Natur des Menschen (3) [<<]

Von der Verfaßtheit und vom So-Sein [^^] [^]


Themenstreusel: Menschliches Sosein
Sport
Das Gebot der Stunde
Werden & Vergehen
Igel & Füchse
Das bürgerliche Beamtentum
Pyramideninstinkt
Chimborassohaften Unkultur
Bildung
Mimik
Biegsames Gewissen
Bindungen & Beziehungen
Heldentum & Heroismus
Die Ahnungslosigkeit des Menschen
Versuch eines Weges
Sowohl - als auch
Verschiedene Wesen
Eine Kette von Fehlern
Verformbar
Was zum Lachen reizt
Das Rache-Wesen
Das Rätsel Mensch
Medioker
Pflicht zu meiden
Pathetische Absurdität
Eine dünne Schicht
Lebenslanger Kampf
Gewalt
Wie ein Rechenfehler
Hinter die Kulissen
Nicht schwindeln!
Liebe und Haß
Glücklich sein
Entweder - Oder
Kreativität
Das menschliche Gedächtnis
Von der Macht
Die bürgerliche Ruhe
Bewertungen
Dünnhäutig
Kompliziertes System
Bluthunde
Was lieben wir?
Die Leere ausfüllen
Klarheit
Ungeheuerliche Zukunft
An die Wurzel
Schmerzen und Empathie
Intellekt
Fantasie und Wahrheit
Entdeckerfreuden
Ein Kastenmensch
Nebengötter
Vom Neid
Spielsucht
Lasterhaftes
Keine andere Arbeit
Bildung
Landleben und Zivilisation
Lottospieler
Vom Sex
Nicht zu gut kennen
Was Glück aus Menschen macht
Leidenschaft
Die Hölle der Identität
Denkende Bestie
Leichter Trost
Nicht erlösbares Bewußtsein
Gespräche
Der Mensch ist faustisch
Der Wille zum Mittelmaß
Süßholz raspeln
Dumme Angewohnheit Denken
Weiter entfernt denn je
Die richtige Dosis Mitleid
Glück und Unglück
Angewohnheit Leben
Von Natur aus bescheuert
Wissenschaft (1)
Wissenschaft (2)
Rationalität
Die Unvernunft des Menschen
Kaffeewärmer
Schichten und Geheimnisse
Irrationales Wesen
Ziele erstreben und erreichen
Nicht verrückt werden
Empfänglichkeit
Gewöhnung
Moderne Erziehung
Eilig in die Zukunft
Vorstellung von Freiheit
In schamloser Offenheit
Kürzer, schneller, bunter?
Die Peinlichkeit des Guten
Fatalismus
Dumm sein


Sport

Ich stellte später fest, weil ich darauf achtete, daß selbst in Kreisen sogenannter Gebildeter das Gedächtnis für Sportsereignisse hervorragend funktioniert. Leute, die nicht wissen, wann die Französischen Revolution ausgebrochen ist, kennen die Ergebnisse von Fußballmatches über Jahrzehnte. (...) "Sport in der Form, wie er heute die Welt überzieht, gibt es seit wenig mehr als hundert Jahren. Was, um des Himmels willen, haben die Menschen des Schlages, die heute mit Sport oder mit Zuschauen bei Sportereignissen ihre Zeit totschlagen, vorher getan?" (Herbert Rosendorfer: Die Donnerstage des Oberstaatsanwalts) ^


Das Gebot der Stunde

Sie: was tun die Leut, um sich das Leben zu verlängern und die Tage zu verkürzen? Sie reden. Sie reden, plappern, plaudern und erzählen, und zwar praktisch ohne jede Unterbrechung. Und auch wenn du manchmal glaubst, jetzt ist es endlich einmal ruhig, sagen wir zum Beispiel in der Kirch' oder noch besser: auf dem Friedhof - bitteschön! - fangt schon wieder irgendjemand an zu palavern! Wahrscheinlich bleibt sich das sogar im Himmel oder unter der Erd' gleich: Einer hat immer die Goschen offen . Aber ich sage Ihnen noch eines: Das meiste, von dem, was den Leuten den ganzen Tag so aus dem Gesicht fällt, kannst du gleich auf den Mist schmeißen! Weil nämlich zwar alle reden, aber keiner was weiß. Keiner kennt sich aus. Keiner ist im Bilde. Keiner hat eine Ahnung. Wobei: Heutzutage ist es vielleicht sowieso besser, nicht allzuviel Ahnung zu haben. Die Ahnungslosigkeit ist ja praktisch das Gebot der Stunde, das Nichtwissen das Leitmotiv der Zeit. (Robert Seethaler: Der Trafikant) ^


Werden & Vergehen

Aus dem Nirgendwo kommt ihr auf die Welt. Es gibt euch überhaupt nicht, und dann quillt aus dem in den Schoß des Frauenleibes gespritzten Samen etwas auf, das später ihr werdet, und plötzlich seid ihr schon und werdet mit jedem Augenblick mehr. (...) So taucht ihr alle auf und verschwindet plötzlich. (...) Der Samen, den der Geliebte in Frau Ebersbachs Schoß abgelegt hat, keimt gerade und geht auf, bis er schließlich Menschengestalt annimmt, die sich mit dem Gesäß nach unten dreht, dem Doktor gelingt es nicht, die noch namenlose Caroline durch die Bauchdecke zu drehen, sodass sie in Steißlage geboren wurde, die Geburt wird sehr schwer sein und Frau Ebersbach beinahe umbringen. Rehe bringen ihre Kitze leichter zur Welt. Die Mutter wird Caroline hassen für diese Geburt, aber auch die Rehmütter hassen manchmal ihre Neugeborenen und verlassen sie. Die Mutter wird die neugeborene Caroline nicht verlassen, weil sie nicht kann. Wenn sie könnte, hätte sie es getan. Doch Caroline ist aus gutem Hause. In guten Häusern werden die Kinder nicht weggegeben, sondern nur gehasst, manchmal. (Szczepan Twardoch: Drach) ^


Igel & Füchse

...dass sich der denkende Teil der Menschheit grob in zwei Klassen einteilen ließe, eben in die der Igel und die der Füchse, wobei die Igel ihr gesamtes Denken einem einzigen ordnenden, universalen Prinzip unterstellten und sich damit einem System verschrieben, welches allein allem, was sie seien und sagten, Bedeutung verliehe, während die Füchse unter den Denkern sich weigerten, ihr Denken einem System zu unterwerfen und stattdessen frei flottierend das Wesen einer großen Vielfalt von Erlebnissen und Gegenständen um ihrer selbst willen ergriffen und es sich versagten, auf ein widerspruchsloses, unabänderliches und vollständiges Ganzes zu hoffen. Eine tiefe Kluft sei zwischen diesen beiden Arten von Menschen auszumachen. (Jonas Lüscher: Kraft) ^


Das bürgerliche Beamtentum

Das bürgerliche Beamtentum, nein, das ist wirklich ein erbärmlicher Menschenschlag. Nach dem Vater der Sohn, Generation auf Generation Kopisten. Rekrutieren sich aus Bauernjungen, die sich 'emporarbeiten'. Sie arbeiten sich übrigens hinunter, ja das tun sie, von tüchtigen Fischern und Landwirten zu Schreibern und Pfaffen. Mag es drum sein. Es scheint ein Naturgesetz zu sein, daß Beamte nur Beamte gebären können, - weshalb das? Sieh dich einmal unter ihnen um - nichts als notdürftige Begabung, von Energie so gut wie keine Rede, die Alltäglichkeit, der Durchschnitt blüht. Zuverlässige Ehrenhaftigkeit, zuverlässige Tüchtigkeit im Fach - jawohl! Aber Überlegenheit, Größe? Der Sohn nach dem Vater, Generation auf Generation immer dasselbe. Es gibt ein Gesetz in dieser Welt, der Sohn muß Beamter werden, die Tochter muß sich mit einem Beamten verheiraten, und wenn er auch nur ein Arzt oder ein Pfarrer ist. Dieses Gesetz schließt jede Unregelmäßigkeit aus, es ist sehr hart, es verheert die Beamtenfamilien. Von ein wenig Schicksal ist niemals die Rede, nie schlägt der Blitz ein: der Vater hat mit dem Kopieren den Anfang gemacht, der Sohn fährt damit fort, und das nennen sie dann: sich Kultur aneignen. Ich für meinen Teil spreche mit mehr innerer Befriedigung mit meinen Arbeitern als mit unseren Beamten. (Knut Hamsun: Kinder ihrer Zeit)  ^


Pyramideninstinkt

"Es ist eine deiner nettesten Eigenschaften, Theo, dass du so gar keine Witterung für das Aktuelle und das Erfolgreiche hast. - Glaubst du vielleicht, es sei ein Zufall, dass die Leute heutzutage einander die historischen Schmöker und Biographien aus den Händen reißen?" "Ich halt's durchaus für keinen Zufall, sondern für das genaue Zeichen unserer chimborassohaften Unkultur, Kunstferne und Geistfeindschaft. - Die Leute fürchten sich vor allen Gedanken und Gestalten der Phantasie, das ist etwas 'Erfundenes' für sie; sie suchen aber das, was sich 'wirklich' ereignet hat, und zwar 'genauso'. Sie suchen nichts anderes als geschickt zusammengestellte Zeitungsausschnitte aus vergangenen Jahrhunderten, die irgendeiner von diesen brillanten Routiniers mit seinem eigenen Senf anrichtet. - (Franz Werfel: Der veruntreute Himmel. Die Geschichte einer Magd)  ^


Chimborassohaften Unkultur

"Es ist eine deiner nettesten Eigenschaften, Theo, dass du so gar keine Witterung für das Aktuelle und das Erfolgreiche hast. - Glaubst du vielleicht, es sei ein Zufall, dass die Leute heutzutage einander die historischen Schmöker und Biographien aus den Händen reißen?" "Ich halt's durchaus für keinen Zufall, sondern für das genaue Zeichen unserer chimborassohaften Unkultur, Kunstferne und Geistfeindschaft. - Die Leute fürchten sich vor allen Gedanken und Gestalten der Phantasie, das ist etwas 'Erfundenes' für sie; sie suchen aber das, was sich 'wirklich' ereignet hat, und zwar 'genauso'. Sie suchen nichts anderes als geschickt zusammengestellte Zeitungsausschnitte aus vergangenen Jahrhunderten, die irgendeiner von diesen brillanten Routiniers mit seinem eigenen Senf anrichtet. - (Franz Werfel: Der veruntreute Himmel. Die Geschichte einer Magd)  ^


Bildung

Es liegt ein großer Unterschied darin, wie ein Gebildeter und wie ein Ungebildeter ein Kunstwerk betrachtet. Der Gebildete gibt unverzüglich zu erkennen, dass der dargestellte Gegenstand für ihn keine Rolle spielt. (...) Gebildet sein heißt gewissermaßen in den Kulissen stehen und das Schauspiel des Lebens und der Kunst als Habitué von hinten beobachten zu dürfen. Bildung wird also jener sauer erworbene Zustand genannt, welcher es einer gewissen Menschengruppe erlaubt, sich durch nichts imponieren zu lassen, weil sie selbst zu wissen meint, wie es gemacht wird. Bildung ist ein Rettungsring wie jeder andere. Wer ihn umgeschnallt hat, der gehört nicht mehr zu den Ausgelieferten, die geistig mit den Wellen kämpfen müssen. So stammt dieser wie jeder andere Snobismus aus dem urtümlichsten Streben des Menschen, welcher der ungeheuren Preisgegebenheit seines Daseins auf jede Weise entrinnen will. Der Ungebildete aber ist der Ausgelieferte schlechthin. (Franz Werfel: Der veruntreute Himmel. Die Geschichte einer Magd)  ^


