Das Methusalem-Komplott [<<]

Fundstücke aus Frank Schirrmachers Buch


"Gegen eine Prägung von hunderttausenden von Jahren durch unnatürlichen, vorzeitigen Tod, in dem das Altern immer schon Triumph gegen den Tod war, steht jetzt erst die ganz unnatürliche Erfahrung des natürlichen Alterns, die gerade einmal 50 Jahre währt."

"Alle diese rührenden Omas und Opas, die wir um uns sehen, sind in Wahrheit Überlebenskampfmaschinen, und sie alle haben bereits ihren großen Sieg errungen, ehe sie alt geworden waren: gegen Kindersterblichkeit und Seuchen, Krieg und Völkermord, Hunger und Verbrechen." Damit drangsalieren sie die Nachgeborenen, daß es ihnen ebenso ergehen könnte, daß Notzeiten kommen könnten. In Ermangelung eigener Katastrophen greifen sie, so Schirrmacher, was sich ein wenig makaber liest, auf den Hunger in Afrika zurück, um die Jungen zu warnen und vorzubereiten auf den Lebenskampf.

Natürlich schwinden die Reserven der Alten; gehen die Kräfte zur Neige; aber die Forschung berichtet Erstaunliches. Die Lernfähigkeit bleibt bis ins hohe Alter erhalten. Und Einbußen an Schnelligkeit beispielsweise gleichen die Alten durch Erfahrung, Tricks und Kniffe aus. Die Erinnerungsfähigkeit ist ungebrochen.

"Das Schuldgefühl gegenüber dem Leben - oder dem, was wir 'Natur' nennen - ist die Erbsünde unserer Generation." Frank Schirrmacher spricht von einer "Schuldlust". Ganz gleich, wie wir leben, wir meinen, am Ende die Quittung für unser Tun zu bekommen. "Den jungen Hermann Hesse gruselte ein Schaubild in seinem streng-religiösem Elternhaus. Es zeigte eine breite, gemütliche Straße, an deren Seiten sich alle möglichen Verlockungen anboten, und einen engen, steinigen und steilen Hohlweg. Darunter stand: der breite Weg in die Hölle, der steinige in den Himmel. Das Unangenehme an solchen Weltbildern ist, daß sie Schuld und Strafe verteilen. Wir, die wir glauben, den Staub des pietistischen Pfarrhauses von unserer chromverkleideten Lebensform gefegt zu haben, werden am Ende unserer Tage genau dort wieder erwachen: bei Vater und Mutter Hesse, die, sei's als Arzt, sei's als Pflegerin, unsere Sünden zusammenrechnen werden."

"Psychologen haben berichtet, daß Unterhaltungen zwischen Pflegekräften und älteren Patienten von Unterhaltungen zwischen Erwachsenen und 2-jährigen Kindern nicht unterschieden werden können."

"Die Linguistik hat Belege dafür gefunden, daß ältere Menschen, wenn sie mit jüngeren Menschen reden, den vermeintlichen Erwartungen der Jüngeren durch "Unteranpassung" begegnen, das heißt, sie erfüllen die negativen Stereotypen, die an sie herangetragen werden, indem sie beispielsweise langsam sprechen oder unablässig auf gesundheitliche Probleme hinweisen, um so gewissermaßen von vornherein entschuldigt zu sein."

"In der elektronischen Welt sind körperliche Fähigkeiten kein limitierender Faktor." In Zukunft könnte sich durch das Gefühl sozialer Ausgrenzung eine neue Form der Kriminalität entwickeln, gerade in und mittels des Cyberspace. Menschen, die sich einer konstruktiven Rolle innerhalb der Gesellschaft beraubt sehen, könnten versucht sein, zu boykottieren und auf Rache zu sinnen.

"Hätten wir Ältere nur einen Bruchteils des genialen Mutes jener Jungen von einst, könnten wir, die wir als allererste Generation die Erfahrung des kollektiven Alterns machen, Altern nicht nur als Verlust, sondern auch als Gewinn sehen."

Um 1900, im sogenannten Fin de Siecle, kultivierte man den Verfall, das Morbide, die Vergänglichkeit; 30-Jährige hatten nichts Besseres zu tun, als sich wie 60-Jährige zu gebärden und anzuziehen. Kunst und Literatur waren durchtränkt davon. Thomas Mann veröffentlichte Buddenbrooks als 25-Jähriger! Schirrmacher schreibt "Unvorstellbar junge Leute haben 100 Jahre lang unsere Vorstellung vom Verfall und Alter geprägt."

"Ich muß gestehen, daß mir dieser Entlaubungs- und Abholzungsprozess sehr nahe geht. Altwerden bedeutet die allmähliche Umwandlung einer vertrauten Welt mit vertrauten Gesichtern in eine Wüste, die von fremden Gesichtern bewohnt wird." (Hannah Arendt)

"Unsere Vorgänger haben nämlich in unseren Vorstellungswelten nichts gepflanzt und gebaut und nichts gedacht oder geschrieben für ein Alter, das lange dauert und in dem wir alle alt sind. Keine Filme, Bücher, Gedichte, Lieder, Ideologien, Parteiprogramme. Es war nie nötig, weil nur wenige hier überleben konnten. Kaum jemand hat sich groß drum gekümmert."

"Das Ich des Menschen wird geradezu überwältigt von der Füller der seelischen Schäden, die repariert werden müssen, und viele der intellektuellen Absonderlichkeiten alternder Menschen haben hier ihren Grund."

