John-Updike-Splitter [<<] 

Leseanreize aus dem Werk des amerikanischen Romanciers


Rabbit eine Rückkehr [3]
Rabbit eine Rückkehr [2]
Rabbit eine Rückkehr [1]
Die Tränen meines Vaters [7]
Die Tränen meines Vaters [6]
Die Tränen meines Vaters [5]
Die Tränen meines Vaters [4]
Die Tränen meines Vaters [3]
Die Tränen meines Vaters [2]
Die Tränen meines Vaters [1]
Der Zentaur [1]
Der Zentaur [2]
Der Zentaur [3]
Der Mann, der ins Sopranfach wechselte [1]
Der Mann, der ins Sopranfach wechselte [2]
Der Mann, der ins Sopranfach wechselte [3]
Der Mann, der ins Sopranfach wechselte [4]
Der Mann, der ins Sopranfach wechselte [5]
Der Mann, der ins Sopranfach wechselte [6]
Der Mann, der ins Sopranfach wechselte [7]
Der Mann, der ins Sopranfach wechselte [8]
Der Mann, der ins Sopranfach wechselte [9]
Der Mann, der ins Sopranfach wechselte [10]
Der Mann, der ins Sopranfach wechselte [11]
Der Mann, der ins Sopranfach wechselte [12]
Der Mann, der ins Sopranfach wechselte [13]
Ehepaare [1]
Ehepaare [2]
Ehepaare [3]
Ehepaare [4]
Ehepaare [5]
Ehepaare [6]
Ehepaare [7]
Ehepaare [8]
Ehepaare [9]
Ehepaare [10]
Das Gottesprogramm [1]
Das Gottesprogramm [2]
Das Gottesprogramm [3]
Das Gottesprogramm [4]
Das Gottesprogramm [5]
Das Gottesprogramm [6]
Das Gottesprogramm [7]
Das Gottesprogramm [8]
Das Gottesprogramm [9]
Das Gottesprogramm [10]


Rabbit eine Rückkehr [3]

Im Lokal herrscht dieser typische Garderoben- und Waschraumgeruch aus alten Zeiten, ein Geruch nach nassen Kleidern und kindlichen Geheimnissen. Die akkurate, selbständige Art, wie Annabelle ihren weißen Regenmantel und den roten Schal ablegt und beides an die Haken neben der unbeschrifteten Tür zu den Toiletten hängt, rührt Nelson, sie ist schon eine alte Jungfer. Aber der helläugige Aplomb, mit dem sie sich setzt und zur Mitte des Tisches in der Nische durchrutscht, zeigt, daß sie noch hofft, noch mitspielt, wie immer das Spiel heißen mag. (John Updike: Rabbit eine Rückkehr, S. 99)


Rabbit eine Rückkehr [2]

Harry war fasziniert von Ronnies großem Schwanz, und der ist groß und an der Oberseite abgeplattet, daß man ein Weinglas drauf abstellen könnte, wenn er auf halbmast ist, aber was Janice beim ersten Mal wirklich verblüfft hat, war der relativ kleine Unterschied zwischen erigiert und nicht erigiert. Bei Harry war's ein Unterschied wie zwischen Nacht und Tag, schlapp und schlafend daliegend wie ein Baby oder hellwach, baumhoch und nicht zu bremsen. (John Updike: Rabbit eine Rückkehr, S. 61)


Rabbit eine Rückkehr [1]

Janice ist Ruth nie begegnet, aber ihr war diese flittchenhafte Sorte Mädchen von der High-School bekannt, im Waschraum waren die Namen von denen an die Wände gekritzelt, SUSIE PETROCELLI HAT DEN SCHWANZ VON MEINEM FREUND GELUTSCHT und VAROLE STICHTER IST EINE BLÖDE HURE; meist Mädchen aus üblen Familien aus der Unterstadt, nach nichts aussehend, übergewichtig und im Unterricht still, hatte es sie sogar unter Eisenhower gegeben, als alle vermeintlich so sauber waren. Sie kann nicht glauben, daß ein Fick, der vierzig Jahre her ist, Ronnie viel bedeutet, aber so betäubt und zusammengesackt, wie er dasteht in seinem durchgeschwitzten Polohemd und der karierten Golfhose, tut es das. "Gestorben auf ihrer Farm", sagt er "Die Dürre hat sie umgebracht." Er bemüht sich, den trancartigen Zustand wegzuscherzen, in den Männer geraten, wenn sie sich zu erinnern versuchen, wie es war, in die Sphäre einer bestimmten Frau einzutauchen. (John Updike: Rabbit eine Rückkehr, S. 60)


Die Tränen meines Vaters [7]

Seine Theologie, oder sein Mangel an Theologie, erscheint mir jetzt als eine der großzügigen Anschauungen, an denen ich, dank ihm, Gefallen finden konnte. In seinem Kosmos hatten sich die Nebel des Aberglaubens fast ganz gelichtet. Zu seiner Gemeinde dort am Tor zum Westen gehörten Universitäts- Existenzialisten, und einiges von ihrer auf dem neuesten Stand befindlichen Philosophie rauhte seine altmodischen transzendentalistischen, mit weicher, versonnener Stimme gehaltenen Predigten auf. Obgleich Unitarier, gehörte er dem theistischen Zweig an, erzählte Deb mir im Bett, in der Hoffnung, zwischen uns zu vermitteln. Ich war, wie ich mich erinnere, nicht so unhöflich, mich oft mit ihm zu streiten, aber er konnte nicht die Augen verschlossen haben vor meiner in Harvard entstandenen Neo-Orthodoxie mit ihrer Eliot'schen Unterströmung von Panik. Meine Aufgabe im Haushalt in Vermont bestand darin, das Altpapier des Tages zu verbrennen, in einer Tonne oben auf der Anhöhe hinter dem Haus, nahe der Quelle, die uns mit kaltem Wasser versorgte. Man konnte zwanzig Meilen weit über das bewaldete Tal bis zum nächsten Bergrücken der Green Mountains schauen. Mit Reverend Whitworths Segen war ich aufgenommen worden in eine Welt weiter Ausblicke, eisiger Badevergnügen und einer New-England- Schweigsamkeit. (John Updike: Die Tränen meines Vaters, S. 255)


