Das Erleben des Flow


Themenstreusel: Flow/Glück
Flüchtiger Zustand Glück


Was ist ein Flow?

Willst du immer weiter schweifen?
Sieh, das Gute liegt so nah!
Lerne nur das Glück ergreifen,
Denn das Glück ist immer da!

(Johann Wolfgang von Goethe)

Flow ist der Zustand des völligen Aufgehens in einer Tätigkeit und Situation. Die Erlebnisinhalte befinden sich im Einklang miteinander. Wahrnehmungen, die nicht auf die Aktivität gerichtet sind, blendet man mühelos aus. Man geht so in der Aktivität auf, daß Selbst und Tätigkeit verschmelzen, was bis zu einer Art Selbsttranszendenz und Extase führen kann. Eltern, die Kinder rufen, die in ihr Spiel vertieft sind, wissen, was gemeint ist. Der Handlungsablauf wird als glatt und stimmig erlebt. Die Schritte gehen flüssig ineinander über wie aus einer inneren Logik heraus. Konzentration gelingt beinahe automatisch - wie das Atmen. Man fühlt sich sicher und hat das Geschehen unter Kontrolle. Anforderungen und Rückmeldungen sind klar. Man ist optimal beansprucht - nicht unterfordert (Langeweile) und nicht überfordert (Unruhe, Nervosität, Angst). Die Zeit wird, wenn überhaupt, sehr subjektiv wahrgenommen. "Flow-Erfahrungen gehören zu den tranceartigen Zuständen. Im Flow kommt es zu einer Aktivierung und Synchronisation beider Gehirnhälften. Diese ganzheitlich-synthetische Arbeitsweise des Gehirns ordnet das Bewusstsein und führt zu einer Integration körperlicher, emotionaler und geistiger Funktionen. Der Begriff Trance bezeichnet dabei nicht eine Trübung des Bewusstseins, im Gegenteil: Die Wahrnehmung eines Menschen im Flow ist geschärft, außerordentlich klar und vollkommen auf die anliegende Aufgabe konzentriert. (Quelle)

  • Glückliches, selbstvergessenes Aufgehen in einer Tätigkeit
  • Gefühl erhöhter Kontrolle
  • Mühelosigkeit des Handlungsablaufs
  • Veränderung des Zeiterlebens
  • Verschmelzen von Handlung und Bewußtsein.

Situationen des Flows

Als ehemaliger Schach- Turnierspieler kann ich mich an einige sehr vom Flow geprägte Partien erinnern. Man spielte 4 bis 6 Stunden, ohne an anderes zu denken, man war mit der Partie regelrecht verwachsen, man lebte in ihr. Die Zeit rannte. Man verspürte zwar Hunger; aber er störte nicht. Menschen, die "an die Grenzen gehen" (Bergsteiger, Sportler, Tänzer) kennen dieses Gefühl des Einsseins. Der sexuelle Höhepunkt gehört selbstverständlich ebenso zu den Flow-Erlebnissen. Der Religiöse kann sich versenken, was bei entsprechender Intensität bis zu völligem Rigor (Erstarrung) führt. Das sind freilich markante Beispiele, die sofort einleuchten. Aber der Flow begegnet auch uns, den Normalsterblichen, im Alltag. Wann sind wir so mitgerissen, daß wir nur noch in dem, was wir gerade tun, leben, daß alles andere nebensächlich und uninteressant ist? Es gibt einige Aktivitäten, die besonders flow-geeignet sind: Lesen, Auto fahren, einem Hobby nachgehen. Und paradoxerweise gehört gerade die Arbeit dazu. Wie bitte? Diese, von vielen als das Verzichtbarste überhaupt - hätten sie denn die Mittel für den Verzicht -, als das Belastendste Bezeichnete mit dem Namen Arbeit soll Flow erzeugen?


Voraussetzungen und Merkmale

Csikszentmihalyi behauptet: Ja. Denn bei der Arbeit finden sich einige Faktoren, die notwendig und voraussetzend sind, daß sich Flow einstellt. Anstrengung und Anforderung sind unverzichtbar. Ich muß gefordert sein, und zwar in optimaler Dosierung, so, daß meine Kräfte und Fähigkeiten der Aufgabe gewachsen sind. Herrscht ein Gleichgewicht, ist die Aussicht auf ein Flow-Erleben günstig. Ein weiterer Punkt ist das Ziel. Eine Aufgabe ohne Ziel läuft ins Leere. Damit lassen sich sogar ungeliebte Tätigkeiten umpolen, indem man sich nämlich auf deren absehbares Ende freut. Das Ende einer gehaßten Arbeit kann bei ensprechend eingesetzter psychischer Energie und noch anderen Faktoren auch bei eigentlich als negativ empfundenen Aktionen zum Flow führen. Außerdem stellt sich Flow mitunter erst nach etwas ein! Der Marathonläufer, der eben noch völlig fertig und mit verzerrten Gesichtzügen auf der Zielgerade dahinkeuchte, wird Minuten später wie ausgewechselt sein, überglücklich lächeln und triumphieren. Eine der typischsten Situationen des "Nachher- Flows" ist die Prüfung. Nicht immer, aber immer dann (wie oben gesagt), wenn ein Gleichgewicht von Forderung und Können gegeben ist. Neben Anstrengung und Zielen benötigen wir noch Konzentration.

