Thomas-Mann-Splitter [<<] 

Von den Buddenbrooks zum Doktor Faustus


Zwischen Traum & Tag
Zitate und Textstreusel


Exaltationen

Er ging den Weg, den er gehen musste, und wenn er irre ging, so geschah es, weil es für etliche einen richtigen Weg überhaupt nicht gibt. […] Er sah sich zerfressen von Ironie und Geist, verödet und gelähmt von Erkenntnis, halb aufgerieben von den Fiebern und Frösten des Schaffens, haltlos und unter Gewissensnöten zwischen krassen Extremen, raffiniert, verarmt, erschöpft von kalten und künstlich erlesenen Exaltationen, verwirrt, verwüstet, krank. (Thomas Mann: Tonio Kröger)


Lieblingskinder Gottes

Es gibt eine Art von Menschen, Lieblingskinder Gottes, wie es scheint, deren Glück das Genie und deren Genie das Glück ist, Lichtmenschen, die mit dem Widerspiel und Abglanz der Sonne in ihren Augen auf eine leichte, anmutige und liebenswürdige Weise durchs Leben tändeln, während alle Welt sie umringt, während alle Welt sie bewundert, belobt, beneidet und liebt, weil auch der Neid unfähig ist, sie zu hassen. Sie aber blicken darein wie die Kinder, spöttisch, verwöhnt, launisch, übermütig, mit einer sonnigen Freundlichkeit, sicher ihres Glückes und Genies, und als könne das alles durchaus nicht anders sein... (Thomas Mann: Der Wille zum Glück, Erzählungen, S. 122)


Emphase

Er war ungesellig und hielt mit keiner Seele Gemeinschaft. Nur zuweilen konnte eine leutselige, liebevolle und überquellende Stimmen ihn befallen, und das geschah jedesmal, wenn Herr Spinell in ästhetischen Zustand verfiel, wenn der Anblick von irgend etwas Schönem, der Zusammenklang zweier Farben, eine Vase von edler Form, das vom Sonnenuntergang bestrahlte Gebirge ihn zu lauter Bewunderung hinriß. "Wie schön!" sagte er dann, indem er den Kopf auf die Seite legte, die Schultern emporzog, die Hände spreizte und Nase und Lippen krauste. "Gott, sehen Sie, wie schön!" Und er war imstande, blindlings die distinguiertesten Herrschaften, ob Mann oder Weib, zu umhalsen in der Bewegung solcher Augenblicke... (Thomas Mann: Der Wille zum Glück, Erzählungen, S. 218)


Erwartungen

Lassen Sie mich erwähnen, daß ich in einer ganz kleinen Stadt aufgewachsen bin in einem Pastorhause, in dessen überreinlichen Räumen ein altmodisch pathetischer Gelehrtenoptimismus herrschte, und in dem man eine eigentümliche Atmossphäre von Kanzelrhetorik einatmete - von diesen großen Wörtern für Gut und Böse, Schön und Häßlich, die ich so bitterlich hasse, weil sie vielleicht, sie allein, an meinem Leiden die Schuld tragen. Das Leben bestand für mich schlechterdings aus großen Wörtern, denn ich kannte nichts davon als die ungeheuren und wesenlosen Ahnungen, die diese Wörter in mir hervorriefen. Ich erwartete von den Menschen das göttlich Gute und das haarsträubend Teuflische; ich erwartete vom Leben das entzückend Schöne und das Gräßliche, und eine Begierde nach alldem erfüllte mich, eine tiefe, angstvolle Sehnsucht nach der weiten Wirklichkeit, nach dem Erlebnis, gleichviel welcher Art, nach dem berauschend herrlichen Glück und dem unsäglich, unahnbar furchtbaren Leiden. (Thomas Mann: Der Wille zum Glück, Erzählungen, S. 97)