Die Tränen meines Vaters [6]

Ich war an das Gefühl gewöhnt worden, daß es keine Freude im Leben geben könne ohne religiösen Glauben, und wenn ein solcher Glaube ein intellektuelles Opfer verlangte, dann mußte es eben sein. Ich hatte genug Kiergaard und Barth und Unamuno gelesen, um etwas vom Wagnis des Glaubens zu wissen, und Reverend Whitworth ging dieses Wagnis nicht ein; er hielt stattdessen Mittagsschläfchen und baute Steinmauern. (John Updike: Die Tränen meines Vaters, S. 254)


Die Tränen meines Vaters [5]

Reverend Whitworth war demonstrativ behutsam bei allem, was seine Hände taten, und mich nervte das, mit dem unversöhnlichen Ressentiment der Jugend. Mich nervten seine peniblen Pfeifenrauchergesten, die Art, wie er den Tabak feststopfte und anzündete und paffte; mich nervten seine streng eingehaltenen Nachmittagsschläfchen, seine silberblauen Augen (die Deb geerbt hatte), sein von keinen Zweifeln angekränkeltes Unitariertum. In meiner Gegend von Pennsylvania waren blaue Augen so selten, daß sie schon anormal waren - hellgelblichbräunlich, das war die verwegenste Abweichung einer Iris vom üblichen Braun, das die Einwanderer aus Wales und Süddeutschland ins Schuylkill Valley mitgebracht hatten. (John Updike: Die Tränen meines Vaters, S. 253)


Die Tränen meines Vaters [4]

Das Kind starrte kampflustig zu ihm auf, ein bißchen skeptisch, aber doch bereit zuzustimmen. In den sechs Monaten war sie gewachsen; ihre Augen, ein durchsichtiges blasses Blau unter langen geraden Ponys, hatten mehr subtile Ausdrucksmöglichkeiten. In bestimmten Momenten, besonders wenn sie grübelte, konnte er sehen, wie in der kindlichen zarten Vollkommenheit ihres Gesichts sich die Keime femininen Mysteriums und reifer Schönheit regten. (John Updike: Die Tränen meines Vaters, S. 141)


Die Tränen meines Vaters [3]

Ihr Kleid war aus grünblauer Seide, zurückhaltend, teuer, vorstädtisch chic; ihr Mann, das ultimative Accessoire, war groß und jovial, mit einem sacht anklingenden Südstaatenakzent, ein Geschäftsmann im Ruhestand oder kurz davor. Die beiden, stellte David sich vor, hatten sich zusammen für einen wohlverdienten Lebensabend gerüstet mit festgelegten Auslandsreisen, Enkelkinder-Hüten und Fitness-Besuchen, mit der von strammer Arbeit erfüllten amerikanischen Freizeit nach dem Vorbild der gutaussehenden alternden Paare in Werbespots für Viagra und Eisenpräparate.) (John Updike: Die Tränen meines Vaters, S. 60)


Die Tränen meines Vaters [2]

Seine Mutter hatte sich für seine Frau nie erwärmen können: Irene war zu großstädtisch, zu korrekt, so stoisch. Henry war durch sie auf der Leiter eine Sprosse höher, in eine Familie gutsituierter Anwälter, Banker und Professoren aufgestiegen, aber zu Hause, im engen ständigen Miteinander, waren Irenes Intimitätsbewilligungen knapp bemessen und wurden immer knapper. Henry gab sich Mühe, seine Bedürfnisse einzuschränken, um sich anzupassen, und fand durchaus Gefallen an seiner zunehmenden Trockeneheit, seiner immer müheloser gelingenden Verkörperung eines wohlerzogenen Stocks. Seine Mutter, deren unerfüllte Hoffnungen den Ambitionen für ihren Sohn etwas allzu Blühendes gaben, sah diese häusliche Eingeschnürtheit und hegte einen Groll dagegen. (John Updike: Die Tränen meines Vaters, S. 40)


Die Tränen meines Vaters

"Sie hat so schöne Augen." Diese Bemerkung war von seiner Mutter gekommen, bei einem ihrer Besuche in der Stadt, in der Henry und Leila, verheiratet mit anderen, damals lebten. Sie konnte nicht gewußt haben, daß ihr Sohn und Leila eine Affäre hatten - eine, die wie ein Grasfeuer jedes Mal wieder aufflammte, wenn sie dachten, sie hätten es ausgetreten. Aber Leila wußte natürlich, daß es die Mutter ihres Geliebten war, und dieses Wissen gab den ungezwungenen Höflichkeiten, die sie der älteren Frau in der Unterhaltung erwies, eine zusätzliche Lebhaftigkeit, ein Augenfunkeln. Einmal war Leilas Mutter zu Besuch in ihrer überhitzten kleinen Stadt, und Henry hatte sich gewundert, als er auf der kleinen Party, die ihre Tochter gab, das Profil der stämmigen Frau von Mitte sechzig betrachtete, daß eine so unattraktive, geschlechtslose Person eine solche Schönheit hervorgebracht haben konnte, eine so geschmeidige, wollüstige Anstachlerin männlichen Entzückens. (John Updike: Die Tränen meines Vaters, S. 39)


Updike, John: Der Zentaur [1]

Mein Großvater schlurfte zum Kühlschrank hinüber und holte das grellverpackte Maiers-Brot herunter. Er bewegte sich prononciert und angestrengt, so, als wolle er sich unsichtbar machen, aber das bewirkte nur, daß wir alle zu ihm hinsahen. Er faltete das Wachspapier auseinander, nahm eine Scheibe Weißbrot heraus, klappte sie zusammen und schob sie sich säuberlich zur Gänze in den Mund. Die Elastizität seines Mundes grenzte ans Wunderbare: eine zahnlose Schlucht tat sich auf unter dem aschgrauen Schnurrbart und verschlang das Brot mit einem einzigen Biß. Der friedliche Kannibalismus, der diesem Tun anhaftete, machte meine Mutter immer von neuem wütend. "Pop", sagte sie, "kannst du nicht warten, bis sie aus dem Haus sind, ehe du dich wieder übers Brot hermachst?" (John Updike: Der Zentaur, S. 76)