Bei angenehmen Erlebnissen vermögen wir uns sehr gut, bei unangenehmen eher schlecht zu konzentrieren. Oder wenn die Anforderung zu schwach ist. Hochbegabte Kinder fallen auch dadurch auf, daß sie unkonzentriert sind, nicht bei der Sache. Eben weil ihr Potential viel höher ist als der Anspruch. Auch hier ahnt man schon die Strategie, die man wählen müßte, um Konzentration zu erreichen, die für Flow unerläßlich ist: ein Interesse an der Sache aufbauen. Das kann man trainieren. Ein Gefühl der Kompetenz und Kontrolle, einer Situation gewachsen zu sein, ist wesentlicher Begleiter eines Flow-Erlebnisses. Klar, daß Angst und Unsicherheit hier als Hemmschuh wirken. Was innerhalb des Flow- Konzeptes als autotelisch bezeichnet wird, meint den Umstand, daß ein Tun aus sich heraus geschehen, also vorwiegend intrinsisch motiviert sein wollte. "Ich will, ich brauche das!" Tun um des Tuns willen. Je mehr Zwang von außen, je stärker die extrinsische Motivation (äußere Ziele und Forderungen), desto gefährdeter ist die Chance, Flow zu genießen.


Geistige Entropie

Geistige Entropie ist das Gegenteil eines Flows bzw. sein Gegenpol. Kennt man die Faktoren, die zusammen kommen müssen, um das Aufgehen in einer Tätigkeit hervorzurufen, sind diejenigen rasch gefunden, die es blockieren oder gänzlich unmöglich machen. Langeweile, Desinteresse, Angst, Zweifel, Inkompetenz, mangelhafte Fähigkeiten, zu geringe oder zu hohe Anforderungen, Passivität, Apathie sind zugleich Merkmale als auch oft schon Auswirkungen, die einen Zustand geistiger Entropie auszeichnen. Nun wird es verständlich, was Arbeitslosigkeit so verheerend macht: Man rutscht in eine Lage, in der man vegetiert, in der Ziele und Herausforderungen fehlen, in der man sich nutzlos vorkommt. Eine glasklare entropische Situation. Im Gegensatz zur Arbeit, die einem geradezu Voraussetzungen aufdrängt, die uns zum Erleben eines Flow bringen können, muß man in der Freizeit mehr tun. Die Gefahr der Entropie ist potentiell höher. Wer kennt nicht das Gefühl der Leere und des Ausgepumptseins nach stundenlangem, unkontrolliertem Fernsehglotzen? Sich Berieseln zu lassen, passives Genießen ohne Rahmen, ohne Zielsetzung ist der ideale Nährboden für geistige Entropie, für Verflachung, Langeweile und Unzufriedenheit.

Das Zusammensein mit anderen, mit Freunden, mit Verwandten, mit Kollegen oder selbst mit Fremdem im Zug, wirkt sich positiv aus. Dagegen ist Alleinsein riskanter. Wie Blaise Pascal schon wußte, daß die Menschen nicht in Ruhe allein in ihrem Zimmer bleiben können, weil sich nichts mit sich oder der Situation anzufangen wissen. Zerstreuung ist kontraproduktiv. Flow dagegen bedeutet Sammlung und Konzentration, allerdings nicht krampfhaft, sondern als Produkt des Willens, als Geschenk und Ausformung des im Augenblick erlebten Glücks. Psychologen haben den Begriff der Sonntagspsychose geprägt, als sie beobachteten, wie deprimierend viele den Sonntag als einzigen arbeitsfreien Tag erlebten, an dem so gar nicht passierte, der Langeweile und Überdruß erzeugte. Über mehr freie Zeit zu verfügen, bedeutet nicht unbedingt und sofort mehr Freude und Entspannung. Insofern man Freizeit und Urlaub nicht aktiv plant und die Aspekte, die einen Flow bedingen, unberücksichtigt läßt, zerrinnt einem die Zeit zwischen den Händen; man bleibt merkwürdig unzufrieden zurück.


Was also tun?

Wie wirkt man der geistigen Entropie entgegen? Wie verhilft man sich selbst dazu, ein Flow-Erleben zu begünstigen? Erzwingen kann man es jedenfalls nicht! Denn Flow ist frei von Zwang und negativer Spannung. Trotzdem lassen sich Vorgehensweisen kultivieren und trainieren, die uns immer mehr befähigen, diese Glücksmomente er erleben. Kreative Menschen sind bevorzugt und beherrschen häufig schon die Kunst, Negatives auszublenden und sich auf das zu konzentrieren, was sie vorwärts bringt. Interesse aufbringen! Sich auch einmal auf ein neues Terrain wagen. Neugier ist eine hervorstechende Eigenschaft kreativen Lebens. Zunächst sollte man sich schlüssig werden, was man eigentlich den ganzen Tag macht. Notieren der Ereignisse und der Gefühle dabei kann helfen. Danach stellt man sich zwei Fragen: Muß ich das tun? Will ich das tun? Besteht die Notwendigkeit, etwas zu tun, habe ich sowieso keine Wahl. Also entscheidet die Motivation, wie sehr mir die Aktion Unbehagen und Verdruß bereitet oder wie sehr ich es geschafft habe, sie "umzupolen", ihr etwas abzugewinnen. Csikszentmihalyi berichtete von Personen, die erstaunliche Modi operandi fanden, um als belastend empfundene oder unumgehbare Situationen und Tätigkeiten zu überstehen.