Schwerer als anderen

Die Worte schienen ihm durchaus nicht zuzuströmen, für einen, dessen bürgerlicher Beruf das Schreiben ist, kam er jämmerlich langsam von der Stelle, und wer ihn sah, mußte zu der Anschauung gelangen, daß ein Schriftsteller ein Mann ist, dem das Schreiben schwerer fällt als allen anderen Leuten. (Thomas Mann: Der Wille zum Glück, Erzählungen, S. 244)


Verschlagenheit

Ihr Blick war nicht nur töricht, sondern auch von einer gewissen lüsternen Verschlagenheit, und man sah wohl, daß diese Frau nicht zu beschränkt war, um geneigt zu sein, Unheil zu stiften... (Thomas Mann: Der Wille zum Glück, Erzählungen, S. 148)


Reiche Sprache

Verzückte Poeten haben mir vorgesungen, die Sprache sei arm, ach, sie sei arm - o nein, mein Herr! Die Sprache, dünkt mich, ist reich, ist überschwenglich reich im Vergleich mit der Dürftigkeit und Begrenztheit des Lebens. Der Schmerz hat seine Grenzen: der körperliche in der Ohnmacht, der seelische im Stumpfsinn, - es ist mit dem Glück nicht anders! Der menschliche Mitteilungsbedürfnis aber hat sich Laute erfunden, die über diese Grenzen hinweglügen. (Thomas Mann: Der Wille zum Glück, Erzählungen, S. 99)


Neugier und Unkenntnis

Seltsamer, heikler ist nichts als das Verhältnis von Menschen, die sich nur mit den Augen kennen, - die täglich, ja stündlich einander begegnen, beobachten und dabei den Schein gleichgültiger Fremdheit grußlos und wortlos aufrecht zu halten durch Sittenzwang oder eigene Grille genötigt sind. Zwischen ihnen ist Unruhe und überreizte Neugier, die Hysterie eines unbefriedigten, unnatürlich unterdrückten Erkenntnis- und Austauschbedürfnisses und namentlich auch eine Art von gespannter Achtung. Denn der Mensch liebt und ehrt den Menschen, so lange er ihn nicht zu beurteilen vermag, und die Sehnsucht ist eine Erzeugnis mangelhafter Erkenntnis. (Thomas Mann: Schwere Stunde, Erzählungen, S. 238)


Einsamkeit

Die Beobachtungen und Begegnisse des Einsam-Stummen sind zugleich verschwommener und eindringlicher als die des Geselligen, seine Gedanken schwerer, wunderlicher und nie ohne einen Anflug von Traurigkeit. Bilder und Wahrnehmungen, die mit einem Blick, einem Lachen, einem Urteilsaustausch leichthin abzutun wären, beschäftigen ihn über Gebühr, vertiefen sich im Schweigen, werden bedeutsam, Erlebnis, Abenteuer, Gefühl. Einsamkeit zeitigt das Originale, das gewagt und befremdend Schöne, das Gedicht. Einsamkeit zeitigt aber auch das Verkehrte, das Unverhältnismäßige, das Absurde und Unerlaubte. (Thomas Mann: Schwere Stunde, Erzählungen, S. 210)


Das Vollkommene

Am Vollkommenen zu ruhen, ist die Sehnsucht dessen, der sich um das Vortreffliche müht; und ist nicht das Nichts eine Form des Vollkommenen? (Thomas Mann: Schwere Stunde, En, S. 217)


Leben als Künstler

Auch persönlich genommen ist ja die Kunst ein erhöhtes Leben. Sie beglückt tiefer, sie verzehrt rascher. Sie gräbt in das Antlitz ihres Dieners die Spuren imaginärer und geistiger Abenteuer, und sie erzeugt, selbst bei klösterlicher Stille des äußeren Daseins, auf die Dauer eine Verwöhntheit, Überfeinerung, Müdigkeit und Neugier der Nerven, wie ein Leben voll ausschweifendster Leidenschaften und Genüsse sie kaum hervorzubringen vermag. (Thomas Mann: Schwere Stunde, Erzählungen, S. 199)


