Robert-Musil-Splitter [<<] 

Bemerkenswertes von und zu Musil


Verzögerungen

Es gibt im Leben eine Zeit, wo es sich auffallend verlangsamt, als zögerte es weiterzugehn oder wollte seine Richtung ändern. Es mag sein, dass einem in dieser Zeit leichter ein Unglück zustößt." (Robert Musil: Drei Frauen)


Alltag der Dichter

"Ich hatte in den letzten Tagen einen sehr bösartig aussehenden Rachenkatarrh, dessen Spuren schon Wochen zurückreichen, Fremdkörpergefühl im Hals, aufgelockerte und verfärbte Schleimhaut." - So genau wollten wir es eigentlich gar nicht wissen. Aber Robert Musil ist nun einmal ein präziser Schilderer körperlicher und geistiger Zustände. Warum soll, was sein Werk faszinierend macht, im Tagebuch (Eintrag vom 25.1.1930) fehl am Platze sein? Es war natürlich auch keine banale Verkühlung: "Wollte schon mit den schlimmsten Befürchtungen zum Arzt, aber wahrscheinlich war es nur eine Reizung durch die entnikotinisierten Zigaretten. Seit zwei Tagen rauche ich gewöhnliche und muß mich sehr zusammennehmen, Maß zu halten (stündlich nur 1 Zigarette). - Warum soll ein Autor, dessen Monumentalwerk selbst nach zweitausend Seiten noch Fragment geblieben ist, grad beim Rauchen maßhalten? [X] Aus dem Buch: Günther Eisenhuber (Hrsg.): Privat. Aus dem Alltag der Dichter und Denker. Salzburg: Residenz, 2004. 208 S. ISBN: 3-7017-1368-5


Analogie

Sollte man einen großen Geist und einen Boxmeister psychotechnisch analysieren, so würden ihre Klugheit, ihr Mut, ihre Genauigkeit und Kombinatorik sowie die Geschwindigkeit der Reaktionen auf dem Gebiet, das ihnen wichtig ist, die gleichen sein.


MRR und Musil

Wer glaubt, Naturwissenschaftler verstünden zwangsläufig weniger von Literatur als prominente Literaturkritiker, greife zum Oktoberheft von "Spektrum der Wissenschaft". Darin findet sich auf Seite 17 ein Artikel des Physikers Michael Springer, in dem dieser Musil gegen MRR in Schutz nimmt: "Reißwolf Reich- Ranicki hat nie einen Zweifel daran gelassen, dass ihn an der Literatur einzig deren Unterhaltungswert interessiert. Dieses populistische Dogma bläht die Segel seiner enormen Popularität, treibt ihn aber auf seine alten Tage auch in gefährliche Untiefen. Literatur muss nicht immer nur unterhaltsam das bestätigen, was wir schon wussten. Sie darf auch experimentieren, neue Formen erproben, die Welt etwa mit Forscheraugen sehen. Wem diese Anstrengung, die sich zur Unterhaltungsliteratur ähnlich verhält wie die Grundlagenforschung zum marktreifen Produkt, allzu mühsam ist, der muss davon nichts lesen. Wer aber solche Literatur aus dem Kanon der Moderne verbannen möchte, der richtet sich als Kritiker selbst." [X]


Dichten ist...

Dichten ist Gerichtstag halten über sich selbst; mit einem sicheren Freispruch. (Robert Musil)


Fehlende Dankbarkeit

Nun sind Genies leider selten, beziehungsweise kaum je besonders sympathisch. Thomas Mann zum Beispiel, den Musil beneidete und darum verachtete, hatte gewiss eine beträchtliche Menge Macken. Doch der Nobelpreisträger zögerte nie, sich für den vom Schicksal benachteiligten Kollegen, beziehungsweise - in dessen Sicht - Rivalen einzusetzen. Wo er helfen konnte, half er. Das wollte ihm Musil erst recht nicht verzeihen. Zähneknirschend und durchaus nachtragend akzeptierte er die Unterstützung, die er als Demütigung empfand. Dankbarkeit war offenbar keine Kategorie seines Fühlens und Verhaltens. Fürsorge wohl auch nicht. Herma Dietz, Vorbild seiner Novellenfigur Tonka, hatte er - brutal gesagt - auf dem Gewissen: Er infizierte sie mit Lues. Sie starb, an syphilitischem Abortus, einen elenden Tod. [X]


Schimpfwort Literatur

Während früherer Zeiten Worte wie Federfuchse, Kritikaster zur Abwehr bestimmter Auswüchse der Literatur hervorgebracht haben, ist heute das Wort Literatur selbst zum Schimpfwort geworden. Nur Literatur bezeichnet so etwas wie Mottenseelen, die um künstliche Lichter flattern, während draußen der Tag scheint. (Robert Musil)


Eine Warnung

"Aber ich habe die Pflicht, Leser, die nicht das äußerst Absonderliche, das höchst Anormale, das wild Chaotische, intellektuell Perverse, das absolut Krankhafte und Hysterische in der Literatur lieben, vor Robert Musil zu warnen" (Aus einer Rezension im Berliner Börsen-Courier von 1911, zitiert in: Karl Corino: Robert Musil. Leben und Werk in Bildern und Texten, Reinbek 1988, S.74 f.) [viacato]