Warten ist beispielsweise ein Zustand, der rasch zu geistiger Entropie führt. Also heißt es, die Leere auszufüllen. Wir gut haben es diejenigen, die einfach in ein Buch eintauchen und denen das Warten nicht unerträglich wird, eben weil sie gar nicht warten. Natürlich muß man Konsequenz aufbringen, das, was man weder tun muß noch eigentlich tun will, zu erkennen und zu meiden. Ich habe den Fernseher aus meiner Wohnung verbannt, weil ich weiß, wie schnell ich vor ihm versumpfe. Dennoch bleiben mir unzählige Möglichkeiten, mein Leben so umzugestalten, daß Flow wahrscheinlicher und Entropie unwahrscheinlicher wird. Ja, es scheint mir, als stände ich erst am Anfang des Weges. Neben dem Interesse und der Konzentration für eine Sache, neben dem Weglassen ungewollter Handlungen, gibt es andere Maßnahmen, die zu egreifen sind. Ziele setzen! Auch in der Freizeit. Auch und gerade im Urlaub. Man braucht den Rahmen, der weder zu eng noch zu weit sein darf. Anfangs lassen sich die Vorhaben durchaus auch penibel schriftlich fixieren. Denn Kontrolle ist ebenfalls entscheidend für den Flow. Jeder Erfolg führt zu einer stabileren Motivation. Von nichts kommt nichts. Anstrengung ist zuerst eben anstrengend, aber doch für die Tiefe eines Flow entscheidend. Je größer die Aufgabe, der ich gewachsen bin, desto intensiver und anhaltender das Glück. An mir selbst beobachte ich die Versuchung, Veränderungen auf später zu verschieben. Lieber morgen als heute. Beim Flow-Konzept ist es genau umgekehrt: Lieber heute als morgen, lieber jetzt als nachher.


Vorfreude macht glücklich

US-Forscher haben die Chemie der Vorfreude untersucht. Sie beobachteten im Glückszentrum des Gehirns abhängiger Ratten, was geschieht, wenn die Tiere eine neue Gabe an Kokain erwarten. Die Ergebnisse schildert die Psychologin Regina Carelli von der Universität in Chapel Hill heute in "Nature". Sie versenkte Sensoren im so genannten Nucleus accumbens der Rattenhirne. Diese Region gibt es auch beim Menschen und sorgt etwa für Freude an einem guten Essen. Die Nervenzellen der Region schütten dabei Dopamin aus. Auch nach einer Gabe Kokain geben die Nervenzellen diesen Botenstoff frei. Die Forscher brachten den Tieren bei, dass bestimmte Signale eine Kokaingabe ankündigen. Die Messungen ergaben, dass die Dopaminkonzentration im Glückszentrum bereits durch die Signale anstieg. [X]


Freizeit und Arbeit

Wie bereits erwähnt, fühlen sich Menschen am wohlsten im Zustand des Flow, also wenn sie ganz und gar in der Bewältigung einer schwierigen Aufgabe aufgehen, ein Problem lösen oder etwas Neues entdecken. Und es ist, wie gesagt, für die meisten Tätigkeiten, bei denen sich Flow einstellt, charakteristisch, daß sie auf eindeutigen Ziele ausgerichtet sind, klaren Regeln folgen und daß es sofortige Rückmeldungen gibt - also eine Reihe von außen kommender Anforderungen, die unsere Aufmerksamkeit konzentrieren und unser Können herausfordern. Genau dies aber fehlt besonders in der Freizeit. Wenn man seine Freizeit nutzt, um Sport zu treiben, einer künstlerischen Beschäftigung oder einen Hobby nachzugehen, dann sind die Voraussetzungen für Flow natürlich vorhanden. Aber einfach nur über freie Zeit zu verfügen, ohne daß man sich einer bestimmten Aufgabe widmet, führt zum Gegensatz von Flow, nämlich zu seelischer Entropie, bei der man sich lustlos und apathisch fühlt. (Mihaly Csikszentmihalyi: Lebe gut! S. 89f.)


Lesen und Flow

Im Rahmen einer großangelegten Untersuchung in Deutschland stellte man fest: Je mehr die Befragten berichteten, sie läsen Bücher, desto mehr flow erlebten sie nach eigenem Bekunden, wobei sich der entgegengesetzte Trend für das Fernsehen ergab. Über besonders viel flow bericheten die Personen, die viel lasen und wenig fernsahen, über besonders wenig diejenigen, die selten lasen und oft fernsahen. (Mihaly Csikszentmihalyi: Lebe gut! S. 93f.)


Prioritäten setzen

Manche Menschen entziehen sich, wenn sie sich mit der Sterilität ihrer Arbeit konfrontiert sehen, in jeder Hinsicht den Verpflichtungen zu produktiven Tätigkeiten, um in ihrer Freizeit ein Leben im flow führen zu können. Dazu braucht man nicht unbedingt viel Geld. Es gibt gut ausgebildete Ingenieure, die ihre Stellung kündigen und nur im Winter in Restaurants Teller waschen, damit sie es sich leisten können, den ganzen Sommer über im Fels zu klettern. (Mihaly Csikszentmihalyi: Lebe gut! S. 96f.)


Verschiedene Herangehensweisen

Es gibt vieles im Leben, was wir tun müssen, obwohl es uns nicht gefällt. Möglicherweise müssen wir in Besprechungen sitzen, die Mülltonne vor die Tür bringen oder mit den Rechnungen auf dem laufenden bleiben. Manche dieser Dinge sind unvermeidlich. Wir können noch so erfindungsreich sein - wir müssen sie trotzdem tun. Deshalb besteht die Wahl entweder darin, sie - wenn auch widerwillig - zu erledigen und wegen dieser ungeliebten Zwänge zu murren - oder aber sie bereitwillig zu tun. In beiden Fällen stecken wir fest und müssen etwas tun, doch im zweiten Fall ist das Erleben zwangsläufig positiver. Man kann sich im Rahmen einer Arbeit, die man besonders verabscheut, Ziele stecken: zum Beispiel den Rasen so rasch und effizient wie möglich zu mähen. Allein schon die Tatsache, daß man sich ein Ziel setzt, nimmt der verhaßten Arbeit einiges von ihrem Stachel. (Mihaly Csikszentmihalyi: Lebe gut! S. 179f.)