Sympathie statt Kennerschaft

Damit ein bedeutendes Geistesprodukt auf der Stelle eine breite und tiefe Wirkung zu üben vermöge, muß eine tiefe Verwandtschaft, ja Übereinstimmung zwischen dem persönlichen Schicksal seine Urhebers und dem allgemeinen des mitlebenden Geschlechts bestehen. Die Menschen wissen nicht, warum sie einem Kunstwerk Ruhm bereiten. Weit entfernt von Kennerschaft , glauben sie hunderte Vorzüge daran zu entdecken, um so viel Teilnahme zu rechtfertigen; aber der eigentliche Grund ihres Beifalls ist ein Unwägbares, ist Sympathie. (Thomas Mann: Schwere Stunde, Erzählungen, S. 194)


Angepaßte Erwartungen

Übrigens hatt er vormittags gearbeitet. Er hatte die Morgenstunde von zehn bis elf Uhr in dem Atelier seines Professors verbracht. Dieser Professor, ein Künstler von europäischem Ruf, bildete Siegmunds Talent im Zeichnen und Malen aus und erhielt von Herrn Aarenhold zweitausend Mark für den Monat. Es war gleichwohl zum Lächeln, was Siegesmund malte. Er wußte es selbst und war weit entfernt, feurige Erwartungen in sein Künstlertum zu setzen. Er war zu scharfsinnig, um nicht zu begreifen, daß die Bedingungen seines Daseins für die Entwicklung einer gestaltenden Gabe nicht eben die günstigsten waren. (Thomas Mann: Schwere Stunde, Erzählungen, S. 134)


Nicht gewöhnen

"Man wird alt, gut, daran ändern wir nichts. Aber worauf es ankommt, ist, daß die Dinge einem neu bleiben, und daß man sich eigentlich an nichts gewöhnt... Da sind nun", fuhr er fort, indem er ein wenig Rindermark auf einem Semmelbrocken bettete und Salz darauf streute, "Ihre Verhältnisse im Begriffe, sich zu ändern; das Niveau Ihres Daseins soll sich nicht unwesentlich erhöhen." (Von Beckerath lächelte.) "Wenn Sie Ihr Leben genießen wollen, wahrhaft genießen, bewußt, künstlerisch, so trachten Sie, sich niemals an die neuen Umstände zu gewöhnen. Gewöhnung ist der Tod. Sie ist der Stumpfsinn. Leben Sie sich nicht ein, lassen Sie sich nichts selbstverständlich werden, bewahren Sie sich ein Kindergeschmack für die Süßigkeiten des Wohlstands." (Thomas Mann: Schwere Stunde, Erzählungen, S. 127)


Frühling

"Vor fünf Minuten, nicht weit von hier, traf ich einen Kollegen, Adalbert, den Novellisten. 'Gott verdamme den Frühling!'sagte er in seinem aggressiven Stil. 'Er ist und bleibt die gräßlichste Jahreszeit!' Können Sie einen vernünftigen Gedanken fassen, Kröger, können Sie die kleinste Pointe und Wirkung in Gelassenheit ausarbeiten, wenn es Ihnen auf eine unanständige Weise im Blute kribbelt und eine Menge von unzugehörigen Sensationen Sie beunruhigt, die, sobald Sie sie prüfen, sich als ausgemacht triviales und gänzlich unbrauchbareas Zeug entpuppen?" (Thomas Mann: Schwere Stunde, Erzählungen, S. 38)


Liebeserfahrungen

An diesem Abend nahm er ihr Bild mit fort, mit dem dicken, blonden Zopf, den länglich geschnittenen, lachenden, blauen Augen und dem zart angedeuteten Sattel von Sommersprossen über der Nase, konnte nicht einschlafen, weil er das Klingen in ihrer Stimme hörte, versuchte leise, die Betonung nachzuahmen, mit der sie das gleichgültige Wort ausgesprochen hatte, und erschauerte dabei. Die Erfahrung lehrte ihn, daß dies die Liebe sei. Aber obgleich er genau wußte, daß die Liebe ihm viel Schmerz, Drangsal und Demütigung bringen müsse, daß sie überdies den Frieden zerstöre und das Herz mit Melodien überfülle, ohne daß man Ruhe fand, eine Sache rund zu formen und in Gelassenheit etwas Ganzes daraus zu schmieden, so nahm er sie doch mit Freuden auf, überließ sich ihr ganz und pflegte sie mit den Kräften seines Gemütes, denn er wußte, daß sie reich und lebendig mache, und er sehnte sich, reich und lebendig zu sein, statt in Gelassenheit etwas Ganzes zu schmieden... (Thomas Mann: Schwere Stunde, Erzählungen, S. 26)