Die Abhalfterung der Alten vollzieht sich, auch im Arbeitsleben, durch Diskrimierung, welche zu Aushöhlung des Selbstbewußtseins, zu Kontrollverlust und Reduktion der Kreativität führe. Der Mensch mit zunehmenden Alter muß gegen Vorurteile ankämpfen. Und jeder Kampf an dieser Front kostet sinnloserweise Kräfte, die anderswo gebraucht würden. Die Disengagement-Theorie geht von einem "naturgemäßen Rückzug von Aktivitäten im Alter" aus. In Zeiten des Arbeitsplatzmangelns ist es leicht eingängig, daß sie ankommt. Diese Bedingungen führen zu einer "Alterskatastrophe" des Einzelnen, die oft schon mit 40 anfängt und bei Frauen früher als bei Männern.

"Im Vergleich zur demografischen Katastrophe ist der Zusammenbruch des Kommunismus unwichtig." (Claude Lévi-Strauss, Soziologe)

"Viagra - die Antwort der alternden Gesellschaft auf die Pille." Überhaupt werden die Lebensformen der zweiten Lebenshälfte verändert werden. Schon wenn man vom Lebensabschnittsgefährten spricht, zeigt sich, daß die Zeit, in der man nur den Tod geschieden wird, endgültig vorbei ist. Die in den vergangenen einhundert Jahren rasant gestiegene Lebenserwartung greift zunehmend in die Struktur der Partnerschaften ein.

"Alle Kulturen kannten die Jugend, weil alle Menschen jung waren, aber die wenigsten kannten das Alter. (...) Alter war immer eine Lebensunwahrscheinlichkeit und die Erfahrung einer Minderheit."

Der Mensch, der sein Alter kaschiert, z.B. durch falsche Alterangaben, Kosmetika und Schönheitsoperationen, wird belächelt oder "gesellschaftlich zensiert". Dies hat laut Schirrmacher nichts mit zivilisatorischen Normen zu tun, sondern entspringt der evolutionären Notwendigkeit, daß die Natur auf die Fortpflanzungsfähigkeit einer Art angewiesen ist und jeder, der das vertüncht, handelt sozusagen gegen die Natur, was die Menschen unwillkürlich ächten.

"Wo Biologie und Wirtschaft den alternden Menschen um seine Ersparnisse bringt, kann die Kultur nicht zurückstehen. Sie produziert Vorstellungen über den älteren Menschen, als handele es sich bei ihm um die abartige Seite derselben Spezie."

Schirrmacher hält den Umstand, daß die Harry-Potter-Bücher seit Jahren auf den Bestsellerlisten gerade derjenigen Ländern zu finden sind, die von einem rapiden Geburtenrückgang gekennzeichnet sind, für ein Merkmal der Infantilisierung unserer Gesellschaft, der sozialen Rolle und der Öffentlichkeit. Jürgen Wertheimer hat mit Strategien der Verdummung ein Buch über die "Infantilisierung in der Fun-gesellschaft" geschrieben (2001 bei C.H.Beck erschienen)

"Gelingt es uns nicht, das Altern des Menschen neu zu definieren, und zwar als eines der einzigartigsten zivilisatorischen Ereignisse, die Menschen überhaupt beschieden sind, werden wir in eine Zivilisation der Euthanasie eintreten."

"Offenbar rechnen sich die Menschen ihr eigene Alter aus den Zukunftszenarien heraus; jedenfalls scheinen sie nicht zu erkennen, daß sie im Alter unter enormen Rechtfertigungs- und Nachzahlungsdruck geraten könnten."

"Glauben Sie nicht, der militante Islam sei die einzige Kraft, die unsere Gesellschaft ins Mittelalter zurückbomben will. Auch unsere Kulturen steht ein neues Mittelalter bevor. Hatten Sie je Schwierigkeiten, sich in das mittelalterliche Weltbild von Schuld und Verdammnis einzufühlen? Wenn ja, dann kann Ihnen geholfen werden. Wenn wir unsere Vorstellungen vom Altern in unserer Gesellschaft den neuen Entwicklungen nicht anpassen, wird aus dem Herbst unseres Lebens ein neues Mittealter entstehen."

"Wer in die Geheimnisse, die sich zwischen Eltern und Kindern ereignen, hineinsieht, der muß sich entsetzen, schwindeln und zurückfallen; denn es sind Geheimnisse schwärzester Bosheit, welche die Kinder begehen und so im Finstern, in die Pest hineinschleichen." (Johann Friedrich Mayer)

Ageism als Begriff ist hierzulande eher unbekannt. Mit der Alterdiskriminierung habe man sich noch wenig beschäftigt, behauptet Frank Schirrmacher. Immerhin existiert ein Büro gegen Altersdiskriminierung e.V.

"Wir, die wir glaubten, die Zeit des Kalten Krieges nicht zu überleben, werden in eine Welt der 100-Jährigen hineinwachsen."

"Daß alt sein nicht gleichzusetzen ist mit schwach sein oder müde, und daß der Alternde nicht schwach gemacht werden darf, wird eine der Überlebensregeln unserer gefährdeten Gemeinschaft sein."

"Die menschliche Lebenserwartung betrug in 99,9 Prozent der Zeit, die wir diesen Planten bewohnt haben, 30 Jahre."


Schirrmacher, Frank: Das Methusalem-Komplott. München: Blessing, 2004. 219 S.ISBN: 3-89667-225-8. - EUR 14.00

Rezensionen des Buches gibt es u. hier: readme, Perlentaucher, InKulturA, Bayrischer Rundfunk, Polizei-Newsletter. Informationsseiten habe ich hier gefunden: Single-Generation, Deutschlandfunk.


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