HesseZit
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Hermann-Hesse-Notate I
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Die ganze Weltgeschichte scheint mir oft nichts anderes
zu sein als ein Bilderbuch, das die heftigste und
blindeste Sehnsucht der Menschen spiegelt: die
Sehnsucht nach Vergessen. Tilgt da nicht jede
Generation mit den Mitteln des Verbotes, des
Totschweigens, des Spottes immer gerade das aus, was
der vorigen Generation das Wichtigste schien?
(Die Morgenlandfahrt)
- So wie Blumen vergänglich und schön sind, Gold
aber beständig und langweilig, so sind alle
Bewegungen des natürlichen Lebens vergänglich
und schön, unvergänglich aber und langweilig
ist der Geist. (Hermann Hesse: Kurgast)
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"Kommen Sie", rief er nach einer Weile, "wir wollen
jetzt ein wenig Philosophie üben, das heißt das Maul
halten, auf dem Bauche liegen und denken." (Hermann
Hesse: Demian)
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Denken ist kein Beharren, sondern Bewegung.
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Das Gewissen hat nichts zu tun mit Moral, nichts mit
Gesetz, es kann zu ihnen in die furchtbarsten,
tödlichsten Gegensätze kommen, aber es ist unendlich
stark, es ist stärker als Trägheit, stärker als
Eigennutz, stärker als Eitelkeit.
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Alle echte Begabung beginnt und wurzelt im Sinnlichen,
in einer guten Mitgift an Körper und Sinnen.
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Wer nicht am Denken leidet, den freut das
Aufstehen am Morgen und das Essen und Trinken,
der findet Genüge darin und will es nicht anders.
Wem aber diese Selbstverständlichkeit verloren
ging, der sucht im Laufe der Tage begierig und
wachsam nach den Augenblicken wahren Lebens, deren
Aufblitzen beglückt und das Gefühl der
Zeit samt allen Gedanken an Sinn und Ziel des
ganzen auslöscht.
-
Eine schlaflose Nacht ist immer eine lästige
Sache. Aber sie ist erträglich, wenn man gute
Gedanken hat. Wenn man daliegt und nicht schläft,
ist man leicht ärgerlich und denkt an ärgerliche
Dinge. Aber man kann auch seinen Willen brauchen
und Gutes denken. (Schön ist die Jugend)
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Wenn jemand sucht, dann geschieht es leicht, daß
sein Auge nur noch das Ding sieht, das er sucht,
daß er nichts zu finden, nichts in sich
einzulassen vermag, weil er nur an das Gesuchte
denkt, weil er ein Ziel hat, weil er von Ziel
besessen ist. Finden aber heißt: frei sein, offen
stehen, kein Ziel haben. (Siddhartha)
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Schreiben ist gut, Denken ist besser. Klugheit ist
gut, Geduld ist besser. (Siddhartha)
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Daß ein Mensch sein Leben lang immer und immer den
Geist verehren und die Natur verachten kann, immer
Revolutionär und niemals Konservativer sein kann
oder umgekehrt, das scheint mir zwar sehr
tugendhaft, charaktervoll und standhaft, aber es
scheint mir auch ebenso fatal, widerlich und
verrückt, als wenn einer immerdar essen oder
immerdar nur schlafen wollte. (Kurgast)
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Die meisten Menschen wollen nicht eher schwimmen,
als bis sie es können." Ist das nicht witzig?
Natürlich wollen sie nicht schwimmen! Sie sind ja
für den Boden geboren, nicht fürs Wasser. Und
natürlich wollen sie nicht denken, sie sind ja
fürs Leben geschaffen, nicht fürs Denken!
Ja, und wer denkt, wer das Denken zur Haupsache macht,
der kann es darin zwar weit bringen, aber er hat doch
eben den Boden mit dem Wasser vertauscht, und
einmal wird er ersäufen.
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Den Führer braucht und verlangt, wer selbst nicht
verantworten und selber nicht denken mag.
- Lieber Sturz,(...) es tut mir so sehr leid, daß Du
grade wieder besonders schlechte Zeiten hast! Überall
kommt zum Persönlichen und Privaten, das ja oft
schwierig genug ist, noch das Plus an Last, an Sorge,
an Schande, an Leid hinzu, das die Zeit uns allen
auferlegt. (Hermann Hesse - Hans Sturzenegger:
Briefwechsel 1905-1943, S. 97)
- Daß die Völker scheinbar für den Krieg schwärmen, ist
mir einerlei. Die Völker sind immer dumm gewesen. Sie
haben auch, als sie die Wahl zwischen Jesus und dem
Mörder hatten, mit großem Eifer für den Barrabas
gestimmt. Sie werden vielleicht immer für den Barrabas
stimmen. Aber das ist doch kein Grund für mich,
mitzustimmen. (Hermann Hesse - Hans Sturzenegger:
Briefwechsel 1905-1943, S. 43)
- Jedes Leben aber ist ein Wagnis, und das
Gleichgewicht zwischen den persönlichen Gaben
und Trieben und den sozialen Forderungen muß immer
neu gefunden werden; es geht nie ohne Opfer, nie ohne
Fehler. Und auch wir Alten, scheinbar Arrivierten und
Gefestigten, stehen nicht über den Zweifeln und Fehlern,
sondern mitten darin. (Hermann Hesse: Stufen des Lebens.
Briefe, S. 90)
- Es wird sich an meiner
Stellung zum Heute kaum mehr vieles ändern. Ich glaube nicht
an unsere Wissenschaft, nicht an unsre Politik, nicht an unsre
Art zu denken, zu glauben, sich zu vergnügen, ich teile nicht
ein einziges der Ideale unsrer Zeit. Aber ich bin darum nicht
glaubenlos. Ich glaube, daß sie den ganzen Trubel unsrer Zeit
überdauern werden. (Hermann Hesse: Stufen des Lebens.
Briefe, S. 36)
- Nicht jedem Menschen ist es gegeben, eine
Persönlichkeit zu werden, die meisten bleiben
Exemplare, und kennen die Nöte der Individualisierung
gar nicht. Wer sie aber kennt und erlebt, der
erfährt auch unfehlbar, daß diese Kämpfe ihn mit
dem Durchschnitt, dem normalen Leben, dem
Hergebrachten und Bürgerlichen in Konflikt bringen.