Nehmen und Geben

Nun ist Kunst ein Produkt der Einsamkeit und diese gewiß die Heimatsphäre des Künstlers. Aber als aktive Form der Dankbarkeit ist Kunst zugleich ein sozialer Trieb. Sie will geben, sie ist das Geben selbst, sie gibt das Erfreulichste und Vollkommenste, was sie eben zu geben hat, und nie kann sie sich genug tun dabei, denn sie weiß, wie reichlich ihr Nehmen war, und wagt nicht zu hoffen, daß sie mit Geben je bezahlen kann. Daher ihr glückliches Erstaunen, wenn wiederum Dankbarkeit ihr antwortet. (Thomas Mann: Über mich selbst. Autobiographische Schriften)


Dankbarkeiten

Eine dankbare, eine empfängliche Natur - was kann es Besseres geben, um selbst aus einem sonst mangelhaften Leben das Mögliche zu machen? Empfänglichkeit für die Anerbietungen des Lebens, die großen und kleinen, für einen Scherz, ein gutes Mahl, für die beherrschten Kühnheiten der Kunst und des Geistes, für einen Frühlingstag, für das Menschlich-Individuelle, einen Blick, eine Stimme, den Zauber einer Persönlichkeit - das ist nicht alles. Es gibt auch eine Dankbarkeit für das Schwere und Dunkle im Leben, für das Leiden, - Dankbarkeit dafür um des Wissens und der menschlichen Vertiefung willen, die das Leiden, und vielleicht nur dieses gewährt. (Thomas Mann: Über mich selbst. Autobiographische Schriften, S. 504)


In der DDR

Aber meine Besorgnis, daß die nicht konformistischen Teile der Bevölkerung - und sie sind beträchtlich - mir mein Kommen verübeln würden, erwies sich als unberechtigt. Gerade sie zeigten sich dankbar, denn in einer Isolierung vom übrigen Deutschland fühlen sie wohl, daß die Gefahr eines gänzlichen Sichauseinanderlebens der beiden Hälften, der völligen Entfremdung zwischen ihnen täglich wächst, und sind froh, wenn man sie nicht vergißt, auch noch Deutsche in ihnen sieht und sie nicht wie Pestkranke meidet. (Thomas Mann: Über mich selbst. Autobiographische Schriften, S. 472)


Reden & Schreiben

Zu den geborenen Nichtrednern zähle ich die Schriftsteller überhaupt: es bestehen tiefe Unterschiede, ja Gegensätze zwischen den Produktions- und Wirkungsarten des Redners und des Schriftstellers, und namentlich wird das Improvisatorische, das literarische Ungefähr allen Redens, das Prinzip künstlerischer Aussparung, das vieles, ja Entscheidendes der nachhelfenden Persönlichkeitswirkung zur Ergänzung offenläßt, den Instinkten der entschiedenen Schriftstellerpersönlichkeit zuwider sein. (Thomas Mann: Über mich selbst. Autobiographische Schriften, S. 418)


Außer Konkurrenz

Übrigens habe ich nie gefürchtet, daß irgend jemand, und sei es der Überragendste, mich durch die promptere Behandlung eines mir angelegenen "Stoffes" matt setzen könnte. Hätte ich es zu fürchten, meine Langsamkeit würde zur Dauerkatastrophe. Aber was ist "Stoff"! Das Persönliche ist alles. Der Stoff ist nur durch das Persönliche. Und meine allzu subjektive Art stellt mich wenigstens sicher gegen jede ernstliche Kollision mit Gleichzeitigem und schneller Fertigem. (Thomas Mann: Über mich selbst. Autobiographische Schriften, S. 356)


Krieg gegen wen?