Brandstetter: Bewußt erleben

Ich erklärte dem Verkäufer, daß die Menschen den Fehler machten, alles zu verdrängen, die Zeiten zu überbrücken und so weiter, statt alles bewußt zu erleben und zu genießen. Wer das eher Unlustige wirklich unlustig absolviert und bloß hinter sich bringt und dabei nicht auch lebt und erlebt, der wirft sein halbes Leben weg, so wie wir das halbe Leben bereits verschlafen. (Alois Brandstetter: So wahr ich Feuerbach heiße, S. 147)


Spielfreude

Wer allein darauf abzielt, sich kopflos zu amüsieren und zu vergnügen, wird wenig Chancen haben, wahre Flow- Effekte zu erleben. "Beflowt" leben ist nur möglich, wenn wir lernen, Situationen so zu strukturieren, dass nur das, was wir im Moment tun, wichtig ist. So verstanden ist auch das Spiel eine Tätigkeit, die uns nicht ablenkt, sondern uns herausfordert und unsere volle Konzentration beansprucht. Die Freude beim Spiel entsteht dadurch, dass wir gemeinsam etwas tun, was uns Spaß macht. Außerdem liegt die Anziehungskraft des Spielens darin, dass wir uns einer Aufgabe widmen, der wir uns gewachsen fühlen, dass wir in ihr die Sorgen des Alltags vergessen und die erfreulichen Erfahrung des Gewinnens uns ein gewisses Maß an Kontrolle ermöglicht. Und wie herrlich ist es, dabei die Zeit zu vergessen. So werden Stunden zu Minuten und Minuten mitunter zu Stunden. [X]


Fromm & Flow

Erich Fromm kannte den Begriff des Flow noch nicht. Er nannte das, was hier behandelt wird, "orgiastischer Zustand". "Je mehr sich die menschliche Rasse aus diesen primären Bindungen löst, um so mehr trennt sie sich von der Welt der Natur, um so intensiver wird ihr Bedürfnis, neue Mittel und Wege zu finden, um dem Getrenntsein zu entrinnen. Eine Möglichkeit hierzu sind orgiastische Zustände der verschiedensten Art. Es kann sich dabei um autosuggestive Trancezustände handeln, bei denen manchmal Drogen zu Hilfe genommen werden. Viele Rituale primitiver Stämme bieten ein anschauliches Bild dieser Art, das Problem zu lösen. In einem vorübergehenden Zustand der Exaltation verschwindet die Außenwelt und damit auch das Gefühl, von ihr abgesondert zu sein. Werden diese Rituale gemeinsam praktiziert, so kommt das Erlebnis der Vereinigung mit der Gruppe hinzu, was die Wirkung noch erhöht. (...) Es scheint, daß der Mensch nach dem orgiastischen Erlebnis eine zeitlang weiterleben kann, ohne allzu sehr unter seinem Abgetrenntsein zu leiden. Langsam nimmt dann die Spannung der Angst wieder zu, so daß sie durch Wiederholung des Rituals wieder gemildert werden muß. (...) Alle Formen der orgiastischen Vereinigung besitzen drei Merkmale: Sie sind intensiv, ja sogar gewalttätig; sie erfassen die Gesamtpersönlichkeit; Geist und Körper; und sie sind vorübergehend und müssen regelmäßig wiederholt werden. (Erich Fromm: Die Kunst des Liebens, S. 21)


Lesen als Flow-Erlebnis (1)

Der amerikanische Kognitionspsychologe Victor Nell beschreibt in seinem Buch "Lost in a Book" außer dem Leser, der das Buch vor allem zur Ablenkung von sich selbst und den Realitäten des Lebens benutzt, noch einen anderen ludischen (lat. ludo = ich lese) Leser: Er mag Reisen in die Fantasie und verliert sich gern in Geschichten, weil ihm das hilft, intensiver zu leben. Die aktuelle Lebenssituation ist mitentscheidend, welches der beiden Ziele mit dem Lesen angestrebt wird. Bodo Franzmann von der Sektion Leserforschung der Stiftung Lesen, verwies auf "die enorme Ansprechbarkeit unserer Gefühle" beim Lesen eines Buchs, das uns "packt". Er nannte sie als einen Grund dafür, dass "die Wirkungen des Lesens intensiver und nachhaltiger erlebt werden als zum Beispiel die Wirkungen eines Fernsehfilms." "Intensives Lesen ist emotional gesteuerte Konzentration", definierte Franzmann. Lesen vor allem von so genannter schöner Literatur, im Unterschied zum Sachbuch, bewirke "ein paralleles Zusammenspiel von intensiven Aktivitäten des Gehirns und Emotionen. Man ist gefangen im Text." Dass Leserinnen und Leser über einem Buch die Zeit vergessen, manchmal nächtelang durchlesen, kommt, so vermutet er, auch in unserer Zeit von Fernsehen, Computer und Internet noch so häufig vor wie früher. Sowohl Franzmann wie auch Anz verweisen auf die "Flow"-Erlebnis- Theorie des amerikanischen Psychologen und Glücksforschers Mihaly Csikszentmihalyi. Gemeint ist hier die Erfahrung, in den freien "Fluss" einer Tätigkeit so vertieft zu sein, dass alles andere an Bedeutung verliert.