Aus den zwei entgegengesetzten Kräften, dem
Drang nach einem persönlichen Leben und der
Forderung der Umwelt nach Anpassung, entsteht
die Persönlichkeit. (Hermann Hesse: Stufen des
Lebens. Briefe, S. 29)
- Es gilt, sich für die Ideale und Träume der eigenen
Seele gegen die Welt soviel zu wehren, daß sie nicht
verdorren.
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Der Mensch, so glaube ich, ist großer Erhebungen und
großer Schweinereien fähig, er kann zum Halbgott
steigen und zum Halbteufel sinken, aber er fällt, wenn
er etwas recht Großes oder recht Säuisches getan hat,
immer wieder auf seine Füße und auf sein Maß zurück,
und dem Pendelschlag der Wildheit und Dämonie folgt
unweigerlich der Rückschlag, folgt die dem Menschen
unentrinnbar eingeborene Sehnsucht nach Maß und
Ordnung.
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Besser ist es, Unrecht leiden als Unrecht tun. Falsch
ist es, mit verbotenen Mitteln das Erwünschte
verwirklichen zu wollen. Das sind Torheiten für die
Generäle, und die Staatsmänner lachen darüber, doch
sind es alte und bewährte Wahrheiten.
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Jeder Mensch aber ist nicht nur er selber, er ist auch
der einmalige, ganz besondere, in jedem Fall wichtige
und merkwürdige Punkt, wo die Erscheinungen der Welt
sich kreuzen, nur einmal so und nie wieder. Darum ist
jedes Menschen Geschichte wichtig, ewig, göttlich,
darum ist jeder Mensch solange er irgend lebt und den
Willen der Natur erfüllt, wunderbar und jeder Aufmerksamkeit
würdig. In jedem ist der Geist Gestalt geworden, in jedem
leidet die Kreatur, in jedem wir ein Erlöser gekreuzigt.
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Der Mensch, wie ihn die Natur erschafft, ist etwas
Unberechenbares, Undurchsichtiges, Feindliches. Er
ist ein von unbekanntem Berge hereinbrechender
Strom und ist ein Urwald ohne Weg und Ordnung. Und
wie ein Urwald gelichtet und gereinigt und
gewaltsam eingeschränkt werden muß, so muß die
Schule den natürlichen Menschen zerbrechen,
besiegen und gewaltsam einschränken. (Unterm Rad)
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Ich war allzu moralisch, allzu vernünftig, allzu
bürgerlich gewesen! Ein alter, ewiger Fehler, den
ich hundertmal begangen und bitter bereut habe,
ist mir auch diesmal wieder passiert. Ich wollte
mich einer Norm anpassen, ich wollte Forderungen
erfüllen, die gar niemand an mich stellte, ich
wollte etwas sein oder spielen, was ich gar nicht
war. Und so war es mir wieder einmal geschehen,
daß ich mich selbst und das ganze Leben
vergewaltigt hatte. (Kurgast)
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Intensiv leben kann man nur auf Kosten des Ichs.
Der Bürger nun schätzt nichts höher als das Ich
(ein nur rudimentär entwickeltes Ich allerdings).
Auf Kosten der Intensität also erreicht er die
Erhaltung und Sicherheit, statt Gottbesessenheit
erntet er Gewissensruhe, statt Lust Behagen, statt
Freiheit Bequemlichkeit, statt tödlicher Glut eine
angenehme Temperatur. Der Bürger ist deshalb
seinem Wesen nach ein Geschöpf von schwachem
Lebensantrieb, ängstlich, jede Preisgabe seiner
selbst fürchtend, leicht zu regieren. Er hat darum
an die Stelle der Macht die Majorität gesetzt, an
die Stelle der Gewalt das Gesetz, an die Stelle
der Verantwortung das Abstimmungsverfahren.
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Einsamkeit ist Unabhängigkeit, ich hatte sie mir
gewünscht und mir erworben in langen Jahren. Sie
war kalt, o ja, sie war aber auch still, wunderbar
still und groß wie der kalte stille Raum, in dem
die Sterne sich drehen. (Der Steppenwolf)
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Ich kann all diese Freuden, die mir ja erreichbar
wären und um die tausend andre sich mühen und
drängen, nicht verstehen, nicht teilen. Und was
hingegen mir in meinen seltnen Freudenstunden
geschieht, was für mich Wonne, Erlebnis, Ekstase
und Erhebung ist, das kennt und sucht und liebt
die Welt höchstens in Dichtungen, im Leben findet
sie es verrückt.
-
Man muss gleichgültig sein gegen das
Zugrundegehen, wenn man die Einsamkeit kosten und
seinem eigenen Schicksal Rede stehen will.
Leichter ist es und tröstlicher, sich den
"Aufgaben" zu widmen, die der Tag und das Volk zu
vergeben hat. Seht doch, wie wohl es den Menschen
in ihren vollen Straßen ist! Es wird geschossen,
und das Leben steht auf dem Spiel, aber jeder mag
doch weit lieber bei der Masse sein und in ihr
untergehen, als allein draußen in der dunkeln
Nacht und Kälte gehen. (Eigensinn macht Spaß)
-
Die Psychiater erklären einen Menschen für
gemütskrank, der auf kleine Störungen, kleine
Reizungen, kleine Beleidigungen seines
Selbstgefühls empfindlich und heftig reagiert,
während derselbe Mensch vielleicht Leiden und
Erschütterungen gefaßt erträgt, welche der
Majorität sehr schlimm erscheinen. Und ein Mensch
gilt für gesund und normal, dem man lange auf die
Zehen treten kann, ohne daß er es merkt, der die
elendeste Musik, die kläglichste Architektur, die
verdorbenste Luft klaglos und beschwerdelos
erträgt, der aber auf den Tisch haut und den
Teufel anruft, sobald er beim Kartenspiel ein
bißchen verliert. Eigensinn macht Spaß)
-
Es scheint wirklich den Menschen nur eine Hoffnung zu
geben: Zwar nicht die Welt und die anderen, aber
wenigstens sich selbst einigermaßen ändern
und bessern zu können; und auf denen, die das tun,
beruht im geheimen das Heil der Welt.