Eine italienische Dame war da, ausgewiesen von zu Hause oder doch unmöglich dort und flüchtig; ich saß neben ihr, und sie versicherte, der Faschismus, der vorwärts müsse, bereite den Krieg. - Den Krieg gegen wen! - Gegen Frankreich. Auch die anderen erklärten, viele Anzeichen sprächen dafür. Ich fand es recht ehrgeizig von Italien, daß es den ersten militärischen Sieg seiner Geschichte ausgerechnet über Frankreich davonzutragen beabsichtige, und ich glaube, was französisch war, schmunzelte. Gibt es einen Pazifisten, der nicht ein wenig geschmeichelt wäre, wenn man seinem Lande ein militärisches Kompliment macht? Ich möchte nur gefragt haben. (Thomas Mann: Über mich selbst. Autobiographische Schriften, S. 346)


Typus: französischer Intellektueller

Er könnte Deutscher sein mit seiner Rundbrille und seinem eher blonden als dunklen Schnurrbärtchen, ist aber Südfranzose. Schlicht, ernst, nachdenklich, fast gestenlos, mehr gemütvoll als sprühend, erschien er mir bei wiederholten Begegnungen als Typus des französischen Intellektuellen, den als Windbeutel vorzustellen niemand guttut. Auch als Liebling der Nation, hochbegütert und bürgerlich repräsentativ, sollte man sich den französischen Schriftsteller nicht denken. Die fünfhundert Auflagen und die Yacht im Mittelmeer sind Ausnahme und Glücksakzidens, wie überall. Der Typ ist von unscheinbarer und stiller Geistigkeit, weltabgewandt, dem Gedanken gehörig. (Thomas Mann: Über mich selbst. Autobiographische Schriften, S. 307)


Im Verkehr

Das Gebrodel der Straßen war toll um diese Stunde. Die Aufgabe, einen Fahrdamm zu überschreiten, bot mehr als einmal den Aspekt ewiger Hoffnungslosigkeit. Gelange mit List bis zur Mitte - dann ist der Gegenstrom so dicht, daß du angewurzelt zwischen Tod und Verderben stehst, auf schmalster Plattform, und weder vorwärts noch rückwärts kannst. (Thomas Mann: Über mich selbst. Autobiographische Schriften, S. 301)


Karriere und Vorbilder

Schule und Elternhaus: Hat ein Ereignis aus Ihrer Schulzeit, das mit dem System der alten Schule zusammenhing, bestimmend auf Ihre Entwicklung eingewirkt und in welcher Weise? -- Thomas Mann: Ein Lehrer drohte, zufällig nicht mir, sondern einem anderen Schüler, mit den Worten: "Ich werde dir deine Karriere schon verderben!" Am gleichen Tage las ich bei Storm den Spruch: "Was du immer kannst, zu werden, scheue Arbeit nicht und Wachen, aber hüte deine Seele vor dem Karrieremachen." Da wußte ich, daß die Lehrer meine Erzieher nicht waren, sondern mittlere Beamte, und daß ich meine Erzieher anderswo zu suchen hätte, nämlich in der Sphäre des Geistes und der Dichtung. (Thomas Mann: Über mich selbst. Autobiographische Schriften, S. 170)


Parisbesuch

Da war sie denn also nach fünfzehn Jahren wieder einmal, die milde, halbdurchsonnte, silbrig neblige Pariser Luft - aromatisiert freilich jetzt durch die Dünste der Autos, deren Zahl ins Verwirrende und Schwindelerregende angewachsen ist. Straßenübergänge sind ernste Angelegenheiten, zu deren Abwicklung Phlegma und Umsicht die rechte Mischung eingehen müssen. (Thomas Mann: Über mich selbst. Autobiographische Schriften. S.277)


