungskapitel verschafft ihnen den Vorteil, mit dem Lesen erst auf der vierten oder fünften Seite statt auf der ersten beginnen zu dürfen, eine keineswegs triviale und unbedeutende Sache für Personen, die Bücher in keiner anderen Absicht lesen, als um sagen zu können, sie hätten sie gelesen, was ein weit allgemeineres Motiv ist, als man sich gewöhnlich einbildet, und demzufolge nicht allein Gesetz- und Kontobücher, sondern auch die Seiten Homers und Virgils, Swifts und Cervantes durchgeblättert werden. (S. 1042)


Laster & Tugend

Es gibt eine Klasse von religiösen oder vielmehr moralischen Schriftstellern, welche lehren, daß in dieser Welt die Tugend die sichere Straße zum Glück und das Laster der sichere Weg zum Elend sei. Eine sehr heilsame und tröstliche Doktrin, gegen die wir nur einen einzigen Einwand haben, nämlich, daß sie nicht wahr ist. (S. 973)


Faden verloren

Endlich sind wir wieder einmal zu unserem Helden gekommen, und, um die Wahrheit zu sagen, wir waren genötigt, uns solange von ihm zu trennen, daß ich in Anbetracht der Lage, in der wir ihn verließen, befürchten muß, viele unserer Leser könnten geschlossen haben, wir hätten die Absicht, ihn für immer preiszugeben, da er sich gegenwärtig in jener Situation befindet, bei der kluge Leute gewöhnlich aufhören, sich noch weiter nach ihren Freunden zu erkundigen, damit ihnen nicht der Schrecken widerführe, zu hören, diese Freunde hätten sich aufgehängt. (S. 769)


Vizegatte und Beschützer

Da jedoch das Gesetz törichterweise das Amt eines Vizegatten oder Beschützers für eine entlaufene Ehefrau vergessen hat, und da die Bosheit fähig ist, dieses Amt mit einer unangenehmeren Benennung zu belegen, wurde beschlossen, daß seine Lordschaft der Dame all seine gütigen Dienste insgeheim erweisen sollte, ohne von der Öffentlichkeit den Charakter ihres Beschützers anzunehmen. (Henry Fielding: Tom Jones, S. 757)


Ein Kavalier

Seine Lordschaft, welche schloß, dieser Tyrann müsse gleichfalls ein Ehemann sein, hielt eine Rede voller Komplimente für beide Damen und ebenso voller Invektiven gegen sein eigenes Geschlecht; auch unterließ er es nicht, einige Seitenhiebe auf die Institution des Ehestandes selber fallen zu lassen und auf die ungerechte Gewalt, die dieser dem Mann über den vernünftigeren und würdigeren Teil des Menschengeschlechts einräume. Er beendete seine Ansprache mit dem Anerbieten seines Schutzes und seiner sechspännigen Kutsche, was augenblicklich von Mrs Fitzpatrick und auf ihr Zureden hin auch von Sophien akzeptiert wurde. (Henry Fielding: Tom Jones, S. 746)


Trost durch Bücher

"Schließlich wurde meine Freundin von mir getrennt und ich war wieder meiner Einsamkeit überlasse, dem quälenden Umgang mit meinem eigenen Grübeleien, und mußte meinen einzigen Trost in den Büchern suchen. Ich las nun fast den ganzen Tag über. Wieviele Bücher, glaubst du, habe ich in drei Monaten gelesen" "Das kann ich nicht erraten, wirklich nicht, Cousine," antwortete Sophie, "vielleicht ein halbes Schock?" "Ein halbes Schock" Ein halbe Tausend, mein Kind!" erwiderte die andere.


Frage unter Frauen

Woran liegt es, meine Teure, daß wir, die wir ebensoviel Verstand haben wie die weisesten und größten des andern Geschlechts, oftmals die dümmsten Männer zu unsern Gefährten und Günstlingen erwählen? Es steigert meinen Ärger bis zum höchsten Grad, wenn ich an die Unzahl von verständigen Frauen denke, die sich von Dummköpfen zugrunde richten lasse. (S. 715)


Kritikerschelte

In Wirklichkeit aber gibt es noch ein anderes Licht, in dem man diese modernen Kritiker sehr gerechter und schicklicher Weise erblicken kann, und das ist das Licht eines gewöhnliches Verleumders. Wenn ein Mensch, der fremde Charaktere in keiner anderen Absicht durchschnüffelt, als um ihre Fehler zu entdecken und sie der Welt bekannt zu machen, den Titels eines Verleumders, der den Menschen die Ehre abschneidet, verdient, warum sollte dann nicht ein Kritiker, der in derselben hämischen Absicht liest, ebenso schicklich ein Verleumder, der den Büchern die Ehre abschneidet, genannt werden? (S. 690)