Updike, John: Der Zentaur [2]

Er hofft, wenn er ihr das Salz der Blasphemie auf den Schwanz streut, werde er sie festhalten können, diese goldene Taube, diesen sandblonden Spatzen. Er hat den Verdacht, daß sie fragen wollte, warum er nicht geheiratet hat. Eine knifflige Frage; er hat schon manches Mal die Antwort gesucht. Vielleicht, daß der Krieg die Frauen unschmeichelhaft enthüllt. Sie sinken im Preis, und es geschieht sogar, daß sie sich für jeden Preis verkaufen: für eine Zuckerstange, den Schlaf einer Nacht. Ihr Wert ist ihnen nicht mitgegeben, sondern wird ihnen von den Männern verliehen. Wenn man gezwungen wird, das einzusehen, zögert man den Kauf hinaus. Aber das wäre keine Antwort, die man aussprechen könnte. (John Updike: Der Zentaur, S. 250)


Updike, John: Der Zentaur [3]

"Warum passiert mir all das?" fragt er düster, mit leicht hervorquellenden Augen, "warum backen alle Damen in meiner Gemeinde einmal im Monat Napfkuchen und verkaufen sie dann wechselseitig aneinander? Warum belagert der städtische Trunkenbold beharrlich meinen Telefonanschluß? Warum rücken alle diese Leute mit wunderlichen Hüten auf dem Kopf jeden Sonntagsmorgen an, um mich über ein altes Buch schwafeln zu hören?" (John Updike: Der Zentaur, S. 215)


Updike, John: Der Mann, der ins ... [1]

Drei Jahre waren ins Land gegangen, als sie schließlich, nach einigen Tagen in London, um sich an die Zeitumstellung, die andere Währung und den Linksverkehr zu gewöhnen, einen Zug Richtung Norden nahmen, auf einen Bahnhof hinter Cambridge ausstiegen und im feuchten, windigen Frühlingszwielicht von einem hüpfenden, Knautschhütchen tragenden Schatten begrüßt wurden, in dem sie nach einer Weile Frank Eggleston erkannten. Er hatte zugenommen, sich diese ganz bestimmte rosige englische Gesichtsfarbe zugelegt und eine unamerikanische Art, sich mehrmals, in rascher Folge, zu räuspern. (John Updike: Der Mann, der ins Sopranfach wechselte, S. 13)


Updike, John: Der Mann, der ins ... [2]

In der Nacht wachte Carter auf und mußte ins Bad. Der viele Portwein. Draußen blies ein Wind. Baumkronen, verschwommene Umrisse, schwarz auf blau, peitschten hin und her. Er knipste die Lampe nicht an, um Jane nicht zu wecken, fand die Schlafzimmertür, öffnete sie leise im Dunkeln und machte zwei feste Schritte den Flut entlang, dorthin, wo seiner Erinnerung nach das Bad war. Beim zweiten Schritt war nichts als Luft unter seinem Fuß. Sein schlafumnebeltes Gehirn sprang abrupt an: ihm ging auf, daß er die Treppe hinunterfiel. Während er durch schwarzen Raum segelte, hatte er Zeit zu denken, was für ein furchtbare Geräusch sein aufkrachender Körper machen würde und daß die Egglestones wach werden würden und wie peinlich und unangenehm es für sie wäre, sich mit seinem zerschmetterten Leib zu befassen. Er hatte sogar Zeit, zu denken, wie sonderbar selbstlos dieser letzte Gedanke war. Dann hieb ihm irgendwas - irgend jemand, so empfand er's - mit aller Kraft mitten gegen den Brustkorb, genau aufs Brustbein, und er stand aufrecht auf einem in halber Höhe befindlichen Treppenabsatz. Er lauschte einen Augenblick, hörte nur den Wind, der um das merkwürdige Backsteinhaus heulte, und stieg wieder die sechs, sieben Stufen hinauf, zurück in den ersten Stock. (John Updike: Der Mann, der ins Sopranfach wechselte, S. 16)


Updike, John: Der Mann, der ins ... [3]

Der Sommer war immer ein einziges Fest gewesen mit Sonnenbrand und kurzen Röcken, Grillparties und Insektenstichen. In den Marschen und den schlängeligen Prielen vermehrten sich nicht nur alle Arten von kleineren und größeren Mücken, sondern auch, und besonders reichlich, Zecken und grünköpfige, blutdurstige Fliegen. Während der anderen Jahreszeit war man einer gewissen Zermürbung ausgesetzt - der Herbst griff mit immer früher hereinbrechender Dunkelheit an, im Winter rutschten auf den gewundenen glatten Straßen in traumähnlicher Zeitlupe die Autos ineinander, der Frühling brachte seinen rauhen Ostwind mit und überschwappte die Leute mit Grippewelle und hochgradiger Gereiztheit. (John Updike: Der Mann, der ins Sopranfach wechselte, S. 31)


Updike, John: Der Mann, der ins ... [4]

Ferris hatte Schwierigkeiten, das Sexleben seiner erwachsenen Kindern zu begreifen. Er hatte mehrere Freundinnen dieses Sohnes kennengelernt; alle waren vorzeigbare junge Frauen gewesen mit guter Figur, glänzenden gebleichten langen Locken, leuchtenden Augen, unverkrampften, sympathischen Manieren und geschwungenen Lippen, die darauf warteten, zum Lächeln gebracht zu werden. Aber kaum hatte er sich den Namen einer dieser Freundinnen gemerkt und wußte ungefähr zu sagen, wo sie geographisch und ihrer Bildung nach herkam, war sie auch schon wieder weg. Keine von ihnen war von Dauer, keine erregte offenbar den romantischen, bei Männern seiner Generation so verbreitet gewesenen Wunsch zu heiraten - im Angesicht der Kirche und des Staates Anspruch auf diesen weiblichen Körper zu erheben, einzutreten in eine formell bekräftigte Intimität wie in ein Territorium, das bezwungen, urbar gemacht und bestellt werden mußte und dann Früchte trug. (John Updike: Der Mann, der ins Sopranfach wechselte, S. 39)