Über Alfred Kerr

Die Witze aber, die Kerr über mich oder meine Arbeit gemacht hat, hätten viel schlechter sein müssen, als sie mutmaßlich ohne Ausnahme gewesen sind, um mich seinem kritisch-lyrischen Talent zu entfremden, das zu schätzen, ja zu bewundern ich durchaus geschaffen bin. Man kommt nicht von Nietzsche und der Musik her, ohne mir zu gefallen. Daß Herr Kerr mich blöde findet, geht nicht ganz mit rechten Dingen zu; es sollte im geistigen Leben unerwiderte Sympathie überhaupt nicht geben, und ihr Vorkommen verwirrt meine Weltanschauung. Jedenfalls habe ich nicht den Charakter Gottes im Himmel, der fürchterlich wird, wenn man ihn nicht wiederliebt. Es ergriff mich, wie sehr Kerr an Wedekind erinnerte, als er antwortete: "Guten Abend! Wie geht es Ihnen?" Zugleich war mein Sinn für Humor sehr stark berührt. Denn es liegt natürlich Humor darin, wenn jemand, der uns fünf- bis sechsmal zu töten versucht hat, sich nach unserem Befinden erkundigt. (Thomas Mann: Über mich selbst. Autobiographische Schriften, S. 286)


Badekultur

Diese festliche Entblößung von Schultern und Busen, die Tolstoi als Moralist so heftig mißbilligte und die er als Künstler in "Anna Karenina" mit so tiefer erotischer Begierde beschrieben hat, stand in erstaunlichem Gegensatz zu der alles versagenden Keuschheit des weiblichen Badekostüms, einer Art von volantreicher Spezialtoilette, in der das schöne Geschlecht von 1880 ins Wasser stieg und die selbst in nassem Zustande äußerste Diskretion bewahrte. (Thomas Mann: Über mich selbst. Autobiographische Schriften, S. 12)


In Italien

Plötzlich jedoch, wie ein rechter Vagabund, ließ ich alles liegen und ging ins Ausland, nach Rom, wo ich mich ein Jahr lang plan- und beschäftigungslos herumtrieb. Ich verbrachte meine Tage mit Schreiben und der Vertilgung jenes Lesestoffes, den man den belletristischen nennt und dem ein anständiger Mensch höchstens zur Zerstreuung in seinen Mußestunden sich zuwendet, - und meine Abende bei Punsch und Dominospiel. Ich besaß genau die Mittel, zu leben und unmäßig viele jener süßen Soldo-Zigaretten zu rauchen, die der italienische Staat verschleißt und denen ich damals bis zur Völlerei ergeben war. (Thomas Mann: Über mich selbst. Autobiographische Schriften, S. 166)


Naturdinge

Das Meer ist keine Landschaft, es ist das Erlebnis der Ewigkeit, des Nichts und des Todes, ein metaphysischer Traum; und mit den luftverdünnten Regionen des ewigen Schnees steht es sehr ähnlich. Meer und Hochgebirge sind nicht ländlich, sie sind elementar im Sinne letzter und wüster, außermenschlicher Großartigkeit. (Thomas Mann: Über mich selbst. Autobiographische Schriften, S. 46)


Eine deutsche Idee

... die Idee der Mitte. Das ist aber eine deutsche Idee. Das ist die deutsche Idee, denn ist nicht deutsches Wesen die Mitte, das Mittlere im großen Stile? Ja, wer Deutschtum sagt, der sagt Mitte; wer aber Mitte sagt, der sagt Bürgerlichkeit, und er sagt damit, wir wollen das aufstellen und behaupten, etwas genau so Unsterbliches, wie wenn er Deutschtum sagte. (Thomas Mann: Über mich selbst. Autobiographische Schriften, S. 47)