- Eine Tugend gibt es, die liebe ich
sehr, eine einzige. Sie heißt Eigensinn. -
Von allen den vielen Tugenden, von denen wir in
Büchern lesen und von Lehrer reden hören,
kann ich nicht so viel halten. Und doch könnte
man alle die vielen Tugenden, die der Mensch sich
erfunden hat, mit einem einzigen Namen umfassen.
Tugend ist: Gehorsam. Die Frage ist nur, wem man
gehorche. Nämlich auch der Eigensinn ist
Gehorsam. Aber alle andern, so sehr beliebten und
belobten Tugenden sind Gehorsam gegen Gesetze,
welche von Menschen gegeben sind. Einzig der
Eigensinn ist es, der nach diesen Gesetzen nicht
fragt. Wer eigensinnig ist, gehorcht einem anderen
Gesetz, einem einzigen, unbedingt heiligen, dem
Gesetz in sich selbst, dem "Sinn" des "Eigenen".
- Ich finde, unser Leben, das
durchschnittliche Leben eines heutigen
Abendländers, ist so scheußlich,
daß es nur von Klötzen, von Idioten,
von Leuten ohne Nerven, ohne Geschmack, ohne
feine Schwingungen ertragen werden kann, der
"Heroismus" ist ja denn auch das Ideal dieser
Zeit und endet bei vierzig Grad Frost im
Schützengraben. Nein, die Menschen
ertragen dies Leben nur, weil sie sich die
zarteren und darunter die besten und
schönsten gaben des Menschen schon
abgewöhnt haben.
-
Mir schiene für sehr viele schwer
seelenkranke Menschen der rasche Verlust
ihres Vermögens und die Erschütterung
ihres Glaubens an die Heiligkeit des Geldes
durchaus kein Unglück, sondern die
sicherste, ja einzig mögliche Rettung
zu bedeuten, und ebenso erscheint mir
inmitten unseres heutigen Lebens, im Gegensatz
zum alleinigen Kultus der Arbeit und des
Geldes der Sinn für das Spiel des
Augenblicks, das Offenstehen für den
Zufall etwas durchaus Wünschenswertes,
woran wir alle sehr Mangel leiden. Wir sollen
nicht aus der Vita activa in die Vita
contemplativa fliehen, noch umgekehrt,
sondern zwischen beiden wechselnd unterwegs
sein, in beiden zuhause sein, an beiden
teilhaben.
-
Man mutet sich so leichtfertig anderen Menschen
zu, und dabei kann man sich kaum selbst ertragen.
- Die Wissenden sind immer nur wenige.
Aber vielleicht bedürfen sie der Masse, die sie
umhüllt und verbirgt, ebensosehr, wie die Masse
ihrer bedarf.
- Wenn in besonders begabten und zart
organisierten Menschenseelen die Ahnung ihrer
Vielspältigkeit aufdämmert, wenn sie, wie
jedes Genie, den Wahn der Persönlichkeitseinheit
durchbrechen und sich als mehrteilig, als ein
Bündel aus vielen Ichs empfinden, so brauchen
sie das nur äußern, und alsbald
sperrt die Majorität sie ein, ruft die
Wissenschaft zuhilfe, konstatiert Schizophrenie
und beschützt die Menschheit davor, aus dem
Munde dieser Unglücklichen einen Ruf der Wahrheit
vernehmen zu müssen.
- Man kann Zeit leicht in Geld
verwandeln, wie man elektrischen Strom leicht in Licht
und Wärme verwandeln kann. Irrsinnig und gemein an
jenem dümmsten aller Menschensätze ist ja nur
dies, daß "Geld" unbedingt als Bezeichnung
für einen höchsten Wert gesetzt wird.
- In einer Sache schweigen, über die
alles klatscht, über Menschen und Einrichtungen
ohne Feindschaft lächeln, das Minus an Liebe in
der Welt durch ein Plus an Liebe im Kleinen und
Privaten bekämpfen: durch vermehrte Treue in der
Arbeit, durch größere Geduld, durch Verzicht
auf manche billige Rache des Spotts und der Kritik: das
sind allerlei Wege, die man gehen kann.
- Wer "nicht in die Welt paßt", der
ist immer nahe daran, sich selber zu finden. Wer in die
Welt paßt, findet sich nie, er wird jedoch
Nationalrat.
- Für gewöhnlich weiß man
genau und ist davon überzeugt, daß der Herr
Beamte ein einwandfreier Bürger, ein
gerechtfertigtes Kind Gottes, ein richtig numeriertes
und nützliches Mitglied der Menschheit ist,
während der Irre eben ein armer Kerl ist, ein
unglücklicher Kranker, den man duldet, den man
bedauert, der aber keinen Wert hat. Aber dann kommen
Tage oder doch Stunden, etwa wenn man ungewöhnlich
viel mit Professoren oder mit Irren verkehrt hat, da
plötzlich das Gegenteil wahr ist: dann sieht man
in dem Irren einen stillen, in sich sichern Glü
cklichen, einen Weisen, einen Liebling Gottes,
charaktervoll in sich selbst und in seinem Glauben von
sich selbst begnügt - der Professor oder Beamte
aber scheint einem entbehrlich, von mäßigem
Charakter, eine persönlichkeitslose und naturlose
Figur, von welcher zwölf aufs Dutzend gehen.
- Natürlich gibt es sehr viele
Menschen, denen das Leben leichter fällt und die
scheinbar oder wirklich "glücklicher" sind; es
sind die nicht stark Individualisierten, die keine
Probleme kennen.
- Wenn man jemand fürchtet, dann
kommt es daher, daß man diesem Jemand Macht
über sich eingeräumt hat.
- Wessen Persönlichkeit sich schwer
und kämpfend von seinen Herkünften
losgelöst hat, der neigt nicht dazu, seine teuer
erkaufte Freiheit und Verantwortlichkeit an irgendein
Schema und Programm, eine Schule, eine Richtung, eine
Clique hinzugeben.
-
Suche erkannte Wahrheiten zu verwirklichen - nicht
als Forderung an andere, sondern als Forderung an
dich selbst!