Mimik

Sie suchten unter einem niedrigen Torbogen Schutz gegen den Regen und achteten auf die Gesichter der Vorübergehenden, ob ihnen nicht aus einem von ihnen ein Strahl der Ermutigung oder Hoffnung entgegenleuchtete. Einige runzelten die Stirn, andere lächelten, und wieder andere murmelten vor sich hin; einige gestikulierten leicht mit den Händen, als vergegenwärtigten sie sich das Gespräch, an dem sie bald teilnehmen würden, andere trugen die verschmitzten Blicke des Schacher- und Ränkegeistes zur Schau; die einen waren gespannt und begierig, die andern langsam und träge; in diesem Gesicht konnte man Gewinn, in jenem Verlust lesen. Wenn man ruhig hier stand und die Mienen der rasch Vorbeieilenden betrachtete, so war es fast, als würde man von ihnen ins Vertrauen gezogen. An fleißigen Stätten, wo jeder seine eigenen Zwecke verfolgt und das gleiche von jedem andern voraussetzt, ist jedem sein Charakter und sein Streben mit deutlichen Buchstaben auf die Stirn geschrieben; nur auf öffentlichen Spaziergängen und an Belustigungsorten finden sich Leute, die sehen und gesehen werden wollen, und hier wiederholt sich der gleiche Ausdruck mit wenigen Varianten zu hundert Malen. Die Werktagsgesichter kommen der Wahrheit näher und lassen sie deutlicher ans Licht treten. (Charles Dickens: Der Raritätenladen)  ^


Biegsames Gewissen

In den meisten Fällen ist das Gewissen ein gar elastischer und biegsamer Gegenstand, der sich ziemlich strecken und den verschiedensten Verhältnissen anpassen läßt. Manche Leute bringen es durch ein weises Verhalten mit der Zeit so weit, daß sie das Gewissen ganz entbehren können, indem sie es stückweise – wie Flanellwäsche bei warmem Wetter – ablegen. Aber es gibt auch andere, die dieses Gewand nach Belieben an- und ablegen können; begreiflicherweise ist diese Art von Akkommodation, als die behaglichere, am meisten an der Tagesordnung. (Charles Dickens: Der Raritätenladen) ^


Bindungen & Beziehungen

Sebastian schwieg. "Komische Beziehungen", sagte er schließlich. "Welche?" erkundigte sich Greta. "Ich meine nur so - unsere - untereinander." "War das früher viel anders?" "Das unterliegt alles Gesetzen, die sich erst mählich bilden. Wie steht es, zum Beispiel, heute mit der Eifersucht? Und sind die Bindungen, auf die Menschen sich einlassen, wirklich lockerer, als sie früher waren, oder scheinen sie's nur, weil die Zwangsvorstellung des Besitzes sich zu verflüchtigen anfängt? Ich glaube, sie scheinen nur lockerer. Im Ernstfall ist immer alles noch tödlich." (Klaus Mann: Treffpunkt im Unendlichen) ^


Heldentum & Heroismus

Im letzten Jahrhundert hat Heldentum generationenlang darin bestanden, im Interesse zweier Chimären - der "Klasse" oder der "Rasse" - das Leben hinzugeben. Heute ist Heldentum, wenn überhaupt noch die Rede von ihm ist, ein Heroismus individueller Selbstverwirklichung und eines eigenen Lebens. Das Heldentum des einundzwanzigsten Jahrhunderts verwirklicht sich nicht in der Aufopferung für irgendeinen Endsieg, sondern in den kleinen Triumphen des Weiterlebens. Die "Überwindung der Schwere" ist ein alltägliches Geschäft. Und das in den reichen und freien Ländern inzwischen angebrochene Zeitalter des Genderfeminismus, der Psychoanalyse, der Schwulenbewegung, der Toleranz, der Selbstverwirklichung, der cosmetic surgery als Massenphänomen, der creative industries, der ökologisch korrekten Ernährung, der selbstgebastelten Religion (oder vielmehr "Spiritualität"), der political correctness, der allgegenwärtigen Kunst und der emphatischen Anerkennung alles Fremden - das Zeitalter des Lebenskonstruktivismus - hat seinen Ursprung in den vergessenen Kontinenten des Privatlebens. Im Haus, im Alltag, in der Familie. (Stephan Wackwitz: Die Bilder meiner Mutter)  ^


Die Ahnungslosigkeit des Menschen

Daß ich zutiefst unglücklich bin, versteht sich von selbst. Es ist aber nicht das, was mich aufregt. Was mich aufregt ist, so vielen Leuten zu begegnen, die nicht begreifen, daß das Unglück der natürliche Zustand des Menschen ist; so vielen Leuten, die keine Ahnung haben von diesem Unglück, die mit leichtem Herzen ihre Mißgeschicke akzeptieren, die - alles in allem - unglücklich sind, ohne es zu wissen. Und woran ich am meisten leide, ist nicht das dem Menschengeschlecht inhärente Unglück, sondern die Ahnungslosigkeit der Menschen. (Andre Gide: Der Griesgram) ^


Versuch eines Weges

Das Leben jedes Menschen ist ein Weg zu sich selber hin, der Versuch eines Weges, die Andeutung eines Pfades. Kein Mensch ist jemals ganz und gar er selbst gewesen; jeder strebt dennoch, es zu werden, einer dumpf, einer lichter, jeder wie er kann. Jeder trägt Reste von seiner Geburt, Schleim und Eischalen einer Urwelt, bis zum Ende mit sich hin. Mancher wird niemals Mensch, bleibt Frosch, bleibt Eidechse, bleibt Ameise. Mancher ist oben Mensch und unten Fisch. Aber jeder ist ein Wurf der Natur nach dem Menschen hin. Und allen sind die Herkünfte gemeinsam, die Mütter, wie alle kommen aus demselben Schlunde; aber jeder strebt, ein Versuch und Wurf aus den Tiefen, seinem eigenen Ziel zu. Wir können einander verstehen; aber deuten kann jeder nur sich selbst. (Hermann Hesse: Demian) ^


Sowohl - als auch

Der Mensch ist das Geschöpf, das die Fähigkeit besitzt, das Unvereinbare zu vereinigen - das Geschöpf, welches Narr und Weiser, Bösewicht und Heiliger zugleich ist. Wir sind im Stande, alles zu werden, aber nicht, etwas ganz und lange zu sein; wir leben nur von der Veränderung. - Wir sind gemacht, unvollkommen und doch groß zu sein, uns Lieb' und Haß, Bewunderung und Verachtung in demselben Augenblicke zu erwerben. Unsere Tugend beweist unsere Größe; aber auch noch im Laster sieht man das Gepräge unsrer Hohheit. Wir können uns keine große Eigenschaft erwerben, ohne zugleich eine andre wieder zu verlieren, wir können nicht groß werden, ohn' unsre vorige Niedrigkeit nicht zum Begleiter zu haben. (Jean Paul: Etwas über den Menschen) ^


Verschiedene Wesen

Auch Nikolai Brandeis machte die Erfahrung, daß der Mensch in einer einzigen Stunde - die ihm gar nicht wichtig erscheint - imstande ist, was man seinen "Charakter" nennt, so vollkommen zu verändern, daß er vor dem Spiegel treten müßte, um sich zu überzeugen, daß seine Physiognomie noch die alte geblieben sei. Seit jener Veränderung, die er selbst erlebt hatte, pflegte Brandeis zu sagen, daß die Menschen sich nicht entwickeln, sondern ihr Wesen wechseln. Er dachte an einen der Wahnsinnigen seines heimatlichen Dorfes, der nicht müde geworden war, allen Leuten die stereotype Frage zu stellen: "Wieviel bist du? Bist du einer?" Nein, man war nicht einer. Man war zehn, zwanzig, hundert. Je mehr Gelegenheiten das Leben gab, desto mehr Wesen entlockte es uns. Mancher starb, weil er nichts erlebt hatte, und war sein ganzes Leben nur einer gewesen. (Joseph Roth: Rechts und Links) ^


Eine Kette von Fehlern

Aber vielleicht ist nur der Verstand die schwache Seite des Menschengeschöpfs, vielleicht wird sein Mangel durch gute Trieb' ersetzt, und wir sind weniger weise, um mehr gut zu sein? Wenn es wäre! Allein der Mensch ist nicht bloß ein schwaches, sondern auch ein bösartiges Geschöpf; er verdient nicht bloß Verachtung, auch Haß. Sein ganzes Leben ist eine Kette von Fehlern, davon die äußern Gegenstände sie erzeugen, das Herz sie gebiert, der Irrtum ihnen Nahrung gibt, und der Verstand sie zur Reife bringt. Sei nicht froh so viel Verstand zu haben: es würde besser sein, wenn du dümmer wärest, deine Laster würden geringer, dein Unglück würde kleiner sein. Was ist diese Reue anders, als ein Richter, der zwar deine Torheiten bestraft, aber ihre Folgen nicht mindert - als ein Pfeil, der doppelt schmerzt, wenn du die bereute Tat zum zweitenmal begehst? (Jean Paul: Etwas über den Menschen) ^


Verformbar

Menschen, die zivilisiert sind, lassen sich immer dazu bereden, irgendwie zu sein, wie sie gar nicht sein wollen, und zwar von Menschen, die nicht zivilisiert sind. Menschen sind schrecklich schwach. Ich weiß, es ist eine bequeme analytische Formulierung, daß man nichts tut, ohne es zu wollen. Doch dabei übersieht man die Tatsache, daß Menschen eben auch schwach sind und sich von irgendeinem Punkt an Dinge einfach gefallen lassen. Ich fürchte, ich bin eine Autorität auf diesem Gebiet. (Philip Roth: Tatsachen. Autobiografie eines Schriftstellers)  ^


Was zum Lachen reizt

Späße macht man immer auf Kosten von anderen. Ekelhaft. Und doch ist es das Wesen des Witzes, daß man irgendetwas oder irgendwen auslacht, und sei es auch nur sich selbst. Das Lachen ist immer dreckig, es gibt kein unschuldiges Gelächter. Man lacht nicht über den Erfolg, sondern über das Mißlingen. Dummheiten sind lustig, nicht Intelligenz. Und nichts ist weniger komisch als intelligente Reden über das Wesentliche, nichts ist langweiliger. (Joseph von Westphalen: 33 weiße Baumwollunterhosen) ^


Das Rache-Wesen

Ich habe das Gefühl, die menschliche Natur folgt einem Gesetz, in dem die Gewalt eine Rolle spielt. Der Mensch ist ein Wesen, das unter Schlägen nicht stillhalten kann. Nehmen wir einmal das Pferd - es braucht nie Rache. Auch nicht der Ochse. Aber der Mensch ist ein Rache-Wesen. Wenn er bestraft wird, sinnt er darauf, von der Bestrafung loszukommen. Kann er von der Bestrafung nicht loskommen, droht sein Herz daran zu vermodern. (Saul Bellow: Der Regenkönig) ^


Das Rätsel Mensch

Seit fünfzig Jahren studiere ich meine Mitmenschen und weiß immer noch nicht viel von ihnen. Ich jedenfalls hätte Bedenken, einen Diener nur auf sein Gesicht hin zu engagieren, und doch ist es meistens das Gesicht, nach dem wir Menschen beurteilen, die uns begegnen. Wir ziehen Schlüsse aus der Form ihrer Kinnlade, aus ihrem Blick, der Kontur ihres Mundes. Ich frage mich, ob wir uns dabei nicht in der Mehrzahl der Fälle täuschen. Wenn Theaterstücke und Romane so oft nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmen, so deshalb, weil der Autor, vielleicht aus Notwendigkeit, seine Personen hinstellt, als seien sie aus einem Guß. Er kann sich nicht leisten, sie so zu schildern, als ständen sie in fortwährendem Widerspruch zu sich selbst, weil sie dadurch unverständlich würden. In Wirklichkeit bestehen wir selbst zum großen Teil aus Widersprüchen. Wir sind aus zufälliges Konglomerat von Eigenschaften, die nicht miteinander übereinstimmen. In Büchern über Logik kann man lesen, daß es absurd wäre, Gelb als rund oder Dankbarkeit als schwerer als Luft zu bezeichnen. In dem Durcheinander unzusammenhängender Elemente, aus denen unser Ich besteht, könnte Gelb sehr wohl Pferd und Wagen und Danbbarkeit Mittwoch bedeuten. Ich kann nur die Achseln zucken, wenn Leute behaupten, ihr erster Eindruck sei immer der richtige. Ich halte das entweder für Kritiklosigkeit oder große Anmaßung. Was mich betrifft, so finde ich, daß Menschen mir immer rätselhafter werden, je länger ich sie kenne. Gerade von meinen ältesten Freunden weiß ich am allerwenigsten. (William S. Maugham: Lord Mountdrago) ^