Was ein Dichter ist

Diejenigen, die meine Schriften durchblättert haben, werden sich erinnern, daß ich der Lebensform des Künstlers, des Dichters stets mit dem äußersten Mißtrauen gegenüberstand. In der Tat wird mein Erstaunen über die Ehren, welche die Gesellschaft dieser Spezies erweist, niemals enden. Ich weiß, was ein Dichter ist, denn bestätigtermaßen bin ich selber einer. Ein Dichter ist, kurz gesagt, ein auf allen Gebieten ernsthafter Tätigkeit unbedingt unbrauchbarer, einzig auf Allotria bedachter, dem Staate nicht nur nicht nützlicher, sondern sogar aufsässig gesinnter Kumpan, der nicht einmal sonderliche Verstandesgaben zu besitzen braucht, sondern so langsamen und unscharfen Geistes sein mag, wie ich es immer gewesen bin, - übrigens ein innerlich kindischer, zur Ausschweifung geneigter und in jedem Betrachte anrüchiger Scharlatan, der von der Gesellschaft nichts anderes sollte zu gewärtigen haben - und im Grunde auch nichts anderes gewärtigt - als stille Verachtung. Tatsache aber ist, daß die Gesellschaft diesem Menschenschlage die Möglichkeit gewährt, es in ihrer Mitte zu Ansehen und höchstem Wohlleben zu bringen. Mir kann es recht sein; ich habe den Nutzen davon. Aber es ist nicht in der Ordnung. es muß das Laster ermutigen und der Tugend ein Ärger sein. (Thomas Mann: Über mich selbst. Autobiographische Schriften, S. 168)


Ein Phlegma

Mit jener Geduld, die meine natürliche Langsamkeit mir auferlegte, einem Phlegma, das vielleicht richtiger bezähmte Nervosität zu nennen wäre, führte ich die Erzählung fort. (Thomas Mann: Über mich selbst. Autobiographische Schriften, S. 106)


Vom Ehrgeiz

Nicht immer sind es die größten Werke, die mit den größten Absichten geschrieben werden. Im Gegenteil halte ich es für die Regel, daß die großen Werke das Ergebnis bescheidener Absichten waren. Der Ehrgeiz darf nicht am Anfang stehen, nicht vor dem Werk. Er muß mit dem Werk heranwachsen und diesem mehr angehören als dem Ich des Künstlers. Es ist nichts falscher als der abstrakte und vorsachliche Ehrgeiz, der Ehrgeiz an sich und unabhängig vom Werke, der bleiche Ehrgeiz des Ich. (Thomas Mann: Über mich selbst. Autobiographische Schriften, S. 62)


Kunst und Leben

Doch war ich niemals ein Arbeits-Anachoret wie Flaubert, wünschte nicht, weltfremder zu sein, als es nun einmal in der Natur des Poeten liegt, und habe mich immer bemüht, dem Menschlichen und dem sozialen Leben, dem Staate, soweit seine Sphäre sich mit der Kultur berührt, der Familie, der Geselligkeit und Freundschaft, der Zerstreuung und dem Genuß das Ihre zu geben. Das Problem des Gegensatzes von Kunst und Leben, Künstlertum und Menschentum hatte mich früh und tief beschäftigt, und so sehr ich mich zur Kunst berufen, um nicht zu sagen: verurteilt fühlte, wollte ich mich nicht in ihr verzehren, sondern ein Mensch sein, so gut ich es nur vermochte. (Thomas Mann: Über mich selbst. Autobiographische Schriften, S. 150)


Was ist Moral?

Das Meer! Die Unendlichkeit! Meine Liebe zum Meer, dessen ungeheure Einfachheit ich der anspruchsvollen Vielgestalt des Gebirges immer vorgezogen habe, ist so alt wie meine Liebe zum Schlaf, und ich weiß wohl, worin diese beiden Sympathien ihre gemeinsame Wurzel haben. Ich habe in mir viel Indertum, viel schweres und träges Verlangen nach jener Form oder Unform des Vollkommenen, welche "Nirwana" oder Nichts benannt ist, und obwohl ich ein Künstler bin, hege ich eine sehr unkünstlerische Neigung zum Ewigen, sich äußernd in einer Abneigung gegen Gliederung und Maß. Was dagegen spricht, glaube mir, ist Korrektur und Zucht, ist, um das ernsteste Wort zu gebrauchen, Moral... Was ist Moral? Was ist die Moral des Künstlers? (Thomas Mann: Über mich selbst. Autobiographische Schriften, S. 158)