- Der Vollkommene und Heilige ist etwas, was
sehr selten erreicht wird, auch unter Mönchen,
und wenn er auch als Ideal über uns steht, muß
doch im Leben unser nächstes Ziel immer die
möglichste augenblickliche Harmonie sein, die
nie ganz erreicht und immer wieder verloren wird,
aber auch immer wieder zu finden ist. Sie bleibend
zu haben, halte ich im Weltleben nicht für
möglich. (Hermann Hesse: Stufen des Lebens.
Briefe, S. 20)
- Das ist Magie: Außen und Innen vertauschen, nicht aus
Zwang, nicht leidend, sondern frei, wollend. Rufe
Vergangenheit, rufe Zukunft herbei: Beide sind in dir!
Du bist bis heute der Sklave deines Innern gewesen.
Lerne sein Herr sein. Das ist Magie.
-
Es gibt keine, keine, keine Pflicht für erwachte
Menschen als die eine: sich selber zu suchen, in sich
fest zu werden, den eigenen Weg vorwärts zu
tasten, einerlei wohin er führt.
-
Jeder von uns ist nur ein Mensch, nur ein Versuch,
ein Unterwegs. Er sollte aber dorthin unterwegs
sein, wo das Vollkommene ist, er soll ins Zentrum
streben, nicht an die Peripherie. (Das
Glasperlenspiel)
-
Das Ziel ist dies: mich immer dahin zu stellen, wo
ich am besten dienen kann, wo meine Art, meine
Eigenschaften und Gaben den besten Boden, das
größte Wirkungsfeld finden. Es gibt kein anderes
Ziel. (Narziß und Goldmund)
-
Das, was wahr ist, und wie das Leben eigentlich
eingerichtet ist, das muß ein jeder sich selber
ausdenken und kann es aus keinem Buch lernen.
(Vorfrühling)
-
Es gibt keine, keine, keine Pflicht für erwachte
Menschen als die eine: sich selber zu suchen, in
sich fest zu werden, den eigenen Weg vorwärts zu
tasten, einerlei wohin er führt. (Demian)
- Die Praxis sollte das Ergebnis des
Nachdenkens sein, nicht umgekehrt.
-
Es ist nicht unsere Aufgabe, einander näher zu
kommen, so wenig wie Sonne und Mond zueinander
kommen oder Meer und Land. Unser Ziel ist,
einander zu erkennen und einer im anderen das zu
sehen und ehren zu lernen, was er ist: des andern
Gegenstück und Ergänzung.
-
Du sollst dich nicht nach einer vollkommenen
Lehre sehnen, sondern nach Vervollkommung deiner
selbst. Die Gottheit ist in dir, nicht in
Begriffen und Büchern.
-
Nach meiner Meinung sind in meiner
Generation weit mehr Menschenleben durch
allzugroße Einschnürung und Hemmung des
Trieblebens verpfuscht worden als durch das gegenteil.
Darum habe ich in einigen meiner Bücher mich zum
Anwalt und Helfer dieses unterdrückten Trieblebens
gemacht - aber nie, ohne die Ehrfurcht vor den hohen
Forderungen beiseite zu lassen, die von den Weisen und
von den Religionen gestellt werden. Unser Ziel ist auch
nicht: auf Kosten der Güte, der Liebe und
Menschlichkeit ein möglichst wildes
Willkürleben zu führen. Sondern wir
müssen zwischen den beiden Forderungen, denen
der Natur und denen des Geistes, unseren Weg suchen,
aber nicht einen starren Mittelweg, sondern jeder
seinen eigenen, elastischen, auf welchem Freiheit
und Bindung abwechseln wie Einatmen und Ausatmen.
- Ja, sagen Sie ja zu sich, zu Ihrer
Absonderung, Ihren Gefühlen, Ihrem Schicksal! Es
gibt keinen andern Weg. Wohin er führt, weiß
ich nicht, aber er führt ins Leben, in die
Wirklichkeit, ins Brennende und Notwendige. Sie
können ihn unerträglich finden und sich
das Leben nehmen, das steht jedem offen, der Gedanke
daran tut oft wohl, auch mir. Aber ihm entgehen, durch
Entschluß, durch Verrat am eigenen Schicksal und
Sinn, durch Anschluß an die "Normalen", das
können Sie nicht. Es würde nicht lang
gelingen und größere Verzweiflung bringen
als die jetzige.
- Furcht vor Wahnsinn ist meistens nichts
anderes als Furcht vor dem Leben, vor den Forderungen
unserer Entwicklung und unserer Triebe. Zwischen dem
naiven Triebleben und dem, was wir bewußt sein
möchten und zu sein streben, ist immer eine Kluft,
man kann sie nicht überbrücken, wohl aber
immer wieder überspringen, hundertmal, und
jedesmal gehört Mut dazu und befällt uns vor
dem Sprung einige Angst.
- Immer wieder klammert man sich an das
Liebgewonnene und meint, es sei Treue, es ist aber
bloß Trägheit.
- Wem Schicksal von außen kommt,
den erlegt es, wie der Pfeil das Wild erlegt. Wem
Schicksal von innen und aus seinem Eigensten kommt, den
stärkt es und macht ihn zum Gott.
- Kein kostbarstes Kleinod ist so
unanfechtbar schön, daß ihm nicht Gewö
hnung und Lieblosigkeit den Glanz des Wertvollen rauben
könnte; darum erscheint es mir eine
erstrebenswerte Kunst: die Andacht und Liebe, die wir
gern den fernstehenden und entrückten
Schönheiten gönnen, auch den nahen und
gewohnten zu schenken.
- Was mir zuwider ist, existiert
für mich nicht minder als das, was ich liebe.
Aber, was ich nicht kenne und nicht kennen mag,
was mir gleichgültig ist, was keine Beziehung
zu mir, keinen Ruf an mich hat, das existiert
für mich nicht, - und je mehr dessen ist,
desto niedriger stehe ich selber.
- Nenne keine Empfindung klein, keine
Empfindung unwürdig! Gut, sehr gut ist jede, auch
der Haß, auch der Neid, auch die Eifersucht, auch
die Grausamkeit. Von nichts anderem leben wir als von
unseren armen, schönen, herrlichen Gefühlen,
und jedes, dem wir unrecht tun, ist ein Stern, den wir
auslöschen.