Updike, John: Der Mann, der ins ... [5]

Die Zahlen, die die Jahre und Jahrzehnte bezifferten, änderten sich allmählich und mit ihnen die Zahlen seines Kontostandes und die Nummern an seinem jeweiligen Apartmentgebäude. Seine erste Ehe spielte sich in drei verschiedenen Apartments ab, die turbulente zweite in vier und die kurzlebige in nur einem, und jetzt fragte er sich, ob Frauen überhaupt je so ganz seine Sache gewesen waren. Wenn er sich's recht überlegte, hatte er sich immer am wohlsten in Gesellschaft von Männern gefühlt, besonders in Gesellschaft solcher Männer, die ihn an seinen ruhigen, klaglosen Vater erinnerten. Aber inzwischen waren die aidsbedußten Achtziger ins Land gezogen, sein Haar war immer grauer und schließlich fast weiß geworden, und er hatte sich zufrieden darein geschickt, ein Leben mit Büchern zu führen, mit seinen CDs (Compact Discs, Certificates of Deposit) und seiner bescheidenen kleinen Kunstsammlung, einer Mischung aus wässriger Gebrauchsgraphik und eisiger Minimal art. Durch die weißen Wände seines Apatments konnte er das Gemurmel und leise Poltern der Nachbarn hören, und er mochte das. In den fünfziger Jahren war er heimgekehrt zum Wand-an-Wand-Leben, wie in einer Doppelhaushälfte. (John Updike: Der Mann, der ins Sopranfach wechselte, S. 142)


Updike, John: Der Mann, der ins ... [6]

Es gab einen vierten Raum, ein kleines, nach Nordwesten hinausgehendes Zimmer, in dem seine Mutter einst unter langen qualvollen Wehen zur Welt gebracht worden war - eine ländliche Leidensgeschichte, so stellte Joey es sich vor, mit flackernden Lampen und dampfenden Wasserkesseln und barmherzigen Beistand leistenden Cousinen, die in pferdegezogenen Kastenwagen eintrafen: eine schwere Geburt, die seine Mutter, wie es schien, in eine erbitterte Rechtfertigungshaltung ihrer Mutter gegenüber gezwungen hatte, in eine aussischtlose, unauflösliche Verklammerung im Bemühen, das Erlittene wiedergutzumachen. Sie pflegte die alte Frau während deren langer, zum Tod führender Parkinsonscher Krankheit, aber nicht immer geduldig, nicht immer liebevoll, und als die Quälerei schließlich vorüber war, blieb sie mit einem zusätzlichen Grund für Selbstbeschuldigung zurück. "Ich habe mein ganzes Leben lang versucht, meiner Mutter zu gefallen", sagte sie zusammenfassend, "und es ist mir nie gelungen." (John Updike: Der Mann, der ins Sopranfach wechselte, S. 143)


Updike, John: Der Mann, der ins ... [7]

Seine Mutter sammelte, in getrennten Abteilungen auf dem Fußboden, die leeren Dosen, die Plastiktüten vom Supermarkt, in denen ihre Lebensmittel transportiert wurden, Versandhauskataloge in rutschigen Stapeln und Paketband und Bindfaden, verknäult in einem Zinkeimer. Joey erkannte in diesem Ansammeln einen Aberglauben, mit dem er auch in sich selbst zu kämpfen hatte - den Glauben, daß alles von Wert ist. Die Vögel in den Bäumen, die Sonnenblume am Rand des Obstgartens, das ungeschickt zusammenklebte Valentinsherz, vor Jahren von einem fernen Enkelkind geschickt - alles hat einen Wert, der jederzeit als Guthaben zu Buche schlagen könnte. Es war eine Möglichkeit, bekanntzugeben, daß das eigene Leben unendlich kostbar war. (John Updike: Der Mann, der ins Sopranfach wechselte, S. 145)


Updike, John: Der Mann, der ins ... [8]

Ihr Morgenrock war türkisfarben und mit kastanienbrauner Litze eingefaßt. Sie bestellte ihre Garderobe jetzt bei Versandhäusern und hatte eine Vorliebe für laute Farben. Wie sie dalag, das weiße Haar um sie auf dem Kissen ausgebreitet, die babyblauen Sauerstoffschläuche wie ein Handgelenk geschlungen, sah sie festlich und aufgekratzt aus und weiblicher als sonst. Den ganzen Tag warteten ihr junge Männern in keimfreien Kitteln auf, schnitten ihr die Fußnägel und erkundigten sich nach ihrer Verdauung. Ihre Verdauung war zu Joeys peinlicher Verlegenheit ein Gesprächsgegenstand höchster Faszination für sie geworden. Überhaupt wurde ihr Inneres durch die Erosion ihres Körpers unangenehm nah an die Oberfläche gebracht. Die Methode seines Vaters, mit ihren, wie Joey fand, unerklärlichen Launen umzugehen - einschließlich der, sie alle auf die Farm zu verfrachten -, hatte darin bestanden zu sagen: "Sie ist eine Frau, Joey. Deine Mutter ist eine richtige Frau. Was willst du machen." Er zuckte dann mit den Achseln, und manchmal setzte er hinzu: "Ich hätte sie auf die Tingeltangelbühne schicken sollen." (John Updike: Der Mann, der ins Sopranfach wechselte, S. 150)


Updike, John: Der Mann, der ins ... [9]