Lesen als Flow-Erlebnis (2)

Ist Glotzen wirklich vergnüglicher als Lesen? Die meisten würden sagen, ja. Studien zeigen aber auch, dass das Lustgefühl beim Lesen eines Buchs sehr viel intensiver sein kann als das beim Fernsehen. Glücksforscher sprechen von einem Zustand völligen Versunkenseins. Wie der Marburger Literaturprofessor Thomas Anz ("Literatur und Lust. Glück und Unglück beim Lesen") in der Zeitschrift "Psychologie heute" konstatiert, ähneln die Beschreibungen der lustvollen Zustände beim Lesen einander. Da ist die Rede von einem selbst- und realitätsvergessenen Aufgehen in einer Fantasiewelt - eine für manche Leser geradezu rauschhafte Glückserfahrung. In der psychologischen Erforschung scheinen Anz vor allem diejenigen Ansätze dem Phänomen der Leselust am dichtesten auf der Spur zu sein, die "Literatur als ein Spiel" begreifen. "Im Fluß des Lesens oder anderer Spieltätigkeiten kann die affektive und kognitive Aufmerksamkeit so stark auf einen einzigen Gegenstand konzentriert sein, dass sie mit ihm gleichsam verschmilzt. Eine wichtige Komponente der dabei empfundenen Lust ist die Befreiung von Besorgnissen, mit denen das Ich im alltäglichen Leben ständig konfrontiert ist."


Vergessen

Nun haben starke Glückszustände wie alles Rauschhafte zugleich etwas Betäubendes; immer läßt intensives Genießen des Augenblicks das Vergangene vergessen. (Stefan Zweig: Ungeduld des Herzens, S. 174)


Optimale Erfahrung

Doch jeder hat schon erlebt, daß man, statt von anonymen Kräften herumgestoßen zu werden, sich in Kontrolle der eigenen Handlungen, als Herr des eigenene Schicksals fühlt. Bei diesen seltenen Gelegenheiten spürt man ein Gefühl von Hochstimmung, von tiefer Freude, das lange anhält und zu einem Maßstab dafür wird, wie das Leben aussehen sollte. Und genau das ist es, was ich mit optimaler Erfahrung meine. (Mihaly Csikszentmihaly: Flow. Das Geheimnis des Glücks, S. 15)


Ordnung im Bewußtsein

Die Verfolgung eines Ziels bringt Ordnung ins Bewußtsein, weil man die Aufmerksamkeit auf die gegebene Aufgabe richten und zeitweise alles andere vergessen muß. Diese Phasen des Ringens um die Bewältigung einer Herausforderung werden allgemein als die erfreulichsten Momente des Lebens betrachtet (Kapitel III). Wenn man Kontrolle über die psychische Energie erlangt und sie für bewußt ausgesuchte Ziele verwendet hat, muß man einfach an einer komplexeren Persönlichkeit reifen. Man wird durch die Entwicklung seiner Fähigkeiten und mit der Annahme immer größerer Herausforderungen zunehmend zu einem ungewöhnlichen Individuum. (Mihaly Csikszentmihaly: Flow. Das Geheimnis des Glücks, S. 19)


Nichtbestimmung

Glück ist unter anderem so schwer zu erreichen, weil das Universum nicht erschaffen wurde, damit die Menschen sich wohlfühlen. Es ist fast unermeßlich groß, vorwiegend feindselig, leer und kalt. (Mihaly Csikszentmihaly: Flow. Das Geheimnis des Glücks, S. 22)


Optimale Erfahrung

Doch jeder hat schon erlebt, daß man, statt von anonymen Kräften herumgestoßen zu werden, sich in Kontrolle der eigenen Handlungen, als Herr des eigenene Schicksals fühlt. Bei diesen seltenen Gelegenheiten spürt man ein Gefühl von Hochstimmung, von tiefer Freude, das lange anhält und zu einem Maßstab dafür wird, wie das Leben aussehen sollte. Und genau das ist es, was ich mit optimaler Erfahrung meine. (Mihaly Csikszentmihaly: Flow. Das Geheimnis des Glücks, S. 15)


Das Selbst integrieren

Flow hilft, das Selbst zu integrieren, weil das Bewußtsein im Zustand höchster Konzentration gewöhnlich gut geordnet ist. Gedanken, Absichten, Gefühle und alle Sinne sind auf das gleiche Ziel gerichtet. Diese Erfahrung heißt Harmonie. Und wenn diese flow-Episode vorbei ist, fühlt man sich "gesammelter" als zuvor, nicht nur innerlich, sondern auch mit Blick auf andere Menschen und die Welt im allgemeinen. (Mihaly Csikszentmihaly: Flow. Das Geheimnis des Glücks, S. 64)


Glück durch Ordnung

In jeder neuen Epoche, vielleicht in jeder Generation oder vielleicht sogar alle paar Jahre, wenn die Bedingungen, unter denen wir leben, sich stark verändern, wird es notwendig, zu überdenken und neu zu formulieren, was nötig ist, um Autonomie im Bewußtsein zu schaffen. (...) In anderen historischen Epochen, wie etwa unserer heutigen, genießt die Fähigkeit zur Selbstkontrolle kein großes Ansehen. Wenn man sie anstrebt, gilt man leicht als lächerlich, "verklemmt" oder irgendwie "nicht ganz richtig". Doch was immer die Mode diktiert, es scheint, daß Menschen, die sich die Mühe geben, das zu steuern, was im Bewußtsein geschieht, ein glücklicheres Leben führen. (Mihaly Csikszentmihaly: Flow. Das Geheimnis des Glücks, S. 39f.)