Medioker

Es gibt nichts Ärgerlicheres, als z.B. reich, aus anständiger Familie, von gefälligem äußeren, nicht ungebildet, nicht dumm, sogar ein sogenannter guter Mensch zu sein und dabei gleichzeitig doch kein einziges Talent zu besitzen, keine einzige besonderes Eigenschaft, nicht einmal besondere Schrullen und auch keine einzige eigene Idee zu haben, kurzum: "genau so wie alle anderen auch" zu sein. (Fedor M. Dostoevskij: Der Idiot)  ^


Pflicht zu meiden

Die sittliche Weltordnung hat ihre Gesetze, sie sind unerbittlich, und man wird stets bestraft, wenn man sie mißachtet hat. Vor allem findet sich eins darunter, dem sogar das Tier widerspruchslos gehorcht, und zwar immer. Das ist jenes, das uns befiehlt, jeden zu meiden, der uns einmal geschadet hat, mit oder ohne Absicht, gewollt oder ungewollt. Das Geschöpf, das uns einmal Schaden zugefügt oder unser Mißfallen erregt hat, wird uns immer verhängnisvoll sein. Welches auch sein Rang sei, welcher Grad der Zuneigung es auch an uns binden möge, wir müssen mit ihm brechen, es ist uns von unserm bösen Geist geschickt worden. (Honore de Balzac: Ein Lebensbeginn) ^


Pathetische Absurdität

Die Behauptung, daß jeder Mensch einmalig sei und in sich eine unersetzliche Einzigartigkeit trage, ist falsch; was mich anging, nahm ich auf jeden Fall keine Spur dieser Einzigartigkeit wahr. Man müht sich zumeist vergeblich ab, individuelle Schicksale und Charaktere zu unterscheiden. Die Vorstellung von der Einmaligkeit der menschlichen Person ist nur eine pathetische Absurdität. Man erinnert sich an sein eigenes Leben, schreibt Schopenhauer irgendwo, kaum besser als an einem Roman, den man irgendwann gelesen hat. Ja, so ist das: kaum besser. (Michel Houellebecq: Plattform) ^


Eine dünne Schicht

Die Zeit heilt am Ende alle Wunden. Die Zeit ist ein geduldiger gelber Regen, der nach und nach die verheerendsten Feuer löscht. Doch es gibt Lohen, die unter der Erde brennen, Schründe im Gedächtnis, die so ausgedörrt und so tief sind, daß vielleicht nicht einmal die Sintflut des Todes ausreichen würde, sie zu löschen. Man versucht, sich an das Leben mit ihnen zu gewöhnen, man überzieht die Erinnerung mit Schweigen und Rost, und wenn man glaubt, man habe schon alles vergessen, genügt ein einfacher Brief, ein Photo, und schon zerspringt die Eisschicht des Vergessens in tausend Stücke. (Julio Llamazares, Der gelbe Regen) ^


Lebenslanger Kampf

Womit war man sein ganzes Leben lang beschäftigt? Schuld abzustreiten, sich die Schande vom Leib zu waschen... Wie kein anderes Wesen war der Mensch in der Lage, die Fakten seiner persönlichen Geschichte so zu ordnen, umzugruppieren, umzulügen, daß sie ihn von jeglicher Schuld freisprachen. Aber im Grunde kämpfte jeder gegen die Schande, die dem Leben sowieso anhaftete. (A.Th.F. van der Heijden: Fallende Eltern) ^


Gewalt

Ja, ich habe Gewalt in mir, aber keine negative. Wenn ein Tiger seinen Dompteur zerreißt, so sagt man, der Tiger sei gewalttätig und jagt ihm eine Kugel in den Kopf. Meine Gewalt ist die Gewalt des Freien, der sich weigert, sich zu unterwerfen. Die Schöpfung ist gewaltsam. Leben ist gewaltsam. Geburt ist ein gewaltsamer Vorgang. Ein Sturm, ein Erdbeben sind gewaltsame Bewegungen der Natur. Meine Gewalt ist die Gewalt des Lebens. Es ist keine Gewalt wider die Natur, wie die Gewalt des Staates, der eure Kinder ins Schlachthaus schickt, eure Gehirne verblödet und eure Seelen austreibt! (Klaus Kinski) ^


Wie ein Rechenfehler

Gauß stand auf, schluckte und sagte, er habe nicht erwartet, daß er etwas wie Glück finden würde, und im Grunde glaube er auch jetzt nicht daran. Es komme ihm wie ein Rechenfehler vor, ein Irrtum, von dem er nur hoffe, keiner werde ihn aufdecken. Er nahm wieder Platz und wunderte sich über die fassungslosen Blicke. Leise fragte er Johanna, ob er was Falsches gesagt habe. Aber woher denn, antwortete sie. Genau diese Rede habe sie sich immer für ihre Hochzeit erträumt. (Daniel Kehlmann: Die Vermessung der Welt) ^


Hinter die Kulissen

"Mit einem Schlamassel wird der Mensch von normaler Konstitution fertig. Die Konstellationen sind es, das Zusammentreffen mehrerer Schlamassel. Wenn die Situation nicht mehr zu bewältigen ist, wählt der Mensch den Weg des geringsten Widerstandes und wird zum Patienten. Niemand kann ihm einen Vorwurf machen. Es wäre nicht Aufgabe des Arztes, dem Patienten Tropfen und Pulver zu geben, die beruhigen alle ohnedies eher die Angehörigen und den Arzt als den Patienten, der Arzt müßte das Schlamassel beseitigen. Solange der Patient dumpf ahnend in seinem Fieberwahn weiß, daß ihm, wenn er gesund ist, die gleichen Schwierigkeiten wieder im Weg stehen werden, sieht er keinen Sinn darin, gesund werden zu wollen. Schon allein, daß Probleme durch den bloßen Zeitablauf während der Krankheit ein anderes Aussehen bekommen, kann hilfreich sein. Welche Probleme das im einzelnen sind, ist oft schwer zu erkennen. Das sind oft verdrängte und versteckte Nöte. Da müßte sich der Patient selber an die Brust klopfen. Das ist schwer einzusehen und ist schwer, schwer zu erkennen. Man muß sich genau überlegen, wo die Steine des Anstoßes liegen: was einem im Weg steht, nicht gesund zu werden, nicht gesund werden zu wollen. Und wenn man sich nicht im klaren ist, daß es nur eingebildete Krankheiten gibt, ist es unmöglich. Unmöglich." (Herbert Rosendorfer: Das Messingherz)  ^


Nicht schwindeln!

Alle grundlegenden Situationen im Leben sind undwiederbringlich. Damit der Mensch Mensch ist, muß er diese Unwiederbringlichkeit mit vollem Bewußtsein durchleben. Sie bis zur Neige auskosten. Er darf nicht schwindeln. Er darf nicht tun, als würde er sie nicht sehen. Der moderne Mensch schwindelt. Er versucht, alle Meilensteine zu umgehen und so vom Leben in den Tod zu gelangen, ohne zu bezahlen. (Milan Kundera: Der Scherz) ^


Liebe und Haß

Gewisse Leute behaupten, die Menschheit zu lieben, und andere setzen dem zu Recht entgegen, lieben könne man nur im Singular, also nur einzelne Menschen; ich bin damit einverstanden und füge dem noch hinzu, daß dies nicht nur für die Liebe, sondern auch für den Haß gilt. Der Mensch, dieses Wesen, das nach Gleichgewicht lechzt, gleicht die ihm aufgebürdete Last des Bösen durch die Last des Hasses aus. Versuchen Sie aber, den Haß auf eine reine Abstraktion von Prinzipien zu richten, auf Ungerechtigkeit, Fanastismus, Grausamkeit, oder, wenn Sie zu dem Schluß gelangt sind, daß das menschliche Prinzip an sich hassenwert sei, versuchen Sie einmal, die Menschheit zu hassen! Solche Haßgefühle sind übermenschlich, und folglich konzentriert der Mensch seinen Zorn, um ihn zu mildern (im Bewußtsein seiner begrenzten Kräfte) am Ende immer nur auf einen einzelnen. (Milan Kundera: Der Scherz) ^


Glücklich sein

Wenn jemand sich recht wohl fühlt, dann arbeitet sein Gehirn bekanntlich nur sehr schwach. Ein ruhiges und frohes Gefühl, ein Gefühl der Zufriedenheit durchdringt sein ganzes Wesen; er ist ganz davon erfüllt; die Bewußtheit des eigenen Ichs verliert sich bei ihm - er schwelgt im Glück, wie geschmacklose Dichter sich ausdrücken. Ist aber schließlich diese "Verzauberung" vorüber, dann ärgert er sich oftmals und bedauert, daß er mitten im Glück so wenig sich selbst beobachtet, nicht durch Kontemplation und Erinnerung seine Wonnen verdoppelt und verlängert hat - als ob ein "im Glück Schwelgender" dazu Zeit hätte und es sich für ihn verlohnte, über seine Gefühle nachzudenken! Ein Glücklicher ist wie eine Fliege in der Sonne. (Iwan Turgenjew: Drei Begegnungen, Erzählungen) ^


Entweder - Oder

Die Welt ist weder vollkommen noch gerecht, wie sollte es da das Gesetz sein können. Erlauben Sie noch ein Wort zur sogenannten öffentlichen Meinung. Ich zweifle nicht daran, daß Sie von ihr so gelangweilt sind, wie ich es selbst bin. Die öffentliche Meinung kennt nicht das Recht, sondern nur Rache und Mitleid, Gefühle also. Das Recht jedoch ist gefühllos, es muß sogar taub und blind sein, um urteilen zu können. Die öffentliche Meinung aber will - sanft geführt von den Medien oder brutal - ihrem Gefühl Genugtuung verschaffen, nicht dem Gesetz. Sie will den Angeklagten, gleichgültig ob schuldig oder schuldlos, hängen oder freigelassen sehen. Und das Gefühl ist nicht beständig. Der Gehängte gewinnt stets, wenn auch verspätet, die Sympathie. Ist er erst tot, fordert die öffentliche Meinung, ihn am Leben zu lassen und sogar in Freiheit zu setzen. (Christoph Hein: Das Napoleon-Spiel) ^


Kreativität

Eine Formel zu finden, ein Plädoyer aufzubauen, ein technisches Gerät bis zur Vollendung zu entwickeln oder ein großes Spiel mit seinem Reichtum von Zügen und Varianten, scheinbaren Zufälligkeiten und überraschenden Balläufen zu schaffen - hat nicht alles den gleichen Reiz für uns, kostet es nicht gleiche Anstrengung und gewährt es uns, im Fall des Erfolgs, nicht den gleichen Genuß, die gleiche Befriedigung? Was uns zu alledem anspornt, ist der Wunsch, ein Schöpfer zu sein, ein Gott. Eine Maschine zu bauen oder eine Bombe, ein Serum zu entdecken oder das Dynamit zu erfinden, die Unterschiede sind lächerlich. Was uns reizt und anstreibt und endlich zufrieden stellt, ist die Vollendung. (Christoph Hein: Das Napoleon-Spiel)  ^