Opulentes Essen

Man darf in der Tat zweifeln, ob Ulysses, der nebenbei gesagt, unter all den Helden in jenem eßlustigen Gedicht, der Odyssee, den tüchtigsten Magen besessen zu haben scheint, jemals eine bessere Mahlzeit hielt. Mindestens drei Pfund von jenem Fleisch, das ehemals zu der Bildung eines Ochsens beigetragen hatte, erhielt nun die Ehre, ein Teil der Person Mr. Jones' zu werden. (S. 613)


Ein anderes Wissen

Nun gibt es aber noch eine andere Art von Wissen, das zu gewähren nicht in der Macht der Gelehrsamkeit steht und das sich bloß durch den Verkehr mit Menschen erwerben läßt. So nötig ist dieses für das Verständnis menschlicher Charaktere, daß niemand in diesem Punkte unwissender ist als jene gelehrten Pedanten, die ihr Leben ausschließlich auf Universitäten und zwischen Büchern verbrachten; denn so vortrefflich auch die menschliche Natur bereits von Schriftstellern beschrieben worden sein mag, das echte praktische System kann lediglich in der Welt erlernt werden. (S. 590)


Gefährlicher Humor

Dieser Barbier, den man den kleinen Benjamin nannte, war ein Kerl voll eines wunderlichen Humors, der ihm häufig kleine Unbequemlichkeiten zuzog, wie z.B. Nasenstüber, Fußtritte, gebrochene Knochen usw. denn nicht jedermann versteht einen Spaß; und tut er es doch, so ist er oftmals böse, daß es ihn selber betrifft. (Henry Fielding)


Voraussetzungen

Alle Künste und Wissenschaften (selbst die Kritik) erfordern einen kleinen Grad von Gelehrsamkeit und Wissen. Die Poesie könnte man freilich für eine Ausnahme halten, aber sie verlangt wenigstens Silbenmaß oder irgend etwas dem Silbenmaß Ähnliches, während man hingegen zur Erzeugung von Novellen und Romanen nichts weiter nötig hat, als Papier, Feder und Tinte nebst der Handfertigkeit, sich ihrer zu bedienen. Daß dies die Meinung der Verfasser selbst ist, läßt sich, wie ich glaube, aus ihren Werken ersehen, und es muß auch die Meinung ihrer Leser sein, wenn es solche überhaupt gibt. (Henry Fielding: Tom Jones, S. 587)


Gehetzt

Er habe sich beklagt, so sehr gehetzt und getrieben zu sein, daß ihm die Zunge aus dem Hals hänge, und habe oftmals wiederholt, daß er, wenn er sich in vier Teile zerlegen könnte, immer noch wisse, was er für jeden zu tun habe. (S. 279)


Packesel der Anwälte

Außerdem war noch eine andere Person anwesend, die sich Jurist nannte und irgendwo in der Nähe von Linlich in Somersetshire wohnte, dieser Bursche nannte sich selber einen Juristen, war aber in der Tat ein ganz niedriger Winkeladvokat ohne irgendwelches Wissen oder Verstand, einer von jenen, die man die Schleppenträger des Gesetzes nennen könnte, eine Art von Mitläufer in dieser Profession, welche die Packesel der Anwälte sind und für eine halbe Krone mehr Meilen reiten als ein Postknecht.


Undankbarkeit

Eine der Maximen, die der Teufel bei seinem letzten Besuch auf Erden seinen Schülern hinterließ, heißt: Wenn du einmal aufgestanden bist, so wirf den Stuhl hinter dir um; in klarem Deutsch: Wenn du durch die guten Dienste eines Freundes dein Glück gemacht hast, so laß dir raten und schieb ihn beiseite, sobald du kannst. (S. 58)


Die Kunst des Arztes

Nichts ist ungerechter als die gewöhnliche Meinung, die den Arzt fälschlich als einen Freund des Todes hinstellt. Ich glaube im Gegenteil, wenn man die Zahl derer, die durch ihre Kunst gerettet werden, der Zahl ihrer Märtyrer gegenüberstellen könnte, so würde die erstere wohl eher die letztere übertreffen. Ja, einige Ärzte sind in diesem Punkt so vorsichtig, daß sie, um jede Möglichkeit, den Patienten zu töten, zu vermeiden, sich aller Heilmethoden enthalten und nichts verschreiben als das, was weder Nutzen noch Schaden stiften kann. Ich habe einige von diesen mit großer Ernsthaftigkeit die Maxime äußern hören, man müsse der Natur überlassen, ihre Arbeit zu tun, während der Arzt gleichsam nur dabeistehe, um ihr auf die Schulter zu klopfen und sie zu ermutigen, wenn sie's gut macht. (S. 107)