- (Journalismus) Wunderlich, was der Mensch alles
schlucken kann! Wohl zehn Minuten las ich in
einer Zeitung, ließ durch das Auge den Geist
eines verantwortungslosen Menschen in mich
hinein, der die Worte anderer im Munde breit
kaut und sie eingespeichelt, aber unverdaut
wieder von sich gibt.
-
Alles Wissen und alle Vermehrung unseres Wissens endet
nicht mit einem Schlusspunkt, sondern mit Fragezeichen.
-
Es ist gut, alles selber zu kosten, was man zu
wissen nötig hat. (Hesse, Siddhartha)
-
Wissen kann man mitteilen, Weisheit aber nicht.
Man kann sie finden, man kann sie leben, man kann
von ihr getragen werden, man kann mit ihr Wunder
tun, aber sagen und lehren kann man sie nicht.
(Siddhartha)
- Je höher die Bildung (also das
Selbstbewußtsein, das Gefühl der eigenen
Persönlichkeit), desto rascher und sicherer
scheidet jeder das ihm nicht Gemäße aus,
desto durchdringender aber erfaßt er auch alles,
was ihm verwandt ist.
- Die Schule ist die einzige moderne
Kulturfrage, die ich ernst nehme und die mich
gelegentlich aufregt. An mir hat die Schule viel kaputt
gemacht, und ich kenne wenig bedeutendere
Persönlichkeiten, denen es nicht
ähnlich ging. Gelernt
habe ich dort nur Latein und Lügen.
- Unsere Lehrer forderten Tugenden von
uns, die sie selber nicht hatten, und so war wohl auch
die Weltgeschichte, die sie uns vorsetzten, so ein
Schwindel der Erwachsenen, um uns herabzusetzen und
kleinzumachen.
- Wissen hat keinen ärgeren Feind
als das Wissenwollen, als das Lernen.
- Bildung setzt etwas zu Bildendes
voraus: einen Charakter nämlich, eine
Persönlichkeit. Wo die nicht vorhanden ist,
wo sich Bildung ohne Substanz gewissermaßen
im Leeren vollzieht, da kann wohl Wissen entstehen,
nicht aber Liebe und Leben.
-
Was man gründlich kennt, besitzt man wirklich.
- So wie ich mich ihrer aus meiner ersten Knabenzeit erinnere, war
sie eine junge, schlanke Frau, deren Schönheit nur langsam der
Zeit und den Sorgen nachgab. (Peter Bastians
Jugend)
- Jugend hat es schwer, sie ist voll von Kräften und
stößt aller Enden an Regeln und Konventionen. Der Sohn
haßt nichts so sehr als die Regeln und Konventionen, in
denen er den Vater befangen sieht. Ein Faustschlag ins
Gesicht der Pietät gehört zu den Taten, ohne welchen
man nicht von der Schürze der Mutter loskommt. (Hermann
Hesse: Betrachtungen und Berichte II)
- Wenn altgewordene Menschen sich darauf zu besinnen
suchen, wann, wie oft und wie stark sie Glück empfunden
haben, dann suchen sie vor allem in ihrer Kindheit, und
mit Recht, denn zum Erleben des Glückes bedarf es vor
allem der Unabhängigkeit von der Zeit und damit von der
Furcht sowohl wie von der Hoffnung, und diese Fähigkeit
kommt den meisten Menschen mit den Jahren abhanden.
(Betrachtungen und Berichte II)
- Ich bin wieder in Baden, doch erlaubt der Arzt mir nur noch sehr kurze Bäder, auch im Gebrauch der Heilmittel wird man im Alter allmählich rationiert. (Hermann Hesse - Hans Sturzenegger: Briefwechsel 1905-1943, S. 98)
-
Mit aller Klugheit und selbst mit aller Liebe können
erwachsene Menschen sich doch niemals eine
Vorstellung davon machen, was in der Seele eines
Kindes vorgeht und wie die Welt in ihr sich spiegelt.
Erwachsene sind immer von einer Menge von
Gewohnheiten umgeben, deren Dasein ihnen
notwendig und keiner Erklärung bedürftig scheint.
-
Für mich fiel der Konfirmationsunterricht
zusammen mit der Zeit der entscheidenden Aufklärungen
in den geschlechtlichen Dingen, und trotz gutem Willen
war mein Interesse für die fromme Belehrung
dadurch sehr beeinträchtigt. (Hermann Hesse:
Demian)
-
Die Jungen haben nicht die Aufgabe, uns Vorgänger zu
rechtfertigen, sondern sich selber durchzusetzen und
sich von allem zu befreien, was Altes, Faules,
Hemmendes da war.
-
Das Bedürfnis der Jugend ist: sich selbst ernst nehmen
zu können. Das Bedürfnis des Alters ist: sich selber
opfern zu können, weil über ihm etwas steht, was er
ernst nimmt. Ein geistiges Leben muss zwischen diesen
beiden Polen ablaufen und spielen. Denn Aufgabe,
Sehnsucht und Pflicht der Jugend ist das Werden,
Aufgabe des reifen Menschen ist das Sichweggeben oder,
wie die deutschen Mystiker es einst nannten, das
"Entwerden". Man muss erst ein voller Mensch, eine
wirkliche Persönlichkeit geworden sein und die Leiden
dieser Individuation erlitten haben, ehe man das Opfer
dieser Persönlichkeit bringen kann.