Das menschliche Gedächtnis

Das menschliche Gedächtnis besitzt die bisher noch unerklärte Eigenschaft, sich irgendwelche Lappalien fest einzuprägen, während die wichtigsten Ereignisse oft nur schwache Eindrücke hinterlassen oder sogar spurlos entgleiten. Nur eine vage, schwer zu formulierende Empfindung bleibt von ihnen zurück, mehr ein Seelenzustand oder auch ein geheimnisvoller Klang. Wie versunkne Schiffe liegen sie für immer tief auf dem Grund unseres Bewußtseins und setzen vom Kieln bis zur Mastspitze das krause Muschelwerk der Phantasie an. (Valentin Katajew: Das Gras des Vergessens) ^


Von der Macht

Kerns Formel, daß die ethische Entkräftung einer Person eine Funktion ihrer Machtfülle sei, treffe zu. Je mehr Macht einer oder eine habe, desto weniger sei er oder sie noch fähig, ethisch zu handeln. Das sei um so erstaunlicher, da Kern ja die Abhängigkeit der ethischen Entkräftung von der Machtfülle als Gesetz erkannt und ausgedrückt habe. Das steht also nicht im Belieben des einzelnen. Er ist nicht schuld. Macht macht ethikunfähig. (Martin Walser: Ohne einander) ^


Die bürgerliche Ruhe

Wenn abends ein paar junge Leute auf der Terrasse Lieder singen, dann ruft man die Polizei, denn Lieder zu singen stellt eine Störung der Nachtruhe dar. Wenn jemand über Mittag an einem Brunnen in der Altstadt Gitarre spielt, dann ruft man in Zürich auch die Polizei, denn das ist eine Verletzung der Mittagsruhe. Jede Tageszeit hat ihre besondere Ruhe, und wenn diese Ruhe nicht respektiert wird und jemand Lieder singt, dann kommt die Polizei, denn für den Bürgerlichen ist die Ruhe nicht nur seine erste Pflicht, sondern auch sein erstes Recht. Jeder verblödet innerhalb der Ruhe seiner vier Wände, und wenn er bei seinem Verblöden durch ein fremdes Geräusch gestört wird, fühlt er sich an seinem Recht zu verblöden beeinträchtigt und verlangt nach der Polizei. (Es versteht sich wohl von selbst, daß ich hier nicht für den Krach rede, denn ich gehe von der Voraussetzung aus, daß zwischen dem Geräusch einer Autobahn und dem einer Gitarre ein Unterschied besteht; ich erkenne auch einen Unterschied zwischen der Notwendigkeit, daß in Zürich jeder einzelne in einem eigenen Auto zur Arbeit fährt und dabei Geräusche verursacht, und der Notwendigkeit an, daß kleine Kinder spielen und dabei Geräusche verursachen. Der von mir herangezogene Begriff des Bürgerlichen scheint mir dann etwas Böses einzubegreifen, wenn er mit dem "Ruhigen" identisch zu werden droht, wobei dieses "Ruhige" seinerseits mit dem auch schon erwähnten Sauberen, Sterilen, Korrekten und dem comme il faut zu tun hat, worunter man etwa soviel wie Entspannung, Ferien, Freizeit versteht, hat das Wort "Ruhe" für mich auch einen unheimlichen und grauenvollen Aspekt. Die Ruhe ist so still (was ich hier nicht als ein Wortspiel auffasse, sondern eher im lyrischen Sinn als etwas Trauriges). Wer Ruhe sagt, sagt immer auch fast schon Grabesruhe und schon Tod. Wenn jemand gestorben ist, sagt man von ihm, daß er jetzt seine Ruhe habe. In der Schweiz muß immer alles ruhig sein, und man drückt dieses Verlangen nach Ruhe immer als Imperativ aus. Man sagt: Ruhig! Ruhig! - in der Befehlsform, als sagte man imperativisch: Tod! Tod! (Fritz Zorn: Mars) ^


Bewertungen

Meine Mutter begnügte sich meist damit, die Dinge an sich "schwierig" zu finden; mein Vater ging sehr gern noch einen Schritt weiter und machte den Dingen den Garaus, indem er sie aus ihrem natürlichen Zusammenhang herausriß und sie für unvergleichbar erklärte. Immer wieder fand er sich außerstande, verschiedene Dinge miteinander in Beziehung zu bringen; er pflegte zu sagen, "das ließe sich gar nicht miteinander vergleichen", und ließ somit alles im luftleeren Raum stehen. Dabei bewährte sich seine Kunst vor allem bei sehr ähnlichen Dingen, die zu einem Vergleich geradezu hätten herausfordern müssen. Auf diese Weise ließ sich eine Diskussion über den Wert oder Unwert der Dinge leicht vermeiden, denn einen wirklichen Wert kann eine Sache nur im Vergleich zu anderen haben, so wie das Licht nur im Vergleich zum Dunkel hell sein kann. (Fritz Zorn: Mars) ^


Dünnhäutig

Selbst der festeste Boden menschlichen Glücks ist weiter nichts als eine dünne Schicht, die sich darüberbreitet und gerade so viel Realität besitzt, um die trügerische Kulissenwelt zu tragen, zwischen der wir uns bewegen. Es ist durchaus kein Erdbeben nötig, um den Abgrund aufzureißen. Ein etwas stärkeres Auftreten als gewöhnlich genügt schon, und wir müssen sehr behutsam gehen, denn jeden Augenblick können wir durchbrechen. (Nathaniel Hawthorne: Der Marmorfaun) ^


Kompliziertes System

Unerbittliches Gesetz unserer Zeit ist es, Zwecke und Ziele im Leben zu haben. Das macht aus uns allen Teile eines komplizierten Systems für den Fortschritts, das lediglich damit enden kann, daß wir in immer kältere und trübere Regionen geraten als die, in der wir geboren wurden. Dieses Systems besteht darauf, daß jedermann irgend etwas, und wäre es auch nur ein Scherflein, das aber durch unablässige Anstrengungen verdient werden muß, dem angehäuften Berg von Nützlichkeit hinzugefügt, dessen einziger Nutzen aber sein wird, unsere Nachkommen mit noch schwereren Gedanken und noch mehr Arbeit zu belasten, als unsere eigenen schon sind. Kein Leben fließt mehr wie ein unbehinderter Strom dahin, schon das winzigste Bächlein muß ein Mühlrad drehen. Mit dem allzu eifrig verwirklichten Entschluß vorwärtszukommen gehen wir alle in die Irre. (Nathaniel Hawthorne: Der Marmorfaun) ^


Bluthunde

Es gehe ja nicht einmal darum, daß die Menschen grausam seien oder andere verletzen wollten, ja nicht einmal um Dummheit im eigentlichen Sinne; doch habe sie immer wieder feststellen müssen, daß der Mensch gewöhnlich ein derart gefühlsarmes Leben führe, daß die bloße Witterung von Gefühlen im Leben anderer auf ihn wirke wie Blut in den Nüstern eines Bluthundes. (Virginia Woolf: Die Fahrt hinaus)  ^


Was lieben wir?

Man muß sich natürlich fragen: Wenn wir jemanden lieben oder besser gesagt uns in jemanden verlieben, in was verlieben wir uns dann eigentlich? Lieben wir unsere Vorstellung von einem Menschen oder den Menschen selbst? Vielleicht können wir nur mit unseren eigenen Vorstellungen in Beziehung treten? Vielleicht sind wir immer nur in unsere Vorstellungen verliebt? (Lars Gustafsson: Der Tod eines Bienenzüchters) ^


Die Leere ausfüllen

Wenn das Unterbewußtsein für eine Weile sich selbst überlassen ist, fängt es einfach an, sich etwas auszuspinnen. Es schafft sich eine Identität, paßt sich der Umgebung an, produziert bereitwillig neue Formen, um die plötzliche Leere auszufüllen, die entsteht, wenn wir den Alltag vergessen. Offenbar fürchtet das Unterbewußtsein nichts so sehr wie das Gefühl, überhaupt niemand zu sein. (Lars Gustafsson: Der Tod eines Bienenzüchters) ^


Klarheit

Nichts hat mir so klar wie die Erfahrung der letzten Monate gezeigt, daß die Gesellschaft ein Unterbewußtsein hat. Das mag daran liegen, daß die Angst mich von all den Sprachen befreit, die man mir einmal beigebracht hat, um mich dagegen zu wehren. Ich beginne mit der schrecklichen Klarheit des Knabenalters zu sehen, mit seiner angstvollen Klarheit. Das Unterbewußtsein der Gesellschaft. Die Versuchstiere, die in den Laboratorien langsam zu Tode gequält werden, Schläuche in Halsvenen und Magen eingeführt, Krebszellen, die lebendigen Hunden mit langen, schmalen Kanülen in die Leber gepflanzt werden. Die Augenthaltsräume der Nervenkliniken, die mageren, zitternden Alkoholiker an der großen Brücke in Västeras. Fortwährend wird ein entsetzlicher Preis bezahlt. Aber an wen? Und wofür? Was ist bisher für meine Existenz bezahlt worden? (Lars Gustafsson: Der Tod eines Bienenzüchters) ^


Ungeheuerliche Zukunft

Wir sind schon eine kümmerliche, tragische Entwicklungsstufe, gemessen an dem, was uns zu ahnen gegeben ist. Wir ahnen bereits soviel mehr, als unsre Urenkel einst wissen werden, das, das allein ist das Interessante an der Spezies Mensch - diese Diskrepanz - die wir im Unterschied zu allen anderen Spezies - zu einer Art Laboratorium verwandelt haben, in ein Spielfeld, das heißt Kunst - und es sind ungeheuerliche Fortschritte zu erwarten, wenn das, was wir Wissenschaft nennen, und jenes, was gemeinhin und oft nebulös, als Kunst gilt, zusammenfließen werden. (Helmut Krausser: UC)  ^


An die Wurzel

Wenn eine seelische Krankheit zur Mitte eines Lebens geworden ist, kommt ihre Heilung einer Verstümmelung dieses Lebens gleich."Wenn es dem Analytiker oft so unsäglich schwer ist, an eine seelische Wurzel heranzugelangen, so nicht nur deshalb, weil diese verdrängt wäre; sondern, weil eben der ganze Mensch, im Guten und im Bösen, von ihr mitgenährt und mitgeformt ist und sich mitgefährdet fühlt, wenn er spürt, daß jemand die Axt an die Wurzel legen will. (...) Es gibt also eine Verteidigung der Krankheit, die mit Verdrängung gar nichts zu tun hat, sondern damit, daß man seine eigene Geschichte ist; und damit, daß diese Geschichte ohne die Krankheitswurzel nicht mehr denkbar ist. So kann es geschehen, daß wenn die Wurzel gezogen wird, der ganze Mensch, der sich, um sie zu verteidigen, an sie gehängt hat, mit herausgezogen wird und nun nur die leere Hülle des Menschen übrigbleibt." (Günther Anders: Lieben gestern) ^



Schmerzen und Empathie

Immer wenn mir selber ein Schmerz zugefügt wird, fühle ich, wie sich mein ganzes Wesen weitet. Dann bin ich offen für die Schmerzen anderer. Dann verstehe ich alle Sorgen, die mir zugetragen werden in Briefen und Gesprächen. Auch die "kleinen Sorgen", die doch für den, der sie hat, eben so klein gar nicht sind. Und wenn ich länger als zwei Tage ohne eigene Kümmernisse, ohne Depression, ohne Schwermut bin, fühle ich mich in einem fremden Element. Ein Tiefseetaucher, der in der Dunkelheit auf dem Meeresgrund zu Hause ist und der zur Wasseroberfläche aufsteigt, wo es schön silbern, hell und heiter ist, ja, aber wohin er nicht gehört. (Luise Rinser: Baustelle. Eine Art Tagebuch) ^