Aus freiem Willen

Paradoxerweise lernen wir nur, mehr wir selbst zu werden, wenn wir frei und um der Sache selbst willen handeln und nicht aus niedrigen Beweggründen. Wenn wir ein Ziel wählen und uns bis an die Grenzen unserer Konzentration in dieses Ziel hineinversetzen, wird alles, was wir tun, erfreulich. Und wenn wir von dieser Freude erst einmal gekostet haben, werden wir alle Anstrengungen verdoppeln, sie wieder zu empfinden. (Mihaly Csikszentmihaly: Flow. Das Geheimnis des Glücks, S. 64)


Acht Komponenten

Aus unseren Studien geht hervor, daß die Phänomenologie der Freude acht Hauptkomponenten umfaßt. Wenn Menschen darüber nachdenken, wie sie sich fühlen, wenn eine Erfahrung höchst positiv ist, nennen sie zumindest eine, oft auch alle anderen. Erstens, die Erfahrung findet gewöhnlich statt, wenn wir auf eine Aufgabe stoßen, der wir uns gewachsen fühlen. Zweitens müssen wir fähig sein, uns auf das zu konzentrieren, was wir tun. Drittens und viertens, die Konzentration ist gewöhnlich möglich, weil die angefangene Aufgabe deutliche Ziele umfaßt und unmittelbare Rückmeldung liefert. Fünftens, man handelt mit einer tiefen, aber mühelosen Hingabe, welche die Sorgen und Frustrationen des Alltagslebens aus dem Bewußtsein verdrängt. Sechstens, erfreuliche Erfahrungen machen es möglich, ein Gefühl von Kontrolle über Tätigkeiten zu erleben. Siebtens, die Sorgen um das Selbst verschwinden, doch paradoxerweise taucht das Selbstgefühl nach der flow- Erfahrung gestärkt wieder auf. Und schließlich ist das Gefühl für Zeitabläufe verändert; Stunden vergehen in Minuten, Minuten können sich vermeintlich zu Stunden ausdehnen. Die Kombination dieser Bestandteile ruft ein tiefes Gefühl von Freude hervor, welches so lohnend ist, daß man bereit ist, viel Energie aufzuwenden, um es immer wieder zu erleben. (Mihaly Csikszentmihaly: Flow. Das Geheimnis des Glücks, S. 74)


Entfremdet

Wenn man das Gefühl hat, gegen seinen Willen Aufmerksamkeit auf eine Aufgabe zu konzentrieren, ist es, als würde psychische Energie verschwendet. Statt uns dabei zu helfen, unsere Ziele zu erreichen, wird von uns gefordert, die Ziele anderer zu erfüllen. Die bei einer solchen Arbeit verbrachten Stunden werden als Zeit betrachtet, die einem vom Leben abgezogen wird. (Mihaly Csikszentmihaly: Flow. Das Geheimnis des Glücks, S. 212.


Suchtgefahr

Daher haben angenehme Aktivitäten, die flow auslösen, potentiell auch einen negativen Aspekt: Sie vermögen zwar die Lebensqualität zu verbessern, indem sie Ordnung im Verstand schaffen, doch sie können süchtig machen, und dann wird das Selbst zum Gefangenen einer bestimmten Ordnung und unwillig, sich mit den Zweifelsfällen des Lebens abzufinden. (Mihaly Csikszentmihaly: Flow. Das Geheimnis des Glücks, S. 91)


System und Komplexität

Wenn man alle vorhandene psychische Energie in eine Interaktion steckt - ob mit einem anderen Menschen, einem Schiff, einem Berg, oder einem Musikstück - wird man in der Tat zum Teil eines Systems. Dieses System erhält seine Form durch die Regeln der Aktivität; seine Energie entsteht aus der Aufmerksamkeit des Menschen. Aber es ist eine echtes System - subjektiv ebenso echt wie eine Familie, eine Firma oder eine Mannschaft - und das Selbst, das Teil davon ist, weitet seine Grenzen aus und wird komplexer als zuvor. (Mihaly Csikszentmihaly: Flow. Das Geheimnis des Glücks, S. 94)


Lohnend

Wir haben nun die allgemeinen Eigenschaften für optimale Erfahrungen beschrieben: ein Gefühl, daß die eigenen Fähigkeiten ausreichen, eine gegebene Herausforderung in einem zielgerichteten, regelgebundenene Handlungssystem zu bewältigen, das deutliche Rückmeldung bietet, wie gut man dabei abschneidet. Die Konzentration ist dabei so intensiv, daß keine Aufmerksamkeit übrig bleibt, um an andere, unwichtige Dinge zu denken oder sich um Probleme zu sorgen. Das Selbstgefühl verschwindet, und das Zeitgefühl wird verzerrt. Eine Aktivität, die solche Erfahrungen herbeiführt, ist so lohnend, daß man gewillt wird, sie um ihrerer selbst willen auszuführen, ohne an mögliche Vorteile zu denken, auch wenn sie schwierig oder gefährlich ist. (Mihaly Csikszentmihaly: Flow. Das Geheimnis des Glücks, S. 103)


Eine nächste Stufe

Diese Dynamik erklärt, warum flow-Aktivitäten zu Wachstum und Entdeckungen führen. Man kann die gleiche Sache auf gleicher Ebene nicht lange genießen. Entweder langweilt man sich, oder man wird frustriert, und dann drängt einen der Wunsch, wieder Spaß zu haben, dazu, sich anzustrengen oder neue Möglichkeiten zu finden, seine Fähigkeiten anzuwenden. (Mihaly Csikszentmihaly: Flow. Das Geheimnis des Glücks, S. 108)