Daß sie vor Joeys Geburt geglaubt hatte, zu etwas so Normalem wie schwanger zu werden und ein Kind zur Welt zu bringen, nicht imstande zu sein - diese fixe Idee tauchte in ihrer Selbstdarstellung immer wieder auf. Der alte Dr. Mull, der bärbeißig ihre Ängste zu zertreuen suchte, der sie als normale Frau behandelte und nicht als das monströse Produkt der Seelenpein ihrer Mutter, erstand gleichsam als erotischer Held, der im Sturm ihr Herz eroberte. "Er sagte, ich soll nicht solchen Unsinn reden, sondern auf die Natur vertrauen, das hab ich dann gemacht, und das Ergebnis war dieser wunderbare Junge!" Joey sah plötzlich, daß sein eigenes Ich, von dem er sich eingebildet hatte, sie liebe es ganz um seiner selbst willen, für sie vor allem als Hervorbringung ihres Körpers, als lebender Beweis für ihr Frausein liebenswert war. (John Updike: Der Mann, der ins Sopranfach wechselte, S. 151)


Updike, John: Der Mann, der ins ... [10]

"Dies hier ist das Papier, das der Staat Ihnen ausstellt, aber es gibt noch einen kleinen Schein." "Vielleicht ist er im Auto meiner Mutter. Sie ist nicht mehr allzu viel gefahren - gegen Ende." Georgene Mueller sprach ihm kein Beileid aus. Tod war für sie eine Angelegenheit von Papieren. Ihr Rat aber war freundlich. "Sie schauen mal im Handschuhfach Ihrer Mutter nach", sagte sie, wie zu einem Kind, "und ich wette, Sie finden da den kleinen Schein, den ich meine." "Ich bin nicht sicher", sagte er und stand auf. "Sie war das letzte Jahr über ziemlich, na ja, nicht mehr ganz da." "Ja, so kommt's. War mit meiner Mutter genauso. Sie gehn zurück." Rentzschler verstand den hiesigen Ausdruck: "zurückgehen" - für regredieren, für senil werden. In Hayesville blieb kein natürlicher Prozeß ohne Namen. Natur war das große Spektakel; die Leute saßen auf ihren Veranden, um zuzusehen, wie es vorbeizog. (John Updike: Der Mann, der ins Sopranfach wechselte, S. 176f.)


Updike, John: Der Mann, der ins ... [11]

Vor dem Hauptcafe der Stadt hatte sich nach Schluß der Messe eine Männerschar versammelt, und einer von ihnen überreichte Vivian, als sie vorbeiging, unversehens eine rote Nelke. Für Allenson, der einen Schritt hinter ihr ging, war es ein gelinder Schock, zu sehen, wie seine Frau das Geschenk mit unverzüglichem, breitem Lächeln entgegennahm und sich die Blume mit der passenden anmutigen Geste nah an die Brust hielt. "Grazie", sagte sie, hübsch das kleine offene End-"e" wehen lassend, das Allenson nie richtig zuwege brachte. Vielleicht sind Frauen biologisch dazu konditioniert, Blumen entgegenzunehmen, sogar von Wildfremden auf der Straße. (John Updike: Der Mann, der ins Sopranfach wechselte, S. 194)


Updike, John: Der Mann, der ins ... [12]

Einschlafen ist mir nie als etwas besonders Natürliches vorgekommen. Man hat es mit surrealen Tücken zu tun bei der Durchquerung der Zwischenzone, wenn der Griff des Bewußtseins gelockert wird, aber noch nicht ganz losläßt und merkwürdig mutierte Ideen als normale Gedanken durchgehen, es sei denn, sie werden durch das Knarren einer Tür, das Zucken des Bettgenossen oder die voreilig frohlockende Feststellung "Ich schlafe ein!" jäh ins klare Licht gerückt. Für die kleinen tapsigen Unsinnslarven, die den freifliegenden Schmetterlingen der Träume vorausgehen, ist diese Helle katastrophal, sie überleben sie nicht, und man muß wieder von vorn anfangen, sich zu entspannen, und den Geist sich aufräufeln zu lassen. (John Updike: Der Mann, der ins Sopranfach wechselte, S. 262)


Updike, John: Der Mann, der ins ... [13]

Im Krankenhaus zu liegen, zum ersten Mal in seinem Leben - seine Schmerzfähigkeit in Pillen abzumessen, auf dem Rücken zu schlafen, seine intimsten Verrichtungen unter der Obhut und dem prüfenden Blick von Schwestern stattfinden zu lassen , schamlos zu sein, und sich intensiv, überbesorgt des eigenen Körpers bewußt zu werden, sowie all die bemühte Unterhaltungsarbeit zu leisten, die Ärzte und Besucher von einem Krankenhauspatienten erwarten -, erschloß ihm einen neuen Aspekt seines Seins, neue Leistungsmöglichkeiten. (John Updike: Der Mann, der ins Sopranfach wechselte, S. 295)


Updike, John: Ehepaare [1]

Sein Mund war, einfach so als Mund genommen, weder maskulin noch feminin und eigentlich auch nicht infantil. Die Nase war belanglos, die Auge verschwammen hinter konkaven Brillengläsern, die bis zum Rand mit zitterndem Kerzenlicht gefüllt waren. Die Haare mochten einstmals braun gewesen sein oder sandfarben, jetzt waren sie nur noch ein farbloser Flaum, ein kranzförmiger Schatten über den Ohren; wie alle kahlen Schädel hatte auch Freddys einen prahlerischen Glanz. Trotz dieses abstoßenden Äußeren benahm er sich mit der unbekümmerten Zudringlichkeit eines höchst attraktiven Mannes. (John Updike: Ehepaar, S. 33)


Updike, John: Ehepaare [2]