-
Der Mensch erlebt das, was ihm zukommt, nur in der
Jugend in seiner ganzen Schärfe und Frische, so
bis zum dreizehnten, vierzehnten jahr. Davon zehrt
er sein Leben lang .(Roßhalde)
-
Das Altwerden an sich ist ja ein natürlicher
Prozeß und ein Mann von 65 oder 75 Jahren ist,
wenn er nicht jünger sein will, durchaus ebenso
gesund und normal wie einer von 30 oder 50. Aber
man ist eben mit seinem eigenen Alter leider nicht
immer auf einer Stufe, man eilt innerlich oft
voraus, und noch öfter bleibt man hinter ihm
zurück - das Bewußtsein und Lebensgefühl ist dann
weniger reif als der Körper, wehrt sich gegen
dessen natürliche Erscheinung, und verlangt etwas
von sich selber, was es nicht leisten kann. Mit
der Reife wird man immer jünger. Es geht auch mir
so, obwohl das wenig sagen will, da ich das
Lebensgefühl meiner Knabenjahre im Grund stets
beibehalten habe und mein Erwachsensein und Altern
immer als eine Art Komödie empfand. Wer alt
geworden ist und drauf achtet, der kann
beobachten, wie trotz dem Schwinden der Kräfte und
Potenzen ein Leben noch spät und bis zuletzt mit
jedem Jahr das unendliche Netz seiner Beziehungen
und Verflechtungen vergrößert und vervielfältigt
und wie, solange ein Gedächtnis wach ist, doch von
all dem Vergänglichen und Vergangenen nichts
verloren geht.
- Das Altwerden ist ja nicht bloß ein Abbauen und
Hinwelken, es hat, wie jede Lebensstufe, seine
eigenen Werte, seinen eigenen Zauber, seine eigene
Weisheit, seine eigene Trauer, und in Zeiten einer
einigermaßen blühenden Kultur hat man mit Recht
dem Alter eine gewisse Ehrfurcht erwiesen, welche
heut von der Jugend in Anspruch genommen wird. Wir
wollen das der Jugend nicht weiter übelnehmen.
Aber wir wollen uns doch nicht aufschwatzen
lassen, das Alter sei nichts wert. (Beim Lesen
der Post, Ostern 1954)
- Was mir seit Jahrzehnten widerlich ist, das ist
erstens die blöde Anbetung der Jugend und
Jugendlichkeit wie sie etwa in Amerika blüht, und
dann noch mehr die Etablierung der Jugend als
Stand, als Klasse, als "Bewegung". Ich bin ein
alter Mann und habe die Jugend gern, aber ich
müßte lügen, wenn ich sagen wollte, daß sie mich
stark interessiert. Für alte Leute, zumal in
Zeiten schwerer Prüfung wie jetzt, gibt es nur
eine Interessante Frage: die Frage nach dem Geist,
dem Glauben, der Art von Sinn und Frömmigkeit, die
sich bewährt, die den Leiden und dem Tod gewachsen
ist. Den Leiden und dem Tod gewachsen sein, ist
die Aufgabe des Alters. Begeistertsein,
Mitschwingen, Angeregtsein ist die Stimmung der
Jugend. Die können miteinander befreundet sein,
aber sie sprechen zweierlei Sprache.
-
Wer mit Glück und in Gesundheit
siebzehn Jahre alt geworden ist
und gute Eltern hatte, der hat ohnehin in gar vielen
Fällen gewiß den schöneren Teil des
Lebens hinter sich, und wenn sein Leben so früh
endet und aus Mangel an großem Schmerz und
grellem Erlebnis und wilder Lebensweite kein
Beethovensches Symphonienstück geworden ist, so
kann es doch eine kleine Haydnsche Kammermusik gewesen
sein, und das kann man nicht von vielen Menschenleben
sagen.
- Die Leute, die man sich in ihrer
Jugend unmöglich alt denken kann, gerade die geben
die besten Alten.
- Der Vernünftige glaubt, daß
die Erde dem Menschen zur Ausbeutung ausgeliefert sei.
Sein gefürchtester Feind ist der Tod, der Gedanke
an die Vergänglichkeit seines Lebens und Tuns. An
ihn zu denken, vermeidet er, und wo er dem
Todesgedanken nicht entgehen kann, flüchtet er in
die Aktivität und setzt dem Tode ein verdoppeltes
Streben entgegen: nach Gütern, nach Erkenntnissen,
nach Gesetzen, nach rationaler Beherrschung der Welt.
Sein Unsterblichkeitsglaube ist der Glaube an jenen
Fortschritt: als tätiges Glied in der ewigen Kette
des Fortschritts glaubt er sich vor dem völligen
Verschwinden bewahrt.
- Schritte, die man getan hat, und Tode,
die man gestorben ist, soll man nicht mehr bereuen.
- Wenn einem Menschen, so denke ich mir,
durch Natur, Erziehung und Schicksal der Selbstmord
unmöglich und verboten ist, dann wird er ihn, auch
wenn gelegentlich die Phantasie ihn mit diesem Ausweg
in Versuchung führt, nicht ausführen kö
nnen, es wird ihm einfach verboten bleiben. Ist es
anders, und wirft einer das Leben, das ihm unerträ
glich geworden ist, entschlossen von sich, so hat er
nach meiner Meinung dazu dasselbe Recht, wie andre es
auf ihren natürlichen Tod haben. Bei manchen, die
sich umgebracht haben, habe ich ihren Tod als natü
rlicher und sinnvoller empfunden denn so manchen
anderen.
- Schmerz und Klage sind unsre erste,
natürliche Antwort auf den Verlust eines geliebten
Menschen. Sie helfen uns durch die erste Trauer und
Not, sie genügen aber nicht, um uns mit dem Toten
zu verbinden. Das tut auf primitiver Stufe der
Totenkult: Opfer, Grabschmuck, Denkmäler, Blumen.
Auf unsrer Stufe aber muß das Totenopfer in
unsrer eigenen Seele vollzogen werden, durch Gedenken,
durch genaueste Erinnerung, durch Wiederaufbau des
geliebten Wesens in unsrem Innern. Vermögen wir
dies, dann geht der Tote weiter neben uns, sein Bild
ist gerettet und hilft uns den Schmerz fruchtbar zu
machen.
- Gegen den Tod brauche ich keine Waffe,
weil es keinen Tod gibt. Es gibt aber eines: Angst vor
dem Tode. Die kann man heilen.
- Ich glaube, man kann im Leben eine
ganz genaue Grenze ziehen zwischen Jugend und Alter.
Die Jugend hört auf mit dem Egoismus, das Alter
beginnt mit dem Leben für andere.