Gelegenheit & Fähigkeit

Eine der merkwürdigsten Paradoxien unserer Zeit ist die große Auswahl an Freizeitaktivitäten, die auf irgendeine Weise nicht zu mehr Freude führen. Verglichen mit Menschen vor nur wenigen Generationen haben wir entschieden mehr Möglichkeiten, es uns schön zu machen, doch gibt es keine Anzeichen dafür, daß wir tatsächlich das Leben mehr genießen als unsere Vorfahren. Die Gelegenheiten allein reichen nicht aus. Wir brauchen zusätzlich die Fähigkeit, sie zu nutzen, und wir müssen lernen, wie man das Bewußtsein kontrolliert - eine Fähigkeit, über die die meisten Menschen nicht verfügen. Umgeben von einer erstaunlichen Vielfalt an Erholungsmögklichkeiten sind die meisten Menschen weiterhin gelangweilt und leicht frustriert. (Mihaly Csikszentmihaly: Flow. Das Geheimnis des Glücks, S. 117)


Überwindung psychischer Entropie

Gewöhnlich fällt uns nicht auf, wie wenig Kontrolle wir über unser Bewußtsein haben, weil Gewohnheiten die psychische Energie so gut kanalisieren, daß Gedanken ohne sprunghafte Veränderungen einander folgen. Nach dem Schlaf erlangen wir am Morgen beim Wecken wieder das Bewußtsein, gehen ins Badezimmer und putzen uns die Zähne. Die gesellschaftlich vorgeschriebenen Rollen übernehmen die Prägung unserer Gedanken, und gewöhnlich fahren wir bis zum Tagesende mit einer Art Autopilot. Dann ist es wieder an der Zeit, das Bewußtsein im Schlaf zu verlieren. Doch sich selbst überlassen, ohne Anforderungen an die Aufmerksamkeit, enthüllt sich die grundsätzliche Unordnung des Geistes. Ohne etwas zu tun, folgt er zufälligen Mustern und denkt allgemein über etwas Schmerzliches oder Verstörendes nach. Wenn man nicht weiß, wie man seinen Gedanken Befehle erteilen kann, wird die Aufmerksamkeit von dem angezogen, was momentan am problematischsten erscheint; sie konzentriert sich auf einen echten oder vermeintlichen Schmerz, alten oder frischen Groll oder hartnäckige Frustrationen. Der Normalzustand des Bewußtseins ist Entropie - ein Zustand, der weder nützlich noch angenehm ist. Um diesen Zustand zu vermeiden, sind die Menschen gewöhnlich darauf bedacht, ihre Gedanken mit allen möglichen zur Verfügung stehenden Informationen zu füllen, so lange diese die Aufmerksamkeit vom Inneren und den negativen Gefühlen ablenken. Das erklärt, warum so ungeheuer viel Zeit beim Fernsehen verbracht wird, obwohl man es nur selten genießt. Verglichen mit anderen Reizen - wie Lesen, Gespräche mit anderen Menschen, Hobbys - stellt einem das Fernsehen ständig leicht zugängliche Informationen zur Verfügung, die die Aufmerksamkeit des Zuschauers mit nur geringen Kosten an psychischer Energie strukturieren. Wenn man fernsieht, braucht man keine Angst zu haben, daß die abschweifenden Gedanken einen zwingen, sich dinglichen persönlichen Problemen zu stellen. Es ist verständlich, daß man diese Gewohnheit kaum noch aufgeben kann, wenn man sie einmal als Strategie für die Überwindung psychischer Entropie entwickelt hat. (Mihaly Csikszentmihaly: Flow. Das Geheimnis des Glücks, S. 162)


Das Gefühl der Ordnung

Man muß hier etwas erwähnen, was man allzuoft aus den Augen verliert: Die Philosophie und die Wissenschaften wurden erfunden und blühten auf, weil Denken angenehm ist. Wenn Denker nicht das Gefühl von Ordnung genössen, das die Benutzung von Syllogismen und Zahlen im Bewußtsein schafft, hätten wir heute wohl kaum die Disziplinen der Mathematik und Physik. (Mihaly Csikszentmihaly: Flow. Das Geheimnis des Glücks, S. 169)


Verwandlung, Transformation

... verwandelten ihre Jobs, die sie tun mußten, zu komplexen Aktivitäten. Dies gelang ihnen, indem sie Handlungsmöglichkeiten erkannten, die andere nicht wahrnahmen, indem sie Fähigkeiten entwickelten, sich auf ihre Tätigkeit konzentrierten und sich erlaubten, sich in dem Prozeß zu verlieren, so daß ihr Selbst gestärkt daraus hervorgehen konnte. Derart transformiert kann Arbeit erfreulich werden, und als Folge des persönlichen Einsatzes psychischer Energie verleiht sie einem das Gefühl, sie sei frei gewählt. (Mihaly Csikszentmihaly: Flow. Das Geheimnis des Glücks, S. 201)


Strategien zur Arbeit

Um die Lebensqualität durch die Arbeit zu verbessern, sind zwei sich ergänzende Strategien notwendig. Einerseits müßten die Berufe neu ausgelegt werden, um so stark wie möglich einer flow-Aktivität zu ähneln - wie Jagen, Weben als Heimarbeit und Chirurgie. Aber es ist auch notwendig, den Menschen zu helfen, eine autotelische Persönlichkeit zu entwickeln ..., indem man sie trainiert, Handlungsmöglichkeiten zu erkennen, ihre Fähigkeiten zu verbessern und sich erreichbare Ziele zu setzen. Keine dieser Strategien allein wird die Arbeit an sich viel erfreulicher machen; doch zusammen genommen sollten sie eindeutig zu optimalen Erfahrungen beitragen. (Mihaly Csikszentmihaly: Flow. Das Geheimnis des Glücks, S. 208)