Sünde und Moral

Nur der Spießbürger glaubt, daß Sünde und Moralität entgegengesetzte Begriffe seien: sie sind eins; ohne die Erkenntnis der Sünde, ohne die Hingabe an das Schädliche und Verzehrende ist alle Moralität nur läppische Tugendhaftigkeit. Nicht Reinheit und Unwissenheit sind der im sittlichen Sinne wünschenswerte Zustand, nicht egoistische Vorsicht und die verächtliche Kunst des guten Gewissens machen das Sittliche aus, sondern der Kampf gegen die Not, die Leidenschaft und der Schmerz. (Thomas Mann: Über mich selbst. Autobiographische Schriften, S. 159)


Nachruhm

Der Ruhm zu Lebzeiten ist eine fragwürdige Sache; man tut gut, sich nicht davon blenden, sich kaum davon erregen zu lassen. Wenn man sieht, was aus hellem Ruhm mitunter binnen fünfzig, binnen zwanzig Jahren wird, so mag einem wohl bangen. Niemand von uns weiß, wie, in welchen Rang er vor der Nachwelt stehen, vor der Zeit bestehen wird. Wenn ich einen Wunsch für den Nachruhm meines Werkes habe, so ist es der, man möge davon sagen, daß es lebensfreundlich ist, obwohl es vom Tode weiß. Ja, es ist dem Tode verbunden, es weiß von ihm, aber es will dem Leben wohl. Es gibt zweierlei Lebensfreundlichkeit: eine, die vom Tode nichts weiß; die ist recht einfältig und robust, und eine andere, die von ihm weiß, und nur diese, meine ich, hat vollen geistigen Wert. Sie ist die Lebensfreundlichkeit der Künstler, Dichter und Schriftsteller. (Thomas Mann: Über mich selbst. Autobiographische Schriften, S. 364)


Zwischen Traum & Tag

Es ist gut, so am Morgen zu gehen, die Sinne verjüngt, die Seele gereinigt, von dem Heilbade und langen Lethetrunke der Nacht. Mit kräftigem Vertrauen blickst du dem bevorstehenden Tage entgegen, aber du zögerst wohlig, ihn zu beginnen, Herr einer außerordentlichen, unbeanspruchten und unbeschwerten Zeitspanne zwischen Traum und Tag, die dir zum Lohn ward für eine sittliche Führung. Die Illusion eines stetigen, einfachen, unzerstreuten und beschaulich in sich gekehrten Lebens, die Illusion, ganz dir selbst zu gehören, beglückt dich; denn der Mensch ist geneigt, seinen augenblicklichen Zustand, sei dieser nun heiter oder verworren, friedlich oder leidenschaftlich, für den wahren, eigentümlichen und dauernden seines Leben zu halten und namentlich jedes glückliche ex tempore sogleich in seiner Phantasie zur schönen Regel und unverbrüchlichen Gepflogenheiten zu erheben, während er doch eigentlich verurteilt ist, aus dem Stegreif und moralisch von der Hand in den Mund zu leben. (Thomas Mann: Unordnung und frühes Leid, Erzählungen 1919-30) ^


Zitate und Textstreusel

  • Der hiesige Bach nun also ist von den Schlichten und Treuherzigen unter den Seinen, es ist nichts Besonderes mit ihm, sein Charakter ist der einer freundlichen Durchschnittlichkeit. Von glasheller Naivität, ohne Falsch und Hehl, ist er weit entfernt, durch Trübheit Tiefe vozutäuschen. (Thomas Mann: Unordnung und frühes Leid, Erzählungen 1919-30)
  •  ^

Weiteres zu Thomas Mann

BücherleiWiki: Thomas Mann
Wikipedia.de: Thomas Mann
Thomas Mann beim Perlentaucher
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