- Auf dem Weg vom Jünglings- zum
Mannesalter sind die beiden Hauptstufen: Das Innewerden
und Bewußtmachen des eigenen Ich und dann die
Einordnung dieses Ich in die Gemeinschaft. Je einfacher
und problemloser ein Jüngling ist, desto weniger
Bescherden werden beide Aufgaben ihm bereiten. Die
stärker differenzierten und begabten Naturen haben
es schwerer, am schwersten die, denen nicht ein
Spezialtalent von selber den Weg zeigt. Jedes Leben
aber ist ein Wagnis, und das Gleichgewicht zwischen den
persönlichen Gaben und Trieben und den sozialen
Forderungen muß immer neu gefunden werden; es
geht nie ohne Opfer, nie ohne Fehler. Und auch wir
Alten, scheinbar Arrivierten und Gefestigten, stehen
nicht über den Zweifeln und Fehlern, sondern
mitten darin.
- Das revolutionäre Geschrei bei
einem Teil der Jugend muß man nicht allzu ernst
nehmen. Ernst daran ist nur das tiefe Bedürfnis,
für neue Sorgen neue Emotionen, auch neue
Ausdrücke zu finden.
- Da die junge Generation eine ganze,
jahrzehntealte bürgerliche Welt hinabsinken
fühlt, unter deren kleinlicher Rute sie aufwuchs,
frohlockt sie mit Recht.
- So wie die "Erkenntnis", also das
Erwachen zum Geist, von der bibel als Sünde
dargestellt wird (repräsentiert durch die Schlange
im Paradies), so wird das Menschwerden, die
Individuation, das Sichdurchkämpfen des Einzelnen
aus der Masse heraus zu Persönlichkeit stets von
Sitte und Herkommen mit Mißtrauen betrachtet, wie
ja auch die Reibung zwischen Jüngling und Familie,
zwischen Vater und Sohn etwas Natürliches und
Uraltes ist, und dochvon jedem Vater von neuem als
unerhörte Rebellion empfunden wird.
- Erst im Altwerden sieht man die
Seltenheit des Schönen, und welches Wunder es
eigentlich ist, wenn zwischen den Fabriken und Kanonen
auch Blumen blühen und zwischen den Zeitungen und
Börsenzetteln auch noch Gedichte leben.
- Kriege führen auch die Ameisen, Staaten haben auch die
Bienen, Reichtümer sammeln auch die Hamster. Deine Seele
sucht andere Wege, und wo sie zu kurz kommt, wo du auf ihre
Kosten Erfolge hast, blüht dir kein Glück. Denn "Glück"
empfinden kann nur die Seele, nicht der Verstand, nicht
Bauch, Kopf oder Geldbeutel. (Hermann Hesse: Sämtliche
Werke, Bd. 13: Betrachtungen und Berichte. 1899-1926, S.
378)
- Kein Mensch ist so arm, daß er nicht einmal am Tage zum
Himmel aufblicken und sich eines guten, lebendigen
Gedankens erinnern kann. (Hermann Hesse: Sämtliche
Werke, Bd. 13: Betrachtungen und Berichte. 1899-1926, S.
369)
-
Das Glück ist ein Wie, kein Was, ein Talent, kein
Objekt.
-
Viele sagen, sie "lieben die Natur". Das heißt,
sie sind nicht abgeneigt, je und je ihre
dargebotenen Reize sich gefallen zu lassen. Sie
gehen hinaus und freuen sich über die Schönheit
der Erde, zertreten die Wiesen und reißen
schließlich eine Menge Blumen und Zweige ab, um
sie bald wieder wegzuwerfen oder daheim verwelken
zu lassen. So lieben sie die Natur. Sie erinnern
sich dieser Liebe am Sonntag, wenn schönes Wetter
ist, und sie sind dann gerührt über ihr gutes
Herz. Sie hätten es ja nicht nötig, denn "der
Mensch ist die Krone der Natur". Ach ja, die
Krone! (Peter Camenzind)
-
Glücklich ist, wer hofft. (Roßhalde)
-
Das Beste daran war aber nicht das Küssen und
nicht das abendliche Zusammenpromenieren und
Heimlichtun. Das Beste war die Kraft, die mir aus
jener Liebe floß, die fröhlich Kraft, für sie zu
leben, zu streiten, durch Feuer und Wasser zu
gehen. Sich wegwerfen können für einen Augenblick,
Jahre opfern können für das Lächeln einer Frau,
das ist Glück. (Hermann Hesse, Eine Fußreise im
Herbst, Erinnerungen)
- Recht als wolle es ihn mit der Nase
darauf stoßen, hatte sein Glück ihm diese
prächtige Figur in seinen Weg gestellt, daß
er sich an sie halte. Aber der Mensch ist zu nichts
schwerer zu bringen als zu seinem Glück. (Der
Weltverbesserer)
- Wenn wir einen Menschen glü
cklicher und heiterer machen können, so sollten
wir es in jedem Fall tun, mag er uns darum bitten oder
nicht. (Das Glasperlenspiel)
- Ich neige manchmal dazu, glü
ckliche Menschen für heimliche Weise zu halten,
auch wenn sie dumm scheinen. Was ist dümmer und
macht unglücklicher als Gescheitheit?
- Wenn aus bedecktem Himmel ein
Sonnenstrahl in eine trübe Gasse fällt, so
ist es einerlei, was er trifft: die Flaschenscherbe am
Boden, das zerfetzte Plakat an der Wand oder den
blonden Flachs eines Kinderkopfes: er bringt Licht, er
bringt Zauber, er verwandelt und verklärt.
- Mein Glück bestand aus dem
gleichen Geheimnis wie das Glück der Träume,
es bestand aus der Freiheit, alles irgend Erdenkliche
gleichzeitig zu erleben, Außen und Innen spielend
zu vertauschen, Zeit und Raum wie Kulissen zu
verschieben.
- Die hohe Bewertung der Minute, die Eile
als wichtigste Ursache unserer Lebensform ist ohne
Zweifel der gefährlichste Feind der Freude.
Möglichst viel und möglichst schnell ist die
Losung. Daraus folgt immer mehr Vergnügung und
immer weniger Freude.
- Das Schönste ist immer so,
daß man dabei außer dem Vergnügen auch
noch eine Trauer hat oder eine Angst.
- Das Schönste zieht einen Teil
seines Zaubers aus der Vergänglichkeit.