Statt stellvertretender Teilnahme

Die gewaltige Freizeitindustrie, die in den letzten paar Jahrzehnten entstanden ist, zielt darauf ab, die Mußestunden mit erfreulichen Erfahrungen füllen zu helfen. Dennoch verbringen die meisten Menschen, statt ihre körperlichen und geistigen Reserven zu nutzen, um flow zu erleben, viele Stunden damit, berühmten Sportlern in riesigen Stadien zuzusehen. Statt zu muzisieren, hören wir Schallplatten, die Millionäre aufgenommen haben. Statt Kunst zu produzieren, bestaunen wir Gemälde, die bei der letzten Auktion den höchsten Preis erzielt haben. Wir gehen nicht das Risitko ein, nach unseren Überzeugungen zu handeln, sondern verbringen täglich Stunden damit, Schauspielern zuzusehen, die so tun, als erlebten sie Abenteuer, um die sich mit vermeintlich bedeutungsvollen Situationen abmühen. Diese stellvertretende Teilnahme kann zumindest vorübergehend die Leere der verschwendeten Zeit füllen. Doch sie ist ein recht blasser Ersatz für Aufmerksamkeit, die man in echte Herausforderung steckt. Flow-Erfahrungen, die aufgrund des Einsatzes von Fähigkeit eintreten, führen zu Wachstum, passive Unterhaltung führt nirgendwohin. Wir verschwenden kollektiv jedes Jahr den Gegenwert von Millionen von Jahren menschlichen Bewußtseins. Die Energie, die man auf komplexe Ziele richten könnte, um erfreuliches Wachstum zu schaffen, wird an Anregungen verschwendet, die die Realität bloß nachäffen. Massenfreizeit, Massenkultur und sogar die gehobene Kultur sind Parasiten des Geistes, wenn man sich nur passiv und aus äußerlichen Gründen daran beteiligt - wie aus dem Wunsch heraus, mit seinem Status anzugeben. Sie absorbieren psychische Energie, ohne dafür echte Kraft zurückzugeben. Sie machen uns erschöpfter, entmutigter als vorher. (Mihaly Csikszentmihaly: Flow. Das Geheimnis des Glücks, S. 215)


Über die Grenzen der Individualität

Jemand, der sich auf eine Tätigkeit konzentriert, statt sich um sein Selbst zu sorgen, erfährt ein Paradox: Er fühlt sich nicht mehr als eigenständiges Individuum, doch sein Selbst wird stärker. Das autotelische Individuum wächst über die Grenzen der Individualität hinaus, indem es psychische Energie in einem System einsetzt, an dem es Anteil hat. Aufgrund dieser Vereinigung der Person mit dem System geht das Selbst mit höherer Komplexität daraus hervor. Daher ist es besser, geliebt und verloren zu haben als überhaupt nie geliebt. Das Selbst eines Menschen, der alles von einer egozentrischen Perspektive aus betrachtet, ist vielleicht sicherer, gewißt aber ärmer als das eines Menschen, der nereit ist, sich zu verpflichten und zu vertiefen und um der Sache selbst willen, statt aus reinem Eigeninteresse, Aufmerksamekti auf das zu richten, was vor sich geht. (Mihaly Csikszentmihaly: Flow. Das Geheimnis des Glücks, S. 278)


Flüchtiger Zustand Glück

Auch gibt es auf Erden wenig andere als vergängliche Freuden, und ich zweifle , ob irgend jemand ein Glück kennt, das nie vergeht. Kaum gibt es bei dem feurigsten Genuß einen einzigen Augenblick, in dem das Herz mit Wahrheit ausrufen könnte: "Möchte doch dieser Augenblick immer fortdauern!", und wie kann ein flüchtiger Zustand Glück genannt werden, der das Herz leer und unruhig läßt und in dem wir stets etwas Vergangenes vermissen oder noch etwas Künftiges wünschen? (Roger Shattuck: Tabu. Eine Kulturgeschichte des verbotenen Wissens, S 116)


Den Schöpfungsplan fröhlich durchkreuzen

Sie haben eben leider recht: der alte Darwin, wenn er das Überleben der Stärksten zum Naturprinzip erklärt, nicht das Glücklichwerden, und der alte Freud nicht minder mit seinem schlimmen Satz: "Die Absicht, daß der Mensch glücklich sei, ist im Plan der Schöpfung nicht enthalten." Nur hat da die Evolution, vermutlich aus Versehen, ein Lebewesen hervorgebracht, dem es immer wieder - mal für Minuten, mal für Wochen, mal ein halbes Leben lang - gelingt, den Plan der Schöpfung fröhlich zu durchkreuzen. Einsam und ziemlich sinnlos rast unser Planet durchs All, aber wir haben ihm etwas abgeluchst, was die Saurier nicht kannten und die Lurche nicht kennen: ein Lachen, ein Küssen, ein Jubeln, ein Ja. (Wolf Schneider: Glück. Eine etwas andere Gebrauchsanweisung)


Zerrinnendes Glück

Das Leben der Menschen, begriff ich, verschlechterte sich zusehends, je älter man wurde. Man kam auf die Welt mit Babyhänden und Babyfüßchen und kannte nichts als unendliches Glück, und dann ließ das Glück allmählich nach, im gleichen Maß, in dem Hände und Füße wuchsen. Ab der Teenagerzeit begann das Glück einem durch die Finger zu rinnen und gewann dabei immer mehr an Masse. Es war, als führte die Erkenntnis, dass man es verlieren konnte, dazu, dass es noch schwerer zu halten war, egal wie groß die Füße und die Hände waren. (Matt Haig: Ich und die Menschen)


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