Zwangsläufig

Es ist von weisen Männern oder Weibern, ich habe vergessen von wem, beobachtet worden, daß alle Menschen verurteilt sind, sich einmal in ihrem Leben zu verlieben. (S. 47)


An die Leser

Mein Leser darf sich daher nicht wundern, wenn er im Verlauf dieses Werkes einige Kapitel sehr kurz und andere dagegen sehr lang findet, Kapitel, die nur den Zeitraum eines einzigen Tages umfassen, und andere, die Jahre enthalten, mit einem Wort, wenn meine Geschichte manchmal stillzustehen und manchmal zu fliegen scheint. Für all dieses glaube ich mich nicht verpflichtet, irgendeinem kritischen Gerichtshof Rechenschaft zu geben: Denn da ich in Wahrheit der Gründer einer neuen Provinz in der Literatur bin, so steht es mir frei, derselben nach meinem eigenen Belieben Gesetze zu geben. Und diesen Gesetzen sind meine Leser, die ich als meine Untertanen betrachte, gläubig zu gehorchen verpflichtet. Und damit sie sich bereitwillig und fröhlich fügen, gebe ich ihnen hiermit die Versicherung, daß ich bei all solchen Institutionen hauptsächlich ihre Bequemlichkeit und ihren Vorteil im Auge habe: Denn ich bilde mir nicht wie ein Tyrann von Gottes Gnaden ein, daß sie meine Sklaven oder mein bewegliches Eigentum wären. Ich bin wirklich nur zu ihrem eigenen Besten über sie gesetzt und zu ihrem Vorteil geschaffen worden, nicht aber sie zu dem meinen. Daher zweifle ich nicht, daß sie, solange ich ihr Interesse zur Hauptregel meines Schreibens mache, einmütig miteinander weitteifern werden, meine Würde aufrecht zu erhalten und mir all die Ehren zu erweisen, die ich verdiene und verlange. (Henry Fielding: Tom Jones, S. 64)


Gute Wahl

Er war einer jener weisen Männer, welche Schönheit beim anderen Geschlecht für eine sehr wertlose und überflüssige Eigenschaft halten oder, um wahrheitsgemäßer zu sprechen, es vorziehen, jede Bequemlichkeit des Lebens mit einem häßlichen Weib als eine hübsche Gemahlin ohne alle jene Bequemlichkeiten zu erlangen. (S. 50)


Unheilbar

Der Doktor ging geradewegs nach London, wo er bald darauf an gebrochenem Herzen starb, eine Krankheit, die weit mehr Menschen hinrafft, als man sich gemeiniglich einbildet, und die einen begründeten Anspruch auf einen Platz in den Sterbelisten hätte, wenn sie sich nicht durch einen Umstand von allen andern Krankheiten unterschiede: Dadurch nämlich, daß kein Arzt sie heilen kann. (Henry Fielding: Tom Jones, S. 60)


Jenseits der Grenze

Diese Dame war schon etwas über die Dreißig hinaus - eine Ära, in der man nach der Meinung hämischer Leute den Titel einer alten Jungfer mit einiger Schicklichkeit beanspruchen kann. (S. 11)


Stolz und Eifersucht

In seinen Anschauungen über das weibliche Geschlecht übertraf er sogar den Aristoteles an Scheelsucht. Er betrachtete das Weib als ein nützliches Haustier von etwas größerer Wichtigkeit als eine Katze, da ihre Dienste ein wenig mehr Bedeutung hatten, aber der Unterschied zwischen diesen beiden war seiner Schätzung nach so gering, daß es ihm bei seiner Heirat mit Mr. Allworthys Gütern und Ländereien ziemlich einerlei war, ob er das eine oder das anderes dieser Geschöpfe mit in Kauf nehmen mußte. Und doch war sein Stolz so zart, daß er die Verachtung fühlte, die seine Frau jetzt für ihn an den Tag zu legen begann, und dies, im Verein mit dem Überdruß an ihrer Liebe, erzeugte in ihm einen Grad von Ekel und Abscheu, der vielleicht nur schwer überboten werden kann. (Henry Fielding: Tom Jones, S. 97)


Fielding im Internet

Literarische Einteilung
Bücherlei-Wiki: Henry Fielding
Wikipedia.de: Henry Fielding
Wikipedia.en: Henry Fielding
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Fielding, Henry: Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings. Übersetzung aus dem Engl. von Paul Baudisch. Mit eienm Nachwort von Hans Mayer. Leipzig: List, 1963. 1441 S. [Epikon]


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