Intellekt

Die Balance zwischen Psyche, Intellekt und Körperlichkeit kann niemand ein Leben lang leisten. Körperliche Gebrechen durch das Altern sind unausweichlich, auch die Psyche ist einer Ermüdung ausgesetzt, und dies um so mehr, je entwickelter sie auf Belange des Lebens zu reagieren imstande ist. Der Intellekt ist es wohl, der seine Bastion bis zuletzt behaupten will und auch kann und der den Wunsch, alles wieder in seinen gesunden Ursprung zurückzuzwingen, als dringende Forderung aufrechterhält. Aber gerade er wird dadurch zur Ursache unseres unglückliches Bewußtseins. (Hartmut Lange: Tagebuch eines Melancholikers) ^


Fantasie und Wahrheit

In dem Maße, in dem meine Schläfen weiß werden, wird meine Erinnerung halb Fakt, halb Fiktion: Die Phantasie füllt die weißen Flecken, die von Jahr zu Jahr mehr zu werden scheinen, unweigerlich aus. Es ist durchaus wahrscheinlich, dass die komplette Erinnerung mancher Menschen in Wahrheit ein Produkt ihrer Erfindungsgabe ist, obwohl sie schwören würden, dass es die reine Wahrheit ist. (Tom Petsinis: Die Buchliebhaberin) ^


Entdeckerfreuden

Was verschafft das fürstliche Vergnügen? Was läßt eines Mannes Herz vor Stolz stärker schwellen als jedes andere Erlebnis? Entdeckung! Zu wissen, daß man schreitet, wo noch kein anderer seinen Fuß hinsetzte; daß man etwas betrachtet, was Menschenaugen noch nie zuvor gesehen haben; daß man jungfäuliche Atmosphäre atmet. Einer Idee das Leben zu geben - einen großen Gedanken hervorzubringen - einen geisteigen Goldklumpen zu entdecken, dicht unter der obersten Staubschicht eines Ackers, über den schon so mancher Gedankenpflug hinweggegangen ist. (Mark Twain: Die Arglosen im Ausland) ^


Ein Kastenmensch

Schuldirektor Oliver war ein Mann, der ganze Wörterbücher im Kopfe hatte, und aus diesem Chaos war ein hilfloser Mensch geboren; wo ist seine Amme, wo seine Milchflasche? Ein Verirrter, der glaubte, sich durch Bücher zum Menschen entwickeln zu können - was wird aus dem Charakter, was aus der Persönlichkeit? Wie kann man doch einen Papagei abrichten, was kann ein Mensch sich nicht aus Büchern eintrichtern! Aber er wird nur ein Kastenmensch, wie Schuldirektor Oliver einer von der Kaste der Philologen. Er kann 'Sprachen' und sonst nichts. (Knut Hamsun: Das letzte Kapitel) ^


Nebengötter

Ich bemerkte, daß (dies Gebot ohnangesehen) beinahe jeder Weltmensch einen besondern Nebengott hatte: ja etliche hatten wohl mehr als die alte und neue Heiden selbsten. Etliche hatten den ihrigen in der Küsten, auf welchen sie allen Trost und Zuversicht setzten; mancher hatte den seinen bei Hof, zu welchem er alle Zuflucht gestellt, der doch nur ein Favorit und oft ein liederlicher Bärnhäuter war als sein Anbeter selbst, weil seine lüftige Gottheit nur auf des Prinzen aprilenwetterischen Gunst bestunde. Andere hatten den ihrigen in Reputation und bildeten sich ein, wann sie nur dieselbige erhielten, so wären sie selbst auch halbe Götter. Noch andere hatten den ihrigen im Kopf, nämlich diejenige, denen der wahre Gott ein gesund Hirn verliehen, also daß sie einige Künste und Wissenschaften zu fassen geschickt waren. Dieselbe setzten den gütigen Geber auf ein Seit und verließen sich auf die Gab, in Hoffnung, sie würde ihnen alle Wohlfahrt verleihen. Auch waren viel, deren Gott ihr eigener Bauch war, welchem sie täglich die Opfer reichten, wie vorzeiten die Heiden dem Baccho und der Vereri getan; und wann solcher sich unwillig erzeigte oder sonst die menschliche Gebrechen sich anmeldeten, so machten die elende Menschen einen Gott aus dem Medico und suchten ihres Lebens Aufenthalt in der Apothek, aus welcher sie zwar öfters zum Tod befördert wurden. (Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen: Der abenteuerliche Simplicissimus Teutsch) ^


Vom Neid

Etliche sahe ich am Neid darniederliegen, von welchen man sagt, daß sie ihr eigen Herz fressen, weil sie immer so bleich und traurig dahertreten. Diese Krankheit halte ich vor die allergefährlichste, weil sie vom Teufel ihren Ursprung hat, wiewohl sie von lauter Glück herrührt, das des Kranken Feind hat; und welcher einen solchen von Grund aus kuriert, der dörfte sich beinahe rühmen, er hätte einen Verlornen zum christlichen Glauben bekehrt, weil diese Krankheit keinen rechtschaffenen Christen anstößt, als die da nur die Sünd und Laster neiden. (Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen: Der abenteuerliche Simplicissimus Teutsch) ^


Spielsucht

Die Spielsucht halte ich auch vor eine Krankheit, nicht allein weil es der Nam mit sich bringt, sondern weil diejenige, so damit behaftet, ganz giftig darauf verpicht sein. Diese hat ihren Ursprung vom Müßiggang und nicht vom Geiz, wie etliche vermeinen, und wenn du Wollust und Müßiggang hinwegnimmest, vergehet diese Krankheit von sich selbst. (Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen: Der abenteuerliche Simplicissimus Teutsch)  ^


Lasterhaftes

So befand ich, daß Fressen und Saufen auch eine Krankheit ist und daß solche aus der Gewohnheit und nicht aus dem überfluß herkommt. Armut ist zwar gut darvor, aber sie wird dadurch nicht von Grund aus geheilet; dann ich sahe Bettler im Luder und reiche Filz Hunger leiden. Sie bringt ihre Arznei auf dem Rucken mit sich, der heißt Mangel, wo nit am Gut, doch an der übrigen Gesundheit des Leibs, also daß endlich diese Kranke gemeiniglich von sich selbst gesund werden müssen, wenn sie nämlich entweder aus Armut oder anderer Krankheit halber nit mehr zehren können. Die Hoffart hielte ich vor eine Art der Phantasterei, welche ihren Ursprung aus der Unwissenheit habe; dann wann sich einer selbst kennet und weiß, wo er her ist und endlich hinkommt, so ist's unmüglich, daß er mehr so ein hoffärtiger Narr sein kann. (Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen: Der abenteuerliche Simplicissimus Teutsch) ^


Keine andere Arbeit

Behüte dich Gott, Welt! dann deine Diener haben kein andere Arbeit noch Kurzweil als faulenzen, einander vexieren und ausrichten, den Jungfrauen hofieren, den schönen Frauen aufwarten, mit denselben liebäugeln, mit Würfeln und Karten spielen, mit Kupplern traktieren, mit den Nachbarn kriegen, neue Zeitungen erzählen, neue Fünd erdenken, mit dem Judenspieß rennen, neue Trachten ersinnen, neue List aufbringen und neue Laster einführen. (Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen: Der abenteuerliche Simplicissimus Teutsch) ^


Bildung

Schule ist der tägliche Unterricht einer Mutter, die tägliche Lehre eines Vaters; Bücherschule dagegen ist etwas Ausgeklügeltes, eine Einrichtung, die das Leben absichtlich kompliziert und dem Menschen das Leben vom sechsten Jahre bis zum Tode erschwert. Das Buch, das gedruckte Wort für all und jeden erfüllt ja die Welt mit Unzufriedenheit und Unglück, mit quantitativer Bildung, Zivilisation. Ist es nicht doch ganz hübsch, daß alle Menschen sonst - ich meine, daß alle zu dem aufsehen, der etwas gelernt hat, und namentlich zu dem, der am meisten gelernt hat, dem Gelehrten -? Sie meinen, ob mich das nicht mißtrauisch macht? O Nein. Wir sehen ja auf zu Gott weiß was, zum Sieger im Wettrennen, zum König des Tages im Schilauf - in beiden Fällen mischt sich in meine Achtung das Mitleid mit dem Tiere. (Knut Hamsun: Das letzte Kapitel) ^


Landleben und Zivilisation

Das Landleben, sagte er, sei gut für die Wilden. In dem Maße, wie der Mensch sich zivilisierte, entferne er sich von der Natur; und die Verwirklichung des Fortschritts, das Paradies auf Erden, das die Idealisten prophezeiten, begreife er als eine riesige Stadt, die sich über den ganzen Globus erstrecke, voller Häuser, ganz aus Stein, und die lediglich hier und da einen heiligen Rosenhain besitze, wo man Blumen pflücke, um den Altar der Gerechtigkeit mit Wohlgeruch zu erfüllen. (Jose Maria Eca de Queiroz: Die Maias) ^


Lottospieler

Und doch: Gerade das Lottospiel stellt den großen Krieg des einzelnen gegen sein Schicksal dar. Die große Versuchung. Die große Herausforderung. Dieselben Leute, die sich damit abfinden, ein trostloses Leben an der Seite eines inferioren Partners zu führen, die sich mit den Abenteuern begnügen, die das Fernsehen bietet, und die den Verfall oder zumindest den fortgesetzten Einbruch ihres Körpers achselzuckend zur Kenntnis nehmen, all diese Menschen, die keine drei Schritte täten, um ein drei Schritte entferntes Glück zu fassen, praktizieren etwas vollkommen Umständliches, Irres, Absurdes und Aussichtsloses, etwas Großartiges und Wagemutiges, indem sie ausgrechnet mittels ein paar angekreuzter Zahlen versuchen, das Steuer ihres Lebens herumzureißen. Das ist, als wollte jemand, anstatt ein Bad zu nehmen, sich in eine Badewanne verwandeln. (...) Lottospieler also sind Menschen, die schlichtweg die allerhöchsten Gipfel erreichen wollen, ohne Schuhwerk, ohne Schlafsack, ohne Traubenzucker und Satellitentelefon, ohne Sauerstoffgerät sowieso. Gipfel von solcher Macht, daß einen schon der bloße Anblick umwirft. Es sind Menschen, die zwar nicht Gott herausfordern, aber doch etwas, was Gott ziemlich nahekommt. Man könnte es vielleicht die Zukunft nennen. (...) Doch soviel Glück hat auch der glückloseste Lottospieler, daß ihn seine Leidenschaft selten in die Klaspmühle führt. Vielmehr hat das massenhafte Auftreten dieses Typus wenigstens in den betroffenen Milieus zur Anschauung geführt, ein Mensch, der nicht spiele, sei nicht ganz normal. (Heinrich Steinfest: Der Umfang der Hölle) ^


Vom Sex

überhaupt muß gesagt werden, daß der heutige Mensch, der stets bemüht ist, sich von noch gar nicht existierenden Androiden und anderen Maschinenmenschen vor allem durch seine Geschlechtlichkeit zu unterscheiden, gerade das Maschinenhafte seiner Sexualität übersieht. Und zwar abseits pornographischer Vereinnahmung. Es nützt ja nichts, die Dominanz von Gefühlen und Leidenschaft zu behaupten und eine gewisse Kopflosigkeit als Indiz für ein unverwechselbares Liebesleben zu halten. Der Kuß, die erregenden Vorbereitungen, die Spielarten des Aktes, das alles sind zutiefst maschinelle und überaus einheitliche Vorgänge. In keinem Moment wie diesem gleicht der Mensch so sehr einer Apparatur, einem göttlichen Spielzeug, göttlich, aber eingeschränkt, eine künstliche Intelligenz von blecherner Körperhaftigkeit. Während hingegen alles, was davor und danach stattfindet, starke Züge des Individuellen trägt. Jeder Streit ums liebe Geld besitzt mehr Phantasie als die Versöhnung hernach im Bett. Das ist vielleicht traurig, stimmt aber trotzdem. Wenn nun zuvor gesagt wurde, Sex sei nichts anderes, als eine Vase auf den Boden zu werfen, die dann vielleicht zerbricht, vielleicht auch nicht, so ist eben die Art und Weise, mit der man die Vase wirft, in höchstem Maße eingeschränkt und vorgegeben. Irgendeine Freiheit in Vasenwerfen bleibt Illusion. Sex ist Programm, Ordnung, Reduktion, funktionslastiges Design, ist so schön oder so häßlich wie Fabrikanlagen, Kaffeemaschinen oder diese neuen Staubsauger, die selbstständig durch Wohnungen gleiten. Und genau das ist ja auch der Grund, daß sich ein paar größenwahnsinnige Leute nach krassen Perversionen sehnen. Die Perversion ist der Versuch, aus dem maschninellen Prozeß auszutreten und ausgerechnet im Sex zu puren, autonomen Persönlichkeit zu finden. (Heinrich Steinfest: Der Umfang der Hölle) ^