- Glück ist Liebe, nichts anderes.
Wer lieben kann, ist glücklich.
- Die Humoristen haben, sie mögen schreiben, was
immer sie wollen, alle ihre Überschriften und
Themata stets nur zum Vorwand, in Wahrheit haben
sie alle und immer nur ein einziges Thema:
die wunderliche Traurigkeit und, man erlaube
den Ausdruck, Beschissenheit des Menschenlebens
und das Staunen darüber, daß dies jämmerliche
Leben trotzdem so schön und köstlich sein kann.
(Kurgast)
-
Die Tiefe ist im Klaren und Heiteren.
- Je größer der Komiker ist,
je schauerlicher und hilfloser er unsre Dummheit auf
die komische Formel bringt, desto mehr muß man
lachen! Wie gern doch alle Menschen lachen! Weit von
den Vorstädten her laufen sie in der Kälte,
zahlen Geld, warten lang, kommen erst um Mitternacht
nach Hause, nur um eine Weile lachen zu kö
nnen.
- Humor, ein Kristall, der nur in tiefen
und dauernden Schmerzen wächst. Die Gesunden
klatschen sich dabei auf die Schenkel und wiehern und
sind dann immer verdutzt und ein wenig beleidigt, wenn
sie von Zeit zu Zeit Nachrichten lesen wie diese,
daß der sehr beliebte und erfolgreiche Komiker X
sich unbegreiflicherweise in einem Anfall von Schwermut
ertränkt habe.
- Tragik und Humor sind ja keine
Gegensätze oder sind vielmehr nur darum
Gegensätze, weil die eine den andern so
unerbittlich fordert.
-
Aller höhere Humor fängt damit an, daß man
die eigene Person nicht mehr ernst nimmt.
- In der Welt zu leben, als sei es nicht
die Welt; das Gesetz zu achten und doch über ihm
zu stehen, zu besitzen, als besäße man
nicht, zu verzichten, als sei es kein Verzicht - alle
diese beliebten und oft formulierten Foderungen einer
hohen Lebensweisheit ist einzig der Humor zu
verwirklichen fähig.
- Selten, überaus selten sind die Menschen, deren Seele auch
schon im täglichen Reden sich äußert. Sie sind schon mehr
als Dichter, sind fast schon Heilige.
- Wenn man zusieht, wie zwei moderne Durschnittsmenschen,
die sich eben erst durch Zufall kennenlernen und eigentlich
gar nichts Materielles voneinander begehren - wie diese zwei
sich gegeneinander benehmen, dann fühlt man es beinahe
sinnlich, wie dicht jeder Mensch von einer zwingenden
Atmossphäre, von einer Schutzkruste und Abwehrschicht
umgeben ist, von einem Netz, gewoben aus lauter
Ablenkungen von Seelischen, aus Absichten, Ängsten und
Wünschen, die alle auf unwesentliche Ziele gerichtet sind, die
ihn von allen anderen trennen. Es ist, als dürfe die Seele nur ja
nicht zu Wort kommen, als sei es notwendig, sie ganz mit
hohen Zäunen zu umgeben, mit Zäunen der Angst und der
Scham. Nur die wunschlose Liebe vermag dies Netz zu
durchbrechen. Und überall, wo es durchbrochen wird, blickt
Seele uns an. (Hermann Hesse: Sämtliche Werke, Bd. 13:
Betrachtungen und Berichte. 1899-1926, S. 372)
- Urteile sind nur wertvoll, wenn sie bejahen. Jedes verneinende,
tadelnde Urteil, wenn es als Beobachtung noch so richtig ist,
wird falsch, sobald man es äußert. Was Menschen
übereinander reden, davon sind zwei Drittel solche "Urteile".
(Hermann Hesse: Sämtliche Werke, Bd. 13: Betrachtungen
und Berichte. 1899-1926, S. 389)
- Wirklich wahr sind wir nur, wo wir ja sagen und anerkennen.
Das Feststellen von "Fehlern", und klinge es noch so fein und
geistig, ist nicht Urteil, sondern Klatsch. (Hermann Hesse:
Sämtliche Werke, Bd. 13: Betrachtungen und Berichte.
1899-1926, S. 389)
-
Ich halte es mit Siddhartha, unsrem weisen Freund aus
dem Osten, der einmal gesagt hat: "Die Worte tun dem
geheimen Sinn nicht gut, es wird immer alles gleich ein
wenig anderes, ein wenig verfälscht, ein wenig närrisch
- ja, und auch das ist gut, auch damit bin ich
einverstanden, daß das, was eines Menschen Schatz und
Weisheit ist, dem andern immer wie Narrheit klingt."
(Die Morgenlandfahrt)
-
Gewiß, zwei Völker und zwei
Sprachen werden einander nie sich so verständlich
und so intim mitteilen können wie zwei einzelne,
die derselben Nation und Sprache angehören. Aber
das ist kein Grund, auf Verständigung und
Mitteilung zu verzichten. Auch zwischen Volks- und
Sprachgenossen stehen Schranken, die eine volle
Mitteilung und ein volles gegenseitiges Vertrauen
verhindern, Schranken der Bildung, der Erziehung, der
Begabung, der Individualität. Man kann behaupten,
jeder Mensch auf Erden könne grundsätzlich
mit jedem andern sich aussprechen, und man kann
behaupten, es gebe überhaupt keine zwei Menschen
in der Welt, zwischen denen eine echte, lü
ckenlose, intime Mitteilung und Verständigung
möglich sei - eins ist so wahr wie das andre. (Das
Glasperlenspiel)
- Gespräche mit Menschen, denen man nicht im Innersten
verbunden ist, sind nun einmal fast immer so öde und
enttäuschend. Dazu kommt, daß Fremde, wenn sie mich
ansprechen, leider immer den Fachmann in mir sehen und in
ihren Gesprächen irgendwie meinen, auf Literatur und Kunst
zu sprechen kommen zu müssen, und natürlich wird dann
Blech geschwatzt, und die reizendsten Menschen lernt man
von einer Seite kennen, wo sie von den andern elf vom
Dutzend nicht zu unterscheiden. (Hermann Hesse: Kurgast, S.
87)
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