Ich kann nicht weiter

In den frühen fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts empfahl William Faulkner allen seinen Kollegen die dauerhafte Ausübung eines Zweitberufs. Am besten eigneten sich, so sagte Faulkner in einem Interview, handwerkliche Berufe, also etwa Schuhmacher, Schreiner oder Bäcker. Faulkner hatte die ökonomischen Krisen des Schriftstellerberufs im Sinn. Sollte eines Tages nicht mehr genug Geld da sein für die Miete und das tägliche Brot, dann wären die Schriftsteller dank krisensicherer Nebenbeschäftigung dennoch ausserhalb des Risikos. Für Faulkners europäischen Kollegen Robert Musil spitzte sich 1932 die Lage derart dramatisch zu, dass er sich mit einem Hilferuf an die Öffentlichkeit wenden wollte. Unter dem Titel "Ich kann nicht weiter" wollte Musil der literarischen Welt mitteilen: "Ich schreibe von mir selbst, und seit ich Schriftsteller bin, geschieht es zum ersten Mal. Was ich zu sagen habe, steht in der Überschrift. Es ist kältester Ernst. (. . .) Ich glaube, dass man ausser unter Selbstmördern nicht viele Existenzen in einem Augenblick gleicher Unsicherheit antreffen wird, und ich werde mich dieser wenig verlockenden Gesellschaft kaum entziehen können. Ich mache hier den einzigen und möglichen Versuch, mich dagegen zu wehren."


Was lesen Genies?

Wir haben also bloß die Frage zu untersuchen: Wie lesen Genies? Das weiß man aber. Genies haben die Eigenschaft, daß sie die Leistungen anderer selten anerkennen. Sie lesen nur die Bestätigung ihrer eigenen Ansichten, und diese langweilt sie. (Robert Musil)


Rangeleien

Und die strengen Damen und Herren, die das Thema Musil an sich gerissen haben, zeichnen sich nicht unbedingt durch Toleranz aus: Wenn es um ihren Meister geht, dulden sie keine Kritik und keinen Spaß. In einem Bericht über eine Tagung der Internationalen Robert- Musil-Gesellschaft, die im Juni 2001 in Saarbrücken stattfand, schreibt der Germanist Wolfgang Schneider, es sei in letzter Zeit "auffallend ruhig" um Musil geworden. Doch für die Musil-Experten sei nach wie vor nur eins umstritten: "Ist Musil der größte Autor der Welt, der größte des deutschen Sprachraums - oder nur der größte Österreichs?" Auch eine andere Frage ist in dieser Gesellschaft sehr beliebt: Entspricht der Rang Musils dem von Marcel Proust und James Joyce, von Franz Kafka und Thomas Mann? Oder ist es nicht eher so, dass er sie, bei Lichte besehen, allesamt übertrifft? Denn diese Experten lieben es, über Musil kniend zu sprechen, was der kritischen Betrachtung des Gegenstands nicht gerade förderlich ist. (Marcel Reich- Ranicki)


Innerliche Öde

Unser Zeitalter trieft ohnehin von Tatkraft. Es will nicht mehr Gedanken, sondern nur noch Taten sehen. Diese furchtbare Tatkraft rührt nur davon her, daß man nichts zu tun hat. Innerlich meine ich. (Robert Musil)


Vorlaß

Ziemlich durchtrieben war Robert Musil. Er veröffentlichte 1936 einige kleinere Prosastücke, meist zwischen 1920 und 1929 entstanden und in Zeitschriften und Zeitungen bereits veröffentlicht, setzte den Titel "Nachlass zu Lebzeiten" darüber und machte sich im Vorwort über die Beliebtheit von Dichternachlässen lustig: sie hätten in der Regel Ähnlichkeit mit Ausverkäufen wegen Auflösung des Geschäfts und mit Billigergeben, darum werde er die Herausgabe des seinen verhindern. Das beste Mittel dazu sei, ihn selbst zu Lebzeiten herauszugeben. Ziemlich rücksichtslos war Heiner Müller. Als er 1995 starb, hinterließ er einen ungegliederten, aus Tausenden von Zetteln, Briefen, Programmheften, Plakaten, Prospekten aufgeschichteten Materialberg. Ziemlich ordentlich sind die meisten Schriftsteller. Sie kommen der Nachwelt entgegen, indem sie zu Lebzeiten das, was einmal ihr Nachlass sein wird, in die Form eines Archivs bringen. Zum Alterswerk der Dichter gehört, Goethe setzte auch hierin die klassische Norm, die Arbeit an der Selbsthistorisierung.


Weiteres zu Robert Musil

Über diese Musil-Splitter hinaus sollte die Musil-Seite im Bücherlei-Wiki erwähnt werden, die mit weit umfangreicheren Ressourcen zum Schriftsteller aufwartet. Im Bücherlei außerdem anzusehen: die Musil-Zitate


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