Nicht zu gut kennen

Er strich sich über die Augen, und in einem veränderten Ton sagte er: "Aber alte Leute sollten nicht zuviel Verstand haben, sonst wissen sie zuviel... Sie sollten abstumpfen. Wer es nicht tut, der hat Zeit zu sehen, und das sollte den Menschen erspart bleiben... Man sollte niemals sehen, nie sich selbst und nie die andern... Da gibt es ein dummes Wort: Wer Jehovah sieht", und die Exzellenz lachte über dieses Wort, "der muß des Todes sterben. Aber ich sage dir, wenn ein einziger Mensch einem andern ganz bis auf den Grund seiner Seele sehen könnte, so würde er sterben. Und wenn es vorstellbar wäre - aber das ist unmöglich, denn man belügt sich selbst zu sehr -, daß man sich selbst bis auf den Grund seiner Seele sähe, dann, mein Guter, würde man es für eine geringe, jedoch notwendige Strafe halten, selbst und ohne mit der Wimper zu zucken, seinen Kopf auf den Block zu legen... (Herman Bang: Das graue Haus) ^


Was Glück aus Menschen macht

Wenn man es mit nackten Worten sagen dürfte, müßte man sie schön und eigenartig und glücklich nennen, so ist sie auf den Bildern, die von unseren Silvesterfeiern übriggeblieben sind. Schön und eigenartig durch Glück, jetzt wird mir bewußt, daß Unglück die Menschen gleich macht, aber Glück nicht, Glück macht sie einzig. (Christa Wolf: Nachdenken über Christa T.) ^


Leidenschaft

Ich vermisse so ein Gefühl, sagte ich, diese schöne quälende Aufregung, wenn man verliebt ist oder für etwas kämpft, eine Leidenschaft eben, ja, das ist es: ich vermisse die Leidenschaft. Wahrscheinlich prozessieren so viele Menschen gegen alles mögliche nur, weil sie auch die Leidenschaft vermissen und sie beim Prozessieren finden, egal, ob sie gewinnen oder verlieren. (Monika Maron: Endmoränen) ^


Die Hölle der Identität

Jeden Morgen erwachen wir als genau dieselben, und umsonst haben die Träumer der Antike behauptet, nie gehe ein und derselbe Mensch zweimal durch die gleiche Tür. Die Wahrheit ist, daß jeder Mensch dazu verurteilt ist, in ein und demselben Körper zu leben, durch ein und dieselben Augen zu sehen und bis zum Tode mit Hilfe ein und desselben Gehirns zu denken und nachzusinnen. Die kunstreich erdachte Qual der menschlichen Identität erzeugt eine Hölle, die viel schrecklicher ist als der glutheiße Ort, den sich der Aberglaube erfand. In alle Ewigkeit derselbe zu sein, das ist für alle tiefer veranlagten Geister unerträglich. Aus sich heraustreten, ein andrer werden - ist das nicht einer der klügsten Träume, die der Mensch je geträumt hat? (Julien Green: Wenn ich du wäre)  ^


Denkende Bestie

In Mitteleuropa vernichten schwefeldioxydhaltige Niederschläge ganze Wälder. In Schweden starben Fische durch vergifteten Regen, den der Wind aus Ostdeutschland in eine fast unberührte Natur getrieben hatte. Gestrandete Öltanker verpesten den Atlantik und seine Küsten. Im Iran wurde die Ölproduktion gedrosselt, dafür werden jetzt massenweise Menschen gehängt. In Kambodscha verzichtete man ganz auf die Segnungen der Industriegesellschaft und düngte die bestellten Felder mit Leichenteilen von Erschlagenen. Ob der Mensch den technischen Fortschritt forciert oder abschaffen will, er bleibt eine denkende Bestie, die durch die Vernunft gelegentlich zu irritieren ist. (Hartmut Lange: Tagebuch eines Melancholikers) ^


Leichter Trost

Da der Mensch vom Affen abstammt und gleichzeitig die metaphysische Bedürftigkeit gottähnlich zu werden entwickelt hat, werden wir vom Affen nie ganz loskommen, aber auch Gott nie erreichen. Bei Schopenhauer und dem Evangelium wird der Mensch erst glücklich, wenn er begraben ist. Absurder Gedanke. Aber merkwürdigerweise ist der Lebende durch diese ihn verneinende spekulative Konstruktion eher zu trösten als durch die Realität. (Hartmut Lange: Tagebuch eines Melancholikers) ^


Nicht erlösbares Bewußtsein

Der Versuch, die metaphysische Bedürftigkeit des Menschen aus ihrer naiven, spekulativen Sublimation usw. herauszubrechen, um sie der erkennenden Vernunft, den Wissenschaften als fröhlichen Ballast, als nie zu lösendes, aber um so spannenderes Rätsel beizugeben, muß mißlingen, da das unglückliche Bewußtsein, das aus dem Widerspruch des Denkens resultiert, nicht zu erlösen ist. (Hartmut Lange: Tagebuch eines Melancholikers) ^


Gespräche

Die Leute alten Schlages beklagen sich darüber, daß es heutzutage kein Gespräch mehr gibt. Ich weiß nicht, wie die Leute alten Schlages waren (mir scheint, daß sie genauso waren wie die heutigen), aber ein Gespräch kann es niemals geben. Das Gespräch als Beschäftigung ist das Dümmste, was man sich ausdenken kann. Nicht aus Mangel an Verstand kommt kein Gespräch zustande, sondern aus Egoismus. Jeder will von sich selber reden oder darüber, was ihn interessiert; wenn der eine spricht, hört der andere zu, und das ist kein Gespräch, sondern Unterricht. Wenn sich zwei Menschen treffen, die sich für ein und dasselbe interessieren, genügt eine einzige dritte Person, um alles zu verderben: sie mischt sich ein, man muß sich bemühen, auch sie teilnehmen zu lassen, und das Gespräch ist zum Teufel. Es gibt auch Gespräche zwischen Leuten, die sich mit ein und derselben Sache beschäftigen, und niemand stört sie; aber das ist noch schlimmer: jeder spricht über dasselbe von seinem Standpunkt aus, überträgt alles auf seinen Standpunkt aus, mißt alles mit seinem Maß, und je länger das Gespräch dauert, desto weiter entfernt sich der eine von dem anderen, bis jeder merkt, daß er nicht mehr spricht, sondern predigt und sich mit einer Freiheit, die nur ihm selber verständlich ist, als Beispiel hinstellt, während der andere ihm gar nicht zuhört, weil er dasselbe tut. (Lew Tolstoj: Die Geschichte des gestrigen Tages) ^


Der Mensch ist faustisch

Daß Mephisto Faust gelegentlich verachtet, liegt in der Natur der Sache, der Mensch ist "faustisch", was heißen soll: Er ist ein Gemisch aus Trieb und Edelmut, die sich gegenseitig behindern, so daß am Ende nur noch ein schlaffer, wehleidiger Verschnitt beider Anstrengungen das Ergebnis der Menschwerdung des Affen ausmacht. (Hartmut Lange: Tagebuch eines Melancholikers)  ^


Der Wille zum Mittelmaß

Goethes Maxime, der Künstler müsse der Zeit gebieten, wird wohl immer ein frommer Wunsch bleiben. Er selber hatte den Willen zum Mittelmaß, und seine Ehe mit Christiane Vulpius, über die Schiller den Kopf schüttelte, war für ihn lebensnotwendig. Goethe wußte, wie gefährdet das Genie ist, wenn es sich nicht willentlich im Durchschnittlichen verankert. Vielleicht resultiert daraus seine intuitive, bis in die Bockigkeit reichende Ablehnung all jener Zeitgenossen, die auf Grund überragender Fähigkeiten ihre Fähigkeit zu leben verloren hatten: Kleist, Lenz, Hölderlin, um nur einige zu nennen. Goethe hatte mit Schiller genug zu tun, sich jene unbedingte Emphase vom Leib zu halten, die keine auch noch so reich ausgestattete Individualität ein Leben lang durchhalten kann. Er ordnete seine Empfindungen und Reflexe umständlich, mit bemühter Sachlichkeit. Börne hatte Unrecht, wenn er diese Manie Goethes, die seinen Stil so unnachahmlich prägte, als leidenschaftslose Arroganz auslegte. (Hartmut Lange: Tagebuch eines Melancholikers)  ^


Süßholz raspeln

Ihr könnt euch ausrechnen, wieviel Süßholz da erst ein Krebsdoktor raspeln muß! Lieber Gott, in dem einen Jahr, als ich Medizin studierte, sind mir Skelette begegnet, die davon redeten, daß es immer mehr bergauf mit ihnen gehe. Ich habe Frauen gesehen, die keine Gesichter mehr hatten, aber sich die Haare aufdrehten. Die groteske Wahrheit ist, es gibt kein Bergauf, und niemand schert sich einen feuchten Dreck darum. Man wird geboren, um sich auf der Matratze vernaschen zu lassen, und dann zu sterben, und je früher, desto besser. (John Updike: Ehepaar) ^


Dumme Angewohnheit Denken

Denken ist eine dumme Angewohnheit derer, die nichts zu tun haben, es führt zu nichts, es sind Ideen, Luftblasen, gut, um Zeit totzuschlagen, doch würden sich Menschen beim Denken beobachten, merkten sie, daß sie immer die gleichen Dinge denken, über die Vergangenheit, über eine eventuelle Zukunft, dumm und überflüssig, das Denken, und warum sich jemand etwas darauf einbildet, unklar. (Sibylle Berg: Amerika) ^


Weiter entfernt denn je

"Ich habe mich schon immer für die Absonderlichkeiten des Menschengeschlechtes interessiert. Eine Zeitlang habe ich viele philosophische und eine Reihe wissenschaftlicher Werke gelesen und habe dabei gelernt, daß nichts gewiß ist. Manche Leute gewinnen durch die Beschäftigung mit der Wissenschaft Bewunderung für die Würde des Menschen, mir aber kam nur seine Nichtigkeit zum Bewußtsein. Seit er in das Anfangsstadium der Zivilisation eingetreten ist, sind die tiefsten Fragen erörtert worden, und er ist von einer Lösung so weit entfernt wie eh und je. Der Mensch kann nichts wissen, denn Erkenntnisse gewinnt er nur mit Hilfe seiner Sinne, und diese können keine Gewißheit gewähren. Nur über eines vermag der einzelne etwas Gültiges auszusagen, und das ist sein eigener Verstand, aber selbst da tappt er im dunklen. Ich glaube, wir werden von den Dingen, die wir vor allem kennen sollten, nie eine Ahnung haben, und ich kann mich daher nicht mit ihnen befassen. Ich ziehe es vor, sie alle beiseite zu schieben und mich, da Weisheit ein unerreichbares Ziel ist, nur mit Torheit zu befassen." (W. Somerset Maugham: Der Magier) ^