"Ich bin ganz krank vor Sehnsucht gewesen." Sie richtete sich auf und fing an, sein Hemd aufzuknöpfen. Ihre Unterlippe verschwand unter der Zunge. Angela machte den gleichen Mund, wenn sie den Kindern die Skianzüge anzog. Alle Frauen gleich, so feierlich bei ihren kleinen Verrichtungen; es amüsierte ihn, es hob ihn hoch wie auf einer Welle, als ihm plötzlich der Gedanke kam, daß die ganze Welt von dieser weiblichen Ernsthaftigkeit in materiellen Dingen angetrieben wurde: Knöpfe aufmachen, Bügeln, Sonnenbaden, Kochen, Lieben. Von solchen Verrichtungen schien die Welt zusammengehalten. (John Updike: Ehepaar, S. 54)


Updike, John: Ehepaare [3]

Der Schweiß zwischen ihren Brüsten glitzerte salzig. Er umschlang sie, streichelte und leckte ihre breiten, beweglichen Brustspitzen, das Zäpfchen im Spalt zwischen den Härchen. Sonne und Speichel bildeten einen wolkigen Schaum auf ihrem Schamhaar; Piet mußte an ein junges Kätzchen denken, das lernt, Milch aus einer Untertasse zu trinken. Er hatte es eilig, er brauchte ihr Verzeihen, denn dicht davor, sich zu ergießen, hatte seine Liebe eine Trübung erfahren, etwas Reuevolles, Vergangenes bekommen. Er spreizte ihre geraden Schenkel und nahm sie mit der Selbstverständlichkeit, die sie ihm gewährte. Eine Lippe des Widerstands, dann wohlige Tiefe, Hineingleiten, immer tiefer. Langsames Erschrecken dämmerte in ihrem Blick, als er sie immer weiter öffnete. Er schloß die Augen, aus Angst, ihr hingegebenes Gesicht unschön zu finden. Ein Wispern von Zweigen sickerte auf sie herab. In der Ferne raspelten Sägen. Der leichte Wind strich foppend über seinen zusammengepreßten Hintern; er fühlte sich belästigt von den Vogelräuschen ringsum: Thornes gedungener Chor, lauter Spione. (John Updike: Ehepaar, S. 61)


Updike, John: Ehepaare [4]

Foxy sagte: "Wir müssen nach Hause"; sie war ehrlich traurig. Diese Traurigkeit sollte sie noch erleben, diese chronische Traurigkeit der späten Sonntagnachmittage, wenn die Paare ihr Spiel ausgespielt hatten - Basketball oder An-den-Strand- Gehen oder Tennis oder Touch-Football - und einem Abend entgegensahen, der sich drückend auf sie legte, ein Abend ohne Spiel, ein Abend, der bei flackerndem Lampenlicht zugebracht werden mußte, mit launischen Kindern und Speiseresten und der nörgelnden, halb gelesenen Zeitung voller griesgrämiger Warnrufe und Greuel, ein Abend, da Ehen sich zufalteten wie Blumen, von denen die Sonne sich abgewandt hat, ein Abend, der wie ein verschmiertes Fenster auf den Montag und die lange Woche hinausging, wo sie wieder ihre Rollen als arbeitende Menschen spielen mußten, als Börsenmakler und Zahnärzte, als Ingenieure und Mütter und Hausfrauen, als Erwachsene, die nicht der Welt Gäste sind, sondern ihre Gastgeber. (John Updike: Ehepaare, S. 81)


Updike, John: Ehepaare [5]

Georgene fragte ihn: "Warum hast du den Auftrag übernommen? Du hast mir doch gesagt, du müßtest Ranchhäuser bauen." (...) Er gab zur Antwort: "Ranchhäuser sind so langweilig. Eines sieht wie das andere aus." Georgene verfügte über eine ganze Skala von clubdamenhaften Entrüstungstönen. "Mit Zähnen ist es genauso", sagte sie, "ein Zahn sieht wie der andere aus. Eine Aktie sieht wie die andere aus. Was ist so Besonderes an dir? Woher nimmst du dieses Playboygehabe? Nicht mal das Geld stimmt bei dir!" Schon als Kind hatte Piet Gehirnkrämpfe bekommen, wenn man mit ihm schalt; daß die Welt an irgendeinem Punkt ihrer unermeßlichen Oberfläche imstande sein könnte, ihm ihre Liebe zu verweigern, erschien ihm wie ein mathematischer Widerspruch, über den nachzusinnen eine Tortur war. Er sagte: "Ihr andern habt doch das Geld für mich." (John Updike: Ehepaar, S. 197f.)


Updike, John: Ehepaare [6]

Zwischen ihnen und ihren Eltern hatten immer Kindermädchen und Erzieher und Hausangestellte gestanden, darum gründeten sie selber nun große, innige Familien. Sie wechselten Windeln mit eigener Hand, machten Hausarbeit, nahmen selber Reparaturen vor, hegten ihre Gärten, schaufelten Schnee und hatten das Gefühl, immer gesünder zu werden. Als Kinder waren sie in schwarzen Packards und Chryslers chauffiert worden; jetzt fuhren sie Gebrauchtwagen in allen nur möglichen Bonbonfarben. (John Updike: Ehepaare, S. 114)


Updike, John: Ehepaare [7]

"Matt, ich hätte gern mal deine Meinung gehört - Angela findet, sie müßte dringend zum Psychiater." Wie Piet gehofft hatte, konzentrierte Matts Aufmerksamkeit sich auf diesen letzten Satz; die Wahrheit ist immer interessanter als die Lüge. "Angela ist die normalste Person, die ich kenne", sagte Matt. "Ach Matt", erwiderte Piet, "in dieser gottverlassenen Welt bedeutet Normalsein noch lange nicht, daß man sich auch wohl fühlt." Gallagher runzelte irritiert die Stirn; zu seinem Katholizismus gehörte die Auffassung, daß man sich bei Privatunterhaltungen nur in humoriger Form auf Theologisches beziehen dürfe. (John Updike: Ehepaar, S. 229)


Updike, John: Ehepaare [8]