Die richtige Dosis Mitleid

Es ist eine verflucht zweischneidige Sache mit dem Mitleid - genau wie das Morphium - eine Wohltat für den Kranken, ein Heilmittel, ein Hilfsmittel, aber wenn man's nicht richtig zu dosieren und abzustoppen weiß, wird's ein mörderisches Gift. Mit den ersten paar Injektionen tut man wohl, die beruhigen, die lähmen den Schmerz. Aber verhängnisvollerweise besitzt der Organismus, der Körper wie die Seele, eine unheimliche Anpassungskraft; so wie die Nerven immer mehr Morphium, benötigt das Gefühl imer mehr Mitleid, und schließlich mehr, als man geben kann. Einmal kommt unvermeidlich der Augenblick, da und dort, wo man 'Nein' sagen muß und sich nicht kümmern darf, ob der Andere einen für dieses letzte Weigern mehr haßt, als wenn man ihm nie geholfen hätte. (Stefan Zweig: Ungeduld des Herzens) ^


Glück und Unglück

Wer die Naturgesetze des Schicksal kennte! Einige Seelen scheinen wie Magnete das Unglück an sich zu ziehen, andere das Glück; zuweilen scheint das übermaß des Glückes das Unglück herbeizurufen, zuweilen scheinen Glück und Unglück sich zu sondern, und wenn einmal ein Regentropfen gefallen ist, so folgen mehr, Wolken sammeln sich und Tag um Tag stürzt sich die trübe Nässe auf die Erde. (Ricarda Huch: Aus der Triumphgasse) ^


Angewohnheit Leben

Ehe ich zwanzig war, glaubte ich, das Leben sei etwas, das immer mehr an Antrieb gewönne. Es würde jedes Jahr reicher und tiefer werden. Man würde immer mehr lernen, klüger werden, mehr Einsicht bekommen und die Wahrheit tiefer erkennen-" sie zögerte. Port lachte abrupt. "Und jetzt weißt du, daß dem nicht so ist. Nicht wahr? Es ist eher, als ob man eine Zigarette rauchte. Die ersten paar Züge schmeckt sie herrlich, und man glaubt, sie könnte nie zu Ende gehen. Dann fängt man an, es für selbstverständlich zu nehmen. Plötzlich aber erkennt man, daß sie fast zu Ende gebrannt ist. Und das ist der Moment, wo man sich des bitteren Geschmacks bewußt wird." "Aber ich bin mir immer des unangenehmigen Geschmacks und des nahenden Endes bewußt", sagte sie. "Dann solltest du das Rauchen aufgeben." "Wie gemein du bist!" "Ich bin nicht gemein!" protestierte er und warf fast sein Glas um, während er sich auf dem Ellbogen aufrichtete, um zu trinken."Es scheint mir nur logisch, nicht wahr? Ich vermutete, Leben ist eine Angewohnheit wie Rauchen. Man sagt immer, man gibt sie auf, aber man macht doch weiter." (Paul Bowles: Himmel über der Wüste) ^


Von Natur aus bescheuert

Die Welt ist nicht aus meinem Hintern gekrochen! Die Leute wollen schlafen, ich produziere Schlafmittel. Wenn sie sich Federn zwischen die Hinterbacken stecken wollten, würde ich Strauße züchten. Sie sind ein Träumer, Doktor Cavalcanti, Sie verstehen nichts von Menschen. Die wollen weder Himbeeren pflücken, noch Nachtigallen hören, sie wollen vor dem Fernseher verblöden, an stinkenden Stränden braten, mit ihren Autos herumgurken und hübsche kleine Pillen schlucken. Warum? Weil sie von Natur aus bescheuert sind. Über ein Glühwürmchen staunen sie mehr als über einen Stern. Die Menschen sind Kinder, die man spielen lassen muß. Sie lieben alles, was glänzt, was neu ist, was zu nichts nutze ist. Schenken Sie ihnen die Maximen von Konfuzius, wischen sie sich damit den Hintern ab. Geben Sie ihnen irgendeinen bunten Scheißdreck, setzen sie ihn unter Glas. (Henri-Frederic Blanc: Im Reich des Schlafes) ^


Wissenschaft (1)

"Die Wissenschaft, Monsieur, ist Quatsch mit Soße. Man weiß, wie man Bakterienkulturen anlegt, aber wie man Kinder erzieht, davon hat man keine Ahnung mehr. Man kann mit Atomen jonglieren, aber man kennt keine Höflichkeit mehr. Man fährt in den Weltraum, aber das Meer stinkt und die Fische krepieren. Man gibt mehr Geld für Raketentreibstoff aus als für die Ernährung der Hungernden. Die Wahrheit ist: Je mehr Sachen man weiß, desto weniger versteht man zu leben. Wenn die Wissenschaft nur dazu dient, die Völker zu verdummen und den Planeten in einen Termitenhügel mit Vollkomfort zu verwandeln, sage ich nein danke! Lieber gehe ich wie die Papuas auf Löwenjagd und mache jeden Abend einen Freudentanz. Die Technik macht die Menschen nicht besser, aber sie verzehnfacht die Macht des Bösen. Der Stiesel, der vor zehntausenden Jahren mit Steinen nach Vögeln warf, wenn seine Nerven ihm durchgingen, kann heute eine Rakete auf ein vollbesetztes Flugzeug abschießen. Der Fortschritt verringert die menschliche Dummheit nicht, er macht sie nur gefährlicher." (Henri- Frederic Blanc: Im Reich des Schlafes) ^


Wissenschaft (2)

Wozu reden? Wenn diese Leute in ihrem Alter immer noch nichts begriffen haben, werden sie es nie begreifen. Es sind alles Spezialisten, die nur sehen, was sie unter ihrem Mikroskop haben, der Rest der Welt ist in Nebel getaucht. Wissenschaftliche Flohzirkusdompteure, Molekülklauber, Fliegenbeinzähler. Und alle so vollgestopft mit Theorien, so übersättigt von Systemen, Thesen und Spekulationen, daß es leichter wäre, einem toten Esel einen Furz zu entlocken, als sie zu einer änderung ihrer Vorstellungen zu bewegen. Sie haben ihren Weg gemacht, haben längst alles hinter sich. Ihr Denken ist hoffnungslos verkrustet, und eben deshalb können sie davon leben. Sie werden immer einen komplizierten Irrtum, den sie selbst gefunden haben, einer gängigen Wahrheit vorziehen. Sie werden lieber subtil ihre Intelligenz anwenden, als bescheiden einen vernünftigen Gedanken nachzuvollziehen. Sie werden stets einer Theorie von fünfhundert Seiten eher Gehör schenken als den Worten eines einfachen Menschen oder einem alten Sprichwort. (Henri- Frederic Blanc: Im Reich des Schlafes) ^


Rationalität

Sehen Sie denn nicht, daß wir die schlimmsten Plagen unseres Jahrhunderts nicht etwa einem Rest an animalischen Urtrieben verdanken, sondern einem Übermaß an Rationalität? Die forcierte Rationalität tendiert von sich aus zum Totalitarismus. Ob es sich nun um ideologische, administrative, wissenschaftliche oder kaufmännische Rationalität handelt, sie ist unersättlich, unfähig zur Selbstbeschränkung, sie wächst, schreitet fort, wuchert, erdrückt und frißt alles... In ihrem Schatten wächst die Barbarei heran. Barbarei, meine Herren, das sind nicht die Schreie der Primitiven, die um das Feuer tanzen, Barbarei, das sind die Zahlen. Die Zahlen sind die Todeswerkzeuge. (Henri-Frederic Blanc: Im Reich des Schlafes) ^


Die Unvernunft des Menschen

Versuchen Sie es doch, werfen Sie einen Blick auf die Geschichte der Menschheit: nun, was? Großartig - wie? Meinetwegen auch großartig; allein schon der Koloß von Rhodos, was der wert ist! Nicht umsonst sagten die einen von ihm, er sei ein Werk von Menschenhand, die anderen aber, er sei von der Natur selbst hervorgebracht. - Oder finden Sie sie bunt? Nun, meinetwegen auch bunt: wollte man bloß die Paradeuniformen der Militärs und Staatsbeamten nach den Jahrhunderten und den Nationen sortieren - welch eine Heidenarbeit wäre schon das allein, und mit den Mänteln noch dazu, wäre es vollends zum Beinebrechen. Kein Historiker käme damit zu Rande. - Oder einförmig? Nun, meinetwegen auch einförmig: sie raufen sich, und raufen sich, und haben sich schon früher gerauft und werden sich auch hinfort noch raufen, - Sie müssen doch zugeben, daß das schon gar zu einförmig ist. Mit einem Wort, man kann alles über die Weltgeschichte sagen, alles, was der hirnverbranntesten Einbildungskraft nur einfällt. Nur eines kann man nicht sagen, nämlich: daß sie vernünftig sei. Sie würden beim ersten Wort stecken bleiben und das Hüsteln kriegen. (Fedor M. Dostoevskij: Aufzeichnungen aus dem Untergrund) ^


Kaffeewärmer

Der Mensch wird jeborn mit ner bestimmten Menge Liebe in sich, sagen wir ein oder zwei Megawatt, das ist verschieden von Mensch zu Mensch. Die trägt er wien Kaffeewärmer unterm Arm mit sich rum und is unglücklich. Bis er eines Tages einen findet, dem er den Kaffeewärmer überstülpt. Ick liebe dich, sagt er und deckt ihn mit seiner Liebe zu. Eine Weile is der Mensch glücklich. Dann wird dem Jeliebten unter dem Kaffeewärmer zu heiß, er kriegt keene Luft und schiebt den Kaffeewärmer beiseite. Beede klemm ihre Lieben untern Arm und suchen neue Opfer. (Monika Maron: Das Mißverständnis. Vier Erzählungen und ein Stück) ^


Schichten und Geheimnisse

In den Erinnerungen eines jeden Menschen gibt es Dinge, die er nicht allen mitteilt, sondern höchstens seinen Freunden. Aber es gibt auch Dinge, die er nicht einmal den Freunden aufdeckt, sondern nur sich selbst, und auch das nur unter dem Siegel der Verschwiegenheit. Schließlich aber gibt es auch noch Dinge, die der Mensch sogar sich selber zu sagen fürchtet, und solcher Dinge sammelt sich bei jedem anständigen Menschen eine ganz beträchtliche Menge an. (Fedor M. Dostoevskij: Aufzeichnungen aus dem Untergrund) ^


Irrationales Wesen

Bekanntlich sind sich nun viele dieser Menschenfreunde früher oder später oder vielleicht auch erst an ihrem späten Lebensabend nicht treu geblieben und haben irgend so ein gewisses Geschichtchen inszeniert, zuweilen sogar eines, das zu den allerunandständigsten gehört. Jetzt frage ich Sie: was kann man nun von einem Menschen, als einem Wesen, das mit solchen sonderbaren Eigenschaften bedacht ist, erwarten? Überschütten Sie ihn mit allen Erdengütern, versenken Sie ihn in Glück bis über die Ohren, bis über den Kopf, so daß an die Oberfläche des Glücks wie zum Wasserspiegel nur noch Bläschen aufsteigen, geben Sie ihm ein pekuniäres Auskommen, daß ihm nichts anderes zu tun übrig bleibt, als zu schlafen, Lebkuchen zu vertilgen und für den Fortbestand der Menschheit zu sorgen, - so wird er doch, dieser selbe Mensch, Ihnen auf der Stelle aus purer Undankbarkeit, einzig aus Schmähsucht einen Streich spielen. Er wird sogar die Lebkuchen aufs Spiel setzen und sich vielleicht den verderblichsten Unsinn wünschen, den allerunökonomischsten Blödsinn, einzig um in diese ganze positive Vernünftigkeit sein eigenes unheilbringendes phantastisches Element beizumischen. Gerade seine phantastischen Einfälle, seine banale Dummheit wird er behalten wollen, und zwar ausschließlich zu dem Zweck, um sich selbst zu bestätigen. (Fedor M. Dostoevskij: Aufzeichnungen aus dem Untergrund) ^


Ziele erstreben und erreichen

Wenn Arbeiter eine Arbeit beendet haben, so erhalten sie doch wenigstens Geld, für das sie in die Schenke gehen und sich betrinken können, um danach auf die Polizeiwache zu geraten, - und damit wäre dann eine Woche ausgefüllt. Wohin aber soll der Mensch gehen? Wenigstens kann man an ihm, wenn er irgendwo ein Ziel erreicht hat, immer eine gewisse Verlegenheit wahrnehmen. Das Streben nach der Erreichung des Zieles liebt er, das Erreichen selbst aber - nicht mehr so ganz; und das ist natürlich furchtbar komisch. (Fedor M. Dostoevskij: Aufzeichnungen aus dem Untergrund) ^


Nicht verrückt werden

Wahrscheinlich habe ich noch dreißig Jahre zu leben, das sagt jedenfalls die Statistik. Und ich bin nicht sicher, ob es einfacher würde, diese Jahre zu überstehen, wenn ich wüßte, wer ich eigentlich bin. Ich lebe mit mir zusammen, ohne viele Fragen zu stellen. Wie jeder normale Mensch habe ich gelegentlich Angst, irgendwann einmal verrückt zu werden. Wenn man es ein-, zweimal in seinem Bekanntenkreis erlebt hat, weiß man, wie schnell es geht, und daß in diesem Punkt keiner sehr sicher sein kann. Und ich bin der festen Überzeugung, es ist der sicherste Weg, verrückt zu werden, wenn man erst einmal anfängt zu ergründen, wer man eigentlich ist, mit wem man da zusammen lebt. Die Psychiatrie hat in unserem Jahrhundert einige Heilerfolge vorzuweisen, allerdings hat sie sich auch mit Patienten in einem vorher ungekanntem Maße eingedeckt. Ich habe keine besonders Abneigung gegen Psychiatrie oder Neuropsychologie. Ich habe bemerkt, daß man bei allen alles finden kann, wenn man erst anfängt, danach zu suchen. (Christoph Hein: Der fremde Freund)  ^


Empfänglichkeit

Es gibt Augenblicke, in denen die Seele, besonders bei jungen Menschen, so empfänglich ist, daß der kleinste Anstoß genügt, um alles von ihr zu erreichen, was einen Anschein von Güte und Opfer hat - wie eine eben erblühte Blume sich weich auf ihrem zerbrechlichen Stengel wiegt, bereit, ihren Duft dem ersten Lufthauch zu überlassen, der sie umspielt. Diese Augenblicke, die von den anderen mit scheuer Ehrfurcht bewundert werden sollten, sind genau die, auf welche der eigennützige Scharfsinn lauert und die er im Fluge ergreift, um sich einen Willen gefügig zu machen, der nicht auf der Hut ist. (Alessandro Manzoni: Die Brautleute) ^


Gewöhnung

Der Mensch ist, solange er auf dieser Erde lebt, ein Kranker, der auf einem mehr oder minder unbequemen Bett liegt und rings um sich andere, äußerlich schön gemachte, glattgestrichene Betten sieht, weshalb er sich vorstellt, daß man dort ganz prächtig ruhen müsse. Gelingt es ihm aber, in ein solches überzuwechseln, so beginnt er, kaum daß er es sich auf dem neuen bequem gemacht hat, hier eine Spelze zu fühlen, die ihn sticht, dort einen Knubbel, der ihn drückt, und es ist alle, kurz gesagt, ungefähr wieder so wie zuvor. (Alessandro Manzoni: Die Brautleute) ^


Moderne Erziehung

"Gestern aber wurden mir die Augen geöffnet. Das Malheur bei der modernen Erziehung ist, daß man nie weiß, wie unwissend die Menschen sind. Bei jedem mehr als Fünfzigjährigen kann man mit einiger Sicherheit annehmen, was er gelernt hat, und was ihm nie beigebracht worden ist. Aber diese jungen Leute präsentieren eine so intelligente und verständige Oberfläche, bis dann mit einemmal die Kruste bricht und man in Tiefen der Verworrenheit hinunterblickt, von deren Existenz man gar nichts geahnt hat. (Evelyn Waugh: Wiedersehen mit Brideshead) ^


Eilig in die Zukunft

Wir warten alle darauf, daß diese verdammte Gegenwart aufhört und etwas Neues anfängt. Als wir noch zur Schule gingen, haben wir darauf gewartet, daß sie vorbei ist. In der Uni haben wir auch gewartet, wir haben davon geträumt, so schnell wie möglich mit der Lernerei fertig zu sein. Jetzt warten wir, daß der Sohn erwachsen wird, oder noch ärger, daß wir in Rente gehen. Und sogar glückliche Menschen haben es eilig in die Zukunft. Ist das nicht schrecklich? Nur schnell, schnell dies überstehen, dann das, und dann - dann kommt doch der Tod, oder wie seht ihr das? Wie ein Schwimmer, der mit aller Kraft schwimmt, der schwimmt, so schnell er kann, ohne auf irgend etwas zu achten, schwimmt er ans Ziel. Dabei schwimmt er - und das weiß er selbst am besten - auf einen Strudel zu. Und von diesem Schwimmer wird verlangt, Optimist zu sein. (Wladimir Schinkarjow: Maxim und Fjodor) ^


Vorstellung von Freiheit

Man stelle sich nun eine Gesellschaft vor, die Freiräume zur Entwicklung intellektueller und sonstiger Fähigkeiten in Hülle und Fülle bereithält, der aber jede Idee, jede Vorstellung von Freiheit abhanden gekommen ist. Man stelle sich eine Gesellschaft vor, die es dem einzelnen erlaubt, seine Eigenheiten und charakterlichen Anlagen zur Wirkung und Entfaltung zu bringen, ihn aber gleichzeitig daran hindert, weil sie es verlernt hat, ihre Vorzüge zur Idee zu erheben. Diese Gesellschaft wäre unsere Zukunft, wenn wir uns weiterhin so beharrlich weigern, Ideale und Wertkategorien als Mittel zum Leben zu begreifen, ganz so wie Essen, Schlafen, Trinken. Eine Gesellschaft, die ihre Vorzüge nicht zur Idee erheben kann, verödet zur materialistischen Geschäftigkeit, an der letztlich nicht einmal die leidenschaftlichen Beamtenseele ihr Genüge haben kann. (Hartmut Lange: Tagebuch eines Melancholikers) ^


In schamloser Offenheit

Kierkegaard hat darauf hingewiesen, wie sehr die Individuen veröden müssen, wenn sie sich zueinander nicht über das Mittel der Idee verhalten, sondern versuchen, ganz ohne Wertmaßstäbe, sozusagen in schamloser, rücksichtsloser Offenheit miteinander auszukommen: "Dann drücken und puffen und reiben sich die Individuen in müßiger Äußerlichkeit aneinander; denn es gibt keine Schamhaftigkeit der Innerlichkeit, die mit Anstand den einen von dem anderen entfernt, dann ist da Bewegung und Bewegung, die zu nichts führt. Die einzelnen haben nichts, und in Gemeinschaft besitzen sie auch nichts... Der Fluß der Ideen ist gesperrt, die Individuen sind sich selbst und einander in die Quere gekommen, der selbstische und der gegenseitige Reflexions-Widerstand sind wie ein Sumpf - und man sitzt nun drinnen. An die Stelle der Freude tritt nunmehr ein gewisses greinendes Mißvergnügen, an Stelle des Leides eigensinnig zähe, halsstarrige Ausdauer, an Stelle der Begeisterung eine redselige Erfahrungs-Verständigkeit." (Hartmut Lange: Tagebuch eines Melancholikers)  ^


Kürzer, schneller, bunter?

Stimmt es, was die Botschaften printmedialer Neugründungen uns kurz, schnell und bunt vermitteln: es wird noch kürzer, schneller, bunter, weil wir es noch kürzer, schneller, bunter wollen? Diese selbst von ihrem Verursachern skeptisch kommentierte, aber als unabwendbar prophezeite Zukunft ist, so wird uns erklärt, das Ergebnis unserer vom Fernsehen veränderten Wahrnehmungsfähigkeit. Das Fernsehen hat uns auf die Wahrnehmung schneller, bunter, kurzer Nachrichten programmiert, woraus folgt, daß die Zeitungen, sofern sie von uns wahrgenommen werden wollen, sich fernsehähnlich darbieten müssen, also schnell, kurz und bunt. In unserem eigenen Namen wird uns die endgültige Analphabetisierung verordnet, weil wir angeblich schon auf dem halben Wege dahin sind. Daß an den Universitäten eine Generation studiert, die längst mit der Verführung des Fernsehens aufgewachsen und trotzdem imstande ist, die Wissenschaften nicht aus Comics, sondern aus herkömmlichen Lehrbüchern zu erlernen, könnte als Argument gelten, stünde tatsächlich die plötzliche Mutation unserer Sinne zur Diskussion. (Monika Maron: quer über die gleise. Essays, Artikel, Zwischenrufe) ^


Die Peinlichkeit des Guten

Vielleicht ist es ja die Peinlichkeit des Guten, die einen Journalisten, der sich in der Regel als kritischer Journalist versteht, daran hindert, auch das Gewordene zu benennen und nicht nur das Fehlende, die Gemeinsamkeiten zu suchen und nicht nur das Andersartige zu belächeln. Das alltägliche Gute ist nicht aufregend, nicht ungewöhnlich, nicht witzig, es gibt keine Pointe her und auch der Schreibende kann daran eher seine Gefühligkeit beweisen als seine Intelligenz. Wenn ich die zarten Anfänge des Penkuner Bürgerlebens beschreibe, empfinde ich das ebenso, zumal sich jeder Lobende dem Verdacht aussetzt, er sei beauftragt, gar genötigt oder verfolge eine bestimmte politische Absicht. (Monika Maron: quer über die gleise. Essays, Artikel, Zwischenrufe) ^


Fatalismus

Eine fatalistische Einstellung paßte wunderbar zu meiner trägen Natur, meiner Neigung, mich in der Welt zu ducken, immer und überall den Schwanz einzuziehen… Ich ließ die Ereignisse auf mich zukommen und über mich hinwegspülen. Sie schliffen mich schön glatt und rund, ich rollte einfach ein wenig mit… Erst wenn mir infolge düsterer Gründe das Unglück unwiderruflich widerfahren was, begann ich, wie ein Scharfrichter Sündenböcke zu bestimmen. Eilig, auf gut Glück. (A.F.Th. van der Heijden: Die Schlacht um die Blaubrücke) ^


Dumm sein

"Du riechst nach Schnaps. Warum? Doch nicht wegen Erna?" "Nein. Weil wir alle sterben müssen. Mich erschüttert das manchmal noch, trotzdem ich es schon seit einiger Zeit weiß." "Das ist ehrenwert. Besonders in unserem Beruf. Weißt du, was ich möchte?" "Natürlich. Du möchtest Matrose auf einem Walffischfänger sein; oder Koprahändler auf Tahiti; oder Nordpolentdecker, Amazonasforscher, Einstein und Scheik Ibrahim mit einem Harem von Frauen zwanzig verschiedener Nationen, einschließlich der Zirkassierinnen, die so feurig sein sollen, daß man sie nur mit einer Asbestmaske umarmen kann." "Das ist selbstverständlich. Aber außerdem möchte ich noch dumm sein; strahlend dumm. Das ist das größte Geschenk für unsere Zeit." "Dumm wie Parzifal?" "Weniger erlöserhaft. Gläubig, friedlich, gesund, bukolisch dumm." "Komm", sage ich. "Du bist hungrig. Unser Fehler ist, daß wir weder wirklich dumm noch wirklich gescheit sind. Immer so dazwischen, wie Affen in den Ästen. Das macht müde und manchmal traurig. Der Mensch muß wissen, wohin er gehört." (Erich Maria Remarque: Der schwarze Obelisk)  ^


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