Das Skihotel hielt den Gästen auf seinem Anschlagbrett immer noch Fotos entgegen, die es im Sommer zeigten, ganz, als wolle es sagen: Das hier bin ich, dieser sanfte braune See, diese laubstrotzenden Birken, nicht diese Totenmaske aus Eis und Schnee, die ich im Augenblick trage. Hoch oben in der spinnwebdunstigen Ecke hing immer noch gespensterhaft die entseelte Kuckucksuhr, aus dem Fernsehapparat knatterten Nachrichten, denen keiner zuhörte, das ältliche junge Besitzerpaar kam und ging mit Aschenbechern und Eisbehältern und hinterließ ein Kielwasser von Mißbilligung. Die Preise waren höher, die Rosinensauce zum Schinken war knapper geworden. (John Updike: Ehepaar, S. 377)


Updike, John: Ehepaare [9]

"Freddy Thorne", sagte sie, "du bist schwammig." Ihre Finger wanderten tiefer. "Und noch immer klein", stellte sie vorwurfsvoll fest. Zart und lau lagen seine Genitalien in ihrer Hand: wie drei Eier, gekocht, gepellt, abgekühlt, die sie auf den Tisch brachte. Angela erschlaffte. Sie hätte sich nicht träumen lassen, daß Männer Frauen gegenüber diese Ruhe bewahren könnten. Piet hätte sie niemals so lange halten können. Nicht einmal im Schlaf. Das war das Netteste am Mann. Nicht sicher verwahrt wie bei Frauen. Dem Risiko ausgesetzt. Verletzlicher. (John Updike: Ehepaar, S. 383)


Updike, John: Ehepaare [10]

"Du bist nicht jeder, Freddy. Ich habe Vertrauen zu dir. Du bist wie ich. Du möchtest die andern etwas lehren." "Das war einmal. Bis ich lernte, die andern das Entscheidende zu lehren; seither habe ich keine Lust zum Lernen mehr." "Das Entscheidende?" "Wir sterben. Wir sterben nicht nur in der einen bestimmten Sekunde irgendwann in der Zukunft, sondern wir sterben die ganze Zeit, in jeder Hinsicht. Mit jeder Mahlzeit, die wir einnehmen, bröckelt ein bißchen mehr vom Schmelz ab." (John Updike: Ehepaar, S. 384)


Updike, John: Das Gottesprogramm [1]

"Gibt es Ihrer Meinung nach irgend etwas, das ich für Verna tun könnte?" "Tun Sie, was auch ich tue, Sir. Schließen Sie sie in Ihre Gebete ein." Die Wolke in meinem Inneren verdüsterte sich. Die gegenwärtige Generation von Jesus-Süchtigen, auch wenn sie nicht, wie ihre Vorgänger in den Sechzigern, von so hirnverwirrenden Mixturen wie der aus LSD und Che benebelt ist, hat eine rückgratlose, freischwebende Gutheit und eine unerschütterliche historische Unschuld, die mich rasend machen können. (John Updike: Das Gottesprogramm. Rogers Version, S. 16)


Updike, John: Das Gottesprogramm [2]

Die Häuser hier werden größtenteils von Universitätsdozenten bewohnt, oder von altjüngferlichen Töchtern verblichener Gräzisten oder der kränklichen Nachkommenschaft von Familien, die ihren Wohlstand vor so langer Zeit erworben haben, daß Geld ein Abstraktum, nur noch eine Frage von Ziffern und Papier, geworden ist. Eine schattenhafte, narkotisierende Gediegenheit umgibt diese Gebäude und befriedet das Leben in ihnen, vermittelt das Gefühl, daß es nicht lohnt, anderswohin zu gehen. (John Updike: Das Gottesprogramm. Rogers Version, S. 43)


Updike, John: Das Gottesprogramm [3]

Wenn sich die Theologie an der Naturwissenschaft vergreift, verbrennt sie sich stets die Finger - im sechszehnten Jahrhundert an der Astronomie, im siebzehnten an der Mikrobiologie, im achtzehnten an Geologie und Paläontologie, im neunzehnten an Darwins Evolutionsbiologie. Immer wurde das Weltbild schier unfaßlich erweitert, während die Kirchenmänner sich duckten, in immer kleineren und schattigeren Nischen Zuflucht suchten, sich zuletzt in den düsteren, vieldeutigen Tiefen der Seele verkrochen, wo ihnen nun die Neurologie grausam zusetzt, sie aus den Falten des Gehirns hinausspült wie der Wasserstrahl die Holzläuse aus dem Bretterstapel. (John Updike: Das Gottesprogramm. Rogers Version, S. 44)


Updike, John: Das Gottesprogramm [4]

Meine Nachbarin, Mrs. Ellicott, kam mir in der Düsternis entgegenstolpert, ihren kleinen Tibetaner an einer langen roten Leine. Mit seinen flachsgelben Haaren, die über die Augen und zu beiden Seiten bis auf den Boden herunterhingen und die Beine verbargen, wirkte der Hund wie ein Spielzeug auf flinken Rädern, das hektisch an Baumstämmen und Zaunpfählen herumschnüffelte, um einen Fleck zu finden, der seines Urins würdig wäre. "Guten Abend, Herr Professor", krächzte die alte Dame. In ihrer Blütezeit hatte sie ein besonderes Talent dafür besessen, ihre Ehemänner in den Selbstmord zu treiben: Mindestens zwei hatten sich eigenhändig aus dem Weg geschafft und ihr die Immobilien und die Möbel hinterlassen, so daß ihre gegenwärtigen Besitztümer Schichten von Sedimentsgestein glichen, verdichtet vom Druck der Jahre, und alle wirtschaftlichen Entwicklungen der vergangenen Jahrzehnte aus der Zusammensetzung ihres Portefeuilles abzulesen waren. "Sieht nicht allzu gut aus für unsere Seite, nicht wahr?" fügte er hinzu. (John Updike: Das Gottesprogramm. Rogers Version, S. 45)


Updike, John: Das Gottesprogramm [5]

Musik, laut aufgedreht, kam aus dem Nebenraum: "She bop - he bop - a - we bop." "Cyndi Lauper", sagte ich. Das beeindruckte sie. "Woher weißt'n du das?" "Mein Sohn. Er ist zwölf und klinkt sich gerade in die Popkultur ein. Von dir, Verna, in deinem Alter, hätte ich eher gedacht, daß du dich gerade ausklinkst. Sie beobachtete, wie ich mich in dem elenden Zimmer umsah, und machte eine anrührende, hilflose kleine Geste, mit flach ausgestreckten, rosigen Händen, als wolle sie ihre Umgebung glattstreichen wie ein Laken. "Mag sein. Wenn ich das kleine Kerlchen hier nicht hätte, könnte ich raus und mir vielleicht 'nen Job suchen oder Kurse belegen oder irgendwas. Aber so, wie's ist, spielt sich mein Nichtstun eben hier ab, außer daß wir uns hin und wieder unseren Strampelanzug anziehen und rausgehen und für die Marken von der Sütze diesen Müllmampf voller Krebserreger eintauschen. (John Updike: Das Gottesprogramm. Rogers Version, S. 80)


Updike, John: Das Gottesprogramm [6]

"Unsere Spezialität" (...) ist es, das Chaos aufzuräumen, das die Männer anrichten. Erst richten sie es in uns an, und dann um uns herum." Der Wein begann auch ihr zuzusetzen. Sobald eine Frau mittleren Alters angeheitert ist, spannen sich ihre Stimmbänder an, eine metallische Harfe, auf der sie spielt. Esthers Anspannung würde nachlassen, wenn sie nur ihre zwanghafte Diät aufgeben könnte. Es ist, als wolle sie mir jede Unze Weib verwehren, die die eheliche Quote übersteigt. (John Updike: Das Gottesprogramm. Rogers Version, S. 154)


Updike, John: Das Gottesprogramm [7]

Ich ging zurück in die Küche und holte den Apfelkuchen aus dem Backrohr: die begehrteste Leckerei meiner trüben Jugendjahre, mit Zimt gesättigt, die Kruste mit "Vogelfüßchen" verziert. Ich bekam ihn nur selten, daran erinnerte ich mich, obwohl wir in Ohio von Obstgärten umgeben waren. Meine Mutter war haushälterisch in allen Dingen, nicht weil Freigebigkeit ein wirtschaftliches Problem gewesen wäre, sondern um ein Prinzip des Daseins zu illustrieren, das sie sich unter Schmerzen zu eigen gemacht hatte und nun selbstlos weitergab. Da ich die Bürde ihres Bauches gewesen war, als mein Vater türmte, fühlte ich mich mitschuldig an ihrem Leben des "Es geht auch ohne" und akzeptierte ohne Murren meinen Teil an der Entbehrung. (John Updike: Das Gottesprogramm. Rogers Version, S. 156)


Updike, John: Das Gottesprogramm [8]

"Du solltest es nicht an Paula auslassen", sagte ich. Sie wurde wütend; ihre Gefühle lagen dicht bei dicht in einem wässerigen Film, der von Nervenströmungen gekräuselt wurde. "Darum dreht sich's also bei deinem gnädigen Besuch. Um das kleine Honigmäuschen. Spar dir deine Barmherzigkeit, Nunc, sie kann für sich selber sorgen. Das einzige, was die kleine Ratte den ganzen Tag lang tut, ist mich nerven. Ich sitze stundenlang am Sandkasten, während sie Glassplitter frißt. Aber das bringt sie nicht um, das einzige, was passiert, ist, daß die Kacke glitzert." (John Updike: Das Gottesprogramm. Rogers Version, S. 90)


Updike, John: Das Gottesprogramm [9]

Rechtzeitig vor meinem Besuch gewarnt, trug sie nicht den verführerischen kurzen Bademantel, sondern einen Jeansrock, einen langärmeligen, engen weißen Pulli und - eine unpassend elegante, komische Note - ein Seidentuch, das um ihren Hals verknotet war. Es bewirkte, daß sich meine Aufmerksamkeit nur um so stärker auf die nackte Haut über dem ziemlich tief hinunterreichenden Halsausschnitt des Pullovers konzentrierte, eine Nacktheit, die nun zwischen zwei Streifen Stoff exponiert lag wie einst der nackte, bleiche Bauch, den Miederhöschen und Büstenhalter in den alten Zeiten, als Frauenunterwäsche noch eine substantielle Angelegenheit war, so einladend umrahmten. Das Halstuch strahlte Halbwelt aus, eine ruchlose Offenheit für Anfechtung. Jede Schleife, jeder Knoten enthält in sich die Idee, geöffnet zu werden. (John Updike: Das Gottesprogramm. Rogers Version, S. 16)


Updike, John: Das Gottesprogramm [10]

Ed Snea (zwei Silben: Snii-jä), ein Spezialist für Bultmannismus und Holokaustik, ist durch eines jener Rollenspiele, die akademische Gemeinschaften erheitern, zu unserem diensthabenden Stifter gottloser Ehen geworden: Wenn die Tochter des emigrierten tschechischen Astrophysikers einen japanischen Semantik-Doktoranden buddhistischen Glaubens heiratet, dann ist es Ed, der den Ritus der exakten Nuancierung ihres höflichen Unglaubens anpaßt, wobei er stumm die Augen zum Himmel verdreht, wenn ein dorthin gerichtetes Wort bereits zuviel wäre. Für jene, die selbst in der vagesten Erwähnung naturgewollter Harmonie oder nimmer endender Liebe den Schwefelgeruch eines barbarischen Theismus wittern, hat Snea mit seinem leichten Südstaatenakzent und dem spärlichen, lederbraunen Schnurrbart eine Technik entwickelt, sinnleere Sätze bedeutungsvoll zu intonieren, so daß dem glücklichen Paar keine Perle aus der Krone seiner agnostischen Integrität fällt, während die strikt episkopale (und ohnehin schwerhörige) Stiefgroßmutter der Braut die heilige Handlung ebenfalls in versöhnter Stimmung verläßt. (John Updike: Das Gottesprogramm. Rogers Version, S. 256)


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